Henrik Edyedi (1933)
Die Irrtümer der Psychoanalyse. Eine Irrlehre mit
einem genialen Kern. Wien: Braumüller.
Vorbemerkung: Die Arbeit Henrik Egydis fiel mir vor kurzem durch Zufall in die Hände. Ich kannte ihn nicht und inzwischen kann ich sagen: ich fand ihn auch nirgendwo erwähnt. Zuerst dachte ich, das hat etwas mit dem Veröffentlichungsjahr zu tun. Dem Inhalt nach ist das aber nicht der Fall. Die vorgetragene Kritik erscheint mir sogar ausgesprochen modern, geradezu zeitlos, so etwa die treffliche Kritik der Übertragung, der Abhängigmachung der PatientInnen und zugleich der Verschleierung dieser Bindungsmanipulationen in der Psychoanalyse. Highlights der Kritik Egyedis werden von mir in der Leseprobe farbig unterlegt und in 14p Schrift herausgehoben.
I Die Psychoanaylstische Theorie und deren Kritik
Einleitung 1
Kritiker der Psychoanalyse 5
Der philosophische Hintergrund der Psychoanalyse und
dessen Kritik 9
Das psychoanalytische Gebäude, wie es entstanden
ist 13
Die gegenwärtige Form des psychoanalytischen Gebäudes
16
Fehlleistungen 21
Die Traumdeutung 23
Der Kern der Neurosenlehre 30
Pausexualismus und dessen Quellen 35
Freuds Lehre, eine Entdecker-Psychose mit einem genialen
Kern 38
II Kritik des psychoanalytischen Heilverfahrens
43
Psychoanalytiker und deren Organisation 45
Die psychoanalytische Praxis 48
Der Hypnotismus und der posthypnotische Zustand
49
Die Heilmittel der Psychoanalyse für Seelisch-Zerrüttete
50
Übertragung und Übertragungsliebe 54
Die freie Assoziation: Ursache der hypnotischen Relation
zwischenPatient und Arzt 59
Die Psychoanalyse, eine in Wirklichkeit von ihren Anhängern
mißdeutete Psychometamorphose 69
Einiges über den Wert der Psychoanalyse als Heilverfahren
72
Psychoanalyse und geheime Wissenschaften 74
Psychoanalytische
Diplomatie 80
Schlußbetrachtungen
83
Leseprobe:
ursprünglich g e s p e r r t hier kursiv.
"Ein mächtiger Unterschied besteht in der Auffassung und Ansicht
über das Verhältnis des Patienten zum Arzt, wenn Psychoanalytiker
vor einem Publikum sprechen oder wenn sie entre nous die Sache erörtern.
Als typisch möchte ich einzelne Kapitel der Neurosenlehre hier mitteilen.
„Solange nun die Mitteilungen und Einfälle
des Patienten ohne Stockung erfolgen, lasse man das Thema der Übertragung
unberührt. Man warte mit dieser heikelsten aller Prozeduren, bis
die Übertragung zum Widerstande geworden ist.
Die nächste Frage, vor die wir uns gestellt
finden, ist eine prinzipielle. Sie lautet: Wann sollen wir mit den Mitteilungen
an den Analysierten beginnen? Wann ist es Zeit, ihm die geheime Bedeutung
seiner Einfälle zu enthüllen, ihn in die Voraussetzungen und
technischen Prozeduren der Analyse einzuweihen?
Die Antwort hierauf kann nur lauten: Nicht eher,
als bis sich eine leistungsfähige Übertragung, ein ordentlicher
Rapport, bei dem Patienten hergestellt hat. Das erste Ziel der Behandlung
bleibt, ihn an die Kur und an die Person des Arztes zu attachieren. Man
braucht nichts anderes dazu zu tun, als ihm Zeit zu lassen. Wenn man ihm
ernstes Interesse bezeugt, die anfangs auftauchenden Widerstände sorgfältig
beseitigt und gewisse Mißgriffe vermeidet, stellt der Patient ein
solches Attachement von selbst her und reiht den Arzt an eine der Imagines
jener Person an, von denen er Liebes zu empfangen gewohnt war."
Einigermaßen im Kontrast zu dieser - höchste
Diplomatie von dem Analytiker fordernd - steht ein stolzer Ausspruch Freuds
20 Seiten später in demselben Werke: „Wer sich in die analytische
Technik eingelebt hat, trifft das dem Arzte sonst unentbehrliche Lügen
und Vorspiegeln überhaupt nicht mehr und pflegt sich zu verraten,
wenn er es in bester Absicht einmal versucht." [<80]
Nicht ohne Ursache verbirgt die Psychoanalyse am liebsten ihre hypnotisch-suggestiven Zusammenhänge. Die Therapie und die therapeutischen Erfolge beruhen im hohen Maße auf das Nichtwissen des Patienten um diesen Punkt. |
„Es ist mir bekanntgeworden, daß einzelne Ärzte, welche die Analyse ausüben, die Patienten häufig auf das Erscheinen der Liebesübertragung vorbereiten oder sie sogar auffordern, sich 'nur in den Arzt zu verlieben, damit die Analyse vorwärtsgehe'. Ich kann mir nicht leicht eine unsinnigere Technik vorstellen. Man raubt damit dem Phänomen den überzeugenden Charakter der Spontaneität und bereitet sich selbst schwer zu beseitigende Hindernisse."
Ich habe an mehreren Stellen erwähnt, daß
die Psychoanalyse keine intellektuelle Wissenschaft sei, ich ziehe meine
Behauptung insofern feierlich zurück, als es - wie im Kapitel der
Übertragung ersichtlich - vom Arzt die schwerste und höchste
intellektuelle Tätigkeit fordert: die Patientin jahrelang in einem
gleichschwebenden Liebeszustand zu halten (ich hoffe, daß die Psychoanalytiker
mir diesen neuerfundenen Terminus technicus vergeben werden). Es erfordert
wirklich geistige Kraft, höchste und schlaueste Selbstbeherrschung,
um eine Patientin jahrelang zu gleicher Zeit in verliebtem Zustand zum
Arzt zu erhalten und anderseits diesen Zustand nach oben wie nach unten
(Erfüllung oder Versagung) in Schwebe zu lassen.
Wenn der Leser glaubt, daß diese Sätze
von mir frei erfunden sind oder nur einen Spaß bedeuten, so verweise
ich ihn auf Freuds Neurosenlehre „Bemerkungen über die Übertragungsliebe".
Ein Teil der psychoanalytischen Diplomatie muß
als imperativ gegeben aufgefaßt werden, da es in der Natur der auf
schlechten Voraussetzungen aufgebauten psychoanalytischen Therapie beruht.
Es bezieht sich auf das Leugnen der hypnotisch-suggestiven Relation, auf
das Leugnen des Umstandes, daß die Konfliktlösungen, wenn auch
nicht auf direkter Suggestion beruhend, doch damit gleichgestellt werden
müssen.
Alle Äußerungen des Hypnotiseur-Psychoanalytikers haben die Wirkung posthypnotischer Befehle. Die Wiederholung dieser [<81] Befehle (Kapitel „Durcharbeiten und Wiederholen") erhöht nur die Macht und Wirksamkeit dieser Befehle. |
„Im
Hintergrund stand die von erfahrener Seite ausgesprochene Mahnung, den
Kranken nicht durch häufige Wiederholung der Hypnose um seine Selbständigkeit
zu bringen und ihn an diese Therapie zu gewöhnen wie an ein Narkotikum."
Obiges Zitat ist eine typische Äußerung der psychoanalytischen Diplomatie. Das „Um-die-Selbständigkeit-Bringen" geschieht nämlich in der Psychoanalyse in weit höherem Maße als bei der Hypnose; daß ein gewisser Schein von Selbständigkeit dabei gelassen wird, nimmt die Aufrichtigkeit der Situation weg, verändert aber nichts an den Tatsachen. |
„Die Übertragung des zu Hypnotisierenden mag
negativ oder, wie zu allermeist, ambivalent sein, er kann sich durch besondere
Einstellungen gegen seine Übertragung geschützt haben; wir erfahren
nichts davon. In der Psychoanalyse arbeiten wir an der Übertragung
selbst, lösen auf, was ihr entgegensteht, richten uns das Instrument
zu, mit dem wir einwirken wollen. So wird es uns möglich, aus der
Macht der Suggestion einen ganz anderen Nutzen zu ziehen; wir bekommen
sie in die Hand."
Letzteres Zitat ist ein Bekennen, daß es ein chronischer, leicht hypnotischer Zustand ist, den die Analytiker anstreben. Sie wollen die Suggestion „in die Hand bekommen", die Suggestion „lenken"; der Patient wird also wie ein Pferd eingespannt, die Zügel werden durch den Arzt-Hypnotiseur fest in der Hand gehalten; zieht das Pferd zu rasch, so werden die Zügel angespannt, zieht es zu langsam, werden sie locker gelassen. [<82] |
Um Freuds Wissenschaft nach Gebühr zu beurteilen,
darf man diese nicht als gegeben betrachten, sondern als Reaktion auf fehlerhafte
gegensätzliche Anschauungen.
Ist die Vorfreudsche akademische Psychologie eine
Bewußtseinspsychologie, so sieht es aus, wie wenn Freud jahrzehntelang
überhaupt die Existenz des Bewußtseins leugnete. Er konzentriert
alle Kräfte auf Unbewußte und Triebe und vernachlässigt
dadurch die Ich-Probleme. Nur langsam, zögernd anerkennt er die Wichtigkeit
des Bewußtseins und des Über-Ichs (Moral und Gewissen).
Negiert die Vorfreudsche Psychologie die Rolle der Sexualität, so erhebt sich diese bei Freud zu einem riesigen Götzen. Die Gegner sprechen mit Recht von einem Pansexualismus der Lehre. |
Lehnt sich die übrige Psychologie an die exakten Wissenschaften an und will die Gesetze durch bewußte Experimente erraten, so verzichtet Freud auch dort auf Versuche, wo diese möglich wären und die oft kühnen Behauptungen klärend erläutern könnten. |
Wollen die Vorgänger die psychologischen Probleme
nach Analogie der Mathematik und Physik mit streng beweisfähigen und
scharf formulierten Gesetzen lösen, so kehrt Freud den exakten Wissenschaften
gänzlich den Rücken (nur selten wendet er sich an einzelne physikalische
Thesen); er behauptet, der Seele kann man sich bei dem gegenwärtigen
Entwicklungsstadium der exakten Wissenschaften nur auf psychischem Weg
nähern; bei dem Fließenden, Verschwommenen der Psyche ist man
auf Andeutungen angewiesen. Man ist auf diesem Gebiete [<83] mehr wie
in der Physik oder Chemie berechtigt, mit Gesetzmäßigkeiten
zu rechnen, die ihre einzige Bestätigung in der Tatsache finden, daß
man mit ihrer Hilfe Unbekanntes entziffern kann. Er erhebt auf diese Weise
Arbeitstheorien ohne weiteres zu festen psychologischen Gesetzen.
Daß solcherart viele im
Keime richtige Aufstellungen märchenhaft ins Phantastische übertrieben
werden und dadurch der Lehre an vielen Stellen Anzeichen von kindlicher
Naivität verleihen, habe ich an mehreren Stellen bereits auseinandergesetzt.
So entstehen die schattenhafte Verziehung und unwissenschaftlichen Zerrbilder der Tatsachen. |
Wenn man ein Werturteil über Freud und seine Lehre abgeben soll,
so vergesse man nicht das andere Gesicht der Lehre: die genialen Konstruktionen
und Axiome von blebender Bedeutung, wie: der äußeren Gefahr
kann man sich durch Flucht entziehen, die Triebe wirken dauernd ein und
man kann nur scheinbar denselben entweichen, oder: Verwandlung der sexuellen
Energie in Angst; Affektverschiebungen; Fixierungen an fremde Vorstellungen;
viele Thesen der Libidolehre; Auffassung des Triebes als eine Energie,
des Bewußtseins als ein Sinnesorgan usw.
Ich habe bereits an mehreren Stellen auseinandergesetzt,
wie die analytische Situation imperativ die Ursache der Übertreibungen
sein mußte. Das folgende Zitat aus einer der wenigen durch Freud
ausführlich mitgeteilten Neurosengeschichten wirft ein grelles Licht
auf die Art und Weise, wie Freud durch Leugnen des hypnotischen Einflusses
irregeleitet wurde und wie er zu manchen märchenhaft klingenden Hypothesen
kam.
„Die ersten Jahre der Behandlung erzielten kaum
eine Änderung. Eine glückliche Konstellation fügte es, daß
trotzdem alle äußeren Verhältnisse die Fortsetzung des
therapeutischen Versuches ermöglichten. Ich kann mir leicht denken,
daß bei weniger günstigen Umständen die Behandlung nach
einiger Zeit aufgegeben worden wäre. Für den Standpunkt des Arztes
kann ich nur aussagen, (laß er sich in solchem Falle ebenso ,zeitlos`
verhalten muß wie das Unbewußte selbst, wenn er etwas erfahren
und erzielen will. Das bringt er schließlich zustande, wenn er auf
kurzsichtigen therapeutischen Ehrgeiz zu verzichten vermag. Das Ausmaß
von [<84] Geduld, Gefügigkeit, Einsicht und Zutrauen, welches von
seiten des Kranken und seiner Angehörigen erforderlich ist, wird man
in wenigen anderen Fällen erwarten dürfen. Der Analytiker darf
sich aber sagen, daß die Ergebnisse, welche er an einem Falle in
so langer Arbeit gewonnen hat, nun dazu verhelfen werden, die Behandlungsdauer
einer nächsten, ebenso schweren Erkrankung wesentlich zu verkürzen
und so die Zeitlosigkeit des Unbewußten fortschreitend zu überwinden,
nachdem man sich ihr ein erstes Mal unterworfen hat.
Der Patient, mit dem ich mich hier beschäftige,
blieb lange Zeit hinter einer Einstellung von gefügiger Teilnahmslosigkeit
unangreifbar verschanzt. Er hörte zu, verstand und ließ sich
nichts nahekommen. Seine uniadelige Intelligenz war wie abgeschnitten von
den triebhaften Kräften, welche sein Benehmen in den wenigen ihm übriggebliebenen
Lebensrelationen beherrschten. Es bedurfte einer langen Erziehung, um ihn
zu bewegen, einen selbständigen Anteil an der Arbeit zu nehmen, und
als infolge dieser Bemühung die ersten Befreiungen auftraten, stellte
er sofort die Arbeit ein, um weitere Veränderungen zu verhüten
und sich in der hergestellten Situation behaglich zu erhalten. Seine Scheu
vor einer selbständigen Existenz war so groß, daß sie
alle Beschwerden des Krankseins aufwog. Es fand sich ein einziger Weg,
um sie zu überwinden. Ich mußte warten, bis die Bindung an meine
Person stark genug geworden war, um ihr das Gleichgewicht zu hallen, dann
spielte ich diesen einen Faktor gegen den anderen aus. Ich bestimmte, nicht
ohne mich durch gute Anzeichen der Rechtzeitigkeit leiten zu lassen, daß
die Behandlung zu einem gewissen Termin abgeschlossen werden müsse,
gleichgültig, wie weit sie vorgeschritten sei. Diesen Termin war ich
einzuhalten entschlossen; der Patient glaubte endlich an meinen Ernst.
Unter dem unerbittlichen Druck dieser Terminsetzung gab sein Widerstand,
seine Fixierung ans Kranksein nach, und die Analyse lieferte nun in unverhältnismäßig
kurzer Zeit all das Material, welches die Lösung seiner Hemmungen
und die Aufhebung seiner Symptome ermöglichte. Aus dieser letzten
Zeit der Arbeit, in welcher der Widerstand zeitweise verschwunden war und
der Kranke den Eindruck einer sonst nur in der Hypnose erreichbaren Luzidität
machte, stammen auch alle die Aufklärungen, welche mir das Verständnis
seiner infantilen Neurose gestatteten."
Freud wartete also Jahre, bis die Bindung an seine Person stark genug war. Die Heilung trat in kurzer Zeit ein, nachdem der Patient zu einer "nur in der Hypnose erreichbaren Luzidität" gelangte. Ich möchte behaupten, daß die Therapie hier eine rein hypnotische war - ein Ergebnis des Umstandes, daß der Patient durch jahrelange freie Assoziation der Hypnose [<85] Freuds fügsam gemacht wurde. |
Der Zustand des Patienten war keineswegs genug ausgeglichen, um von seinen Phantasien (Beobachtung des elterlichen Koitus mit l 1/2 Jahren, detaillierte Erinnerung an „bedeutsame" Träume mit 4 Jahren u. ä. m.) weitgehende theoretische Schlüsse zu ziehen.
Hier liegt die Antwort auf die im Eingang dieser
Arbeit aufgeworfene Frage: Wütende Gegnerschaft neben fanatisch glaubenden
Anhängern. Der eine ist verblendet durch den neuartigen Glanz der
genialen Axiome der Freudschen Psychologie und begrüßt die Lehre
als Morgenröte einer neuen Wissenschaft, der andere starrt auf die
wahrhaftig verzerrten Folgerungen und Auswüchse der Lehre, auf die
zweifelhaften Quellen, woraus die Erkenntnisse geschöpft werden; auf
die mehr wie verdächtige Leichtigkeit, mit der Scheinbeweise zu einem
festen Gefüge geschmiedet werden.
Im größten Verdienst Freuds steckt auch
sein größter Fehler. Er hat als Erster der freien, nur in der
Belletristik geduldeten Denkmethode Lebensberechtigung in den philosophisch-medizinischen
Wissenschaften gegeben. Er wagte es, die feinnuancierte, nur durch Einfühlung
greifbare Denkrichtung der russischen und französischen Belletristik
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die psychologische und
psychiatrische Wissenschaft einzuführen; er hat dadurch die strengen
Schranken der physikalisch-chemisch gebundenen Denkweise dieser Wissenschaften
durchbrochen.
Künste gingen der Wissenschaft immer voraus.
Um die seelische Triebfeder ihrer Romanhelden logisch und induktiv zu erfassen,
hätten ein Dostojewski, Ibsen oder Maupassant noch hunderte Jahre
warten müssen. Wer wie Freud den kühnen Sprung wagte, die nur
mit Intuition zu ergreifenden und nicht beweisfähigen Ideengänge
in die psychologischen Wissenschaften einzuführen, mußte am
Ziele vorbeispringen. Nur das Fehlerhafte dieses Sprunges zu betrachten
und das Verdienst nicht zu beachten, wäre eine Verkennung dieses Genies."