Nachtrag vom 17.6.1886
zu dem Gutachten der Unterzeichneten vom 8. Juni 1886 über den Geisteszustand Seiner Majestät Königs Ludwig II. von Bayern.
Aus Sekundärquelle Wöbking (1986, 322-323) Überblick Ludwig II._
"Am 15. Juni l. Js. fand die Obduction der Leiche Seiner Majestät des höchstseligen Königs Ludwig II. von Bayern statt, und es ergibt sich daher die Aufgabe, das Sectionsresultat zu vergleichen mit der am 8. Juni l. Js. gestellten Diagnose und Prognose. [<322] Vor Allem muß hervorgehoben werden, daß das Gehirn und seine Hüllen sehr zahlreiche krankhafte Veränderungen aufwiesen und zwar:
I. Veränderungen, welche eine Entwicklungsstörung des Gehirns und des Schädels beweisen; hierher sind zu rechnen:
a) Die auffallende Kleinheit des Schädels, welcher in seinen Maßen nirgends das Mittel überschreitet, während die übrigen Körpermaße und Organmaße durchgehends Maximalziffern aufweisen.
b) Die Störung der Symmetrie des Schädels; der linke diagonale Durchmesser ist 7 mm kürzer als der rechte.
II. Veränderungen, welche eine auf viele Jahre zurückgehende chronische Entzündung der Hirnhäute beweisen und zwar
a) Exostosen der Innenfläche
des Schädeldaches und der Schädelbasis
b) Bedeutende Verdickungen
und Verwachsungen der dura mater (harten Hirnhaut) über dem Stirnhirn
nebst einer Knochenplatte in der Hirnsichel
c) Trübungen
der pia mater (weichen Hirnhaut) und der arachnoidea (Spinnwebenhaut).
III. Veränderungen,
welche eine allmälige Atrophie des Gehirns beweisen, bestehend in
merklichem Schwund mehrerer Windungen des Stirn- und Scheitel-Lappens beider
Seiten. -
In diesen Veränderungen
erblicken die Unterzeichneten das anatomische Substrat für die behauptete
und klinisch nachgewiesene Geistesstörung und zwar sind die unter
I. aufgeführten Entwicklungsstörungen als das Substrat der behaupteten
und nachgewiesenen hochgradigen Disposition Seiner Majestät zu psychischen
Störungen aufzufassen und für den behaupteten primären Charakter
der nachgewiesenen Paranoia (Verrücktheit), während die unter
II. angeführten Veränderungen sicher auf eine Reihe von Jahren
zurückgehen und beweisen, daß Seine Majestät schon seit
Jahren an Ernährungs- und Circulationsstörungen des Gehirns und
demnach auch an Störungen der psychischen Funktionen litten. -
Die unter III. angeführten
Veränderungen endlich beweisen, daß in der That schon geistige
Schwäche vorhanden war. -
Die vorgefundenen
krankhaften Veränderungen des Gehirns und seiner Hüllen sind
irreparabel und progressiv und somit ergibt sich eine vollständige
Übereinstimmung zwischen der gestellten Diagnose und Prognose einerseits
und dem Sectionsresultate andererseits oder mit anderen Worten, das Sectionsresultat
hat bestätigt, daß Seine Majestät von Jugend auf zu Geistesstörung
disponirt waren, seit Jahren an Störungen der psychischen Funktionen
litten und schließlich in einen Zustand unheilbarer geistiger Schwäche
verfallen waren. -
München, den 17. Juni 1886.
Dr. Hagen, k. Hofrath,
Director der Kreisirrenanstalt Erlangen
und Professor
Hubrich, k. Director
Dr. Grashey, kgl.
Universitätsprofessor.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Forensische Psychologie site:www.sgipt.org. |