Grundsätze der Vernehmungspsychologie
bei kindlichen ZeugInnen
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Ziel jeder Vernehmung ist es, Wahrnehmungen und Erlebnisse der ZeugIn so original und unverfälscht wie nur möglich zu erfassen. Das ist ein schwieriges Geschäft, das gelernt sein will, und mit jeder Frage können gleich mehrere Fehler gemacht werden, so daß falsche Erstbefragungen die Aussage- und Ergebnisqualität ein für alle mal nachhaltig bis vollständig zerstören können. Das wußte der Begründer der deutschen Aussagepsychologie, William Stern, schon lange und formulierte es 1926 ganz klar und unmißverständlich.
Die häufigsten und schwersten Fehler bei der Vernehmung kindlicher ZeugInnen finden Sie hier.
Kindliche ZeugInnen sind in mancherlei Hinsicht besser
als Erwachsene: sie sind näher an der Wahrnehmung, schließen
und unterstellen nicht so viel wie diese. Günstige Grundvoraussetzungen
für die Vernehmung (Exploration) einer kindlichen ZeugIn sind:
(1) a) Geduld, b) Vertrauen (wenn eine eine Reise tut - was erlebt hat - , dann kann sie was erzählen), c) kritische Vorsicht, d) Behutsamkeit, e) gute Vorbereitung (Vernehmungsplan), f) eine gut durchdachte Einführung und Hilfestellung für die ZeugIn in ihre Aufgabe ("Zeugenbelehrung"; evtl. auf Aussage- Verweigerungsrecht hinweisen) und g) aussagepsychologische bzw. vernehmungstechnische Kompetenz - die man gewöhnlich durch zunehmend bessere Anwendung in der Erfahrung erwirbt. |
In der Zeugenvernehmung sind strengere Grundsätze
und Regeln zu beachten als bei Beschuldigten-Vernehmungen. Grundsätzlich
gelten die Orientierungsregeln:
(2) Sachverhalte, die erst zu ermitteln sind, dürfen mit der Frage nicht vorgegeben werden. Man bezeichnet Fragen, die den zu ermittelden Sachverhalt nicht vorgeben als "offene Fragen". |
Beispiel: Soll geprüft werden, ob der Beschuldigte
seinen Finger in die Scheide eingeführt hat, darf nicht gefragt
werden: Hat er seinen Finger in Deine Scheide getan? Eine solche Frage
wäre ein aussagepsychologischer und vernehmungstechnischer Dreifachfehler,
weil:
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Man muß also in der Befragung so lange warten, bis entweder das Thema "Finger", "Scheide" oder allgemeiner "Hände" oder "machen" angeboten wird.
Der extremste und nicht wiedergutzumachende Fehler ist,
wenn gleich bei der ersten Frage in der Vernehmung vorgegeben wird, was
erst ermittelt werden soll, wenn z.B. am Anfang gefragt wird: Wann hat
denn das angefangen, daß der Onkel Dich mißbraucht hat?
Das kommt leider gar nicht so selten vor wie man denkt.
(3) Sachverhalte dürfen nicht suggestiv erfragt werden. |
Querverweis: Suggestivfrage-Formen.
(3a) Die einfachste und häufigste fehlerhafte Suggestivfrageform ist das Stellen von Fragen, die mit Ja oder Nein beantwortet werden können. |
Es ist niemals notwendig, Ja-Nein-Fragen
zu stellen. Jede Frage nach einem speziellen Sachverhalt kann immer "verodert"
werden.
(4) Bei mehreren Möglichkeiten ist der gesamte Möglichkeitsraum (Alternativen, Spektrum) vorzugeben. |
(5) Grundsätzlich sollte die Leitlinie sein, aussagepsychologisch und vernehmungstechnisch richtig zu fragen, auch wenn es kein gutes deutsch ist. Das wichtigste sprachliche Hilfsmittel ist hierbei das Odern mit vollständiger Alternative. |
kontrolliert: irs tt.mm.jj