„Zusammenfassung
1. Die auf Grund der Gutachten vom
8. 6. 1886 nebst Zusatzgutachten vom 15./ 17. 6. 1886 - in letzterem Falle
nach einer persönlichen Beobachtung des Königs - gestellte Diagnose,
der König leide an einer Geisteskrankheit im Sinne einer Paranoia
(Verrücktheit) wird aus heutiger psychiatrischer Sicht bestätigt;
das Leiden wird heute allerdings als Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis
bezeichnet.
Die seinerzeit erhobenen und den
Gutachten zugrundeliegenden Befund- und Anknüpfungstatsachen sind
nicht anzuzweifeln und wurden durch nachträglich bekanntgewordene
Fakten bestätigt.
Die verfassungsmäßigen
Voraussetzungen für den Eintritt der Regentschaft (Verhinderung des
Königs an der Ausübung der Regierung auf längere Zeit im
Sinne des Titels II § 11 der Verfassungsurkunde) waren gegeben.
2. Den Zeitpunkt der Einsetzung einer Regentschaft bestimmte der König indi- [>275] rekt weitgehend selbst. Die katastrophalen Verhältnisse der Königlichen Kabinettskasse, der durch Presseveröffentlichungen im In- und Auslande eingetretene Rufschaden, die Uneinsichtigkeit des Königs sowie insbesondere die zum Teil kriminellen Geldbeschaffungsaktionen, die bevorstehenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, das eigentümliche Verhalten des Königs, die Vernachlässigung der Regierungsgeschäfte und nicht zuletzt die akute Suizid-Gefahr des Königs zwangen den Prinzregenten und die Regierung zum Handeln.
3. Prinzregent und Staatsregierung ließen sich bei ihren Entscheidungen nur von den oben angeführten sachlichen Überlegungen leiten. Es sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, daß der König Opfer politischer Intrigen war oder aber auf Betreiben anderer Mächte, insbesondere Preußens, ermordet wurde.
4. Die beabsichtigte Inverwahrnahme des Königs am 9. 6. 1886 war unzureichend organisiert, führte zur Inhaftierung der Kommission, zu starken Irritationen in der Bevölkerung und bei der nicht von der Regentschaftsübernahme verständigten Gendarmerie sowie zu Kritik seitens der Bevölkerung, des Landtages und in der Presseberichterstattung.
5. In den Stunden bis zur Inverwahrnahme am 12. 6. 1886 wiederholte der König bereits früher geäußerte Suizidabsichten und erteilte Aufträge zur Giftbeschaffung. Die Beiziehung des Bezirksarztes von Füssen wurde deshalb vorsorglich angeordnet; Obermedizinalrat Dr. von Gudden beschloß nach Bekanntwerden weiterer ernsthafter Selbstmordabsichten des Königs, den Zeitpunkt der Inverwahrnahme vorzuverlegen.
6. Die Fahrt nach Schloß Berg, dem erst in der Nacht vom 10. zum 11. 6. 1886 bestimmten Verwahrort, und der Aufenthalt im Schloß verliefen bis zum Ereignis am 13. 6. 1886 ohne besondere Vorkommnisse und Auffälligkeiten. Weder hatte der König um Fluchthilfe gebeten noch wurde eine Flucht von anderer Seite ins Werk gesetzt.
7. Außer dem Schloßpersonal, der Gendarmeriewachmannschaft von ca. 5 Beamten, den etwa 4 bis 5 Pflegern, 2 Ärzten und den Betreuern des Königs, sämtlich namentlich bekannt, hielten sich zur Unglückszeit keine anderen Personen im Schloß oder Schloßbereich auf, in Sonderheit kein Militär und keine mit dem Ziel der Ermordung des Königs eingeschleusten (preußischen) Agenten.
8. Der Spaziergang wurde am 13. 6. 1886 in der Zeit von ca. 18.30 Uhr bis 18.40 Uhr angetreten, die Begleitung durch Pfleger von Dr. Gudden ausdrücklich untersagt. Die Unglücksstelle konnte in weniger als 10 Minuten erreicht werden. Der Todeszeitpunkt liegt in etwa bei 19.00 Uhr.
9. Der Tod beider im See ist nicht von dritter Seite verursacht worden; insbesondere ist mit Sicherheit Tod durch Schußverletzungen auszuschließen.
Todesursache ist mit hoher bzw. im
Falle Dr. v. Guddens mit einer fast an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit
Ersticken; beim König durch Ertrinken verursacht, bei Dr. Gudden entweder
unmittelbar durch Würgen bzw. Drosseln oder aber durch Ertrinken nach
vorheriger durch Schlageinwirkung herbeigeführter Bewußtlosigkeit
bzw. durch gewaltsames Untertauchen im Wasser. [>276]
Natürlicher Tod durch Herzversagen
oder Tod infolge Schocks bzw. Reflextod (Badetod) sind angesichts der dürftigen
Befunderhebungen zwar nicht gänzlich auszuschließen, aber nach
dem Gesamtgeschehensablauf äußerst unwahrscheinlich.
Fluchtabsichten des Königs sind mit Sicherheit auszuschließen.
Der König begab sich am 13. 6. 1886 schnellen Schrittes in Suizidabsicht ca. 800 Meter südlich des Schlosses, etwa in Höhe des heutigen Gedenkkreuzes, in den See, nachdem er sich zuvor seines Schirmes (im Böschungsbereich) und des Leib- und Überrockes (am Wasser) entledigt hatte, wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Versuch Dr. Guddens, den König von seinem Vorhaben abzuhalten.
Im See kam es offensichtlich zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem König und Dr. Gudden, in deren Verlauf Dr. Gudden von einem wuchtigen Faustschlag des ihm physisch weit überlegenen Königs an der Stirn getroffen wurde, gewürgt sowie möglicherweise gedrosselt und unter Wasser getaucht wurde.
Dr. Gudden erstickte entweder bereits infolge dieser Gewalteinwirkung oder aber durch Ertrinken, soweit die vorerwähnte Behandlung nur zur Bewußtlosigkeit geführt haben sollte.
Der König setzte sodann seinen Todesgang in den See fort und ertrank unweit der Stelle, an der Dr. Gudden den Tod gefunden hatte.
10. Angesichts der beim König vorhandenen, stark ausgeprägten Suizidneigung und unter Einbeziehung des Gesamtgeschehens, insbesondere unter Berücksichtigung der für ihn nach der Überführung nach Berg eingetretenen aussichtslosen Lage und zutiefst kränkenden und demütigenden Situation, für die ihm jede Einsicht und jedes Verständnis fehlte, ist mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß der König die schon oftmals ins Auge gefaßte Suizididee am 13. 6. 1886 verwirklicht hat.
11. Bei dem sehr hohen Grad krankhafter destruktiver Aggressivität erscheint die Annahme nicht nur nicht abwegig (so der Sachverständige), sondern nach den Gesamtumständen äußerst wahrscheinlich, daß der zu aggressiven Handlungen gegen sich und andere neigende König fähig war, Dr. Gudden zu töten und dies in der für ihn besonderen, aussichtslosen Situation, der er nur durch Suizid entrinnen zu können glaubte, auch durchführte.
12. Der König war zur Tatzeit an einer als Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zu bezeichnenden Geisteskrankheit erkrankt und daher nicht in der Lage, das Unerlaubte der Tat einzusehen (§ 51 StGB a. F. - eine Bestimmung, die bereits seinerzeit in Kraft war-, § 20 StGB n. F.).
Die Erkrankung war geprägt von Störungen des formalen und inhaltlichen Denkens, solchen des Affektes und der Kommunikation; Identitäts- und Beziehungsstörungen, Störungen des Selbstwertgefühls mit extremen Schwankungen im Sinne von Größenideen, wie auch des Erniedrigt- und Wertlosseins lagen vor.
13. Die Aktenlage ist nicht konstruiert. Es sind keinerlei Anhaltspunkte für eine Aktenunterdrückung oder -manipulation ersichtlich.
König Ludwig II. war geisteskrank im Sinne eines als Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis zu bezeichnenden Leidens und damit nicht regierungsfähig.
Die den Historiker interessierende Frage, ob Bayern in Zeiten schwierigster politischer Entscheidungen immer einen handlungsfähigen Herrscher hatte, insbesondere ab wann bzw. zu welchen Zeiten die Handlungs- und Regierungsfähigkeit nicht mehr, nur noch partiell oder voll vorhanden war, und vor allem, welche Entscheidungen aus Gründen der Krankheit nicht vollverantwortlich getroffen werden konnten, wird sich aus Gründen, die im Wesen dieser Krankheit liegen, nie vollends beantworten lassen. Der König wurde nicht urplötzlich und total von der Krankheit ergriffen. Sie entwickelte sich vielmehr, - wohl bereits von Kindheit an, in einem Prozeß von Schüben mit mehr oder weniger langen, und in den letzten Lebensjahren seltenen Abschnitten voller geistiger Klarheit, den sog. lichten Momenten (lucida intervalla). Dies erklärt auch die unterschiedlichen Urteile über die geistige Konstitution des Königs.
Albrecht [FN01] empfiehlt, den »Spielraum seines freien, von ihm zu verantwortenden Handelns eher zu eng als zu weit (zu) beschreiben«.
Der König schied aus dem Leben, weil er bewußt oder unbewußt dem von ihm erahnten dunklen Schicksal, der willenlosen Auslieferung an Ärzte und Krankenwärter, der sinnlosen Flucht und dem Verfall seiner Königs- und Menschenwürde zu entrinnen suchte, und durch den Selbstmord »in dem letzten Akt des Mutes, in der stolzen Abwehr unüberwindlicher innerer und äußerer feindlicher Mächte« [FN2], wie Böhm formuliert, eine Wiedererlangung seiner Würde und »einen besseren und edleren Abschluß seines Lebensbildes« [FN3] erstrebte. Ob man hierin, wie Böhm meint, eine gewisse Rehabilitation Ludwig II. sehen kann, ist eine Frage des Standpunktes.
Der Legendenbildung von Flucht oder Ermordung hätte es jedenfalls zur Schonung des königlichen Ansehens vor dem Vorwurf religiösen, moralischen und gesellschaftlichen Fehlverhaltens nicht bedurft, kann doch ein durch Krankheit seiner geistigen Verantwortlichkeit, seiner Steuerungs- und Handlungsfähigkeit Beraubter weder vor einem weltlichen noch vor einem göttlichen Gericht zur Verantwortung gezogen werden.
Man kann mit einem Zeitgenossen, dem damaligen Gesandten Bayerns in Berlin, Graf Lerchenfeld-Köfering, mit Blick auf die persönlichen und amtlichen Irrungen, versöhnlich werten und formulieren: [FN5] »Dem Königsdrama, das am 13. Juni [>277] in Berg seinen Abschluß gefunden hat, fehlt die tragische Schuld. Ihre Stelle nimmt im Leben des unglücklichen Königs die Krankheit ein, die als Verhängnis in ihrer ganzen Unerbittlichkeit auf ihn gelastet hat.
Sie ist es aber auch, die ein freisprechendes Verdikt über seine Irrungen fällt.«
Die Tragik im Werdegang dieses so kunstsinnigen und den Inbegriff wahren Königtums verkörpernden Königs wirkt auch heute wie damals noch mächtig auf die Menschen unseres so prosaischen Zeitalters.
König Ludwig II. wird in der Vorstellung dieser und kommender Generationen idealisiert weiterleben. Seine Bauten werden weiterhin jährlich von Tausenden von Menschen aus aller Welt aufgesucht und bewundert werden; Bayreuth, die Schöpfungen Wagners werden, nicht ohne seiner zu gedenken, erlebt und gefeiert werden können; und die Gründung des Deutschen Reiches wird immer untrennbar mit seinem Beitrag, durch den sog. Kaiserbrief die Reichsidee gefördert zu haben, verbunden bleiben, wie immer auch die Geschichtsschreibung letztendlich die Umstände des Zustandekommens würdigen mag.
Man wird hierbei Gerechtigkeit zu üben haben, und - wie bei allen krankheitsbedingten Auswüchsen im Leben des Königs - die in der teuflischen Krankheit liegenden Ursachen bei einer Bewertung berücksichtigen müssen.
Wenn der Verfasser mit dieser Dokumentation und Untersuchung hierzu und zur Eindämmung des unseriösen König- Ludwig- Mythos und -Kultes sowie der Legendenbildung im Interesse des Ansehens und der Würde des Königs beitragen könnte, hätte er seine traurige Chronistenpflicht gerne erfüllt.
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