Mehrebenen Therapie Modell von Revenstorf.
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Das Mehrebenen Therapie Modell von
Revenstorf
(1999) ist geeignet, zahlreiche Ungereimtheiten, Widersprüche
und Unklarheiten hinsichtlich der Wirksamkeit der so gänzlich unterschiedlichen
Therapiesysteme ("Therapieschulen") zu erklären (Makroebene).
Es ist wahrscheinlich das bisher einfachste, plausibelste und wirkungsvollste
Erklärungsmodell. Zugleich ist dieses Modell ebenfalls geeignet, den
hohen Prozentsatz (ca. 70 %) an faktisch "eklektisch/
integrativ" arbeitenden PsychotherapeutInnen zu erklären, weil
dieses Modell die Viefalt und damit die Kombinatorik der unterschiedlichsten
Ansätze der verschiedenen Ebenen einschließt und die PraktikerInnen
natürlich um diese Möglichkeiten wissen und sie auch - zunehmend
mehr und öfter - lernen und anwenden, nicht selten gegen die Dogmatik
ihrer Therapieschulherkunft oder -zugehörigkeit. Die moderne PsychotherapeutIn
ist meist eine vielfältig aus-, fort- oder weitergebildete. Die sog.
Richtlinientherapie ist den therapeutischen und wissenschaftlichen Fakten
gegenüber daher ein nicht zu verantwortender Anachronismus und im
Grunde sogar ein potentieller
Kunstfehler
oder eine Mogelpackung.
Belege: Original-Zitate (Quellen, Graphik) aus Revenstorf (1999)
"1. Was bedeutet heute Psychotherapie?
Es ist gut belegt, daß Psychotherapie Klienten im
Sinne einer Verbesserung der Befindlichkeit hilft (Abb.1), und zwar ist
die Wirkung deutlich größer als in anderen Bereichen psychologischer
Intervention - etwa bei manchen einfachen Lernprogrammen im schulischen
Bereich (Smith, Glass und Miller, 1981). Psychotherapie ist wirksam. Verunsichernd
ist dabei, daß es mittlerweile viele Untersuchungen gibt, die belegen,
daß es sehr unterschiedliche Therapieformen sind, die sich als wirksam
erweisen. Das macht einen an den klassischen Therapieschulen orientierten
Betrachter" ... {Graphik zur Metaanalyse von Grawe et al.} ... "ratlos.
Es scheint keinen roten Faden zu geben, der die wirksamen Methoden miteinander
verbindet: Die kognitiven Therapien schneiden besonders gut ab (Grawe,
Donati und Bernauer, 1994). Hypnose ist eine wirksame Therapie (Revenstorf,
1995, 1996), und auch die Gesprächstherapie hat ihre Wirksamkeit hinreichend
belegt, wohingegen die Psychoanalyse bislang nur bei kurzer Therapiedauer
ihre Wirksamkeit gezeigt hat. Die verschiedenen Formen der Verhaltenstherapie
sind von nachweisbarer Wirksamkeit, ebenso die Familien- und Paartherapie,
auch dann, wenn sie nicht verhaltensorientiert sind (Revenstorf und Freudenfeld,
1998). Ein allen Therapieformen gemeinsamer theoretischer Nenner ist nicht
auszumachen.
Ein anderer Grund zur Beunruhigung
besteht darin, daß es zwar einen spezifischen Anteil am Therapieerfolg
gibt, wie Untersuchungen mit Kontroll- und Placebogruppen zeigen, jedoch
auch beträchtliche unspezifische Effekte, neben einem deutlichen,
wenn auch geringeren Prozentsatz an spontanen Heilungen.
Es ist daher verständlich, daß
70 % aller Therapeuten Eklektizisten sind und sich auch als solche bezeichnen
(Watkins et al.,1986). Es gibt viele Gründe dafür: nicht nur,
daß zahlreiche Therapieformen sich in ihrer Wirksamkeit kaum unterscheiden
und ein Teil der Wirkung unspezifisch ist. Es gibt auch Dutzende von z.T.
widersprüchlichen Theorien, die je nach Bedarf herangezogen werden
können, um therapeutisches Handeln zu begründen: Lerntheorien,
Systemtheorien, Kognitionstheorien und viele mehr. Willkür erscheint
unausweichlich, und auch die herkömmlichen diagnostischen Kategorien
geben so gut wie keine Anhaltspunkte darüber, welche therapeutische
Methode bei einer bestimmten Störung angebracht ist. Es stellt sich
die Frage: Welcher Ausweg führt aus dieser Situation, die theoretisch
wie praktisch unbefriedigend ist? Es gibt zahlreiche Alternativen (vgl.
Norcross und Goldfried, 1992).
Wünschenswert wäre eine
Metatheorie
der Veränderung, die nicht mehr an einzelnen therapeutischen Effekten
festgemacht wird. Statt dessen müßte ein übergeordnetes
Schema gefunden werden, in dem sich Therapieerfolge darstellen lassen.
Dafür gibt es eine Reihe von Gesichtspunkten, die sich in den letzten
zwanzig Jahren entwickelt haben.
2. Was bedeutet Veränderung?
Mehrebenen-Betrachtung
Erfahrung und Verhalten manifestieren sich auf sehr vielen
Ebenen. Biologen haben schon früher derartige Schicht-Modelle z.B.
für einen scheinbar so eindeutig körperlichen Prozeß wie
den Herzinfarkt entwickelt (vgl. Engel, 1980). Psychologen gewöhnen
sich erst allmählich daran, daß verschiedene Therapieformen
dasselbe Problem nur auf verschiedenen Ebenen aufgreifen. Einige dieser
Ebenen sind somatisch, andere betreffen die bewußte und die unbewußte
Informationsverarbeitung, weitere das sichtbare Verhalten und die zwischenmenschlichen
Kontakte. Manche Ebenen im sozialen Raum, um das Individuum herum, befinden
sich außerhalb dessen, was man traditionell als Person betrachtet.
Sie sind jedoch subjektiv als Umfeld des Individuums ein Teil seiner Persönlichkeit.
So etwa die Ursprungsfamilie, die Paarbeziehung und bestimmte Gruppenbezüge.
Diese Betrachtung läßt
sich auf die Kultur ausdehnen, die Verhaltensnormen festlegt und bestimmte
Symptome begünstigt, wie etwa die Agoraphobie (Platzangst) einer Hausfrau
oder Anorexie (Magersucht) eines Jugendlichen. Es kann sogar das Universum
einbezogen werden, in das sich der einzelne sinnsuchend einordnen möchte.
Es scheint mir wichtig, diese Mehrschichtigkeit des Erlebens und Verhaltens
zu akzeptieren; denn dann wird klar, daß einzelne Therapieformen
sich nicht widersprechen, sondern auf verschiedenen Ebenen ihren
Dienst tun und sich der Schulenstreit erübrigt (vgl. Revenstorf, 1992,
1996a). Die wichtigsten dieser Ebenen sind:
1. Körper (humorale, zelluläre, Organsysteme,
Bewegungsapparat)
2. Affekt (Motivation, Emotion)
3. Unbewußtes (subliminale Wahrnehmung, Traum,
Trance)
4. Vorbewußtes (Werte, irrationale Ideen)
5. Bewußtes (Vorstellung, Denken, Wollen)
6. Handlung (Sprache, Tätigkeit)
7. Interaktion (Partnerwahl, Familie, Gruppenbezüge)
8. Kontext (Gemeinde, Gesellschaft, Kultur, Universum)."
1) GIPT= General and Integrative
Psychotherapy,
internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
2) Revenstorf,
Dirk (1999). Wenn das Glück zum Unglück wird. Psychologie der
Paarbeziehung. München: C.H. Beck. Zitate
aus den Seiten 14-18.
Ein sehr zu empfehlendes, wohlfeiles Büchlein: kompakt, fundiert,
informativ. Es hat nur einen kleinen Mangel: die Metaanalyse
als Methode und die Ergebnisse von Grawe werden
unkritisch dargestellt und übernommen.
3) Eklektisch ist hier sehr
weit zu verstehen: pragmatischer (Garfield,
Norcross, Thorne), technischer Eklektizismus (A.A. Lazarus),
differentielle (70iger und 80iger Jahre: Bastine, Fiedler, Grawe, Revenstorf),
integrative Therapie (Fiedler, Petzold, Sponsel), schulen- und methodenübergreifende
Psychotherapie (BDP, DPTV, VPP), allgemeine Psychotherapie (Grawe) und
störungsspezifische Integration (z. B. Butollo).
4) Ein
Erklärungsmodell der Mikroebene findet man im Heilmittelmodell von
Sponsel (1995), Kapitel 3.4.6: Formale Struktur der Heilmittel: Atome,
Moleküle, Komplexe Moleküle, Programme, Meta-Heilmittel, notwendige,
hinreichende, äquivalente oder kriterienvalide Heilmittel (S. 217).