Zur Geschichte des Nordirland-Konflikts
nach Hans
Dollinger (1999, S. 501 ff)
Ausgewählt und mitgeteilt von Rudolf Sponsel, Erlangen
Was, zum Teufel, haben die Briten in Irland zu suchen?
"Die Gewaltherrschaft der Engländer über die von den Kelten abstammenden Iren begann im 12. Jahrhundert. Die englischen Könige begründeten sie mit dem Argument, daß von der (grünen Insel aus jederzeit eine Kontinentalmacht England von der Flanke her angreifen könnte. Aber die Iren ließen sich von Anfang an weder die Herrschaft durch frendes Blut und fremde Sprache gefallen, sie wehrten sich auch mit Erfolg dagegen, britische Protestanten zu werden. Und die englischen Grundbesitzer, die das Land ausbeuteten, trugen in den folgenden Jahrhunderten dazu bei, den Widerstandswillen der Iren wachzuhalten. Ständige Revolten, die immer wieder aufflackerten und von den Engländern blutig niedergeschlagen wurden, markierten schon die ersten drei Jahrhunderte der Geschichte Irlands unter den englischen Königen.
Zwar erreichte »Blaubart« Heinrich VIII. im Jahr 1539, daß er als Oberhaupt auch der irischen Kirche anerkannt wurde und der kirchliche Zehnte von dort in seine Kasse floß, er komme aber den irischen Katholizismus ebensowenig ausrotten, wie die Einführung der englischen Kirchenverfassung in Irland im Jahr 1601 unter Königin Elisabeth I. die irischen Katholiken nur noch mehr zum Kampf gegen die englischen Herren aufstachelte. Diese legten ihrerseits immer mehr Haß und Brutalität bei ihren Aktionen gegen irische Aufständische an den Tag. 1575 metzelten sie unter dem Kommando des Earl von Essex zum Beispiel auf der Insel Rathlin vor der nördlichen Küste Nordirlands gnadenlos 600 sich dort versteckt haltende Rebellen mit Frauen und Kindern nieder. Und dies war unter Elisabeths Regierungszeit keineswegs das einzige Massaker. Der englische Historiker Froude (1818 bis 1894) notierte, daß »einen Irländer zu töten nicht mehr erachtet wurde, als wenn man einen tollwütigen Hund getötet hätte«.
Im Zeitalter der Glaubenskriege des 16. und 17. Jahrhunderts in Europa
brach sich der Religionsfanatismus nach dem Vorbild der Pariser Bartholomäusnacht
auch in Irland seine Bahnen. Das Land wurde im Herbst 1641 in ein einziges
Chaos gestürzt. Die Landbevölkerung und die hungrigen und geknechteten
besitzlosen Massen erhoben sich gegen den Landadel, die Grundbesitzer und
Protestanten und nahmen erneut für die jahrhundertelange englische
Unterdrückung grausame Rache. Die gejagten Besitzenden und Protestanten
flüchteten in die wenigen Garnisonsstädte. Wer sie nicht rechtzeitig
erreichte, fiel den wilden Haufen der irischen Bauern in die Hände.
Der Historiker Leopold von Ranke (1795 bis 1886) schrieb zwei Jahrhunderte
später über die Ereignisse von 1641:
Die Regierung in London antwortete wie gewohnt. In weiten Landstrichen
wurde die allgemeine Niedermetzelung der männlichen Einwohner und
die völlige Verwüstung des Landes proklamiert und praktiziert.
Über 300 Jahre nach den Massenmorden von 1641 stellte der nordirische
Schriftsteller Andrew Boyd fest: »In Irland wird religiöser
Fanatismus erbarmungslos wie eine Erbkrankheit weitergegeben.«
Drei Jahrhunderte lang rebellierten die Iren immer wieder gegen England, brachen blutige Bürgerkriege aus, und viele Iren verließen nach der großen Hungersnot im 19. Jahrhundert ihre Heimat. 1920 wurden Nord- und Südirland getrennt, der Süden trat 1949 aus dem britischen Commonwealth aus, der Norden (Ulster) kämpft heute noch um seine Freiheit.
Seit Mitte der sechziger Jahre unseres Jahrhunderts hatten sich die Katholiken Nordirlands zu einer Bürgerrechtsbewegung zusammengeschlossen, die zuerst friedlich um die in Nordirland verweigerten Grundrechte kämpfen wollte. Ab 1969 aber führte dann der jahrhundertealte Haß zwischen Iren und Engländern, zwischen verarmten und verelendeten nordirischen Katholiken und schamlos privilegierten nordirischen Protestanten, zu einem wahnwitzigen Bürgerkrieg am Rande von Europa, der immer noch andauert. So konnte am 30, Januar 1972 in Londonderry in Nordirland geschehen, was der italienische Journalist Fulvio Grimaldi als Augenzeuge sah: »Sie sprangen von ihren Wagen und schossen mit unglaublicher Mordlust in die Menge ... «"