Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    IP-GIPT DAS=15.09.2003 Internet-Erstausgabe, letzte Änderungen 15.09.03
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20     D-91052 Erlangen * Mail: sekretariat@sgipt.org_

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    Willkommen in unserer forensisch-psychologischen Abteilung, hier zum Thema:

    Grundsätze der Vernehmungspsychologie
    bei kindlichen ZeugInnen

    von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Ziel jeder Vernehmung ist es, Wahrnehmungen und Erlebnisse der ZeugIn so original und unverfälscht wie nur möglich zu erfassen. Das ist ein schwieriges Geschäft, das gelernt sein will, und mit jeder Frage können gleich mehrere Fehler gemacht werden, so daß falsche Erstbefragungen die Aussage- und Ergebnisqualität ein für alle mal nachhaltig bis vollständig zerstören können. Das wußte der Begründer der deutschen Aussagepsychologie, William Stern, schon lange und formulierte es 1926 ganz klar und unmißverständlich.

    Die häufigsten und schwersten Fehler bei der Vernehmung kindlicher ZeugInnen finden Sie hier.

    Kindliche ZeugInnen sind in mancherlei Hinsicht besser als Erwachsene: sie sind näher an der Wahrnehmung, schließen und unterstellen nicht so viel wie diese. Günstige Grundvoraussetzungen für die Vernehmung (Exploration) einer kindlichen ZeugIn sind:
     
    (1) a) Geduld, b) Vertrauen (wenn eine eine Reise tut - was erlebt hat - , dann kann sie was erzählen), c) kritische Vorsicht, d) Behutsamkeit, e) gute Vorbereitung (Vernehmungsplan), f) eine gut durchdachte Einführung und Hilfestellung für die ZeugIn in ihre Aufgabe ("Zeugenbelehrung"; evtl. auf Aussage- Verweigerungsrecht hinweisen) und g) aussagepsychologische bzw. vernehmungstechnische Kompetenz - die man gewöhnlich durch zunehmend bessere Anwendung in der Erfahrung erwirbt.

    In der Zeugenvernehmung sind strengere Grundsätze und Regeln zu beachten als bei Beschuldigten-Vernehmungen. Grundsätzlich gelten die Orientierungsregeln:
     
    (2) Sachverhalte, die erst zu ermitteln sind, dürfen mit der Frage nicht vorgegeben werden. Man bezeichnet Fragen, die den zu ermittelden Sachverhalt nicht vorgeben als "offene Fragen". 

    Beispiel: Soll geprüft werden, ob der Beschuldigte seinen Finger in die Scheide eingeführt hat, darf nicht gefragt werden: Hat er seinen Finger in Deine Scheide getan? Eine solche Frage wäre ein aussagepsychologischer und vernehmungstechnischer Dreifachfehler, weil:
     
    1. Der Finger vom Vernehmenden als Thema aufgebracht wird
    2. Der Finger in die Scheide als Thema vom Vernehmenden aufgebracht wird
    3. Die Frage zusätzlich noch suggestiv ist, weil sie mit Ja oder Nein beantwortet werden kann

    Man muß also in der Befragung so lange warten, bis entweder das Thema "Finger", "Scheide" oder allgemeiner "Hände" oder "machen" angeboten wird.

    Der extremste und nicht wiedergutzumachende Fehler ist, wenn gleich bei der ersten Frage in der Vernehmung vorgegeben wird, was erst ermittelt werden soll, wenn z.B. am Anfang gefragt wird: Wann hat denn das angefangen, daß der Onkel Dich mißbraucht hat? Das kommt leider gar nicht so selten vor wie man denkt.
     
     
    (3) Sachverhalte dürfen nicht suggestiv erfragt werden.

    Querverweis: Suggestivfrage-Formen.
     
    (3a) Die einfachste und häufigste fehlerhafte Suggestivfrageform ist das Stellen von Fragen, die mit Ja oder Nein beantwortet werden können.

    • Doppelt Falsch: War der Hut blau? 1. Fehler: Es wird nur blau vorgegeben und damit geschlossen gefragt. 2. Fehler: es wird suggestiv Ja-Nein-gefragt.
    • Auch noch falsch: War der Hut blau oder gelb?
    • Richtig: Konntest Du die Farbe des Hutes erkennen oder war das nicht so einfach?


    Es ist niemals notwendig, Ja-Nein-Fragen zu stellen. Jede Frage nach einem speziellen Sachverhalt kann immer "verodert" werden.
     

    • Doppelt falsch: Ist aus dem Penis etwas herausgekommen? Hier wird aus dem Penis etwas herauskommen auch noch Ja-Nein-suggestiv vorgegeben.
    • Besser aber immer noch falsch: Ist aus dem Penis etwas herausgekommen oder ist da  nichts herausgekommen? Penis etwas herausgekommen wird hier als Thema vom Vernehmenden eingeführt und nicht von der Zeugin. Das ist bereits eine Voraussetzungssuggestion, die hier aber wenigstens nicht mehr durch die suggestive Geschlossenheit der Ja-Nein-Frage verstärkt wird.
    • Richtig: Hast Du beim Penis was bemerkt oder hast Du da nichts weiter bemerkt? Hier wird bemerken nicht einseitig vorgegeben sondern gleichwertig mit nicht bemerken.

     
    (4) Bei mehreren Möglichkeiten ist der gesamte Möglichkeitsraum (Alternativen, Spektrum) vorzugeben.
    • [Extrem falsch: War der Mann alt?]
    • Grundfalsch: War es ein älterer oder jüngerer Mann?
    • Besser, aber auch noch falsch: Wie alt könnte die Person gewesen sein? Hier wird zwar offen gefragt, aber bloß die Möglichkeit vorgegeben, daß um das Alter gewußt wird. Die Möglichkeit, daß dies nicht gewußt wird, wird in der Frage unterschlagen und damit Druck für eine Altersangabe erzeugt.
    • Richtig: Wie alt könnte die Person gewesen sein oder können Sie über das Alter nichts sagen?

     
    (5) Grundsätzlich sollte die Leitlinie sein, aussagepsychologisch und vernehmungstechnisch richtig zu fragen, auch wenn es kein gutes deutsch ist. Das wichtigste sprachliche Hilfsmittel ist hierbei das Odern mit vollständiger Alternative.



    Änderungen:
    15.09.03  10.15 Uhr Unter Punkt 1 Aufnahme von f), früheres f) wurde zu g). Formulierungsüberarbeitung.


    Wird im Laufe der Zeit ergänzt, vertieft und überarbeitet

    • Überblick: Forensische Diagnostik, Psychologie, Psychopathologie und Psychotherapie in der GIPT
    • Aussagepsychologie
    • Suggestion und Suggestivfragen. Aussagepsychologische und vernehmungstechnische Kunstfehler
    • Kinder  und ZeugInnen richtig befragen bei sexuellem Mißbrauch / Vergewaltigung.
    • Der Schutz kindlicher Opferzeugen im Strafverfahren und die Verwendung von Videotechnologie.
    • Andere forensische Methoden der Beweis- und Indizienquellen, z. B. für die besonderen Probleme bei kleinen Kindern.



    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Grundsätze der Vernehmungspsychologie bei kindlichen ZeugInnen. Erlangen IP-GIPT: https://www.sgipt.org/forpsy/vernehm0.htm
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