Die Rolle der PsychologInnen in den Medien
von Eva Jaeggi und Heidi Möller
Abdruck für das Internet mit freundlicher Genehmigung des Asanger-Verlages
Aus dem Journal für Psychologie, Rubrik: Debatten
und Kontroversen
Vorbemerkung
IP-GIPT: Die Medien und besonders das Fernsehen spielen in den westlichen
Gesellschaften eine kaum zu überschätzende und kritikwürdige
Rolle. Auch die Psychologie und ihre jungen Schwestern psychologische Psychotherapie,
Lebens- Beratung und Coaching werden hier ebenso stark wie problematisch
einbezogen. Die folgende Arbeit von Eva Jaeggi und Heidi Möller aus
dem allseits zu empfehlenden Journal für Psychologie
(offizielles Organ der Neuen Gesellschaft für Psychologie, kritisches
Pendant zur konservativen, anglo-amerikanisch geprägten Deutschen
Gesellschaft für Psychologie) - diese Nummer hat den Themenschwerpunkt
Psychotherapieforschung -, bringt die Probleme sehr klar und deutlich
auf den Punkt.
Es handelt sich u. E. um eine wichtige und kritische Arbeit, auf die gar nicht oft genug hingewiesen werden kann. Wir freuen uns daher sehr, daß uns der Asanger-Verlag die Genehmigung zum Abdruck für das Internet erteilt hat, wodurch dieser Artikel auch die Breitenwirkung erzielen kann, die er und unsere Gesellschaft verdient haben. |
Nahezu ständig klingelt das Telefon. Da wollen die Bild-Zeitung,
der Stern oder irgendein Fernsehsender von uns wissen:
und ähnliches mehr.
Von »Cosmopolitan« über »Brigitte« bis »Fokus« wimmelt es von Psychothemen. Die Menschen scheinen Lebens- und Erziehungshilfe und Erklärungen auch ihrer banalsten Verhaltensweisen bedürftig zu sein.
AUS WELCHEN QUELLEN STAMMEN ALLE DIESE ANFRAGEN?
Natürlich sind Sensationsgier und das Schnüffeln in fremden
Seelen (meist in fremden Betten) mit im Spiel. Mediengesteuerter Tratsch
vermillionenfacht Privates, das eigentlich nur die Betroffenen angeht.
Warum Gerhard Schröder und Hilltrud sich getrennt haben und welche
Besonderheiten wohl die »Neue« aufweist: das geht natürlich
niemanden etwas an, ist aber offenbar sehr interessant und muß von
psychologischen Experten kommentiert werden. Reines Entertainment spielt
dabei eine große Rolle. Quiz-Sendungen, die gierig gesehenen Shows
der Sechziger- und Siebzigerjahre, sind vielen schon langweilig geworden.
Viel interessanter sind »Live«- Enthüllungen von aufregenden
Schicksalen, die von Psychologen begleitet werden. Schließlich gibt
es noch ein großes Bedürfnis nach Ratgebern, das sich auch in
der Literatur niederschlägt. Psychologen sollen dann für alle
Lebenslagen womöglich »Rezepte« geben können.
Die Psychologie ist zudem gefragt im Dienste von Katastrophenphantasien:
Da will zum Beispiel der Rundfunk wissen, worauf die Zunahme der Mädchenmorde
in Europa zurückzuführen ist. Auf Rückfrage, woher sie,
die Journalistin, denn das wisse, beginnt sie zu stottern. Aber das sei
doch so, das wisse man eben. Die phantasierte Steigerung der Kriminalitätsrate
soll fachlich bestätigt werden. Wagen wir differenzierte Stellungnahmen,
hören die Journalisten nicht mehr zu. Schlimmstenfalls multiplizieren
sie die von uns genannten Zahlen, so daß Kollegen, z.B. des BKA (Bundeskriminalamt),
nicht mehr für Interviews zur Verfügung stehen, da sie noch nie
erlebt haben, daß ihre Zahlen exakt wiedergegeben werden. Eine wichtige
Funktion von Psychologen in den Medien scheint zu sein, dem Motto »Apokalypse
now« Futter zu liefern.
Woher kommt die Notwendigkeit, Psychologen zu allem Möglichen und Unmöglichen zu Rate zu ziehen? Psychologen scheinen eine Autorität zu verkörpern, die zunächst einmal legitimierend wirkt. Unter dem Deckmantel »Psychologe« läßt sich schier alles behaupten. Selbst die Vererbungstheorie kommt zu neue Ehren.
Die komplizierten sozialen und psychischen Verhältnisse einer Gesellschaft, die nur mehr wenig von Traditionen gesteuert wirdund der postmodernen Beliebigkeit verfallen ist, bereiten viel psychische Mühe. Oft müssen Menschen sehr viel Energie einsetzen, um sich ihre Verhaltensweisen klarzumachen und Handlungsweisen zu rechtfertigen. Die Berufung auf Althergebrachtes hilft selten. Also muß man sehen, was »die anderen« machen, und dies betrifft natürlich gerade die meist geheimgehaltenen Strebungen, Motive und Verhaltensweisen. Eigene Unsicherheit wird gemindert, wenn man sich in dem erhebenden Gefühl sonnen kann: »So bin ich nun gerade nicht!« - womit das Perverse ausgeschlossen wird aus dem eigenen Alltag, in Form der Sensationsgier aber natürlich erlaubten Zutritt hat und dafür gesorgt ist, daß auch eigene perverse Anteile befriedigt werden. Interesse und Empörung der Öffentlichkeit in bezug auf Kinderpornographie und Inzest läßt in dieser Hinsicht einiges ahnen über die »dunklen Kontinente« auch von Lieschen Müller und Hänschen Meier.
Was die Gier nach Katastrophenmeldungen anbelangt, so ist hier ein recht kompliziertes Geflecht von Motiven am Werk. Sicher ist auch hier das erhebende »Ich bin's nicht« (der Raubmorde begeht und Atomwaffen produziert) wichtig. Aber auch die Lust am Untergang, am totalen Chaos ist vermutlich oft am Werk. Die schwierige Chiffre, die Freud dazu benutzt (»Todestrieb«) drängt sich auf. Ist es über einen gewissen Zeitraum hinweg in Deutschland heiß - so schmelzen die Pole; erleben wir nicht die gewohnten Sommertemperaturen - so droht, laut den Medien, die neue Eiszeit.
WAS SPRICHT GEGEN EINE BETEILIGUNG DER PSYCHOLOGINNEN IN DEN MEDIEN?
Es gibt viele Argumente gegen eine Beteiligung von Psychologen an diesen
Medienspielen, aber auch einige, die durchaus dafür sprechen.
Aber was in welchen Zusammenhängen spricht dagegen? Die wenigsten
Journalisten wollen es »genau« wissen; sobald eine bestimmte
Tiefungsebene angestrebt wird, lenkt der Moderator ab. Niemand von uns
will zwar für den Boulevardjournalismus mißbraucht werden. Trotzdem
verhelfen wir den niveaulosen Talk-Shows zu einem Anstrich von Seriosität
und Legitimität.
Das Auftauchen in Talk-Shows mit abgenudelten, individualisierenden Themen, die wenig emanzipatorische Relevanz haben und schon gar nicht gesellschaftskritisch angelegt sind, Themen, die zumeist voneinander abgeschrieben werden, nach dem Motto: »Das hat Ilona Christen gerade gemacht, da müssen wir zwei Monate warten«, verhelfen unserem Berufsstand nicht gerade zu Ehren. Vielleicht verhilft es einigen Kollegen allerdings zu einem besseren Verkauf ihres Buches oder zu einer volleren Praxis. Dies aber sollte natürlich nicht bestimmend sein.
Aber auch die Antworten auf die berechtigten Fragen nach »Rat« sind prekär. Die Botschaft, die wir fast genötigt werden zu verkünden: Alles im menschlichen Erleben ist erklärbar, es gibt keine offenen Fragen, und alles ist auch aufhebbar und prinzipiell lösbar und zwar recht schnell. Da verkommt Psychologie via Television zur Medikamentenvergabe. Da sollen wir teilnehmen an der Vernichtungskampagne allen leidvollen und schmerzhaften Phänomenen gegenüber, die menschliches Leben kennzeichnen. Ungewißheiten, Irritationen und gar Fragen sind nicht erwünscht, sondern: Der Psychologe soll als Phantasma der Postmoderne, als Gewährsmann gegen die narzißtischen Kränkungen der modernen Zeit wirken. An dieser Stelle »greift« dann die narzißtische Verführung von uns in Medien auftauchenden PsychologInnen. Neben der Verlockung des Geldes und der Gratifikation exhibitionistischer Neigungen von PsychologInnen, die immer wieder einmal den Gang vor die Kamera tun, stehen wir in der Gefahr, die Illusion der psychologischen Gewißheiten zu bedienen. Wir geraten in die Position der moralischen Instanz, des »postmodernen Über-Ichs«, das über richtig und falsch entscheiden soll und es indirekt auch tut. Immer wieder wird gefragt:
Was soll man tun, wenn der Partner mich verläßt?
Wie oft ist es für ein Paar richtig, miteinander zu schlafen?
Wie häufig soll man als verheiratete Frau die beste Freundin sehen?
Wie erhält man eine Ehe sexuell interessant?
Sich dem hysterischen Fragemodus der Lösung sofort zu unterwerfen, stellt dabei eine von den Medien verordnete Notwendigkeit dar. Wenn wir immer nur Fragen aufwerfen und die Problematisierung vorantreiben, werden wir nicht mehr eingeladen. So gerieren wir uns als Alles- und Besserwisser.
ZUR ILLUSTRATION DAS NEGATIVSTE UNS BEKANNTE BEISPIEL
Eine Kollegin berichtet hocherfreut, daß sie jetzt auch beim
Fernsehen arbeitet. Sie wurde angefragt, bei einer daily Talk-Show zum
Thema »Kuckuckskinder« mitzuwirken. Es sollte um Kinder gehen,
die mit der falschen Gewißheit über die Identität ihres
Vaters leben. Live auf dem Sender, vor laufender Kamera sollte nun einem
15jährigen Jungen mitgeteilt werden, daß er nicht der Sohn seines
Vaters ist. Der Sender möchte, daß die Kollegin sich nach der
Sendung um den Jungen kümmert, und verspricht, für die eventuell
entstehenden Therapiekosten geradezustehen. Ihr Ehemann wird gleich mit
engagiert, um die psychische Betreuung der sich outenden Mutter zu übernehmen.
Solch eine Sendung läßt sich als Mediensadismus beschreiben, denn wissentlich wird psychisches Leid von Menschen in Kauf genommen, um der Sendequoten willen. Der Sender weiß um die zerstörerische Kraft dieses Settings, sonst würde er nicht großzügig die Therapiekostenübernahme in Aussicht stellen. Die Kollegin schwärmt jedoch recht ungebrochen von der Wichtigkeit, dem Jungen endlich reinen Wein über seine wahre Existenz einzuschenken, ein Kind habe schließlich ein Recht darauf zu erfahren, wer sein leiblicher Vater sei. Dies Ereignis kommt dem amerikanischen Fernsehalltag recht nahe. Die exhibitionistischen Wünsche der Talkgäste werden genutzt, um »Erlebnisfernsehen« zu produzieren, dessen Folgen für die Teilnehmer der Sendungen nicht überschaubar sind.
Die Talkgäste stellen oft eine Art Übertragungsbeziehung zur Institution Fernsehen her, nach dem Motto: »Der große Vater wird es richten«. Der Auftritt in einer Talkshow wird z.B. als Waffe im Scheidungskrieg benutzt. Der Partner soll in aller Öffentlichkeit diffamiert und dadurch sozial isoliert werden. Pfarrer Fliege steht als mächtiger Bündnispartner zur Seite. Die Inszenierung seitens der großen Fernsehsender geht auf. Schutz, Parteilichkeit mit den »Kleinen« gegen die »Großen« wird durch künstliche Empörung hergestellt und Verständnis durch die Medien suggeriert. Zum Teil wird sogar finanzielle Hilfe angeboten (z.B. Fliegefond) und das Desaster riskanter Lebensführung gemildert. Der Fernsehsender wird zum großen Bruder, zum persönlichen Vertrauten, der kommentiert, bewertet und jederzeit Rat weiß.
Im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen, für eine Zeitspanne wichtig zu sein und versorgt zu werden, kann den Talkgästen eine Zeit lang Entlastung gewähren. In der Regel sind sie durch das Setting TV nahezu euphorisiert. Der Preis dafür erscheint jedoch hoch: Weg mit Schamgefühlen und Schmerzgrenzen! Die Talkgäste spüren oft nicht, daß sie nichts weiter sind als verdinglichte Quotenbringer. Sie erhalten keinerlei Kontrolle über das Geschehen und werden mit Scheinsolidarität des großen Senders mit den vom Schicksal Gebeutelten abgespeist. Später dann werden die Talkgäste auf der Straße angesprochen, müssen damit z.B. in ihrer Hausgemeinschaft leben, daß sie sich mit ihrer Perversion geoutet haben. Nachträglich stellt sich ein massives Schamgefühl ein, das zuvor, durch das Glücksgefühl, im Fernsehen auftreten zu können, betäubt war. Werden der Ex-Ehemann oder die Eltern vor Millionen beschimpft, so tauchen zeitverzögert Loyalitätskonflikte auf, ähnlich, wie wir sie von gewaltsamen Gestaltsessions vor 20 Jahren erlebt haben. Die befreiende Wirkung des sich »Outens« wird lediglich vorgegaukelt: »Wie gut, daß wir darüber gesprochen haben« heißt es meist zum Schluß der Fliegeshow. Er bezeichnet seine Sendung als die größte Selbsthilfegruppe der Nation. Dabei dient die recht suggestive Interviewtechnik der Talkmaster à la Christen, Meiser und Schreinemakers zumeist der Selbstinszenierung der Talkmaster. Sie entwerfen sich als Menschenfreunde, die alles verstehen und denen nichts Menschliches fremd ist. Dabei darf eine emotionale Tiefe nur angedeutet werden. Keinesfalls darf tiefes menschliches Leid zu sehr Raum greifen, dann wird sofort das Thema gewechselt, um die Angst von Talkmaster und Zuschauer vor ungezähmter Emotionalität zu bändigen.
WAS SPRICHT FÜR EINE BETEILIGUNG DER PSYCHOLOGEN IN DEN MEDIEN?
Auf der anderen Seite ist die Kritik von Heiko Ernst, dem Chefredakteur
von »Psychologie Heute« im 2. Heft des Journals für Psychologie
1996, ernstzunehmen. Er benennt darin seine Enttäuschung über
die Neue Gesellschaft für Psychologie, weil auch wir uns zu wenig
mit Fragen, die die Menschen wirklich bewegen, beschäftigen. Auch
wir bleiben oft Antworten schuldig. Praktiker fühlen sich von uns
ebenso im Stich gelassen, wie die interessierte Öffentlichkeit. Er
mahnt zu Recht, wir sollten uns um gesellschaftliche Probleme kümmern,
weil sie immer auch individuell repräsentiert sind. Wir hätten
zu wenig getan, die Kluft zwischen Wissenschaft und öffentlichem Interesse
zu überbrücken. Wir zeigten zu brisanten gesellschaftlichen Themen
wie Arbeitslosigkeit, Esoterikboom und Computerkindern zu wenig Flagge.
Informationen zu geben, den Erklärungsbedarf der Gesellschaft ernst
zu nehmen und Position zu beziehen: das sei unsere originäre (im übrigen
auch in der Satzung festgehaltene) Aufgabe.
Die Vielzahl der Anfragen ist andererseits auch Ausdruck eines Machtzuwachses
der Profession Psychologie. Es scheint einen Wechsel der wissenschaftlichen
Vorherrschaft von der Soziologie, die in den 60er, 70er Jahren die Referenztheorie
der Wahl war, zur Psychologie zu geben. Tatsache ist, daß wir mit
unseren Publikationen zwar lediglich eine kleine Fachöffentlichkeit
erreichen, im Fernsehen hingegen von Millionen gesehen werden; auch dies
stellt eine Chance dar, den Transfer psychologischen Wissens zu vollziehen.
So ist der Auftritt in den Medien sicherlich von berufspolitischer Relevanz. Der finanziellen Einschränkungen im Bereich der Gesundheitsförderung, der Abschaffung der Finanzierung der Psychotherapie im Erstattungsverfahren u.v.m., steht auf der anderen Seite ein Boom der Psychologie in den Medien gegenüber, der dafür gesorgt hat, daß Psychotherapie inzwischen eine sehr viel höhere Akzeptanz erlangt hat als früher. Der Gang zum Psychotherapeuten als Methode der Wahl bei persönlichen Problemen ist nahezu Alltagskonsens geworden.
Psychologen sollen Antworten geben, der Wunsch der Öffentlichkeit nach fachlichen Hinweisen ist durchaus legitim. Auch als Wissenschaftler sollten wir darauf achten, Fragen zu beantworten, die die Menschen bewegen. Es genügt nicht, wenn wir uns nur mit Themen beschäftigen, die wir selbst als interessant und relevant erachten. Der Psychologendiskurs hat längst Einzug in die privaten Auseinandersetzungen gefunden. Da wird heftig (hobby)-analysiert und interpretiert (der hat 'nen Minderwertigkeitskomplex, weil der so klein ist, der hat einen Mutterkomplex etc.), Begriffe werden (oft inadäquat) verwandt, wie zum Beispiel der Ödipuskomplex oder die Verdrängung. Psychologen sollten mithelfen, dem Laien solche Konzepte begreiflich zu machen, damit sie wirklich hilfreich sein können.
Was tun?
Es gibt Fragen, die auf den ersten Blick sinnvoll scheinen, zum Beispiel
die Frage, (anläßlich von Ausschreitungen bei Fußballspielen)
wie Massenhysterien zustandekommen. Vernünftig scheint uns auch die
Frage, was Phobien sind, wie man Depressionen erklären kann oder ob
Verhaltenstherapie wirklich besser ist als Psychoanalyse. Andere Fragen
- zum Beispiel die nach Freitag dem Dreizehnten - scheinen zwar banal,
können aber durchaus mit psychologischem Fachwissen beantwortet werden.
Allerdings sind hier sicher die Frage transzendierende Überlegungen
angebracht, z.B. ganz allgemein etwas auszusagen über die Funktion
von Aberglauben, die auch dem Laien einiges klarmachen können.
Als eine allererste Faustregel gilt: möglichst keine Kurzinterviews zu geben. Antworten auch auf sinnvolle Fragen fallen dabei notwendigerweise verkürzt und daher unverständlich, falsch und mißverständlich aus. Wir haben unsere Wissenschaft in langjährig mühevoller Theorieausbildung und Praxis gelernt, die meisten wirklich wichtigen Fragen sind nicht in ein paar Minuten zu beantworten. Es stellt eine Beleidigung für unseren Berufsstand dar, wenn uns ein solches Ansinnen gestellt wird. Da die Worte, die wir benutzen, häufig Alltagsworte sind, herrscht bei vielen Laien die Vorstellung vor, man könne alles ganz leicht erklären, verstehen und daher auch recht rasch beheben. Wenn wir aber das Wort »Depression« oder »Angst« verwenden, dann hat dies für uns Psychologen einen Bedeutungshorizont, der von dem vieler Laien recht verschieden ist, und wir müssen erst erklären, wie unser Bedeutungshorizont aussieht. Das aber erfordert Zeit und Geduld beim Zuhören. Stimmt man den »Schnell-Antworten« zu, dann können auch sinnvolle Fragen recht merkwürdige und mißverständliche Antworten hervorrufen.
Die Unterscheidung zwischen sinnvollen, beantwortbaren und unbeantwortbaren Fragen ist nicht ganz leicht. Einige Kriterien lassen sich aber auch hier aufstellen: Ganz sicher sind wir nicht befugt, für Menschen, die in der Offentlichkeit stehen, irgendwelche Deutungen abzugeben.(»Warum hat Diana Bulimie? Was hat die Therapeutin des Heidemörders bewogen, ihn zu befreien? Sollte Frau Juhnke sich scheiden lassen?«) Die Interpretation der Lebens- oder Leidenssituation eines konkreten Menschen ist nur aufgrund erfahrungsgeleiteter Befragungen und Beobachtungen des Betroffenen möglich und sollte nur dann erfolgen, wenn dessen Auftrag vorliegt. Alles andere ist unprofessionell und unmoralisch, weil die Intimsphäre des Betroffenen verletzt wird.
Auch Fragen, die angebliche »Trendmeldungen« betreffen,
müssen mit Vorsicht behandelt werden. Rückfragen, woher der angebliche
Trend stammt (aus der Kantine des Senders, ausgekungelt unter Journalisten?)
sind unbedingt nötig. Statistiken sollten sichergestellt werden, die
Problematik statistischer Aussagen muß klargemacht sein, und zwar
in bezug auf das Thema. Beispiel: Singles sind kränker als Verheiratete,
wie kommt das? Hier müßte die Expertin wissen und erklären,
daß solche Aussagen nichts bedeuten, weil diese Aussagen erstens
schichtspezifisch unterschiedlich variiert werden müssen, zweitens
nach Geschlecht differieren und sich drittens die Frage nach Henne und
Ei stellt, u.ä.m.
Die meisten Journalisten möchten ihren ungeduldigen Hörern
solche Überlegungen nicht zumuten und schneiden dies u.U. aus dem
Gespräch heraus. Wenn sie aber wollen, daß wirkliche Fachleute
ihnen Überlegungen zu diesem Themenkomplex anbieten, dann müssen
sie schon Geduld aufbringen. Kein Journalist würde es wagen, einem
theoretischen Physiker zuzumuten, auf die Frage: »Was ist ein Quarks?«
in drei Minuten zu antworten. Als Psychologin sollte man sich einer Anfrage
der Medien nur dann stellen, wenn man sicher ist, daß die eigene
Antwort nicht nur Stammtischpsychologie ist, sondern daß man über
wirkliche Kenntnisse verfügt, die über laienhafte Alltagspsychologie
hinausgeht. Intelligente Laien sagen sonst mit Recht: »Und dazu muß
man jahrelang studieren?«
Alle Fragen, die echte Leidenszustände betreffen, nachgewiesene Trends, die merkwürdig sind, destruktive Phänomene, die das Leben unter Menschen erschweren, können natürlich von Psychologinnen (mit) erklärt werden. Aber sie sollten sich dann auf keinen Fall ohne weiteres einlassen auf die berühmte Frage »Und was kann man dagegen tun?«.
Wenn Psychologinnen die Wissenschaft vom Menschen ernst nehmen, dann
wissen sie auch, wie schwer es ist, für echte Lebensprobleme Lösungen
zu finden, daß Lösungen kaum je generellen Charakter haben,
daß eine behutsame Exploration des einzelnen und seiner Mitwelt nötig
ist, um eine komplizierte Lebenssituation mit Ratschlägen zu begleiten.
So zu tun, als gäbe es den Top-Ratschlag, (wie man mit der Untreue
des Ehemannes umgeht, was man tut, wenn der Partner vor dem Geschlechtsverkehr
Windeln benutzen will) bedeutet eine Diffamierung unseres Berufes und dessen,
was wir in mühevoller Arbeit gelernt haben.
Was aber, so wird man fragen, ist Eure Wissenschaft wert, wenn Ihr
keine Ratschläge geben könnt? Sie wird nicht mehr wert, wenn
wir so tun, als wüßten wir für alles einen probaten Rat.
Der Verbraucher weiß ziemlich bald, daß er mit billigem Trost
und unhandlichen Worten abgespeist wird. Wir werden sehr viel mehr wert
sein, wenn wir uns und unseren Fragestellern klarmachen, daß vor
dem Handeln die Reflexion kommt; daß die Aufklärung eines komplexen
psychischen Tatbestandes wichtiger ist als das Aufzeigen sofortiger Handlungsmöglichkeiten,
die sowieso fast immer der einzelne für sich finden muß. Eine
sorgfältige Aufklärung über bestimmte Phänomene ist
ein wichtiger Schritt davor. Mehr können wir nicht leisten. So zu
tun »als ob«: das ist Betrug und Bauernfängerei und übrigens
sehr schnell zu durchschauen. Dies nützt niemandem, außer den
Journalisten, die gerne ein Happy-End in ihre Sendungen oder Artikel einbauen.
Dieses aber sollten wir ihnen nicht gönnen.
Literatur
GOLDNER, COLIN (1996): Meiser, Fliege & Co: Ersatztherapeuten ohne
Ethik, Psychologie Heute, 6, S. 20 - 27
SEEL, HANS-JÜRGEN & SICHLER, RALPH (1996): Person und Wissenschaft im Gespräch mit Heiko Ernst, Chefredakteur der Zeitschrift »Psychologie heute«, Journal für Psychologie, 2, S. 61 - 73.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Medien site:www.sgipt.org. * Medien Kritik site:www.sgipt.org. |
end-korrektur: irs 02.02.02