Sexualisierte Gewalt in der Alltags- und Medienwelt von Kindern
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Eine Buchpräsentation mit zwei Originalbeiträgen von Rudolf
Sponsel, Erlangen
Umschlagtext: "Die sexualisierte Alltags- und Medienwelt,
in der Kinder und Jugendliche heute leben, deren Darstellungsformen und
die Auswirkungen auf Mädchen und Jungen, bilden den thematischen Schwerpunkt
dieser Publikation.
Es werden problematische Aspekte der Jungen- und Mädchensozialisation im Hinblick auf Opfer- und TäterInnensein beleuchtet und kritisch analysiert. Entsprechende Konsequenzen für die präventive Arbeit in pädagogischen Handlungsfeldern werden vorgestellt und entwickelt, wobei geschlechtsspezifische Präventionskonzepte ihre besondere Berücksichtigung finden und nach Chancen und Grenzen der Präventionsarbeit gefragt wird. Mit diesem Band sollen insbesondere Pädagoginnen dafür sensibilisiert
und ermutigt werden, Gefährdungen wahrzunehmen, Prävention umzusetzen,
sowie Mädchen und Jungen zu stärken."
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Ein wichtiges, nützliches, hilfreiches und gutes Buch. Sehr interessant auch das einführende Kapitel Wie bedrohlich ist die Medienwelt und wie wirkt sie auf Kinder? von Klaus Merten, in dem die großen internationalen Studien zur Wirkung der Medien (Film, Fernsehen, Comics) vorgestellt und diskutiert werden. Die Kinder kriegen - wie meist - viel mehr mit, als die Eltern sich oft eingestehen mögen. Daher ist es besonders verdienstvoll, sich der Frage zu stellen, was wir unseren Kindern sagen sollten. Zwei Arbeiten werden hier - mit freundlicher Genehmigung des Klinkhardt-Verlages - komplett vorgestellt: "Mama, was ist ein Kinderschänder?" und Zum Umgang mit sexueller Gewalt in den Neuen Medien. Obwohl die Gesetzeslage ziemlich eindeutig und klar zum Schutz der Kinder ist, erlauben die neuen Medien einen einzigartig perversen Saustall, was offenbar von der Politik toleriert, wenn nicht sogar gewollt ist nach dem plutokratischen Motto: Geld und Quote lauten die Gebote auf dem Hintergrund einer völlig falschen Luft- und Seifenblasen- Wachstumsideologie und vielfach moralisch hohlen und verwahrlosten Mediengesellschaft - natürlich im Namen der Freiheit. |
Das Problem der sexualisierten Gewalt gegen Mädchen und Jungen
ist in den letzten zwanzig Jahren zunehmend einer breiten Öffentlichkeit
bewusst geworden. Mit der Enttabuisierung des Themas - vor allem durch
die Frauenbewegung Mitte der achtziger Jahre in Deutschland forciert -
wurde ein Qualifizierungsbedarf für Schule und Jugendhilfe deutlich.
Das Ausmaß und die gravierenden Folgen sexuellen Missbrauchs an Mädchen
und Jungen weisen auf die Notwendigkeit verstärkter Präventionsarbeit
in diesem Bereich hin. Eine positive Weiterentwicklung der Arbeit gegen
sexuelle Gewalt an Kindern stellen die zum 01.08.2000 in Kraft getretenen
neuen Richtlinien zur Sexualerziehung in Nordrhein-Westfalen dar, die die
präventive Arbeit als verbindliche Aufgabe der Lehrerlnnen festschreiben.
Umso dringlicher wird der Bedarf, Lehrarntsstudierende und Lehrerlnnen
gezielt auf diese Aufgabe vorzubereiten und ihnen Handlungskornpetenzen
zu vermitteln, mit dieser Thematik verantwortungsbewusst umzugehen, um
präventiv arbeiten zu können.
Das seit 1993 am Institut fur Forschung und Lehre für die Primarstufe
der Westhälischen Wilhelms-Universität
Münster bestehende Forschungsprojekt zur Prävention gegen
sexuelle Gewalt an Mädchen und Jungen leistet durch vielfältige
Angebote und Veranstaltungen einen wichtigen Beitrag zu dieser Aufgabe.
Ziel ist es, strukturelle Veränderungen in der Ausbildungsphase von
LehrerInnen herbeizuführen, um diese für eine angemessene und
sensible Präventionsarbeit an den Schulen zu qualifizieren.
Durch Informationsveranstaltungen und Symposien fördert das Forschungsprojekt
die öffentliche Diskussion über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse
zum Themenkomplex des sexuellen Kindesmissbrauchs und bietet ein Fachforum
für ExpertInnen und PraktikerInnen.
War die Intention des ersten vom Forschungsprojekt ausgerichteten Münsteraner
Symposions (1996), die Problematik des sexuellen Missbrauchs wissenschaftlich
zu vertiefen und zu einer Sensibilisierung gegenüber gewalttätigen
Übergriffen an Kindern beizutragen, griff das zweite Münsteraner
Symposion (1999)2 aktuelle Diskussionen zum Themenkomplex auf: Die sexualisierte
Alltags- und Medienwelt und deren Einfluss auf Kin[<7]der. Ebenso befasste
sich dieses Symposion mit Analysen zu Biographien und Strategien von TäterInnen
sowie der Sozialisation und Erziehung von Mädchen und Jungen."
FN01 Die Veröffentlichung aller Beiträge
des 1. Münsteraner Symposions ist im Julius Klinkhardt Verlag erschienen:
ULONSKA, HERBERT/ KOCH, HELMuTH. (Hrsg.) (1997): Sexuelle Gewalt gegen
Mädchen und Jungen. Ein Thema der Grundschule. Bad Heilbrunn.
FN02 Das 2. Münsteraner Symposion, veranstaltet
vom Institut fr Forschung und Lehre für die Primarstufe, fand am
28/29. September 1999 statt. [7]
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7
Kathrin Bender: Überblick über die Beiträge des Buches
11
Reinald Eichhok: Einführung Anrnerkungen aus dem Blickwinkel der
Politik 19
Teil 1: Sexualisierte Gewalt in den Medien
Teil 2: Chancen und Grenzen von Prävention
Teil 3: Selbstrellexion in der Präventionsarbeit
Teil 4: Präventives Arbeiten in der Schule
Teil 5: Geschlechtsspezifische Konzepte
"Die Nachrichten bekommen Kinder doch gar nicht richtig mit!" Es ist zwar eine verbreitete Annahme, dass Kinder sich nicht für Nachrichtensendungen interessieren und deren Inhalte deshalb kaum registrieren, aber sie stimmt offenbar nicht. Eine Untersuchung über den Umgang von acht- bis 13jährigen mit Gewaltdarstellungen in Nachrichten und-Reality-TV hat gezeigt, dass Kinder solche Berichte sehr wohl mitbekommen und sich damit auseinandersetzen (THEUNERT/ SCHORB 1995). Sie sind durch das Fernsehen über Naturkatastrophen und Unglücksfälle inforrniert, und sie nehmen ebenso Berichte über Gewalt, Verbrechen und sexuellen Missbrauch an Kindern wahr.
1. Mediennutzung - Medienwirkung
Die Auswertungen von Daten zum Fernsehkonsum zeigen, dass Kinder ebenso wie Erwachsene - in der klassischen ,Prime Time' zwischen 19.00 und 21.00 Uhr vor dem Fernseher sitzen, also zu der Zeit, in der in den meisten Programmen auch Nachrichten gesendet werden (vgl. HUBER 1998, S. 104). Ca. zwei Millionen Kinder bis 13 Jahren konsumieren in dieser Zeit das Fernsehprogramm. Jüngere Kinder schalten Nachrichten- oder Inforrnationssendungen allerdings nicht von sich aus ein - für sie sind diese Forrnate eigentlich langweilig. Die Berichterstattung über Gewaltthemen oder Unglücksfälle lehnen viele Kinder dartiber hinaus dezidiert ab, weil sie sie als zu grausam und brutal empfinden. Trotzdem sieht ein erheblicher Teil der Kinder regelmäßig diese Sendungen, weil sie beim Zappen darauf stoßen, weil sie während der Nachrichten auf einen anschließenden Film warten oder weil andere Farnilienmitglieder Nachrichten in ihrem Beisein anschauen. Und während allenfalls manche ältere Kinder Nachrichten als wichtige Informationsquelle schätzen, können sich erheblich mehr Kinder fiir Magazinsendungen und Reality-TV begeistern, weil sie die dort präsentierten Ereignisse und Geschichten spannend finden. [<57]
Kinder haben zwar Interesse an Informationen und wollen das u.a. durch das Fernsehen befriedigen. Aber nur wenige Kinder sind in der Lage, angemessen mit Informationssendungen umzugehen - sie sind überfordert. Denn klassische Nachrichtenformate sind sprachlich zu komplex oder zu drastisch in der Darstellung, um von Kindern verarbeitet werden zu können. Infotainment und Reality-TV bieten zwar vordergründig Verständliches in der Form abgeschlossener Geschichten, aber letztlich überwiegen Darstellungen einer spektakulären und gewalttätigen Welt, die Kinder verwirrt. Für einige Kinder stellt sich unter diesem Blickwinkel das Leben außerhalb ihres direkten Lebensumfeldes als eine Welt dar, die aus Katastrophen, Unglücken und spektakulären Schicksalen besteht und von Gewalt und Gefahren durchsetzt ist.
Im Grundschulalter lernen Kinder, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden und Gewaltdarstellungen genreabhängig unterschiedlich zu bewerten (vgl. THEUNERT/ SCHORB 1995, S. 129-172). ,Geschauspielerte' Gewalt hat eine andere Bedeutung für sie als die in den Nachrichten dargestellten Ereignisse. Der Blick von Kindern auf Gewalt ist allerdings nicht so sehr distanziert-beobachtend, sondern ein Blick von ,Betroffenen'. Ihr wichtigster Bezug zur Gewalt ist die Frage, was sich in ihrer eigenen Wirklichkeit ereignet oder ereignen könnte. Je mehr sie sich vorstellen können, von den medial vermittelten Gewalthandlungen selbst betroffen zu sein, umso stärker reagieren sie emotional darauf - mit Angst oder Abwehr. Je deutlicher sie Gewalthandlungen als nicht fiktional, sondern als real erkennen, umso stärker sind sie berührt. Auf eine detaillierte Darstellung von Gewaltopfern reagieren sie in der Regel mit Abwehr und heftigen Emotionen, die sie selbst als Ekel oder Angst beschreiben.
Allerdings sollten diese Erkenntnisse aus der Wirkungsforschung differenziert betrachtet werden. Denn unterschiedliche Kinder sind mit unterschiedlichen Erfahrungen, Interessen, Wissensbeständen und Verarbeitungsfähigkeiten ausgestattet - und deshalb kann es große individuelle Differenzen beim Umgang mit Medieninhalten geben, je nach den familiären und sozialen Bedingungen, in denen die Kinder aufivachsen. Entscheidend fur den Umgang mit Fernsehinformationen ist offenbar der Einfluss der Eltern: Bei den Kindern spiegelt sich, welche Bedeutung ihre Eltern den TV-Informationen zumessen.
Gleichzeitig mit der Frage nach den Wirkungen von
Berichten über sexuelle Gewalt im Fernsehen (oder in Zeitungen) auf
Kinder stellt sich deshalb vor allem die Frage nach den Wirkungen dieser
Berichterstattung auf Erwachsene - sei es als Eltern oder Pädagoglnnen.
Denn die meisten Erwachsenen beziehen ihre Inforrnationen über sexuellen
Kindesmissbrauch [<58]
überwiegend aus den Medien - und der Umgang der Erwachsenen damit
beeinflusst mit einiger Sicherheit die Wahrnehmung und Verarbeitung bei
Kindern.
Berichte über sexuelle Gewalt gegen Kinder lösen bei Erwachsenen in der Regel eine ganze Reihe unterschiedlicher Gefihle aus. Empörung und Rachefantasien gegenüber den Täterlnnen und Mitgefiihl mit den betroffenen Kindern vermischen sich mit Ängsten und Unsicherheiten im Hinblick auf das eigene Verhalten: Sollte man Kinder nicht am besten von diesen Nachrichten fernhalten? Aber geht das heutzutage überhaupt? Oder ist es vielleicht sogar nützlich, wenn Kinder solche Nachrichten sehen, damit sie ,Bescheid wissen'? Soll man mit Kindern darüber reden? Oder ängstigt man sie dadurch unnötig?
Zu diesen Schwierigkeiten kommt, dass Medienberichte oft eher ein Zerrbild als eine realistische Darstellung über das Ausmaß und die Umstände von sexueller Gewalt gegen Kinder verbreiten. [FN: Vgl. hierzu den Beitrag von Christiane PUTTER in diesem Band: "Märtyrerin trifft Kinderschänder'- Wie berichtet die Presse über sexuelle Gewalt gegen Mädchen?] Zeitungen und TV-Sendungen konzentrieren sich in ihrer Berichterstattung vielfach auf spektakuläre Ereignisse wie Kindesentführungen und -morde und können damit - ob gewollt oder zufällig - zu dem falschen Eindruck beitragen, dass Überfalle und Kindesentführungen eine ,typische' Form sexueller Gewalt gegen Kinder sind. Eine solche Berichterstattung lässt leicht übersehen, dass sexuelle Gewalt nicht überwiegend von verbrecherischen Fremden ausgeübt wird, sondern sehr viel häufiger von gut oder flüchtig bekannten, befreundeten oder verwandten Menschen. Berichte über Kindesentführungen und -morde lassen außerdem vergessen, dass sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen nicht überwiegend als gewalttätiger Überfall begangen wird, sondern über einen längeren Zeitraum in kleinen, gemeinen Schrinen angebahnt und intensiviert wird.
Im Sinn von realistischer Aufklärung über die Gefahr sexuellen Missbrauchs oder ftir die Prävention sind Medienberichte in der Regel nicht geeignet, vennutlich sogar kontraproduktiv: Unvollständige oder falsche Vorstellungen über Umstände und Hintergründe sexueller Ubergriffe tragen weder zu einem - rationalen - Verständnis der Problematik und der Aufklärung bei, noch können sie helfen, sinnvolle (Selbst-) Schutzmaßnahmen zu entwickeln. Sie können stattdessen aber Ängste schüren und Unsicherheitsgehühle steigern. [<59]
2. Was heißt das für die Prävention ?
Die in den letzten Jahren entwickelten Präventionskonzepte haben gemeinsarn, dass sie die Selbststärkung der Kinder, d.h. Anregung, Unterstützung, Errnutigung, Stärkung der eigenen Kräfte, der eigenen Energie, der gesamten Persönlichkeit in den Vordergrund stellen. Prävention ist als Erziehungshaltung gemeint, nicht als eine Art Impfprogramm. Es geht um die Erziehung zu selbstbewussten Mädchen und Jungen - nicht nur im Hinblick auf die Gefahr von sexuellen Übergriffen. Elemente einer solchen Haltung sind:
Selbstbestimmter Körperkontakt: Mein Körper gehört
mir
Mädchen und Jungen erfahren im Umgang mit Eltern und anderen Menschen,
dass sie über ihren Körper selbst verfügen dürfen und
dass sie selbst bestimmen können, von wem, wann und wie sie angefasst
werden.
Gute Sexualaufklärung/-erziehung
Eine umfassende Sexualerziehung (Aufklärung über Sexualität)
ist ein wichtiger Faktor zur Stärkung des Selbstbewusstseins sowie
des SelbstwertgeflIhls und beinhaltet die Wertschätzung des eigenen
Körpers ('stolz sein auf den eigenen Körper').
Sich auf die eigenen Gefühle verlassen/ Gefühle achten
Kinder haben in der Regel eine ,gute Antenne' für ihre Gefühle.
Eine vorbeugende Erziehung fördert diese Sensibilität und ennuntert
Kinder, ihre Gefühle zu äußern und sich ihren Gefühlen
entsprechend zu verhalten.
Aufmerksamkeit und Zuwendung
Kinder sind auf die Aufrnerksamkeit und Zuwendung von Erwachsenen angewiesen.
Dazu gehört auch ein Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und
Kindern. Mädchen und Jungen brauchen Menschen, mit denen sie auch
über ,schwierige' Gefühle (Scham, Angst, Traurigkeit) sprechen
können.
Nein sagen/ Grenzen setzen können
Kinder, die wissen, dass sie Rechte haben, z.B. das Recht, sich gegenüber
Zumutungen und Übergriffen von Erwachsenen zu wehren, sind nicht so
leichte Opfer. [<60]
Ob konkrete Inforrnationen über sexuelle Übergriffe zur Prävention in diesem Sinne gehören, darüber gehen die Meinungen auseinander. Auch wenn Eltern wissen, dass sexuelle Gewalt häufig von Personen aus dem sozialen Umfeld verübt wird, konzentriert sich die ,Aufklärung' eher auf Warnungen vor dem/ der fremden TäterIn (vgl. KNAPPE/ SELG 1993, S. 109) - einerseits, weil Eltern ihren Kindern nicht die Unbefangenheit gegentiber erwachsenen Bekannten und Verwandten nehrnen wollen, andererseits aber offenbar auch, weil sie nicht wissen, wie sie Kindern dieses Problem vermitteln können.
Präventionsbemühungen können zudem nicht ignorieren, dass eine ganze Reihe von Mädchen und Jungen gelegentlich Medienberichte über sexuelle Gewalt aufschnappen, und dass die Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung zeigen, dass Kinder Hilfe brauchen, um mit solchen Inforrnationen klarzukommen. Es wäre sinnvoll, wenn Eltern und Lehrkräfte darauf vorbereitet sind, Kinder bei der Einordnung und Verarbeitung von Informationen oder Inforrnationsbruchstücken zu unterstützen - und z.B. eine gleichzeitig wahrheitsgemäße und kindgerechte Antwort auf die Frage geben können: "Mama, was ist ein Kinderschänder?" Elternabende in der Grundschule können eine gute Gelegenheit darstellen, entsprechende Erfahrungen auszutauschen und konkrete Ideen dazu zu sarnmeln, wie Eltern und Lehrkräfte mit Kindern über sexuelle Übergriffe und Gewalt sprechen können. Ähnlich wie beim Thema Sexualerziehung kann es für viele Eltern, aber auch für pädagogische Fachkräfte eine wichtige Hilfe sein, zunächst einmal unter Erwachsenen eine angemessene Sprache für das Thema zu finden, um dann persöulich angemessene und kindgerechte Erklärungen für sexuellen Missbrauch zu entwickeln.
Wünschenswert ist, dass sexuelle Gewalt nicht das erste Thema ist, das Kinder im Zusammenhang mit Sexualität erfahren und dass Kinder durch die Inforrnationen nicht verängstigt und verunsichert werden. Erklärungen und Inforrnationen sollten sich deshalb nicht in erster Linie auf bestimmte Personen beziehen, Kinder können aber bei verschiedenen Gelegenheiten auf übergriffige Verhaltensweisen aufmerksam gemacht werden. Und sie sollten wissen, was sie tun können, bzw. mit wem sie darüber reden können, wenn ihnen sexualisierte Gewalt widerfährt. Verschiedene Beispiele und Forrnulierungsvorschläge (die für die jeweils eigene Situation abgewandelt werden können) finden sich in einem Aufsatz von Anne KNAPPE (1993, S. 123-141):
Was ist sexueller Missbrauch?
Wer macht das?
Fremde als Täterlnnen sind ftir Erwachsene meist leichter zu thematisieren, machen aber nur einen kleinen Teil der Täterlnnen aus. Wichtiger ist deshalb [<61] die Information für Kinder, dass der/ die TäterIn jemand sein kann, der aus dem sozialen Umfeld des Kindes kommt. "Es gibt Erwachsene, die wollen Mädchen an der Scheide oder am Po anfassen oder Jungen am Penis oder am Po anfassen - oder sie wollen, dass das Mädchen oder der Junge sie anfasst. Die meisten Erwachsenen wollen, dass es Kindern gut geht. Es gibt nur wenige, die Kinder auf diese Art anfassen wollen. Aber leider kann man nicht vorher wissen, wer das ist, man kann es niemandem vorher ansehen oder anmerken. Deshalb ist es wichtig, dass man weiß, dass es das gibt, und dass man sich das nicht gefallen lassen braucht, egal wer das macht " (vgl. KNAPPE 1993, S. 135)
Neben solchen Erklärungen über den Missbrauch und die TäterInnen ist es wichtig, bei verschiedenen Gelegenheiten immer wieder zu verdeutlichen, dass nicht die Kinder, sondern die übergriffigen Erwachsenen oder Jugendlichen die Verantwortung fiir einen Missbrauch haben: "Schmusen und Kuscheln ist schön und lustig, wenn beide sich lieb haben. Es kann aber sein, dass dabei jemand etwas macht, was nicht in Ordnung ist. Wenn z.B. ein Mann eine Frau küsst, obwohl sie das nicht will. Oder wenn er sie zwingt, ihn anzufassen. Oder wenn Erwachsene Kinder zwingen, sie anzufassen und die Kinder das nicht wollen. Niemand - auch kein Erwachsener - darf das. Wenn es aber trotzdem passiert, ist es nicht die Schuld des Kindes. " (vgl. KNAPPE 1993, S. 134)
Was können Kinder tun, wenn ihnen das passiert?
Darüber hinaus brauchen Kinder Informationen darüber, was
sie tun können, wenn sie unter Druck gesetzt und sexuell belästigt
werden: "Du darfst selbst bestimmen, wer dich anfasst. Manchmal passiert
es Kindern, dass jemand darauf keine Rücksicht nimmt und sie anfasst,
obwohl sie es nicht wollen. Das brauchst du dir nicht gefallen zu lassen."
Die Erlaubnis, sich wehren zu dürfen, ist wichtig, sollte aber nicht
verwechselt werden mit einer Maßregel im Sinne von "dann musst du
dich wehren" - denn es passiert Kindern in verschiedenen Alltagssituationen
häufig genug, dass ihre Widerstandsformen von Älteren ignoriert
werden. Bezogen auf eine Erfahrung mit sexueller Gewalt könnten Kinder
dann das Gehühl bekommen, sie hätten sich nicht genug gewehrt
und seien deshalb selbst schuld an dem Übergriff. Entlastender als
"Du musst dich wehren" ist eine Information im Sinne von: "Du kannst sagen:
Hör auf; ich will das nicht. Aber manchmal geht das nicht, weil man
ganz durcheinander ist oder zuviel Angst hat. Aber dann kannst du hinterher
zu mir kommen und es mir erzählen. Wenn dir so etwas passiert, möchte
ich dir helfen. " (vgl. KNAPPE 1993, S. 136) [<62]
Eine abschließende Überlegung zu der von vielen Eltern befürchteten Angst, die Kinder angesichts konkreter Informationen über sexuelle Gewalt bekommen könnten: "Wir Erwachsenen gehen oft leichtfertig davon aus, dass Kinder vor einem ,richtigen' Gespräch mit den Eltern keine Informationen über sexuelle Misshandlungen haben. Das trifft oft nicht zu. Viele der Kinder, mit denen wir arbeiten, berichten uns von regelrechten Horrorvisionen durch Informationen, die sie von ihrer Umwelt (...) bekommen haben: Von Kinderfängern, die mit dem Lastwagen durch die Stadt fahren, Kinder entführen und umbringen usw. Wir Erwachsenen müssen uns wirklich damit auseinandersetzen, ob diese Zerrbilder einem Kind nicht wesentlich mehr Angst machen als ein mit Bedacht geführtes Gespräch, in dem auch Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. (...) Es nützt Kindern nichts, wenn wir ihnen gegenüber so tun, als gäbe es die Gefahr der sexuellen Gewalt nicht." (KNAPPE 1993, S. 140). Es nützt ihnen.aber sicherlich eine Menge, wenn sie realistische Informationen darüber bekommen und immer wieder die Erfahrung machen, dass Eltern und LehrerInnen bereit und in der Lage sind, mit ihnen sowohl über Ängste und Unsicherheiten zu sprechen als auch Schutz und Hilfe zu gewährleisten.
[<63]
Dieser Beitrag basiert auf der Vorgehensweise und den Ergebnissen einer Arbeitsgruppe, die sich unter der Leitung der Autorlnnen im Rahmen des Münsteraner Symposions ,Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen. Theorie - Reflexion - Transfer' [FN: Das Symposion wurde vom 28.-29.09.1999 vom Institut für Forschung und Lehre für die Primarstufe der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster veranstaltet.] mit dem Problem der sexuellen Gewalt in den Neuen Medien beschäftigt hat. In der AG stand die praktische Umgehensweise mit dem Medium im Vordergrund. Da im Bereich Neue Medien (Fernsehen, Video, PC) das Internet an Attraktivität aus den unterschiedlichsten Gründen den anderen Bereichen längst den Rang abgelaufen hat, konzentriene sich die Arbeit ausschließlich auf diesen Ausschnitt der Neuen Medien. Erfreulicherweise stand für alle TeilnehmerInnen jeweils ein Arbeitsplatz im Computerpool der Universität Münster zur Verfügung, so dass die wirklich unmittelbare Erfahrung mit dem Medium möglich war. Neben der Arbeit im Internet wurde den Teilnehmerlnnen im späteren Verlauf eine CD-ROM der Bundeszentrale ilir gesundheitliche Aufklärung für die präventive Arbeit vorgestellt.
Die Durchführung war bewusst auf konkreten, individuellen Umgang mit dem Internet angelegt. Aus verschiedenen Gründen wurde allerdings zunächst eine allgemeine Einführung in die Thematik gegeben. Zwischenzeitlich wurden - durch die Eingabe von Inforrnationen und durch Austausch und Diskussion - die Ergebnisse der Arbeit fiir alle TeilnehmerInnen transparent und verfügbar gemacht.
1. Intrapersonale Voraussetzungen
Jede Nutzerin/ jeder Nutzer des Internets sollte sich bewusst sein,
welche - in des Wortes buchstäblichster Bedeutung - grenzenlosen Möglichkeiten
dieses Medium bietet. Dies bezieht sich einerseits auf die Informationsbeschaffung,
für die auf unzählige Quellen zurückgegriffen werden kann.
Sehr klar gesehen werden muss allerdings auch, dass das ,Surfen' im Internet
den ,User' schnell einer mannigfaltigen und selbst kaum wahrnehmbaren Einfluss[<111]nahme
aussetzt und dass insbesondere unsere Verpflichtung, Kinder und lugendliche
(in Schulen und anderen sozialen Einrichtungen) vor Schaden zu bewahren,
uns vor enorme Probleme hinsichtlich der Kontrolle dieses Mediengebrauches
stellt. Mit kaum einem anderen Medium ist eine Grenzüberschreitung
zu gewalttätigen, pornografischen, rassistischen und im weiteren Sinne
menschenverachtenden Inhalten so schnell und leicht möglich.
Wer sich also mit Inhalten auseinander setzen muss
und will, die durch die Nutzung besonders des Internets den Schülerlnnen
problemlos zugänglich sind, hat sich innerlich darauf einzustellen,
mit massivsten Provokationen in schriftlicher, besonders aber in optischer
Form konfrontiert zu werden. Dies kann für die Verarbeitung von manchen
Inhalten die Inanspruchnahme der Hilfe von außen, z.B. die der Supervision,
notwendig machen.
2. Erweiterung der persönlichen PC-Kenntnisse
Selbstverständlich setzt die Arbeit mit dem PC/ Internet und die
Anleitung von SchülerInnen die entsprechende technische Sicherheit
im Gebrauch von Hard- und Software sowie im Umgang mit dem Medium voraus.
Dies wird umso wichtiger, als in der heutigen Zeit viele SchülerInnen
spätestens im Alter von 12 bis 14 Jahren, oftmals aber auch schon
erheblich früher, nicht nur in der Lage sind, ihren ,Instruktoren'
(LehrerInnen, SozialarbeiterInnen in Jugendeinrichtungen und dergleichen)
manchen neuen Trick am PC beizubringen; vielmehr sehen sie Restriktionen
wie Passwort-Schutz oder Zugangseinschränkungen für bestimmte
Bereiche allenfalls als eine sportliche Herausforderung an ihre eigene
Medienkompetenz an.
Darum sei hier noch einmal darauf hingewiesen, wie
wichtig es für Lehrerlnnen bzw. Fortbildnerlnnen ist, EDV-technisch
zumindest auf dem Stand der SchülerInnen zu sein, die in der heutigen
Zeit ja oft der/ dem InformatiklehrerIn deutlich voraus sind. Hierzu ist
es sinnvoll, sich Hilfe von außen zu holen und/ oder kompetente Kolleglnnen
zu Rate zu ziehen.
3. Kennen lernen von Möglichkeiten und Grenzenlosigkeit des Internets
Um mit dem Internet vertraut zu werden, ist es erforderlich, sich mit
Browsern, Hilfsprogrammen wie Suchmaschinen und Meta-Suchmaschinen sowie
Katalogen u.ä. auseinanderzusetzen. Des Weiteren sollte der Umgang
mit [<112] ,Links' und ,Bannern' erprobt werden.
Die Nachprüfbarkeit und Verfolgung eingeschlagener
Wege in den einzelnen Web-Seiten stellt vielfach ein Problem dar. SchülerInnen
können oftmals nicht nachvollziehen, welche Wege beschritten wurden
bzw. welche Inhalte sie sich zugänglich gemacht haben. Deshalb setzt
die Arbeit der Lehrerlnnen und Fortbilderlnnen Erfahrungen im Hinblick
auf Einschränkungen der Nachprüfbarkeit voraus.
4. Umgang mit dem Begriff Pornografie und der Nähe zur Strafbarkeit
Wer sich - auch beruflich - in Deutschland mit problematischen (in unserem Fall: pornografischen) Inhalten des Internets beschäftigt, muß entsprechende rechtliche Kenntnisse erwerben (siehe Punkt 6):
Jeglicher Umgang von Erwachsenen mit Pornografie ist in Deutschland grundsätzlich strafirei mit den drei Ausnahmen:
Nach dem Jugendschutzgesetz sind Kinder und Jugendliche aber auch
von Inhalten der zugelassenen Erwachsenen-Pornografie fern zu halten. Bereits
beim zufälligen, insbesondere aber beim gewollten Einstieg in solche
WebSeiten sind solche Inhalte sehr leicht und schnell zugänglich.
Dies ist bereits der Punkt, an dem die Verantwortung
für Lehrerlnnen aber auch für Verantwortliche in Internet-Cafes
oder Jugendtreffs, in denen die Möglichkeit des Zugangs zum Internet
geboten wird, einsetzt. Bei einer Fortbildung in diesem Bereich muss sich
also die Aufgabe stellen, Lehrerlnnen, gegebenenfalls Erzieherlnnen und
ähnliche Personen in die Lage zu versetzen, den Gebrauch von PC und
Internetzugang durch Kinder und Jugendliche begleiten, kontrollieren und
im gegebenen Fall auch beenden zu können (und hier Eltern beraten
zu können).
Die Erprobung von programmierbaren Zugangsbeschränkungen
und sog. Filtern (Cyber patrol, Family harbour, Q-check usw.) werden in
diesem Zusammenhang diskutiert; es ist aber klar, dass sie nach dem derzeitigen
Stand der PC-Technik noch nicht als sichere Alternativen gesehen werden
können.
Anzumerken ist darüber hinaus, dass sogenannte
Zugangsüberprüfungen wie ,adult-check' (Altersangabe) oder Abfrage
von Kreditkartennummern für [<113] ,engagierte' jugendliche PC-Nutzerlnnen
auf im wahrsten Sinne des Wortes spielende Art und Weise zu umgehen sind.
Die unmittelbare praktische Arbeit im Internet kann durch keine noch
so eingehende Information per Vortrag oder dergleichen ersetzt werden.
LehrerInnen müssen selbst aktiv unterschiedlichste Web-Adressen aufrufen
und bearbeiten können. Dadurch kann ihnen gezeigt werden, wie schnell
man durch sogenannte ,Links' (Verbinder zwischen Web-Seiten) auch bei seriösen
Anbietern (etwa Reiseveranstaltern u.ä.) zu zweideutigen (Vorstufen
zu pornografischen Angeboten) bis eindeutigen Angeboten im besprochenen
Sinne kommen kann. Bei der Suche nach spezifischen Begriffen (z.B. Sex,
Pussy, Fuck, Frischfleisch, Hardcore u.ä.) wird der/ die Userln sehr
rasch von Website zu Website weitergereicht und es ist manchrnal äußerst
schwierig, solche Bereiche überhaupt zu verlassen.
Darüber hinaus ist es sinnvoll, Internetadressen
(wie etwa ,Netz gegen Kinderporno', ,antikinderporno' usw.)
zu kennen, die nach dem Auffinden problematischer Inhalte im Netz Hilfen
geben können.
Zum Schluss soll als eine positive Möglichkeit
der Arbeit mit dem PC die CD-ROM ,LoveLine' der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung erwähnt werden. Sie ist interaktiv
angelegt, bietet eine sehr umfassende, aber ausgesprochen gut aufbereitete
Informationshülle und spricht nach übereinstimmender Meinung
Jugendliche durchaus an. Sie kann als ein Mittel eingesetzt werden, Jugendliche
(ab etwa zwölf Jahren) allgemein über Sexualität zu informieren,
sie in interaktiven Spielszenen für die möglichen Konflikte zwischen
den Geschlechtern zu sensibilisieren und ihnen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung
zu helfen.
6. Erläuterungen der gesetzlichen Grundlagen - Maßnahmen beim Auffinden pornografischen Materials
Zu den bisherigen Ausführungen muss nochmals deutlichst angefiigt werden, dass der Umgang mit Inhalten des Internets gerade ilir Pädagoglnnen große Schwierigkeiten mit sich bringen kann (Aufsichtspflicht!). Als besonders wichtig sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die konkrete Suche nach Websites mit kinderpornografischen Inhalten - auch zu Forschungs- oder [<114] Ausbildungszwecken (!) - verboten und damit strafbar ist. Hilfe bekommt man bei Auffinden solcher Seiten sicherlich (auch anonym) bei den Kommissariaten ,Vorbeugung', die mittlerweile in allen größeren Städten oder in den Kreisen eingerichtet sind, und bei den weiter unten angegeben Stellen, die sich der Thematik in besonderer Weise widmen.
Was die strafrechtliche Seite des Besitzes und des Umganges mit solchen Inhalten anbetrifft, so soll hier ein kleiner Überblick über den derzeitigen Stand der Sachlage gegeben werden. Dass in diesem Bereich jedoch einiges im Umbruch ist, aber grundlegende Änderungen noch der Umsetzung harren, wird u.a. am sog. Compuserve-Urteil und beispielsweise auch am derzeitigen Ringen um die Verhinderung rechtsradikaler Inhalte im Internet deutlich. Hier die momentane Rechtslage:
Art. 5 Abs. 2 Grundgesetz (Jugendschutz):
Was ist strafhar ?
(in Anlehnung an § 184 Abs. 3 StGB)
Unter dem Begriff Darstellungen ist zu verstehen,
dass hier tatsächlich stattgefundenes Geschehen dem wirklichkeitsnahen
Geschehen gleichgesetzt wird (z.B. auch durch Bildbearbeitungssoftware
konstruiertes Material). Nacktbilder von Kindern (FKK-Fotos) sind in diesem
engeren Sinne keine Kinderpornografie, sofern nicht die Darstellung von
Geschlechtsteilen in den Vordergrund rückt (unnatürliche Posen,
weit gespreizte Beine usw.).
Der Besitz von Kinderpornografie ist strafbar; auch die gezielte Suche durch Privatpersonen danach ist strafbar. In vielen einschlägigen ,chat-foren' werden die Teilnehmerlnnen, wenn sie den virtuellen Raum auch nur einmal versuchsweise ,betreten', auf die sogenannte ,mailing-list' gesetzt und erhalten dann möglicherweise unaufgefordert kinderpornografisches Material zugesandt. Erhält die Polizei Hinweise auf eine strafbare Verbreitung, wird gegen alle festgestellten Teilnehmerlnnen eines solchen Forums errnittelt. Dies stellt einen außerordentlich empfindlichen Eingriff in die Privatsphäre dar: Durchsuchung der Wohnung, Sicherstellung der PC-Anlage und umfassende Auswertung damit verarbeiteter Daten. Bei Auffinden kinderpornografischen Materials droht die Einziehung des PCs durch das Gericht.
Falls einer/ einem Internet-Nutzerln unaufgefordert
kinderpornografisches Material zugesandt wird (mittels E-Mail oder im Rahmen
eines ,chat'), sollte sie/ er die Bilder und Protokolle, aus denen hervorgeht,
wer welches Bild an wen versandt hat, auf einer Diskette speichern und
unverzüglich der nächsten Polizeidienststelle übergeben
oder über E-Mail an eine im World Wide Web vertretene Polizeidienststelle
übersenden. Die Bilder und Protokolle sind danach von der Festplatte
zu löschen (Besitz ... !).
Laut LKA NRW wird generell kein Ennittlungsverfahren
gegen Hinweisgeber eingeleitet, wenn solche Inforrnationen nur kurzfristig
besessen und der Polizei zeitnah zur Verfiigung gestellt wurden. (Achtung:
Temporärer Speicher!)
BKA und LKA München ermitteln anlassunabhängig
nach Kinderpornografie. Bei festgestellten Verbreitungen müssen Provider
Auskünfte geben bzw. Adressen der Anbieter mitteilen. Werden im Internet
Feststellungen über den Besitz bzw. die Verbreitung von Kinderpornografie
getroffen, so wird gegen den Anbieter (Inhaber der Internetseite) und User
ermittelt, gegebenenfalls über Einschaltung des BKA bei ausländischen
Providern/ InternetUsem. Die Provider müssen die erforderlichen Auskünile
und die Adresse des Anbieters mitteilen. Dass gerade hier besondere Probleme
liegen wegen der deutlich unterschiedlichen Rechtsproblematik in anderen
Ländern. [<116] (Holland!), braucht nicht besonders betont
zu werden. [FN Vgl. hierzu auch den Beitrag von Detlef DREWES in diesen
Band: Die Kindersexmafia und ihre unsichtbaren Kanäle.]
Literatur
DREWES, DETLEF (1995): Kinder im Datennetz—Pornografie und Prostitution
in den neuen Medien. Frankfurt a.M.
DREWES, DETLEF (1997): Schützt unsere Kinder! - Stoppt ihre sexuelle
Ausbeutung. Mit dem Augsburger Aufiuf von IRENE EPPLE-WAIGEL, Augsburg.
GALLWITZ, ADOLF/ PAULUS, MANFRED (1997): Grünkram - Die
Kinder-SexMafia in Deutschland. Hilden.
[<117]"
Merten S. 49: "Geht man gemäß dem 'Basistheorem des Konstruktivismus'
(vgl. MERTEN u.a. 1994) davon aus, dass das Bewusstsein des Menschen kein
wie auch immer geartetes Abbild der 'realen' Wirklichkeit erzeugen kann,
sondern seine Wirklichkeit notwendig eigenverantwortlich und daher subjektiv
durch Kommunikation erzeugen muss. so gibt es so viele
Wirklichkeiten, wie es Menschen gibt. Objektivität hat nur mehr
den Rang einer operativen Fiktion, freilich mit strategischer Bedeutung
- und auch sie lässt sich nur intersubjektiv, also wiederum durch
Kommunikation garantieren (vgl. MERTEN u.a. 1994).
Weil dies so ist, kommt den Medien in modernen Gesellschaften
unabweisbar eine geradezu strategische Rolle zu: Medien sind Anbieter
von nicht mehr hinterfragbaren Wirklichkeitsentwürfen. Zwar nimmt
der Rezipient, wie wir wissen, auch hier nur das Angebot auf und wählt
daraus allein nach subjektiven Kriterien das aus. was ihm sinnvoll erscheint.
Aber allein die Tatsache, dass bestimmte Inhalte Eingang in die Medien
finden und andere nicht, verschafft diesen Inhalten eine Vermutung für
Richtigkeit, einen Bonus für Relevanz, der die Akzeptanz solcher Inhalte
flächendeckend erleichtert.
Das hat letztlich zur Folge, dass die für den
Menschen handlungsleitende, aktuelle Wirklichkeit sich mittlerweile aus
einer 'realen' und einer fiktionalen, von den Medien beigesteuerten Wirklichkeit
konstituiert, wobei der Stellenwert 'realer' Wirklichkeit tendenziell ab,
der von fiktionalen Wirklichkeitsentwürfen der Medien dagegen zunimmt
(vgl. Abb. 6). Oder zugespitzt: Wirklich ist heute nicht mehr das, was
wirklich ist, sondern das, was die Medien als wirklich darstellen!"
Der Autor gelangt zu folgender Zusammenfassung (S. 53f ):
"Zusammenfassend kann man sagen:
1 ) Das Fernsehen als technische Innovation kann Wirkungen entfalten,
die von der Wissenschaft bislang nicht oder nicht genau spezifiziert werden
können. Als Folge dessen besteht in der Bevölkerung ein erheblicher
Sockel von latenten, aber unbegründeten, gleichwohl jedoch realen
Ängsten.
2) Gewaltdarstellung im Fernsehen kann wenn, dann besonders auf Kinder
und Jugendlichen schädliche Wirkungen entfalten. Da Kinder in allen
Gesellschaften als Ausdruck sozialer Hoffnung gelten, sind die Ängste
der Bevölkerung daher besonders stark respektive besonders irrational.
3) Spektakuläre Gewalthandlungen (USA: Ermordung von führenden
Politikern (1968), Ermordung von Kindern in Deutschland (1908) und England
(1993)) lösen unter dem Eindruck öffentlicher Empörung konkrete
Handlungen des Gesetzgebers aus, die oft Alibifunktion haben und von anderen
Temen ablenken (das Fernsehen als Sündenbock).
4) Wissenschaftliche Untersuchungen, die Gefahren (der Gewaltdarstellung
des Fernsehens) konstatieren, werden von den Medien im Sinne sensationeller
Berichterstattung begierig aufgegriffen, so dass in der Öffentlichkeit
tendenziell die Gefahr von Gewaltdarstellungen im Fernsehen stets sehr
viel stärker dargestellt wird, als sie de facto (von den Wissenschaftlerinnen)
behauptet wird.
5) Die Mediengesellschaft ist keine Gesellschaft der Verführung
von Kindern und Jugendlichen, es gibt keine flächendeckende oder strukturelle
'Gewalt durch Gewalt im Fernsehen'. Vielmehr sind Kinder und Jugendliche
im Prinzip in der Lage, mit Medieninhalten umzugehen und daraus Nutzen
zu ziehen.
6) Die Verführung zu 'Gewalt durch Gewalt in den Medien' greift
allenfalls dort ein, wo andere soziale Faktoren (etwa: familiäre Probleme,
fehlende soziale Bindungen, Versagung von Chancen erfolgreicher Lebensfristung)
verursachend sind.
7) Medienpädagogik und Medienwirkungsforschung sollten holistisch
angelegt sein und nicht den Medienkonsum eines spezifischen Mediums, sondern
den gesamten Medienkonsum bzw. die gesamte Mediennutzung ins Visier nehmen.
8) Medienpädagogik und Medienwirkungsforschung halten immer weniger
mit der Akzeleration der Medienevolution Schritt."
Kritische Anmerkung: Merten unterschätzt wahrscheinlich die enorme Bedeutung der Suggestivkraft der Bilderwelt der Medien.
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End-Korrektur: