Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=21.09.2014 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung TT.MM.JJ
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20   D-91052 Erlangen
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    Anfang  Mythen, Macht und Psychotherapie _Überblick  _Rel. Aktuelles _Rel. Beständiges _Titelblatt _Konzept _Archiv _Region  _Service-iec-verlag _ Wichtige Hinweise zu Links und  Empfehlungen

    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Kultur, Bereich Bücher, Literatur und Links zu den verschiedensten Themen, hier die Buchpräsentation:

    "Mythen, Macht und Psychotherapie -
    Therapie als Praxis kritischer Kulturarbeit"
     

    AutorInnen

    Prof. Dr. mult. Hilarion G. Petzold, Dipl. Sup. Ilse Orth, MSc., Prof. Dr. phil. Johanna Sieper sind BegründerInnen der Integrativen Therapie und Supervision, bekannt durch zahlreiche Buchveröffentlichungen und therapiemethodische Innovationen. Sie leiten die Europäische Akademie für biopsychosoziale Gesundheit in Hückeswagen am Beversee.
     
     

    Verlag  AISTHESIS

     
    Buchpräsentation von Rudolf Sponsel, Erlangen



    Bibliographie * Verlagsinfo * Inhaltsverzeichnis * Leseprobe * Auseinandersetzung * Bewertung * Autor(Innen) * Links * Literatur * Querverweise


    Bibliographie: Petzold, Hilarion G. & Orth, Ilse & Sieper, Johanna (2014, Hrsg.). Mythen, Macht und Psychotherapie. Therapie als Praxis kritischer Kulturarbeit. Bielefeld:  AISTHESISpsyche. [Verlagsinfo]
        Anmerkung: Das Buch ist nach dem Vorwort und einer neuen Einführung die 2. Auflage "Die Mythen der Psychotherapie", ergänzt um zwei große Anhänge: Infernalisches Schreien in der rechtsextremen Musikszene und Manifest integrativer Kulturarbeit 2013.



    Verlagsinfo "Psychotherapie ist „Kulturarbeit“ (S. Freud). Diese bedeutende Erkenntnis wird von den AutorInnen des vorliegenden Bandes in neuer Weise konkretisiert. Auf der Basis von vierzig Jahren internationaler Erfahrung in Psychotherapie, Supervision und Kulturarbeit untersuchen sie von PsychotherapeutInnen vernachlässigte Themen wie Ideologie, Mythen, Macht und gesellschaftliche Phänomene wie Flucht ins Magische, Gewalttendenzen, Fundamentalismus usw. Sie konfrontieren dysfunktionale Mythen und Praktiken in der Psychotherapie selbst: Triebtheorie, obskure Archetypen, inneres Kind, Familiengeheimnisse, Aufstellungen usw., die Selbstwirksamkeit, Gesundung, freies Denken behindern und Expertenmacht zementieren (M. Foucault). Das macht Alternativen moderner, allgemeiner Psychotherapie der „Dritten Welle“ und einer „Integrativen Humantherapie“ notwendig! Die AutorInnen leisten dazu innovative, behandlungsmethodische Beiträge. Mit ihrem originellen, macht- und mythentheoretischen Ansatz liefern sie überdies beeindruckende Analysen zu kollektiver Mythenbildung: im „Dritten Reich“, Stalinismus und – höchst aktuell und brisant – in der aktuellen „Neonazi-Szene“ und ihrer rechtsradikal ausgerichteten Rock- und Black-Metal-Subkultur. Ziel solcher Kulturarbeit: Man muss dem „Schlaf der Vernunft“ (F. Goya) eine kritische Wächterfunktion entgegenstellen.

    „Für alle, die mit Menschen psychotherapeutisch und pädagogisch aus geschichtsbewusster Achtsamkeit arbeiten, ein höchst inspirierendes, ja unverzichtbares Buch.“ Prof. Dr. Erika Horn, Graz"



    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort (2013)   I  [In der Leseprobe]

    Einführung (2013) Transversale Kulturarbeit in der "Dritten Welle" Integrativer Therapie   IX
    I. Orth, H. Petzold, J. Sieper  [In der Leseprobe]

    Vorwort (1999)   9

    Einführung: Psychotherapie, MYTHEN und Diskurse der MACHT
    und der FREIHEIT - H. Petzold, I. Orth, J. Sieper   15

    PROLEGOMENA. Gespräch zwischen Michel Foucault und Gilles Deleuze.
    Die Intellektuellen und die Macht   67

    I. Ideologien und Mythen in der Psychotherapie   77

    THESEN: Die Psychotherapie ist in beunruhigendem Maße mit
    überflüssigen Mythen belastet - Albert Ellis   79

    Psychotherapie, ein integrativer Ansatz oder weiterhin
    schulengebundene Ideologie? - Probleme, Hintergründe,
    Argumente - H. Petzold   87

    Kritische Überlegungen zu offenen und verdeckten Ideologien
    in der Psychotherapie. Überlieferungen und Veränderungen
    im psychotherapeutischen Feld - Präzisierungen Integrativer
    Positionen - H. Petzold, I. Orth   125

    II. Psychotherapie, Ideologie, Macht   263

    THESEN: „Die Menschen werden verändert
    und transformiert“ - Paul Parin   265

    Ideologeme der Macht in der Psychotherapie -
    Reflexionen zu Problemen und Anregungen
    für alternative Formen der Praxis - I. Orth, H. Petzold, J. Sieper   269

    III. Psychotherapie als Kulturkritik, Kulturarbeit
    und engagierte Praxis mit Patientinnen und Patienten   335

    Der „Andere“ - der Fremde und das Selbst.
    Tentative, grundsätzliche und persönliche Überlegungen
    für die Psychotherapie anläßlich des Todes
    von Emmanuel Lévinas (1906-1995) - H. Petzold   337

    Patienten als „Partner“ - oder als „Widersacher“ und „Fälle“.
    Über die Beziehung zwischen Patienten und Psychotherapeuten -
    kritische Gedanken und Anmerkungen - H. Petzold, G. Gröbelbauer, I. Gschwend   363

    "Iatrogene" Psychotherapieschäden, „riskante Therapie“  - H. Petzold   393

    Mentalisierung an den Schnittflächen von Leiblichkeit, Gehirn,
    Sozialität. Biopsychosoziale Kulturarbeit - ein Essay zu „dunklen
    Zeiten“ und darüber hinaus - Hilarion G. Petzold im Gespräch
    mit Ilse Orth und Johanna Sieper   401

    Infernalisches Schreien in der rechtsextremen Musikszene.
    Mythotrophe und mythopathische Dimensionen des „National
    Socialist Black Metal“, des „Black Metal“ and „Death Metal“ –
    Hilarion G. Petzold, erstellt in Ko-reflexionen mit Ilse Orth und
    Johanna Sieper   619

    Manifest der Integrativen Kulturarbeit 2013 – Hilarion G. Petzold, Ilse Orth,
    Johanna Sieper   671

    Literatur (1999)  689

    Literatur (2013)  735

    Sachwortregister  806



    Leseprobe PDF
    Vorwort (2013)   I
    Einführung (2013) Transversale Kulturarbeit in der "Dritten Welle" Integrativer Therapie   IX
    I. Orth, H. Petzold, J. Sieper


    Auseinandersetzung mit einigen interessanten und zentralen Aussagen des Buches

    Aus der Einführung: Psychotherapie, MYTHEN und Diskurse der MACHT  und der FREIHEIT von H. Petzold, I. Orth, J. Sieper

    Psychotherapie als Freiheitsdiskurs entstanden ?
     
    Zentrale  These der Einführung ist (S. 15): "Moderne Psychotherapie entstand als eine Disziplin der Freikeitsdiskurse gegen die Diskurse der Unterdrückung. Janet und in seiner Folge Freud sahen sich der Aufklärung verpflichtet, die sich gegen die Verdunkelung der Vernunft - eine Welt der Magie und düsterer Mythen - wandte. ..."

    "... Auch die Psychotherapie ist in ihrem Untergrund, der sich in ihrer alltäglichen Praxis zeigt, d.h. mit Bezug auf die Themen FREIHEIT und MACHT, doppelbödig und zwiespältig. MACHT hat dunkle und helle Seiten, kann sich in die Richtung des Machen-Könnens oder in die der Gewalt entwickeln. FREIHEIT hat beflügelnde und tragische, zuweilen zerstörerische Qualitäten, Ordnungen und Regeln gewährleisten Gerechtigkeit und Schutz, haben versichernde Momente, aber auch einengende, unterdrückende, bis hin zur Versklavung. Freiräume ermöglichen Entfaltung, Kreativität, Ekstase, aber auch Entgrenzung, Grenzverletzung, Exzeß. Beide Seiten von MACHT und FREIHEIT - und diese beiden Konstituenten menschlicher Subjektivität und gesellschaftlicher Wirklichkeit selbst - sind miteinander verwoben in einer vielschichtigen, verwirrenden Textur - ..." (S. 17)

    Dies scheint mir nur ein Aspekt, die gesellschaftspolitisch-ideologische  Perspektive. Die Psychoanalyse um Freud 
    mag aufklärerische Ansprüche und Bestrebungen haben, ist aber doch selbst 
    auch sehr dunkel, mythisch und magisch. 

    Der Doppelcharakter der Macht in ihrer Anwendung und Ausübung ist trefflich beschrieben. Vielleicht sollte man aber auch die praktische Hauptaufgabe aller Therapie 
    seit Menschengedenken nicht aus 
    dem Auge verlieren: In der Therapie geht es primär um Heilung, Besserung, Linderung oder  Bewältigung. Man wünscht natürlich von PsychotherapeutInnen, dass sie mächtig insofern sind, als sie über Verfahren, Metho- den und Techniken verfügen, die heilen, bessern,  lindern oder beim bewältigen helfen können. 
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    Psychomoden
     
    "Als Beobachter des psychotherapeutischen Feldes, die aufgrund ihrer Studien auch mit der Optik anderer Kultur-, Sozial-, Natur- und Humanwissenschaften auf dieses Feld 
    und seine vielfältigen Szenen schauen konnten, mehr als ein Vierteljahrhundert lang, ha-
    ben wir mit zunehmender Skepsis die verschiedenen Moden kommen und gehen sehen: 
    In der Psychoanalyse von der Selbstpsychologie, der hermeneutischen Wende, bis zur neuen Babyforschung, jetzt der Trauma- bzw. der PTSD-Welle und zu den inzwischen nicht mehr heimlichen - weil verbotenen (Bittner 1989; Ehebald 1979) - Exkursionen in die Körpertherapien (vgl. allerdings Bauriedl 1998); in der Verhaltenstherapie von Desensibilisierungsbegeisterung, Selbstbehauptungstrainings über die Verhaltensanalyse und Selbstkontrolltechniken bis zur „kognitiven Wende"; in der Familientherapie von den einfachen Kommunikationsmodellen bis zum „radikalen Konstruktivismus", der 
    „Kunden orientierung" oder der sogenannten systemischen „Aufstellungsarbeit". Was sonst noch an Wellen mit Primärtherapie, Focusing, Bioenergetik, Rebirthing, Provokativer Therapie, NLP, Transpersonaler Therapie usw. durch die Szene schwappte, ist kaum (Goldner 1997) nachzuhalten. Das alles ist als Kulturphänomen Ausdruck moderner bzw. postmoderner Lebensvielfalt höchst interessant, auch als Ausdruck der Identitätsfindung, des Wunsches nach Selbstverwirklichung und persönlicher Experimentier- und Freiräume, ja der freien Meinungsäußerung - wie immer man das sehen will. Es ist der Ausdruck von „life styles", denen man in kulturanalytischer und sicher auch in klinischer, d.h. diagnostischer und therapeutischer Hinsicht (Müller, Petzold 1998) in Zukunft weitaus mehr Beachtung schenken muß. Es ist der Raum „kollektiver Kognitionen und Emotionen", der „social worlds" (Petzold 1998a, 114ff), voller Mythen, Simulacren, Trends, den man nicht durch gesetzliche Reglementierungen eingrenzen oder beschneiden sollte, wie dies die fragwürdige Gesetzesinitiative zur Regelung professioneller Lebenshilfe versucht. Auf (fast) jeden Trip kann man in dieser Gesellschaft gehen, von den Hard-core-Videos, vom Bungee-Springen bis zur Life-Sex-Show, aber wenn es um die Seele [<21] geht, wird es plötzlich ernst und problematisch, da müssen Regelungen her für Erwachsene ..." (S. 21f)

        "Man muß zwischen allgemeinen Kulturphänomenen, Moden, die gerade „in" sind, dem, was man im „Maxx", „Konr@d", „Go", „Metropolitan", „Esquire", „Brigitte" und „Vogue" etc. etc. gerade trendy findet, und spezifischen Kulturphänomenen, wie sie sich in Fachwelten finden, unterscheiden, etwa der klinischen Fachwelt der Psychotherapie mit ihren „mainstreams", den Rand- und Alternativverfahren, Psychotherapie-Trends. Die Moden der Psychoszene stehen irgendwie dazwischen. Viele Therapeuten „driften" ziemlich wahllos zwischen den Trends. Wir sind unentschieden, ob wir das für besser halten als die dogmatische Festgelegtheit auf einen Ansatz, eine Schule. Beides sagt uns nicht zu, beides kann recht oberflächlich betrieben werden, und das ist dann kaum zu ertragen. Uns geht es nicht um Psychotherapeuten- schelte, aber auch nicht um die Ausblendung des kritischen Blickes auf diese Profession. ...
         Leider mußten wir uns auch gegen die systematischen und diskreditierenden Ausgrenzungsdemarchen anderer Therapierichtungen und ihrer Funktionäre zur Wehrsetzen - zumeist, es muß leider um der historischen Korrektheit willen 
    [<22] gesagt werden, psychoanalytischer Verbände. ..." (S. 22)

    Die extreme Vielfalt und immer neuen thera- peutischen "Entdeckungen" neben all den modischen Erscheinungen werden zutreffend beschrieben.  Ich sehe aber nicht, dass viele der "neuen" - manche sind uralt und nur neu aufgewärmt - Errungenschaften nach ihrem "Kommen" wieder "gehen"  und verschwinden. Gut wäre an dieser Stelle gewesen, wenn die AutorInnen analysiert 
    und ausgearbeitet hätten, warum das so ist - hier hatte Grawe ja einiges geleistet. Hier 
    wäre auch die praktisch wichtige Unter- scheidung zwischen Therapie als heilkundliches Handeln gegenüber mehr 
    oder minder professioneller Beratung bis hinein ins Philosophisch-Religiöse, Esote- risch-Alternative, und Life-Style- Ökonomische sinnvoll abzuhandeln, was 
    gar nicht immer so einfach ist. Es gibt eine riesige Grauzone, ein ungeheures Dunst- 
    und Nebelfeld um das Kerngebiet Psychotherapie. Und deshalb scheint mir ein gesetzlicher PatientInnenschutz auch grund- sätzlich wichtig, wenn er auch von den Etablierten auf das Übelste missbraucht wird. Denn hier geht es um Geld, Pfründe, Macht und Einfluss und nicht um Wissenschaft, Wahrheit, Ethik und Fairness, was viele Therapieschul-MitbewerberInnen inzwischen schmerzlich erfahren haben.
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    Auch hier fehlt noch eine Strategie, was man gegen den Wildwuchs und die Eigendynamik der ungeheuren vielfältigen Grauzone um das Kerngebiet "Psychotherapie" machen kann und soll. Betrachten wir die Politik, stellen wir ernüchtert fest, dass es keine Möglichkeit zu geben scheint, dem Medienterror und seiner  seichten Massenorientierung im Tanz um das goldene Kalb der westlichen "Kultur" - der Geldmacht im Klartext - zu entrinnen. Also warten auf "bessere Zeiten" in der Hoffnung, die Chaos-Theorie / Zufall  wird es irgendwann schon richten?
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    Weiterhin kämpferisch für die Ideale
     
         "Vor diesem sehr breiten und vielfältigen Hintergrund, über den wahrscheinlich nur wenige Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen in diesem Maße verfügen, müssen wir heute für weite Bereiche der Psychotherapie in den deutschsprachigen Ländern (und nicht nur dort), die sich stets als „kritisch-emanzipatorische Disziplin" gerierte und für das Gros der Psychotherapeuten, die immer wieder einen kultur- und gesellschaftskritischen Anspruch vor sich her trugen, eine recht desillusionierte Bilanz ziehen. Wir tun dies ohne Bitterkeit und sind weiterhin kämpferisch für diese Profession in ihrer ganzen Vielfalt, mit ihren tiefenpsychologischen, psychoanalytischen, behavioralen, humanistischen, systemischen, körpertherapeutischen, kreativ- bzw. kunsttherapeutischen usw. Ausfaltungen, nomothetisch-quantitativen und idiographisch-qualitativen Vorlieben, ihren klinischen, pädagogischen und kulturkritischen Orientierungen engagiert. ... (S. 23)
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    Die Grundhaltung weiter zu kämpfen für die Ideale, ist zu begrüßen, jetzt fehlt "nur" noch die Strategie, wie man erfolgreich kämpft und wirbt. Eine zweifellos zentrale und grund- legende Idee integrativer Therapie ist den Partikularismus - die extreme Viel- und aufgeblähte "Kleinstaaterei" - aufzuheben. 
    Das heißt alle relevanten Verfahren, Metho-
    den und Techniken in einer einzigen grund- legenden Ausbildung zu integrieren, die den ganzen Menschen, sein Bio-Psycho-Soziales- System umfasst, also auch seine soziokultu- relle und ökologische Vernetzung. So gese- hen ergibt sich eine natürliche Nähe zur Gestalttherapie, die stets dem Ganzen und der Ganzheit ihre Bedeutung zuerkannte.

    Klartext
     
    "... Aber gerade deshalb müssen wir mit Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre sagen: In diesem Feld der Psychotherapie gibt es sehr viele ungute Phänomene, z.B. eine starke Tendenz zu einem medizinalisierten und restriktiven, ja repressiven Verständnis von Psychotherapie (bei den Richtlinienverfahren z.B.), wissenschaftlich verbrämte wirtschaftliche Interessen und Machtspiele einzelner Richtungen und Gruppierungen, fragwürdige Ideologien, unseriöse Behandlungskonzepte, kryptoreligiöse Diskurse, Ansprüche auf Wahrheiten und Wirksamkeiten, die Klientelisierung und Parentifizierung von Patienten unter Vernachlässigung ihrer Interessen. Das alles muß man äußerst kritisch sehen - wir tun dies seit langem! Mit einigen dieser Themen wollen wir uns in diesem Buch auseinandersetzen, andere werden wir an dieser Stelle nicht aufgreifen, z.B. die für die Psychotherapie so zentrale und unzureichend beachtete Genderfrage (cf. unser diesbezügliches Buch, Petzold 1998h). Es geht uns hier vielmehr um die Diskussion obskurantistischer, machtvoller MYTHEN in der Psychotherapie.
        „Mythos/Mythen" verwenden wir in diesem Zusammenhang im alltags- sprachlichen Sinn als Begriff für wissenschaftlich und rational nicht weiter begründba- [<23] re Werte- Erklärungs- und Handlungsmuster ..." (S. 23f)
    Diese Kritik ist zweifellos richtig. Aber was können wir, was sollen wir tun - die anderen, die Integrativen? Besser, erfolgreicher sein? Das ist im Prinzip eine gute Idee, aber wirkungsvolle Methoden oder Techniken werden sofort von den etablierten Schulen auf- gesogen und "integriert".  So schnell schaut man gar nicht. Die etablierten Machtstrukturen sind einfach da. Und freiwillig werden die Etablierten kaum etwas hergeben. Wahrscheinlich ist am besten, integrative Entwicklungen überall zu fördern, besonders 
    dort, wo Offenheit für Vielfalt, Entwicklung und Erweiterung  gegeben ist.
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    Psychotherapieschäden "riskante Therapie",  "iatrogene  Behandlungen"  von H. Petzold

    Das ist ein besonders starkes Kapitel mit vielen interessanten und wichtigen Informationen.

    Nutzen und Schaden systemisch und systematisch erfassen
     
    "„Irren ist ärztlich", so lautet der Titel eines Buches der Psychotherapeutin Erica Brühlmann-Jecklin (1995), in dem sie ihre bedrückende Karriere von Fehlbe- handlungen in der somatischen Medizin und die daraus resultierenden Belastungen beschreibt. Vor dieser Art somatischem Streß oder gar Traumatisierung soll hier nicht die Rede sein, sondern von schädigender Psychotherapie, die zu den pathogenen Risiken des Erwachsenenlebens gerechnet werden muß. Hierher gehören alle negativen Therapieeffekte und dogmatisch-obskurantistische Kategorisierungen von Patienten und Klienten und dadurch, bewirkte Therapieschäden oder negative Therapieergebnisse und Nebenwirkungen, die direkt und indirekt durch, „riskante Therapie", „mißbräuchliche (Psycho)therapie", „iatrogene Behandlung" verursacht sind. Diese Schäden stellen immer noch ein Stiefkind in der Reflexion psychotherapeutischer Praxis und auch in der Psychotherapieforschung dar, da der gesellschaftliche Legitimationsdruck zur Fokussierung auf den Nutzen von Therapie geführt hat. ..." (S. 393) Im Grunde liegen angemessene Instrumente, die Nutzen und Schaden des Gesamtsystems "PatientIn" erfassen und abwägen anwendungsreif noch nicht vor. 

    Ich habe zwar  in meiner Dissertation - Sponsel, 1984 - für den Aspekt Heilung, Besserung, Linderung und Bewältigung im Modell der Heilwirkfaktoren auch die Schäden schon systemisch und systematisch mit angedacht, aber noch keinen anwendungs- reifen diagnostischen Formalismus für ein  Gesamtmaß gebildet und evaluiert.

    Petzold erklärt klar, einfach und stimmig 
    (links), woran es liegt. Geeignete Schätzinstrumente könnten wahrscheinlich die integrative Idee voranbringen.

    Varianzerweiterungsphänomen Bergin (1963, 1971)
     
    "... Neben Falldarstellungen, die dramatische Verschlechterungen dokumentierten, hat 
    sich zuerst Bergin (1963, 1971) intensiv „empirisch" mit negativen Effekten psychotherapeutischer Behandlungen beschäftigt. Er hat 30 Studien der Effizienzforschung herangezogen und anhand der Daten ein Phänomen beschrieben, das als „Varianzerweiterungsphänomen" in die Forschungsgeschichte eingegangen ist. Es besagt, daß sich in den Behandlungsgruppen im Unterschied zu den Kontrollgruppen der Therapiestudien die Streuungswerte der Behandelten stärker vergrößerten, es also bei verbesserten Mittelwerten zu Verschlechterungen bei einzelnen Fällen gekommen ist. Bergin schätzte circa 10 % der Fälle als klinisch verschlechtert ein, wobei verhinderter oder unzureichender Therapiefortschritt durch die Wahl unzureichender Methoden (z.B. bei Angststörungen) nicht mitgerechnet wurde." (S. 393)
    Die Ergebnisse von Bergin sind eine sehr wichtige Mitteilung. Es kann aber sein, dass gerade diese kritische Beobachtung dazu geführt hat, dass man Mittelwerte nicht mehr als valide erachtet, sondern Standardwerte bildet, also auf die Standardabweichung 1 normiert (> Meta-Analyse).
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    Ursachenforschung für Verschlechterungen bei Behandlungen gefordert
     
    "Schwierig bleibt die Frage nach den Ursachen der Verschlechterungen, die einerseits durch offenen oder verdeckten Machtmißbrauch in der Psychotherapie (Becker-Fischer, Fischer 1996) sowie durch Kunst- oder Behandlungsfehler verursacht sein können, welche je nach therapeutischer Orientierung anders definiert werden, aber auch bei einer lege artis durchgeführten Behandlung auftreten können, also Komplikationen und keine Therapieschäden darstellen (Übersicht bei Sponsel 1997). Schäden, die durch Negierung fehlender „Passung" oder dysfunktionale Therapieideologien und -praktiken (z.B. verwei- gernde [>394] „Abstinenz", unangemessene Konfrontation, Klientelisierung, einseitige Frühstörungsorientierung etc.) entstehen, sind bislang noch kaum beachtet worden. ..." 
    (S. 393f)
    Das ist eine ebenso wichtige wie richtige, aber auch sehr schwierige Forderung, weil wir vor einer großen Vielfalt sich wechselseitig beeinflussender Faktoren stehen (> Modell 
    der Heilwirkfaktoren) und auch die systemi- sche Umwelt der PatientIn einbezogen wer- den muss.

    Der übliche Wissenschaftsbetrieb dürfte da- für wenig geeignet sein, schon wegen der meist völlig unkritisch angewandten statistischen Methoden.. 

    Klassifikation der Schäden nach Schulz 1984 und das soziale Umfeld
     
    " ...Man unterscheidet mittelbare Schäden, die zwangsläufig durch eine Therapie  bedingt sind, von unmittelbaren, die auf bestimmte therapeutische Interventionen zurückgeführt werden. Hierzu zählt Schulz (1984):

    1. „Verschlechterung der bestehenden Symptomatik"
    2. „Auftreten neuer, bisher noch nicht vorhandener Symptome"
    3. „Existentielle Krise"
    4. „Sekundärer Krankheitsgewinn"
    5. Abhängigkeit von der Therapie
    6. Überzogene Erwartungen an die Therapie
    7. Enttäuschung über die Therapie
    8. „Negative Therapieeffekte" in „verschiedensten Lebensbereichen"
    9. „Geld auf der Kostenseite" (materieller Schaden)
    10. Therapieabbruch, wobei dieser je nach den Umständen des Falles auch als  gesunde Reaktion eines Klienten gewertet werden kann.

    Außer Punkt 10 können alle Auswirkungen auch im sozialen Umfeld des Klienten auftreten, da immer deutlicher wird, daß eine Therapie nicht nur Auswirkungen auf den behandelten Klienten, sondern auch, auf dessen Netzwerk und Bezugspersonen hat, hier also ebenfalls nicht zu unterschätzende Therapieschäden auftreten können (z.B. Aggressivität, Sexualstörungen, Beziehungszerrüttung, Trennung). Den Fragen nach „mißbräuchlicher", „riskanter" und „iatrogener Therapie" und nach Therapieschäden muß durch empirische Forschung u. a. durch Dunkelfeldstudien in Zukunft unbedingt nachgegangen werden. ..." (S. 394)

    Vielleicht kann und sollte man sich zu Beginn auf eine Auswahl möglicherweise repräsentativer Kenngrößen beschränken:

    1) Symptomreduktion (idealiter keine mehr)
    2) keine Symptomneubildung
    3) Zufriedenheitswert der PatientIn und relevanter Bezugspersonen (z.B. PartnerIn, Angehörige, KollegInnen, Untergebene).

    Hier bieten sich dann drei Erhebungszeiten an:
    Anfangsphase der Therapie, Endphase der Therapie, Nachuntersuchung 1 Jahr nach der Therapie. Ein solches Konzept erscheint ökonomisch und technisch machbar. 
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    AutorInnen
    Prof. Dr. mult. Hilarion G. Petzold, Dipl. Sup. Ilse Orth, MSc., Prof. Dr. phil. Johanna Sieper sind BegründerInnen der Integrativen Therapie und Supervision, bekannt durch zahlreiche Buchveröffentlichungen und therapiemethodische Innovationen. Sie leiten die Europäische Akademie für biopsychosoziale Gesundheit in Hückeswagen am Beversee.



    Bewertung Das Thema dieses Buches ist - obwohl es im Kern schon 15 Jahre alt ist - immer noch brandaktuell und sehr spannend. Und wie es aussieht wird es auch noch das ganze 21. Jahrhundert so bleiben, wenn nicht noch länger. Psychotherapie ist vor allem auch ein Markt, hier geht es um Pfründe, und in der Tat viel mehr um Mythen und Macht als um Freiheit oder tatsächlichen Nutzen. Wer Macht hat, will sie behalten, wer sie nicht hat, will Macht bekommen, behalten und ausbauen. Solche verkrusteten oligarchischen Systeme zu verändern ist sehr schwierig. Eine Hilfe ist natürlich erst einmal die kritische Beschreibung dieser Realität. Und das ist die Aufgabe dieses wertvollen Buches.





    Literatur (Auswahl)
    Das Buch enthält zwei umfangreiche Literaturverzeichnisse.

    Links (Auswahl: beachte)
    Besprechungen, Präsentationen, Kritiken
    Buchbesprechung von Jules Zwimpfer (gfk)
    Ungekürzte Fassung des bvvp-magazin-Interviews mit Hilarion G. Petzold [Q]


    Glossar, Anmerkungen und Endnoten
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Modell der Heilwirkfaktoren

      Sponsel, R. (1984). Lebens- und Selbstzufriedenheit als Psychotherapieerfolgskontrolle. Praktische Systematik psychologischer Behandlungsforschung. Dissertation, Erlangen: IEC-Verlag. Gebundene Sonderausgabe (Ist im CST-SYSTEM enthalten.) DIS S. 46.
      CST-System S. 01-65-04:
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    Änderungen wird gelegentlich überarbeitet, ergänzt und vertieft * Anregungen und Kritik willkommen
    tt.mm.jj



    Querverweise
    Standort Buchpräsentation: Mythen, Macht und Psychotherapie.
    *
    Buch-Präsentationen, Literaturhinweise und Literaturlisten in der IP-GIPT. Überblick und Dokumentation.
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site: www.sgipt.org
    Psychotherapie Macht site: www.sgipt.org. 
    *
    Information für Dienstleistungs-Interessierte.
    *


    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS).  Buchpräsentation: "Mythen, Macht und Psychotherapie - Therapie als Praxis kritischer Kulturarbeit". Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/lit/sonstige/mmupth.htm
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     Ende  Mythen, Macht und Psychotherapie__Überblick  _Rel. Aktuelles _Rel. Beständiges _Titelblatt _Konzept _Archiv _Region  _Service-iec-verlag _ Wichtige Hinweise zu Links und  Empfehlungen

    korrigiert: irs 20.09.2014