Hamlet
Beispiel der Deutung eines Dramas.
von Toman, Walter (1978).
Tiefenpsychologie. Stuttgart: Kohlhammer. S. 215-218
mit freundlicher Genehmigung der elektronischen
Rechteinhaberinnen.
Anmerkung: Das
Toman'sche Motivationsbeurteilungsprinzip.
"12. Beispiel der Deutung eines Dramas
Was für umfassende diagnostische Bewertungen oder Deutungen von
psychotherapeutischen Behandlungen gilt, soll auch hier beachtet werden.
In der kasuistischen Berichterstattung ist es eigentlich unerläßlich,
den Bericht der psychotherapeutischen Auseinandersetzung zwischen den Patienten
oder der Patientengruppe und dem Psychotherapeuten von den nachträglichen
abschließenden oder zusammenfassenden Interpretationen des psychotherapeutischen
Geschehens zu trennen. Der Zuhörer oder Leser soll einerseits die
Daten bekommen, auf die sich die zusammenfassende Interpretation bezieht,
andererseits eben diese Interpretation, und er soll sodann selbst prüfen
können, ob er die Daten genau so sieht und interpretieren würde
wie der Berichterstatter, oder anders.
So wollen wir es auch mit einem dichterischen Werk versuchen. In einem
solchen, insbesondere wenn es das Interesse des Publikums über Jahrzehnte
und Jahrhunderte hinweg gefesselt hat, müßte es dem Dichter
gelungen sein, Personen, Handlungen und Schicksale so miteinander zu verweben,
zu »verdichten«, daß an seiner Botschaft, an der Mitteilung,
die er machen möchte, eigentlich keine Zweifel mehr bestehen können.
Das dichterische Werk ist eines der berühmtesten Stücke der Weltliteratur,
nämlich Hamlet.
An diesem Stück wurden bereits psychoanalytische Deutungen versucht.
Es wurde darauf hingewiesen, daß Hamlet seine Mutter liebt und daß
er sich mit seinem Oheim und Stiefvater darüber im Konflikt befindet.
In den Gesprächen mit Ophelia und mit der eigenen Mutter enthüllt
Hamlet durch seine Äußerungen und Gleichnisse, um wen es ihm
in Wahrheit geht (siehe z. B. Freud 1900,
bes. S. 271-273, auch 1927b).
Wenn man Freud glaubt, daß jedes Kind seinen Ödipus-Komplex
zu bewältigen hat und dies je nach den Lebensumständen der Familie
besser oder weniger gut tut, dann ist diese Deutung Hamlets nicht überraschend.
Auch Hamlet war einmal ein Kind, hatte seinen Ödipus-Komplex und bewältigte
ihn mehr oder weniger gut. Durch den Tod seines Vaters und den Eintritt
seines Oheims als Stiefvater ist alles noch einmal in Frage gestellt.
Damit wäre aber zu wenig erklärt. Eine zusammenfassende Interpretation
müßte im Grunde alles, was sich ereignet, erklären können.
Was gesprochen wird, ist vielleicht nicht nur im Alltag, sondern auch im
Drama weniger bedeutsam als das, was gehandelt wird, was realiter geschieht.
Eine zusammenfassende Interpretation müßte auf alles Bezug nehmen,
und zwar möglichst konsistent.
Die Handlung ist im Drama Hamlet etwa folgendermaßen zu charakterisieren:
Prinz Hamlet ist von der Universität Wittenberg an den dänischen
Königshof zurückgekehrt, da sein Vater verstorben war. Die Mutter
hat seither den (jüngeren) Bruder des Vaters, also Hamlet's Onkel
Claudius, geheiratet. Claudius ist damit König geworden. Hamlet erscheint
der Geist des Vaters und teilt ihm mit, daß er ermordet worden sei.
Hamlets Onkel sei der Mörder. Man habe ihm, Hamlets Vater, als er
auf einer Bank im Garten schlief, ein tödliches Gift ins Ohr geträufelt.
Hamlet unterhält sich mit Ophelia, der Tochter des Polonius und
der Schwester des Laertes. Claudius, der König, und Polonius hören
zu und glauben, daß Hamlet Ophelia liebt. Rosencrantz und Guildenstern
werden beauftragt herauszufinden, ob dies wahr sei. [<215]
Schauspieler kommen an den Königshof und Hamlet instruiert sie,
den Mord seines Vaters, so wie ihm der Geist es mitgeteilt hat, zu spielen.
Sein Freund Horatio soll seine Mutter und seinen Stiefvater während
der Vorstellung genau beobachten. Alles geschieht wie vereinbart. Claudius,
der König, verläßt mit sichtlicher Bestürzung und
vorzeitig die Vorstellung der Schauspieler.
In einem Gespräch mit der Mutter versucht Hamlet, sie zur Trennung
von seinem Onkel zu überreden. Sie geht darauf nicht ein. Ein Geräusch
hinter einem Vorhang erweckt in Hamlet den Verdacht, daß er belauscht
wird, vielleicht vom König. Er zieht sein Schwert und sticht durch
den Vorhang hindurch. Dahinter bricht Polonius sterbend zusammen. Vorher
hatte Hamlet einmal seinen Onkel allein und betend angetroffen, ihn aber
deswegen nicht getötet, weil Claudius offenbar im Zustand der Reue
war und vielleicht mit vergebenen Sünden gestorben wäre. Hamlets
Vater dagegen war laut Mitteilung des väterlichen Geistes sündig
gestorben und litt offenbar im Fegefeuer große Qualen.
Claudius sendet Hamlet an den englischen Hof mit einer Botschaft, und
Rosencrantz und Guildenstern begleiten ihn. In der Botschaft steht, daß
Hamlet getötet werden möge. Hamlet hat den Beweis, daß
ihn der König töten will. Hamlet verändert die Botschaft.
Seine Begleiter sollen getötet werden. Er selbst flieht vom Schiff
und kehrt nach Dänemark zurück.
Am Grab Ophelias, die möglicherweise wegen Hamlets mehrdeutigen
und auch kränkenden Erklärungen ihr gegenüber und wegen
des Todes ihres Vaters wahnsinnig geworden war und sich ertränkt hatte,
kämpft er mit Ophelias Bruder Laertes, der den Tod seiner Schwester
und seines Vaters rächen möchte. Der Kampf wird unterbrochen.
Er soll am Königshof im Beisein des Hofstaates und des königlichen
Paares mit stumpfen Schwertern fortgesetzt werden. Dabei soll sich zeigen,
wer der bessere Kämpfer ist.
Der König verabredet mit Laertes, mit geschärftem (statt
mit stumpfem) Schwert und mit vergifteter Schwertspitze gegen Hamlet zu
kämpfen. Um sicher zu gehen, daß Hamlet stirbt, stellt der König
auch noch einen Giftbecher bereit, aus dem Hamlet trinken soll, wenn er
im Duell noch nicht tödlich verwundet wurde. Hamlet scheint den Kampf
zu gewinnen, wird aber unerwartet durch das Schwert von Laertes geritzt.
In einem darauffolgenden Getümmel werden die Schwerter vertauscht.
Hamlet kämpft mit dem spitzen und vergifteten Schwert weiter und verletzt
auch Laertes. Dieser verrät ihm nun, daß er vom König gedungen
war und daß Hamlet, ebenso wie er selbst, in weniger als einer halben
Stunde sterben müßte. Noch vorher hat die Königin, Hamlets
Mutter, auf das Wohl Hamlets trinkend, versehentlich von dem Giftbecher
getrunken, der für ihn, Hamlet, bestimmt war. Sie ruft aus, daß
sie vergiftet worden sei. Auch sie stirbt. Hamlet selbst fühlt bereits
die Wirkung des Giftes, stürzt sich mit letzter Kraft auf König
Claudius und tötet ihn. Dann stirbt er selbst. Der endlos zaudernde
und manchmal als wahnsinnig anmutende Hamlet handelt zuletzt doch.
Fortinbras, ein norwegischer Prinz, übernimmt das Königreich
Dänemark. Hamlets Vater hatte Fortinbras' Vater vor vielen Jahren
im Kampf getötet und ihm seine Ländereien weggenommen. Diese
gehen nun an den Sohn von Fortinbras zurück.
12.1. Zusammenfassende Interpretation
Warum läßt Shakespeare Hamlet so lange zaudern, bis es zu spät ist und alle zugrunde gehen? Was will er sagen? Versuchen wir die Ereignisse durch Nennung von zugrundeliegenden Motiven zu deuten. [<216]
Hamlet liebt seinen Vater und seine Mutter. Er will den Tod seines Vaters
rächen. Er würde eventuell davon Abstand nehmen, wenn die Mutter
sich von seinem Onkel trennt.
Claudius, Hamlets Onkel, will die Frau seines Bruders und wahrscheinlich
auch die Königskrone. Um dies zu erreichen, war er auch bereit, seinen
Bruder zu töten. Hamlet hat nichts von ihm zu befürchten, sofern
er sich der neuen Situation fügt (Impliziert ist vielleicht sogar,
daß er der Kronprinz bleibt. Entweder wird das neue Königspaar
aus Altersgründen keine Kinder mehr haben, oder eventuell geborene
Kinder werden in der Erbfolge hinter Hamlet rangieren).
Die Mutter liebt Claudius, hat wissentlich oder unwissentlich der Ermordung
des Vaters zugestimmt und möchte ebenfalls, daß Hamlet die neue
Lage akzeptiert Hamlet läßt die Ermordung seines Vaters von
Schauspielern noch einmal vorführen. Er bekommt den Beweis, daß
Claudius schuldig ist. Er darf und muß Claudius töten. Er tut
es bei der ersten Gelegenheit nicht, weil Claudius gerade betet. Er würde,
wenn er jetzt stirbt, vielleicht in den Himmel kommen. Das wäre eine
schlechte Sühne für seine Mordtat. Dagegen will Hamlet den König
töten, als er bei der Unterredung mit der Mutter, die enttäuschend
für ihn ausgeht, einen Lauscher - »hoffentlich ist es der König!«
- hinter einem Vorhang vermutet. Er ersticht dabei aber einen anderen Vater,
nämlich den von Ophelia und Laertes, Polonius, und er kann vielleicht
nur deswegen zustechen, weil er nicht sicher weiß, daß er der
König ist. Wüßte er es sicher, dann würde er es doch
nicht wagen.
Nach dem Beweis, daß ihn der König an den englischen Hof
schickt, um ihn dort töten zu lassen, fährt er nach Dänemark
zurück. Daß die beiden Söldlinge des Königs Rosencrantz
und Guildenstern, statt seiner sterben werden, ist ihm eine eher belanglose
Genugtuung. Auch der Streit mit Laertes und der Tod Ophelias berühren
Hamlet nicht sehr. Er hat beides nicht gewollt. Der Tod des Vaters der
beiden war ein Versehen. Es ging ihm nur um die Sühne des Mordes an
seinem Vater. Claudius mußte getötet und die Mutter befreit
werden. Alles andere war weniger bedeutsam.
In dem Kampf am Hof wird Hamlet aus dem Munde Laertes noch einmal bestätigt,
daß der König ihn, Hamlet, ermorden lassen wollte bzw. eigentlich
bereits ermordet hat. Die Mutter ist ebenfalls bereits im Sterben.
Der »Reservemordanschlag« des Königs auf Hamlet ist versehentlich
bei der Mutter gelandet. Der König hat auch Hamlets Mutter gemordet.
Jetzt erst vermag Hamlet den König zu töten.
Man könnte sagen, das Zaudern und der manchmal an Wahnsinn grenzende
innere Belastungszustand von Hamlet ist durch die Ungeheuerlichkeit der
Tat bedingt, die er begehen soll. Er soll einen Vater, seinen Vater, töten,
auch wenn es sich nur um seinen Onkel und Stiefvater handelt. Er soll den
Mann seiner Mutter töten. So unantastbar ist ein Vater, so tabu seine
Person, daß er auch nicht getötet werden darf, wenn er Schuld
auf sich geladen hat und nicht einmal der leibliche Vater ist Die
Vaterstelle ist unantastbar. So unantastbar ist auch der Wunsch
und die Wahl der Mutter. Wen sie zum Mann erkürt, der muß auch
der Vater ihres Sohnes werden nicht nur m den Augen ihres neuen Mannes,
sondern auch in der Anerkennung durch den Sohn.
Die Schuldgefühle Hamlets könnten subjektiv auch auf mögliche
eigene Kindheitswünsche des Besitzes der Mutter und der Ausschaltung
des Vaters zurückzuführen sein. Wie andere Kinder bzw. wie andere
Einzelkinder (die es etwas schwerer haben) wäre er aber damit vermutlich
zu Rande gekommen, und erst, als durch den Tod des Vaters alles noch einmal
offen und möglich wird, worauf er bereits verzichtet hat, werden ihm
die eigenen Wünsche bewußt. Sie sind auch jetzt noch unter seiner
Kontrolle. Er hätte vielleicht mit der Mutter »in Keuschheit«
gelebt. Beide wären in der [<217] Liebe abstinent geblieben, er
als neuer König, sie als die verehrte Königin-Mutter. Sie hätten
dem verstorbenen Vater ein treues Angedenken bewahrt.
Wenn die Mutter nach dem Tod des Vaters jedoch keineswegs abstinent
zu sein gedenkt, wenn sie vielmehr den (jüngeren) Bruder des Vaters
ehelicht, und zwar viel zu bald nach dem Tod des Vaters, wenn ein anderer
also mit der Mutter tun darf, was er selbst sich im Interesse des guten
Einvernehmens mit der Familie längst und gründlich versagt hatte,
dann wird die Sache kritisch. Das Spiel der Schauspielertruppe nach den
Anweisungen von Hamlet soll eine Probe für den Oheim sein, aber da
er selbst, Hamlet, das Geschehen rekreiiert, da er dabei selber den Vatermord
durchprobiert, weiß er noch genauer, was der Oheim wollte. Er kann
eine Spur eines solchen Wunsches vielleicht auch bei sich selbst entdecken.
Umso weniger Berechtigung hat er aber, den Oheim zu bestrafen.
.
Dazu kommt noch die vielleicht nicht eingestandene Erkenntnis Hamlets,
daß sein verehrter Vater vielleicht alt und schwach geworden war.
Der seinerzeitige Sieger über Fortinbras' Vater fällt jetzt sozusagen
im Schlaf. Er ist müde geworden. Er braucht sein Nickerchen und wird
dabei das Opfer seines Gegners. Er ist vielleicht der Mutter Hamlets auch
als Gatte nicht mehr viel wert. Hamlet hätte dies möglicherweise
nichts gemacht. Vater und Sohn verzichten eben beide auf die intime Liebe
zur Mutter. Die Mutter verzichtet aber nicht. Sie will ihren Liebhaber.
Das ist für Hamlet empörend. - Man könnte sogar vermuten,
daß eine »Schwäche« des Vaters manchen schon früher
evident geworden war. Wieso hatte er nur einen einzigen Sohn, nur ein einziges
Kind? Ob der Geist sozusagen ein »wirklicher Geist« oder nur
die Einbildung Hamlets ist, wäre in diesem Zusammenhang von sekundärer
Bedeutung. Im zweiten Fall hätte Hamlet den wahren Sachverhalt eben
feinfühlig erraten. Es ändert nichts an dem, was geschehen ist
und was er infolgedessen zu tun hat.
Shakespeares Botschaft könnte also wie folgt lauten: Ein Sohn
darf auch einen Stiefvater, den die Mutter gewählt hat, nicht töten.
Er darf dies auch dann nicht, wenn dieser den Vater ermordet hat. Er darf
es erst, wenn der Stiefvater sogar ihm selbst nach dem Leben trachtet,
wenn er den Sohn praktisch bereits ermordet hat und wenn er zu allem Überdruß
auch noch die Mutter tötet. Erst dann darf der Sohn Hand an jemanden
legen, der die Vaterstelle bei ihm eingenommen hat.
Eine peripherere Botschaft Shakespeares, eine Art von Rahmenbotschaft
zur eigentlichen Mitteilung, könnte etwa lauten: Unrecht Gut gedeiht
nicht. Was Hamlets Vater anderen weggenommen hat, muß er denen bzw.
ihren Nachkommen (Fortinbras) wieder zurückgeben. Wenn dies nur über
den Tod der gesamten Familie von Hamlets Vater möglich ist, dann sei
es eben.
Shakespeare's Hamlet ist das Drama einer lange hinausgezögerten
Tötung des Stiefvaters als Vergeltung für die Ermordung des Vaters.
Erst als auch Hamlet selbst und seine Mutter von der Hand des Stiefvaters
bereits im Sterben sind, kann Hamlet seinen Vater rächen und seinen
Stiefvater töten.
Die dichterische Botschaft könnte sein: So stark verboten ist der Vatermord, daß man auch einen Ersatzvater, selbst wenn er den Vater ermordet und die Mutter geheiratet hat, nicht töten darf, es sei denn, die Mutter und man selbst sind ebenfalls bereits Opfer des Mörders. |
Kontrollfragen
12. Was würde dagegen sprechen, daß die Ermordung von Hamlet's
Vater durch dessen Oheim nur die Phantasie Hamlet's, der Anschlag des Oheims
auf Hamlet nur ein Akt der Notwehr gegen Hamlet's Wahnsinn war?
[<218]"
******************
Im Text zitierte Literatur:
Freud,
S. (1900). Die Traumdeutung. Gesammelte Werke 2/3. London: Imago Publishing.
Freud,
S. (1927b). Dostojewski und die Vatertötung. Gesammelte Werke
Bd. 14. London: Imago Publishing.
Hamlet Online Versionen:
GP nach Schlegel (kritisch) :
|
Das bedeutet auch: die letztlich wirk-lichen
(> wirklich) Motive eines
Menschen ergeben sich aus seinen Handlungen, aus seinem Tun und Lassen.
Mit diesem Beurteilungsprinzip befindet sich Toman ganz in der Nähe
der existenzialistischen Philosophie. Der Existenzialismus vertritt die
Auffassung, dass der Mensch wesentlich sein Tun (und Lassen, was wir hinzufügen
möchten) "ist". Dass ausgerechnet die Psychotherapie, deren Hauptwerkzeug
doch die Worte und die Sprache sind, die Worte, sofern sie keine Handlungen
beschreiben, so kritisch hinterfragt, mag paradox erscheinen, zeigt aber
den Stellenwert der Worte als blosses Medium und dass es darauf ankommt,
was sie bedeuten, was wirk-lich hinter ihnen steckt, vor allem an Handlungen
(oder Unterlassungen). Damit steht Toman als empirisch orientierter Psychoanalytiker
auch der Verhaltens-, Kommunikations- und systemisch-handlungsorientierten
Therapie nahe. Besonders in der Verhaltenstherapie sind TUN und LASSEN
als Realisationen von LERNEN sehr mächtige therapeutische Methoden.
Inhaltlich
folgt Toman der Interpretation Freuds (1900), der zum Hamlet schrieb: "...
Mit der überwältigenden Wirkung des moderneren Dramas hat es
sich eigentümlicherweise als vereinbar gezeigt, daß man über
den Charakter des Helden in voller Unklarheit verbleiben könne. Das
Stück ist auf die Zögerung Hamlets gebaut, die ihm zugeteilte
Aufgabe der Rache zu erfüllen; welches die Gründe oder Motive
dieser Zögerung sind, gesteht der Text nicht ein; die vielfältigsten
Deutungsversuche haben es nicht anzugeben vermocht. Nach der heute noch
herrschenden, durch Goethe begründeten Auffassung stellt Hamlet den
Typus des Menschen dar, dessen frische Tatkraft durch die überwuchernde
Entwicklung der Gedankentätigkeit gelähmt wird (»Von des
Gedankens Blässe angekränkelt«). Nach anderen hat der Dichter
einen krankhaften, unentschlossenen, in das Bereich der Neurasthenie fallenden
Charakter zu schildern versucht. Allein die Fabel des Stückes lehrt,
daß Hamlet uns keineswegs als eine Person erscheinen soll, die des
Handelns überhaupt unfähig ist. Wir sehen ihn zweimal handelnd
auftreten, das einemal in rasch auffahrender Leidenschaft, wie er den Lauscher
hinter der Tapete niederstößt, ein anderesmal planmäßig,
ja selbst arglistig, indem er mit der vollen Unbedenklichkeit des Renaissanceprinzen
die zwei Höflinge in den ihm selbst zugedachten Tod schickt. Was hemmt
ihn also bei der Erfüllung der Aufgabe, die der Geist seines Vaters
ihm gestellt hat? Hier bietet sich wieder die Auskunft, daß es die
besondere Natur dieser Aufgabe ist. Hamlet kann alles, nur nicht die Rache
an dem Mann vollziehen, der seinen Vater beseitigt und bei seiner Mutter
dessen Stelle eingenommen hat, an dem Mann, der ihm die Realisierung seiner
verdrängten Kinderwünsche zeigt. Der Abscheu, der ihn zur Rache
drängen sollte, ersetzt sich so bei ihm durch Selbstvorwürfe,
durch Gewissensskrupel, die ihm vorhalten, daß er, wörtlich
verstanden, selbst nicht besser sei als der von ihm zu strafende Sünder."
Freud bemerkt weiter, dass Shakespeare den Hamlet 1601, kurz nach dem Tode
seines Vaters, also in einer Zeit der "frischen Trauer" in der "Wiederbelebung"
der Kindheitsempfindungen dichtete. IRS/RS.
___
elektronische Rechteinhaberinnen.
Hier die Erbinnen, d.h. die beiden Töchter Walter Tomans - Frau Christina
Bogensberger und Frau Adrienne Trubel-Toman, Österreich - , so die
Auskunft des Kohlhammer-Verlages (Frau Schmid): vielen Dank für den
Hinweis und die Erlaubnis.
___
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Walter Toman site:www.sgipt.org. |
korrigiert/kontrolliert: irs 27.9.7