Zur Geschichte des Sexuellen Mißbrauch in der Psychoanalyse und Analytischen Psychotherapie
Sabina Spielrein Psychoanalytikerin |
Jung und seine Frau Emma 1903 Psychoanalytikerin |
Antonia ("Toni") Wolff, Psycho- analytikerin (1911 Weimar) |
Kurzcharakteristik C. G. Jung (Aus Rowohlts Indiskreter Liste)
"Jung war ein Bulle von einem
Mann, 1,85 Meter groß, mit grobgeschnittenen Zügen, wissenden
Augen und von imponierendem Körperbau. Sein Humor war derb (Freud
hat einmal seine Grobheit verteidigt) und geistreich zugleich («Zeigen
Sie mir einen geistig gesunden Menschen, und ich werde ihn für Sie
heilen»). Er hatte ein wildes Temperament und einen Hang zur Grobheit
... Seine Neigung zum Grandiosen war vielleicht der Grund für
seine anfängliche Bewunderung Hitlers (ein spirituelles Werkzeug)
und der Nazis (die Götterdämmerung), was ihm berechtigterweise
einen Tadel von seiten der Juden eintrug; er bezeichnete sie in seiner
Antwort als paranoid. Um 1939 hatte er jedoch seine Meinung über Hitler
geändert und hielt ihn für «mehr als halb verrückt».
Sein Sohn Franz nannte ihn «wundervoll und zum Verrücktwerden»: Er mogelte beim Spiel und war ein schlechter Verlierer, er lief im Garten nur mit zerlumpten Shorts bekleidet herum, aber er war ein Feinschmeckerkoch. Er liebte Kriminalromane und Hunde. «Der Weise von Zürich» starb im Alter von 85 Jahren." (Zitiert aus S. 376f) "Eines der bedeutenden Ereignisse in seinem Liebesleben gestand Jung erst 22 Jahre später in einem Brief an Freud: «. . . meine Verehrung für Sie hat etwas von der Natur einer <religiösen Schwärmerei>, wegen ihres unbestreitbar erotischen Untertones. Dieses furchtbare Gefühl entstammt der Tatsache, daß ich als Junge von einem Mann sexuell mißbraucht wurde, den ich einmal verehrt hatte.» Der Mann wurde nie identifiziert." (Zitiert aus S. 377) "Obwohl er gern Archäologe geworden wäre, wählte er aus praktischen Gründen die Medizin zum Beruf. 1903, er war inzwischen verheiratet und arbeitete als Psychiater an einer Zürcher Klinik, begann er mit den Studien über Wortassoziationen, die zu einem schriftlichen Gedankenaustausch mit Sigmund Freud führten. 1907 trafen sich die beiden zu einem persönlichen Gespräch. Jung hielt Freud für «den ersten wirklich bedeutenden Mann, dem ich begegnete»; auch Freud war sehr beeindruckt von Jung. Es gab Unterschiede zwischen ihnen: Zum Beispiel reizte Freud Jungs Interesse an Parapsychologie wenig, und Jung hatte gewisse Zweifel an Freuds Sexualtheorien. Von Freuds «Kleiner Hans»-Theorie (der zufolge Kinder glauben, daß Mädchen kastrierte Jungen seien) sagte Jung: «Agatha [seine kleine Tochter] hat nie etwas vom <Kleinen Hans> gehört.»" a.a.O. S. 376 |
"Emma Rauschenbach, die er am 14. Februar 1903 heiratete,
war die große Liebe seines Lebens. Als junger Medizinstudent sah
er sie während eines Besuches bei Freunden der Familie zum erstenmal
- eine Fünfzehnjährige mit geflochtenen Haaren, die auf einer
[377] Treppe stand -, und er sagte zu einem Freund, der ihn allerdings
nicht ernst nahm, daß sie einmal seine Frau werden würde. Das
war sechs Jahre bevor seine Prophezeiung in Erfüllung ging. ...
Zu Anfang war ihre Ehe idyllisch. Um 1906 jedoch
begann Jung sonderbare Träume zu haben. Einen, der von zwei Pferden
handelte, deutete Freud als «das Scheitern einer Geldheirat».
Jung antwortete: «. . . ich bin in jeder Beziehung mit meiner Frau
glücklich . . . es gab keinen sexuellen Fehlschlag, eher einen gesellschaftlichen.»
Der Traum enthielt, glaubte er, «einen illegitimen sexuellen Wunsch,
der besser nicht das Licht des Tages erblickt». 1907 wurde er für
kurze Zeit von einer Frau betört, die er auf einer Reise mit Emma
in Abbazia (heute Opatija, Jugoslawien) kennenlernte. 1909 wollte eine
Patientin ein Kind von ihm, und er gestand, daß seine berufliche
Beziehung zu ihr «polygame Komponenten» enthielt. Aber diese
beiden Erlebnisse waren nur Vorspiele für die andere wichtige Frau
in seinem Leben - die dreizehn Jahre jüngere Toni Wolff, die 1910
als Patientin zu ihm kam. Später, während seiner «Konfrontation
mit dem Unbewußten», einem Beinahe-Zusammenbruch, der 1913
begann und mehrere Jahre dauerte, half sie ihm, seine «Anima»
zu erforschen, das weibliche Element seiner Natur. Nach Jungs Typisierung
der Frauen in seinem Leben war sie die «Inspiratorin», während
Emma Frau und Mutter war. Toni war elegant,
mit einem feinmodellierten Gesicht. Auf Jungs beharrlichen Wunsch hin wurde
sie ein [378] Freund der Familie und kam sonntags zum Abendessen in das
große Haus in Küsnacht am Zürichsee. Emma war eifersüchtig,
aber Jung hatte sein Herz an diese Dreiecksbeziehung gehängt. Später
rechtfertigte er dies in Theorien über die Ehe, in der «der
vielflächig geschliffene Edelstein» (Carl), der mehr braucht
als der «einfache Würfel» (Emma), außerhalb der
ehelichen Beziehung nach Befriedigung Ausschau hält. (Der Biographin
Barbara Hannah zufolge meinte Jung, daß Väter «ihr erotisches
Leben ganz leben müßten», da das «ungelebte Leben
sonst unbewußt auf die Töchter übertragen» werde.)
Seine Persönlichkeit war so stark, daß es ihm beinahe gelang,
beide Frauen davon zu überzeugen, daß die Dreiecksbeziehung
eine ideale Situation sei. Sie bestand fast vierig Jahre lang. Emma und
Toni wurden beide praktizierende Analytiker. Emma hielt Vorträge über
den Heiligen Gral und tauschte mit Freud Gedanken aus; Toni entwickelte
neue Theorien über weibliche Funktionstypen. Toni fühlte sich
jedoch in ihrer Rolle als Mätresse im sittenstrengen Zürich unwohl
und fing an, Jungs Scheidung von Emma zu verlangen. Jung lehnte ab. Seine
eigene Ernüchterung drückte sich in Kritik an ihr aus - zum Beispiel
sagte er, als er ihre neue Wohnung sah: «Nur Toni würde mit
Marmorsäulen leben und in einem Arbeitszimmer wie Mussolini.»
Toni, die Jungs Reaktion schwer getroffen hatte und die zuviel rauchte
und trank, starb mit 64 Jahren an einem Herzanfall. Emma starb zwei Jahre
später, 1955 - nach 52 Ehejahren. «Sie war eine Königin!
Sie war eine Königin!» rief Jung weinend nach ihrem Tod.
Viele seiner Schüler waren junge weibliche
Intellektuelle, die scherzhaft als die «Jung-Frauen» bezeichnet
wurden. Obwohl nur einige mit ihm geschlafen haben dürften, himmelten
sie ihn an, wegen seiner bärenhaften Erscheinung, seiner Sensibilität
und seines Einfühlungsvermögens gegenüber Frauen. Er sah
unter die Oberfläche, und das zog viele Frauen an. ..."
Die Sabina Spielrein-Affäre und ihre psychoanalytische Aufarbeitung
Zur sog. Sabina Spielrein Affäre sind eine Reihe
von Arbeiten erschienen. Die umfassendste Studie mit 688 Seiten in der
deutschen Ausgabe stammt von John Kerr mit dem außerordentlich trefflichen
Titel "Eine höchst gefährliche Methode. Freud, Jung und Sabina
Spielrein".
Sehr kritisch und damit auch sehr mutig ist die
Analyse, Beurteilung und Bewertung des Psychoanalytikers Johannes Cremerius,
der das Vorwort der von Carotenuto herausgegebenen Tagebücher und
Briefe schrieb. Hieraus gleich zur Einleitung:
"Dieses Buch dokumentiert die Geschichte der tragischen
Übertragungsliebe zwischen einer Patientin und ihrem Analytiker. Seine
außerordentliche Bedeutung liegt nicht in der Sensation, daß
die Akteure C. G. Jung und Sabina Spielrein sind, sondern einmal in dem
Exemplarischen dieser Übertragungs-Gegenübertragungstragödie
und ihrem Ausgang: der Analytiker verläßt den Boden der Phantasie
und der Symbole, wird aktiv, führt zärtliche Handlungen aus und
erklärt der Patientin „seine“ Liebe, — zum anderen in dem Einfluß,
den die Erfahrungen aller Beteiligten auf die Weiterentwicklung der psychoanalytischen
Behandlungstechnik hatten. Dritter Akteur wird Sigmund Freud als Beichtvater
von Jung und Sabina Spielrein, als deren erhoffter Tröster, Beschützer
und Helfer.
Es ist eine furchtbare Geschichte. Und zwar insofern,
als sie die Komplizenschaft der Männer gegen die Frau, die sich auf
die Verführung eines Mannes eingelassen hat, demonstriert — demonstriert
im Stil der viktorianischen Doppelmoral: als Jung aus der Beziehung aussteigen
will, weil ein öffentlicher Skandal droht (die Mutter Sabinas, von
Frau Jung anonym auf die „Affäre“ aufmerksam gemacht; beabsichtigt,
Jungs Chef, Professor Eugen Bleuler, aufzusuchen) und er Karriere und Ehe
retten will, verurteilen beide — Jung und Freud — Sabina Spielrein und
appellieren an ihre Vernunft und Einsicht, daß sie vor Karriere und
Ehe zurücktreten müsse. Das Buch erzählt auch die Komplizenschaft
zwischen zwei Ärzten, von denen einer (Jung) einen schweren Kunstfehler
begangen hat, und der andere (Freud), sein Lehrer, den Schüler gegen
die Geschädigte deckt. Den Brief, den Freud an Sabina am 8.6.1909
schreibt, nachdem sie ihn informiert hat, dient nur einer einzigen Absicht,
nämlich Jung zu schützen: er halte ihn einer leichtfertigen und
unedlen Handlung für unfähig. Sie solle [9] sich einer
Selbstprüfung unterziehen, ihre Gefühle für Jung unterdrücken
und vor allem keine „äußere Aktion und Heranziehung dritter
Personen“ einleiten."
Sabinas Spieleins Kindheit und Jugend " Sabina Spielreins Kindheit und Jugend müssen als
extrem belastet bezeichnet werden. Sie war als Kind körperlicher Züchtigung
durch den Vater ausgeliefert und wahrscheinlich auch sexueller Gewalt durch
Erwachsene. Bereits mit drei Jahren litt sie an schweren körperlichen
und seelischen Störungen, die sie die gesamte Jugendzeit quälten.
So geriet sie beim Essen in Zwangsgelächter, begleitet von Pfuirufen
und dem Herausstrecken der Zunge. Sie konnte die rechte Hand- die
Züchtigungshand- des Vaters nicht mehr berühren, sie nicht einmal
mehr ansehen, ohne sexuell erregt zu sein. Exzessive Onanie war die Folge.
Sie konnte gelegentlich der Angst trotzen, indem sie sich als eine mit
Macht ausgestattete Göttin phantasierte. Aber ihr Zustand verschlimmerte
sich, mit 18 Jahren verfiel sie in Lach- und Schreikrämpfe, gefolgt
von Weinkrämpfen mit Übergang in tiefe Depressionen. Den schulischen
Anforderungen konnte sie indes nachkommen, sie machte das Abitur und lernte
spielend Sprachen. Die Eltern, vermögende Juden in Rostow am Don/Rußland,
sahen sich veranlaßt, ihre älteste Tochter- sie hatte vier Geschwister,
drei Brüder und eine Schwester, die mit 6 Jahren an Typhus starb -
in die Psychiatrie einzuliefern. Sie wählten - nach mehreren gescheiterten
Versuchen - die Psychiatrische Klinik in Zürich, die weltweit
als eine fortschrittliche Einrichtung bekannt war.
|
Lebendaten und Daten zur Spielrein "Affäre"
1885 Geburt in Rostow am Don als Tochter einer reichen jüdischen
Familie (Vater Kaufmann, Mutter zahnmedi- zinische Ausbildung). Während
der Schulzeit erste Anzeichen einer sog. "psychotischen Hysterie".
|
Cremerius: "Aber nach dem zweiten Brief von Sabina Spielrein an Freud — und nachdem sich das Gerücht der „Affäre in Analytikerkreisen“ auszubreiten begann und auch Freud zu Ohren gekommen war — hätte er entschieden auf Klärung dringen müssen. Stattdessen rät er Jung, nicht zu stark in die Zerknirschung und Reaktion zu gehen. „Denken Sie an das schöne Gleichnis von Lassalle von der zersprungenen Eprouvette in der Hand des Chemikers: ,Mit einem leisen Stirnrunzeln über den Widerstand der Materie setzt der Forscher seine Arbeit fort.‘ Kleinere Laboratoriumsexplosionen werden bei der Natur des Stoffes, mit dem wir arbeiten, nie zu vermeiden sein. Vielleicht hat man die Eprouvette wirklich nicht schräg genug gehalten, oder zu rasch erwärmt. Man lernt so, was von der Gefahr am Stoff, und was an der Handhabung liegt“.1)
Als Jung dann endlich eine volle Beichte ablegt (Brief
vom 21.6.1909; Briefwechsel, S. 260 f.) und Freud auf diese Weise auch
erfährt, wie lange er hinters Licht geführt und wie oft er betrogen
wurde, schreibt er am 24.6. einen Brief an Sabina Spielrein, in dem er
sich entschuldigt, weil er sich zu ihrem Nachteil geirrt hat. Aber dieser
Brief ist nur eine Formalität. Die Komplizenschaft hält. Am 30.6.
schreibt er an den „lieben Freund“: ‘Ich habe Fräulein Spielrein
unmittelbar darauf ein paar liebenswürdige, Genugtuung bietende Zeilen
geschrieben und dafür heute Antwort von ihr bekommen ... ‚Machen Sie
sich keine Vorwürfe, daß ich in die Sache gekommen bin; das
haben ja nicht Sie, sondern der andere Teil getan. Der Abschluß ist
doch ein für alle Parteien befriedigender‘‘ (Briefwechsel, S.
262). Das ist er auch für Jung. Im Antwortbrief vom 10.7. dankt er
für Freuds Hilfe in der ‚Spielrein-Angelegenheit, die sich ja jetzt
so günstig erledigt hat‘ ‚Günstig erledigt‘ meint
für beide, ohne Schaden für Jung und Freud. Der Zynismus dieser
Komplizenschaft ist angesichts der Patientin, die schwer verstört
und beschädigt zum Opfer wird, erschütternd. Jung findet für
das zerstörerische Werk, das er durch die Art seiner Beendigung der
Beziehung angerichtet hat, die Worte ‚Spielrein-Angelegenheit‘ und ‚erledigt‘
(Man beachte den Doppelsinn, den das Wort im Deutschen hat: zerstören,
töten)." (S. 10)
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. C.G.Jung site:www.sgipt.org. Spielrein site:www.sgipt.org. |