Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    IP-GIPT DAS=01.10.2007 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung 18.10.7
    Impressum: Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
    Stubenlohstr. 20  D-91052 Erlangen * Mail:_sekretariat@sgipt.org_Zitierung  &  Copyright_

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    Willkommen in unserer Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Kunst, Ästhetik, Psychologie der Kunst, Bereich Theater, und hier speziell zum Thema:

    Hamlet

    Eindrücke und Impulse durch die Premiere
    im Markgrafentheater Erlangen 29.9.7
    [TheaterInfo]

    von Irmgard Rathsmann-Sponsel und Rudolf Sponsel, Erlangen


    Überblick
    Das Stück und seine Themen.
    Eine neue Deutung für Hamlets eigenen Weg.
    Gibt es einen zentralen Konflikt Hamlets?
    Die Erlanger Markgrafentheater Inszenierung.
    Hamlet ödipal?
    Epilog. 
    Literatur und Links.
    Glossar, Anmerkungen und Endnoten: 
    Deutungsstereotypien * Eindrücke * Enthüllung des väterlichen Geistes. *   Frauenbild im Hamlet. * Genussvoll in den Tod schickt. * Gespräche der Wachen  * renaissancetypische Fäulnis. * Schulweisheitszitat * Sein oder Nichtsein: * U  * Ungereimtheiten * Verarbeitung des Auftrags des Vater-Geistes durch Hamlet nach der Schlegel-Übersetzung * zahlreiche Konflikte (Vater-Sohn-Konflikte)
    Querverweise. 

    Das Stück und seine Themen.

    Die von Shakespeare durch die Wachen eingangs gezeichnete historische Rahmensituation - die in der Erlanger Inszenierung wegfiel - ist nach Gesprächen der Wachen, dass der junge Fortinbras, Sohn des gleichnamigen norwegischen Königs, der gegen Hamlets Vater im Kampfe unterlag, anscheinend einen Krieg vorbereitet, der die Dänen ihrerseits zu starker Rüstung veranlasst.

        Hamlet, junger Prinz von Dänemark, kehrt aus Wittenberg zur Beerdigung seines Vaters nach Helsingör im Norden Dänemarks an den Hof  zurück. (U1) Warum erst so relativ spät nach ca. zwei Monaten bleibt unklar. In dieser kurzen Zeit ehelichte seine Mutter den Bruder Claudius, des angeblich an einem Schlangenbiss verstorbenen Vaters. (U2) So bleibt auch ebenso im Dunkeln, warum er nicht zur Inthronisation seine Onkels erscheint und (U3) wieso er nicht die Nachfolge des Vaters als König von Dänemark antrat, wie es doch natürlich erschiene. Damit sind die ersten drei unpsycho-logischen Ungereimtheiten (U), die Shakespeare dem Stück von Anfang an mit auf dem Weg gab, genannt.
        Es ist was faul im Staate Dänemark. Die renaissancetypische Fäulnis besteht in der Mordgeschichte, die der Geist des Vaters dem Sohne mitteilt. Er sei von seinem Bruder durch Träufeln von Gift in sein Ohr vergiftet, also ermordet worden. Hamlets Onkel ist damit Brudermörder. (U4) Die Verwicklung seiner Mutter in den Mord bleibt unklar. Nachdem Hamlets Vater aber "nur" Rache an seinem Bruder verlangt und die schnelle "Untreue" der Mutter den Himmelmächten überlassen will, spricht dies gegen eine Beteiligung der Mutter an dem Mord.
        Das zentrale Konfliktmoment in der Handlung ist die tatsächliche Unsicherheit Hamlets, ob und wie er den Racheauftrag vollziehen soll, wobei nach dem Text zunächst offenbleibt, ob Hamlet den Racheauftrag überhaupt innerlich annimmt (> Die Verarbeitung ...). So kann man die (U5) Ungereimtheit, trotz der eindeutigen und klaren Enthüllung des väterlichen Geistes noch nach "Beweisen" zu suchen, etwa durch die Theatergruppe, das Spiel im Spiel, um den Mörder zu überführen, motivpsychologisch mindestens dreifach deuten: (1) als verdeckten Ausdruck der Angst und Hemmung (als Realangst, den König anzugreifen und Angst vor schlechtem Gewissen), (2) als Ausdruck des Unwillens vor einem bestimmten Vollzug der Rache oder (3) sogar als quasi-rechtsstaatlichen Versuch der öffentlichen Überführung. Hamlet kann in der Interpretationsvariante (3) gar nicht als Zögerer und Zauderer verstanden werden, sondern als selbstbestimmter Mensch, der sich sein eigenes Urteil bilden will, ja muss und seine eigene Selbstverwirklichung anstrebt, in diesem Fall die öffentliche Überführung.

    Eine neue Deutung für Hamlets eigenen Weg
    Die bekannte Hemmung Hamlets ergibt sich aus seinem Misstrauen, ob das mit der Geisterscheinung seine Richtgkeit hat. Das ist eine aufklärerische, moderne Idee, die man nicht als Schwäche interpretieren kann und darf. Rationale Zweifel und die Suche nach einer eben diese beseitigenden Prüf- und Beweismethode gehören ebenfalls zu einem aufgeklärten und rechtsstaatlich denkenden Menschen. Auch diese Haltung kann und darf nicht als Schwäche, Feigheit oder falsches Zaudern bewertet werden.
        Man kann die Entwicklung des vermeintlichen Zauderns und Zögerns auch noch anders sehr positiv interpretieren, nämlich als Versuch, den Königsmörder (hof-) öffentlich zu überführen. Wozu muss er ihn töten, wenn die öffentliche Bloßstellung gelingt? Genau dieser Weg entspräche seiner Werthaltung und aus heutiger Sicht auch einer besseren Ethik. In dieser Interpretation zeigte sich Hamlet als sehr starker Charakter, der seiner Zeit weit voraus wäre, seinen eigenen, besseren Weg sucht und geht. Er würde nicht Gleiches mit Gleichem, nicht Mord mit Mord in gemeiner Claudius-Manier vergelten. Gegen diese Idealisierung von Hamlets besserem Charakter spricht aber die Art und Weise, wie er ohne Skrupel und Reue den Irrtumsmord an Polonius - immerhin Vater der vormals Geliebten - verarbeitet (vertuscht) und Rosencrantz und Guildenstern genussvoll in den Tod schickt, den sie ihm zudachten.

    Gibt es einen zentralen Konflikt Hamlets ?
    Das Stück enthält nicht nur einen Konflikt, sondern zahlreiche, so dass InterpretInnen viel Freiheit haben, wie sie ihre Schwerpunkte setzen. Am anspruchsvollsten wäre es natürlich, das ganze Konflikt-Spektrum Hamlets zu entfalten, was selten gelingen dürfte - auch, weil die einseitigen und verkürzten Deutungsstereotypien, die sich im Laufe der Geschichte durchgesetzt haben, eine solche Breitbanddarstellung nicht fördern.
        Im Zentrum des Geschehens steht aber ohne Zweifel das Unrecht, das Hamlets Vater durch die Ermordung durch seinen Bruder aber auch Hamlet selbst durch Verweigerung der Krone widerfuhr und wie er damit - insbesondere mit dem väterlichen Racheauftrag und mit der Untreue seiner Mutter - umgehen soll. Untrennbar damit verbunden ist eine "Welt", die ihn abstößt und damit die Frage, wie sich in einer solchen Welt verhalten? Kämpfen für eine bessere Welt oder in Verzweiflung, Ekel und Schwermut versinken? Verallgemeinert geht es um die Stellung in der Welt: Sein oder Nichtsein (III,1).

    Die Erlanger Markgrafentheater Inszenierung [TheaterInfo]
    Die Inszenierung zerfällt in zwei Teile. Der erste - bis zum 3. Aufzug - war viel zu oberflächlich und komödiantisch, teilweise mit lächerlichen Elementen überfrachtet. Der 2. Teil startet fulminant mit dem - hier von allen vorgetragenen - Monolog Hamlets "Sein oder nicht sein ... "
        Die Inszenierung beginnt wie absurdes Theater mit mehrfach platten Wiederholungen über das kalte Wetter und wie spät es wohl sei. Alle - Hamlet, Claudius, Gertrud, Polonius, Ophelia und Horatio - scheinen sich verhalten-gespannt zu langweilen und warten, dass etwas geschieht, möglicherweise, ob der Geist von Hamlets Vater (Wittkopp) erscheine, der dann auch im Hintergrund des eindrucksvoll schlicht ganz in Weiß gehaltenen Bühnenbildes langsam und symbolträchtig die Treppe hinaufschritt. In dieser Anfangsszene fällt auch der wegweisende Satz: Es ist was faul im Staate Dänemark. Und nicht zu knapp.

    Hamlet ödipal ?
    Im zweiten Teil der Erlanger Inszenierung gibt es eine starke inzestuöse Szene - Hamlet wirft sich auf die Mutter mit einer Anmutung zwischen Mord- und Vergewaltigungsimpuls, küsst sie später sanft auf die Stirn und plötzlich unvermittelt heftig auf den Mund, offenbar eine Konzession an die psychoanalytischen Deutungen, die allerdings vom Originaltext (Schlegel; III,4.) in keiner Weise belegbar sind oder gestützt werden. Freuds einziges Indiz ist die Tötungshemmung Hamlets im Lichte seiner Ödipus-Konflikt-Hypothese.

        Die künstlerische Absicht: "Die Erlanger Inszenierung wird im Spiegel der Rächertragödie Hamlet über die Frage nach der Stellung des jungen Intellektuellen in der Gesellschaft reflektieren – und dessen Scheitern angesichts einer Welt, die zwar jede Form der Selbstverwirklichung möglich erscheinen lässt, aber die Utopie als anachronistisch diskreditiert und jede Form der Rebellion entschärft. Die Inszenierung will Hamlet als Exponenten einer Generation zeigen, die sich ganz im Bann der Elterngeneration sieht, von welcher bereits alles gelebt und gestaltet wurde, und der das Leben darum wie ein Plagiat erscheint. Verzweifelt suchen die Nachgeborenen zwischen Generationsauftrag ihren Weg. ... Mit Hamlet wird der Regisseur Christian von Treskow uns, unserer Zeit und sich selbst den Hamlet-Spiegel vorhalten."

        Die Hauptfiguren sind maximal kontrastierend zum weißen Bühnenbild in schwarz kostümiert, was Assoziationen von Weltraumgestalten (Unwirklichkeits- und Jenseits-Phantasie), Fest- oder Beerdigungstracht (passend zum Thema) und faschistoidschwarzen Schwadronen (Unrechts-, Gewalt- und Mordlust-Phantasie) hervorrief. Passend auch die leise hintergrundmusikalische Untermalung.

        Das Publikum spendete langen Beifall, verhaltene Pfiffe und Schreie und leichtes Trampeln zeigte: Man war offensichtlich mit der Leistung des Theaterteams und besonders der SchauspielerInnen sehr zufrieden.

    Epilog. Der Versuch, Hamlet in die Gegenwart zu transportieren, kann nicht gelingen, weil die höfischen Szenarien und der allzu primatenhafte Renaissancestaat schon seit einigen Jahrzehnten gar nicht mehr in unsere gesellschaftliche Welt passen. Da half auch die moderne Rappereinlage, die beim Publikum gut ankam, nicht viel. Shakespeares Zeit war in Form und höfischem Inhalt eben eine andere und für den durchschnittlichen Gegenwartsmenschen wenig ansprechende, wenngleich man durchaus sagen kann, dass sich die Grundlagen primatenhaften Machtgebarens nicht verändert haben. Leider (obschon: ein wenig mehr Rechtsstaat gibt es schon in einigen wichtigen Teilen der Welt). Doch die Frage der Gegenwartsrelevanz und Gegenwartsrezeption betrifft natürlich nicht nur Shakespeare allein, sondern die meisten Klassiker aus fernen Jahrhunderten. So stehen die DramaturgInnen und RegisseurInnen vor einer unlösbaren Aufgabe: alte Texte und Themen so zu gestalten, dass sie in die Gegenwart passen und dennoch ihre Identität bewahren. Auch der Erlanger Hamlet-Inszenierung konnte dies nicht gelingen.



    Literatur und Links (Auswahl: beachte)

    Hamlet Online Versionen:
    GP nach Schlegel (kritisch) :

    • https://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=2615&kapitel=1#gb_found
    GP übersetzt von Christoph Martin Wieland:
    • https://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=2614&kapitel=1#gb_found
    und andere Quellen in W.
    Walter Toman: Hamlet. Beispiel der Deutung eines Dramas und Freuds zentrale ödipale Deutung.

    Inszenierungen:

    • Peter Zadeks  Hamlet an der Berliner Schaubühne Von Stefan Steinberg 5. Oktober 1999: https://www.wsws.org/de/1999/okt1999/haml-o05.shtml

    • Hieraus: "Hamlet-Darstellerinnen neigten bislang dazu, dem Stück eine psychologische Interpretation zu geben. Edward Jones, der berühmteste Schüler Sigmund Freuds, behauptete: "Hamlet war eine Frau." Sowohl Freud als auch Jones bezogen sich dabei auf Hamlets "Hysterie". Zadek und Winkler unternehmen keine erkennbaren Anstrengungen, die sogenannten "femininen" Charakteristika Hamlets hervorzuheben. Winklers Hamlet ist der einfühlsamste, verwundbarste Charakter am dänischen Hof, aber dieser Hamlet ist weder schwach noch unentschlossen. Im Angesicht der überwältigenden Schwierigkeiten im Kampf um seinen Vater zu rächen stellt Winklers Hamlet schließlich den Wert des Lebens selbst in Frage. Im Kontrast zu der Leidenschaft, die er in Beziehung zu den Mitgliedern des Hofes zeigt, ist Winklers Umgang mit den formvollendeten Monologen - den vielleicht berühmtesten in der Geschichte des Dramas - zurückhaltend, sie werden sanft, beinahe monoton gesprochen."



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    GIPT = General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Deutungsstereotypien. Hamlet wird meist als unentschlossener, vergeistigter und skrupulöser Zögerer und Zauderer hingestellt.  Das stimmt allerdings nur aus der schlichten Perspektive eines Renaissance-Menschen bei dem man sich aber fragen muss, worin das Menschliche bestehen soll. Auch der Darsteller interpretiert auf die bekannte Weise: "Hamlet ist ein Mensch, der Denken und Handeln nicht wirklich zusammenbringt. Das Problem mit dem Racheversprechen kann er auch erst lösen, als er nichts mehr zu verlieren hat, wirklich wütend ist und eh schon alles den Bach runtergeht. Ansonsten bremst er seine Impulse immer durch zu viel Nachdenken. Im Denken ist er mutig, aber nicht im Handeln." (Quelle: Begleitmaterial]
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    Eindrücke. Unsere "Eindrücke" von Theateraufführungen sind zwar an manchen Stellen gelegentlich kritisch, sind aber nicht als traditionelle Theaterkritiken misszuverstehen. Hierzu sind wir gar nicht ausgebildet und haben auch zu wenig Theaterkenntnis und -erfahrung. Wir können also die vielfältige Leistung von Dramaturgie, Regie, Musik, Bühnentechnik und Darstellung, besonders der SchauspielerInnen gar nicht angemessen bewerten. Und deshalb möchten wir uns auch mit Eindrücken begnügen. Wir verlangen vom Theater nicht mehr, als dass es Interesse weckt, berührt und zur Auseinandersetzung mit der Aufführung und dem ihm zugrundeliegenden Stück anregt.
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    Enthüllung des väterlichen Geistes.
    I, Fünfte Szene. Ein abgelegener Teil der Terrasse. Der Geist und Hamlet kommen.
    HAMLET.    Wo führst du hin mich? Red', ich geh' nicht weiter.
    GEIST.    Hör' an!
    HAMLET.    Ich will's.
    GEIST.    Schon naht sich meine Stunde, /    Wann ich den schweflichten, qualvollen Flammen /    Mich übergeben muß.
    HAMLET.    Ach, armer Geist!
    GEIST.    Beklag' mich nicht, doch leih' dein ernst Gehör /    Dem, was ich kund will tun.
    HAMLET.    Sprich! mir ist's Pflicht zu hören.
    GEIST.    Zu rächen auch, sobald du hören wirst.
    HAMLET.    Was?
    GEIST.     Ich bin deines Vaters Geist: /     Verdammt auf eine Zeitlang, nachts zu wandern, /    Und tags gebannt, zu fasten in der Glut, /    Bis die Verbrechen meiner Zeitlichkeit /    Hinweggeläutert sind. Wär' mir's nicht untersagt, /    Das Innre meines Kerkers zu enthüllen, /    So höb' ich eine Kunde an, von der /    Das kleinste Wort die Seele dir zermalmte, /    Dein junges Blut erstarrte, deine Augen /    Wie Stern' aus ihren Kreisen schießen machte, /    Dir die verworrnen krausen Locken trennte /    Und sträubte jedes einzle Haar empor, /    Wie Nadeln an dem zörn'gen Stacheltier: /    Doch diese ew'ge Offenbarung faßt /    Kein Ohr von Fleisch und Blut. – Horch, horch! o horch! /    Wenn du je deinen teuren Vater liebtest – HAMLET.    O Himmel!
    GEIST.    Räch' seinen schnöden, unerhörten Mord!
    HAMLET.    Mord?
    GEIST.    Ja, schnöder Mord, wie er aufs beste ist, /    Doch dieser unerhört und unnatürlich.
    HAMLET.     Eil', ihn zu melden: daß ich auf Schwingen, rasch /    Wie Andacht und des Liebenden Gedanken, /    Zur Rache stürmen mag.
    GEIST.    Du scheinst mir willig: /    Auch wärst du träger als das feiste Kraut, /    Das ruhig Wurzel treibt an Lethes Bord, /    Erwachtest du nicht hier. Nun, Hamlet, höre: /    Es heißt, daß, weil ich schlief in meinem Garten, /    Mich eine Schlange stach; so wird das Ohr des Reichs /    Durch den erlognen Hergang meines Todes /    Schmählich getäuscht; doch wisse, edler Jüngling, /    Die Schlang', die deines Vaters Leben stach, /    Trägt seine Krone jetzt.
    HAMLET.     O mein prophetisches Gemüt! Mein Oheim?
    GEIST.    Ja, der blutschänderische Ehebrecher, /    Durch Witzes Zauber, durch Verrätergaben /    (O arger Witz und Gaben, die imstand /    So zu verführen sind!) gewann den Willen /    Der scheinbar tugendsamen Königin /    Zu schnöder Lust. O Hamlet, welch ein Abfall! /    Von mir, des Liebe von der Echtheit war, /    Daß Hand in Hand sie mit dem Schwure ging, /    Den ich bei der Vermählung tat; erniedert /    Zu einem Sünder, von Natur durchaus /    Armselig gegen mich! /    Allein wie Tugend nie sich reizen läßt, /    Buhlt Unzucht auch um sie in Himmelsbildung, /    So Lust, gepaart mit einem lichten Engel, /    Wird dennoch eines Götterbettes satt /    Und hascht nach Wegwurf. – /    Doch still! mich dünkt, ich wittre Morgenluft: /    Kurz laß mich sein. – Da ich im Garten schlief, /    Wie immer meine Sitte nachmittags, /    Beschlich dein Oheim meine sichre Stunde, /    Mit Saft verfluchten Bilsenkrauts im Fläschchen, /    Und träufelt' in den Eingang meines Ohrs /    Das schwärende Getränk; wovon die Wirkung /    So mit des Menschen Blut in Feindschaft steht, /    Daß es durch die natürlichen Kanäle /    Des Körpers hurtig, wie Quecksilber läuft; /    Und wie ein saures Lab, in Milch getropft, /    Mit plötzlicher Gewalt gerinnen macht /    Das leichte, reine Blut. So tat es meinem, /    Und Aussatz schuppte sich mir augenblicklich, /    Wie einem Lazarus, mit ekler Rinde /    Ganz um den glatten Leib. /    So ward ich schlafend und durch Bruderhand /    (Um Leben, Krone, Weib mit eins gebracht,) /    In meiner Sünden Blüte hingerafft, /    Ohne Nachtmahl, ungebeichtet, ohne Ölung; /    Die Rechnung nicht geschlossen, ins Gericht /    Mit aller Schuld auf meinem Haupt gesandt. /    O schaudervoll! o schaudervoll! höchst schaudervoll! /    Hast du Natur in dir, so leid' es nicht; /    Laß Dänmarks königliches Bett kein Lager /    Für Blutschand' und verruchte Wollust sein! /    Doch, wie du immer diese Tat betreibst, /    Befleck' dein Herz nicht; dein Gemüt ersinne /    Nichts gegen deine Mutter: überlaß sie /    Dem Himmel und den Dornen, die im Busen /    Ihr stechend wohnen! Lebe wohl mit eins! /    Der Glühwurm zeigt, daß sich die Frühe naht, /    Und sein unwirksam Feu'r beginnt zu blassen. /    Ade! Ade! Ade! Gedenke mein! /
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    Frauenbild im Hamlet. In I,2 sagt Hamlet: "Schwachheit, dein Nam' ist Weib!" In III,2: "OPHELIA: Es ist kurz, mein Prinz. HAMLET: Wie Frauenliebe.

      Ophelia verfallen. Kunsthistorikerin geht dem Ophelia-Kult durch die Epochen nach: https://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/95146/
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    Genussvoll in den Tod schickt. III,4: "Man siegelt Briefe; meine Schulgesellen, /     Die beiden, denen ich wie Nattern traue, /    Sie bringen die Bestellung hin; sie müssen /    Den Weg mir bahnen, und zur Schurkerei /    Herolden gleich mich führen. Sei es drum! /    Der Spaß ist, wenn mit seinem eignen Pulver /    Der Feuerwerker auffliegt; und mich trügt /    Die Rechnung, wenn ich nicht ein Klafter tiefer /    Als ihre Minen grab', und sprenge sie /    Bis an den Mond. Oh, es ist gar zu schön, /    Wenn so zwei Listen sich entgegen gehn!"
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    Gespräche der Wachen (historische Rahmensituation). HORATIO: "An Norwegs Ecken hier und da ein Heer / Landloser Abenteurer aufgerafft, / Für Brot und Kost zu einem Unternehmen, / Das Herz hat; welches denn kein andres ist, / Wie unser Staat das auch gar wohl erkennt, / Als durch die starke Hand und Zwang der Waffen / Die vorbesagten Land' uns abzunehmen, / Die so sein Vater eingebüßt; und dies / Scheint mir der Antrieb unsrer Zurüstungen, / Die Quelle unsrer Wachen und der Grund / Von diesem Treiben und Gewühl im Lande." Später wird thematisiert (I,4; V,2, Schluss), dass gegen Polen gerüstet wurde, wobei aber das Verhältnis von Aufwand und Ergebnis (I,4)  in Frage gestellt wurde, so dass die latente Bedrohung auch Dänemarks zunächst im Raum stehen bleibt.
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    Misstrauen.   II,2:   «... Sie sollen was/    Wie die Ermordung meines Vaters spielen /    Vor meinem Oheim: ich will seine Blicke /    Beachten, will ihn bis ins Leben prüfen; /    Stutzt er, so weiß ich meinen Weg. Der Geist, /   Den ich gesehen, kann ein Teufel sein; /    Der Teufel hat Gewalt, sich zu verkleiden /   In lockender Gestalt; ja, und vielleicht, /     Bei meiner Schwachheit und Melancholie, /     (Da er sehr mächtig ist bei solchen Geistern), /    Täuscht er mich zum Verderben: ich will Grund, /     Der sichrer ist. Das Schauspiel sei die Schlinge, /    In die den König sein Gewissen bringe.»
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    renaissancetypische Fäulnis. Der Renaissance-Fürst  ist mehr Primat als Mensch und wird von Machiavelli abschließend beschrieben.
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    Schulweisheitszitat. 1,5: HAMLET: «Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden,/Als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.» (Akt l, Szene V). Hierzu:
    https://www.agpf.de/Schulweisheit.htm

    HAMLET: «Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden,/Als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.» (Akt l, Szene V)
    Sein oder Nichtsein:
     
    HAMLET.
    Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage:
    Ob's edler im Gemüt, die Pfeil' und Schleudern
    Des wütenden Geschicks erdulden, oder,
    Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
    Durch Widerstand sie enden. Sterben – schlafen –
    Nichts weiter! – und zu wissen, daß ein Schlaf
    Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
    Die unsers Fleisches Erbteil – 's ist ein Ziel,
    Aufs innigste zu wünschen. Sterben – schlafen –
    Schlafen! Vielleicht auch träumen! – Ja, da liegt's:
    Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
    Wenn wir den Drang des Ird'schen abgeschüttelt,
    Das zwingt uns still zu stehn. Das ist die Rücksicht,
    Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.
    Denn wer ertrüg' der Zeiten Spott und Geißel,
    Des Mächt'gen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,
    Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
    Den Übermut der Ämter, und die Schmach,
    Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
    Wenn er sich selbst in Ruh'stand setzen könnte
    Mit einer Nadel bloß! Wer trüge Lasten,
    Und stöhnt' und schwitzte unter Lebensmüh'?
    Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod –
    Das unentdeckte Land, von des Bezirk
    Kein Wandrer wiederkehrt – den Willen irrt,
    Daß wir die Übel, die wir haben, lieber
    Ertragen, als zu unbekannten fliehn.
    So macht Gewissen Feige aus uns allen;
    Der angebornen Farbe der Entschließung
    Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;
    Und Unternehmungen voll Mark und Nachdruck,
    Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
    Verlieren so der Handlung Namen. – Still!
    Die reizende Ophelia. – Nymphe, schließ'
    In dein Gebet all meine Sünden ein!
    Die Situation im Stück. 3. Aufzug, 1. Szene. [Q]. 
    Ein Zimmer im Schlosse. Der König, die Königin, Polonius, Ophelia, Rosenkranz und Güldenstern. Man rätselt über Hamlets Verstörtheit, ob sie mit seiner Neigung zu Ophelia zusammenhängt oder wie sonst sie zu verstehen sein könnte. Hierzu hat man arrangiert, dass Ophelia und Hamlet sich im folgenden begegnen, was heimlich beobachtet werden soll, um Hamlets "Wahnsinn" bzw. seine inneren Qualen zu verstehen. Die Szene beginnt mit einem Monolog Hamlets, in der Erlanger Inszenierung eindrucksvoll von allen zu Beginn des 2. Teils vorgetragen. [kursiv-fette Markierungen von uns].

    Die zum geflügelten Wort gewordene Eingangsfrage - Sein oder Nichtsein -  spitzt dramatisch existialistisch zu, dass das Leben nur aus Angst vor dem, was nach dem Tod kommen könnte, ertragen wird, wobei schon die atheistische Idee anklingt, dass der Tod nur eine Art Schlaf ist. Leben und Tod werden einander gegenüber- gestellt. 
    Viele Faktoren und - zumindest so erlebte - Zwänge behindern authentische Selbstverwirklichung. Welt und Leben sind voller Übel und fauler Kompromisse. Der Mensch ist wesentlich auch feige und der Motor dieser Feigheit ist der Verstand, der berechnen kann, was geschieht, wenn man so oder anders handelt. D.h. die Angst vor Verlusten und den Kosten, die die Echtheit (Authentizität) mit sich bringen, sitzt tief. Lieber verharrt der Mensch in seinem vertrauten und gewohnten Unglück als dass er sich aufmacht und zu Unbekanntem aufbricht.

    So geht es einerseits ganz radikal um Sein oder Nichtsein und andererseits auch um so oder anders sein, was zu Hamlets Zeiten sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich war - zumindest in Hamlets Augen - und einen auch sehr schnell vom Sein zum Nichtsein befördern konnte. 

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    U Ungereimtheiten, unpsycho-logisches im Hamlet Stoff: U1, U2, U3, U4, U5. Die unpsycho-logischen Ungereimtheiten sind hier nicht unbedingt als Vorwurf oder Kritik zu verstehen, weil künstlerische Wirkung und Spannung auch vom Unklaren und Ungewissen leben, hier zumindest, was Hamlets Zentralkonflikt betrifft.
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    Verarbeitung des Auftrags des Vater-Geistes durch Hamlet nach der Schlegel-Übersetzung
     
    I,5. HAMLET.
    O Herr des Himmels! Erde! – Was noch sonst?
    Nenn' ich die Hölle mit? – O pfui! Halt, halt mein Herz!
    Ihr meine Sehnen, altert nicht sogleich,
    Tragt fest mich aufrecht! – Dein gedenken? Ja,
    Du armer Geist, solang' Gedächtnis haust
    In dem zerstörten Ball hier. Dein gedenken?
    Ja, von der Tafel der Erinn'rung will ich
    Weglöschen alle törichten Geschichten,
    Aus Büchern alle Sprüche, alle Bilder,
    Die Spuren des Vergangnen, welche da
    Die Jugend einschrieb und Beobachtung;
    Und dein Gebot soll leben ganz allein
    Im Buche meines Hirnes, unvermischt
    Mit minder würd'gen Dingen. – Ja, beim Himmel!
    O höchst verderblich Weib!
    O Schurke! lächelnder, verdammter Schurke!
    Schreibtafel her! Ich muß mir's niederschreiben,
    Daß einer lächeln kann, und immer lächeln,
    Und doch ein Schurke sein, zum wenigsten
    Weiß ich gewiß, in Dänmark kann's so sein.
    Da steht Ihr, Oheim. Jetzt zu meiner Losung!
    Sie heißt: »Ade, ade! Gedenke mein!«
    Ich hab's geschworen.
    Kommentar
    Obwohl der Auftrag des väterlichen Geistes klar Rache unter Schonung der Mutter verlangt, verarbeitet Hamlet diesen Auftrag unmittelbar nach der Eröffnung nicht so. 'Seine' Sprache zeigt die Erschütterung, dass das alte Welt- und Menschenbild zusammengebrochen ist und nur noch eines zählen soll: »Ade, ade! Gedenke mein!« Ich hätte erwartet: "Tod, dem Schurken". Doch kein Gedanke an das zur Rechenschaft ziehen, Anklage, der Vernichtung, des  Tötens scheint auf.  "Nur"  Abscheu ("Pfui!), fassungsloses Staunen (der immer nur lächelnde Schurke), Abschied und Gedenken stehen im Zentrum. Es fehlt entgegen der Erwartung der nach Rache dürstende Mordimpuls. Bereits hier ist klar und deutlich angelegt: Hamlet ist anders.
    Mangelnder Mut, Zögern, Zaudern rücken stärker ins Erleben während der Vorbereitungen des Schauspiels, das Claudius überführen soll (II,2): "Und ich, ein blöder, schwachgemuter Schurke, schleiche, / Wie Hans der Träumer, meiner Sache fremd / Und kann nichts sagen / nicht für einen König / An dessen Eigentum und Leben / Verdammter Raub geschah / Bin ich 'ne Memme?"
    ___
    zahlreiche Konflikte: Mutter-Sohn; Sohn-Vater; soll die Tochter dem Vater gehorchen oder ihrem Herzen?; anhaltende Trauer versus in die Zukunft schauen; Liebe, Geliebte, Freund, Treue; Ehrlichkeit versus Lüge; gute Miene zum bösen Spiel machen oder dreinschlagen?; individuelles Glück versus institutionelle Verantwortung für den Staat; welches Recht hat Hamlet, Ophelia nicht zu wollen, ihr aber ein Leben im Kloster nahezulegen?; ich-angemessene Selbstverwirklichung, Selbstbehauptung (wie man mit sich umspringen lässt). Im Zentrum stehen:

      Vater-Sohn-Konflikte
      Hamlets Konflikt mit seinem Vater, sein Racheverlangen zu erfüllen.
      Hamlets Konflikt mit seinem Stiefvater und Onkel Claudius
      Königlicher Berater Polonius und sein Sohn Laertes
      Fortinbras, Sohn des Norweger Königs, der von Hamlets Vater besiegt wurde.
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    Querverweise
    Standort: Hamlet - Inszenierung im Markgrafentheater Erlangen (29.9.7).
    *
    Walter Toman: Hamlet. Beispiel der Deutung eines Dramas und Freuds zentrale ödipale Deutung.
    Überblick Kunst, Ästhetik, Psychologie und Psychopathologie der Kunst in der IP-GIPT.
    Literatur- und Link- Liste zu den Seiten: Kunst, Ästhetik, Psychologie und Psychopathologie der Kunst.
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site:www.sgipt.org
    z.B. Theater site:www.sgipt.org. 
    *
    Dienstleistungs-Info.
    *

    Zitierung
    Rathsmann-Sponsel, Irmgard & Sponsel, Rudolf (DAS). Hamlet. Eindrücke und Impulse durch die Premiere im Markgrafentheater Erlangen 29.9.7. Aus unserer Abteilung Kunst, Ästhetik, Psychologie der Kunst. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/kunst/theater/Hamlet.htm
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    korrigiert: irs 01.10.07



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    18.10.07    Vorspann/Ergänzung zu Eine neue Deutung ...