Hamlet
Eindrücke und Impulse durch
die Premiere
im Markgrafentheater Erlangen 29.9.7
[TheaterInfo]
von Irmgard Rathsmann-Sponsel und Rudolf Sponsel, Erlangen
Die von Shakespeare durch die Wachen eingangs gezeichnete historische Rahmensituation - die in der Erlanger Inszenierung wegfiel - ist nach Gesprächen der Wachen, dass der junge Fortinbras, Sohn des gleichnamigen norwegischen Königs, der gegen Hamlets Vater im Kampfe unterlag, anscheinend einen Krieg vorbereitet, der die Dänen ihrerseits zu starker Rüstung veranlasst.
Hamlet, junger Prinz von Dänemark, kehrt aus
Wittenberg zur Beerdigung seines Vaters nach Helsingör im Norden Dänemarks
an den Hof zurück. (U1) Warum erst so relativ
spät nach ca. zwei Monaten bleibt unklar. In dieser kurzen Zeit ehelichte
seine Mutter den Bruder Claudius, des angeblich an einem Schlangenbiss
verstorbenen Vaters. (U2) So bleibt auch ebenso im Dunkeln,
warum er nicht zur Inthronisation seine Onkels erscheint und (U3)
wieso er nicht die Nachfolge des Vaters als König von Dänemark
antrat, wie es doch natürlich erschiene. Damit sind die ersten drei
unpsycho-logischen Ungereimtheiten (U),
die Shakespeare dem Stück von Anfang an mit auf dem Weg gab, genannt.
Es ist was faul im Staate Dänemark.
Die renaissancetypische Fäulnis
besteht in der Mordgeschichte, die der Geist des Vaters dem Sohne mitteilt.
Er sei von seinem Bruder durch Träufeln von Gift in sein Ohr vergiftet,
also ermordet worden. Hamlets Onkel ist damit Brudermörder. (U4)
Die Verwicklung seiner Mutter in den Mord bleibt unklar. Nachdem Hamlets
Vater aber "nur" Rache an seinem Bruder verlangt und die schnelle "Untreue"
der Mutter den Himmelmächten überlassen will, spricht dies gegen
eine Beteiligung der Mutter an dem Mord.
Das zentrale Konfliktmoment in der Handlung ist
die tatsächliche Unsicherheit Hamlets, ob und wie er den Racheauftrag
vollziehen soll, wobei nach dem Text zunächst offenbleibt, ob Hamlet
den Racheauftrag überhaupt innerlich annimmt (> Die
Verarbeitung ...). So kann man die (U5) Ungereimtheit,
trotz der eindeutigen und klaren Enthüllung
des väterlichen Geistes noch nach "Beweisen" zu suchen, etwa durch
die Theatergruppe, das Spiel im Spiel, um den Mörder zu überführen,
motivpsychologisch mindestens dreifach deuten: (1) als verdeckten Ausdruck
der Angst und Hemmung (als Realangst, den König anzugreifen und Angst
vor schlechtem Gewissen), (2) als Ausdruck des Unwillens vor einem bestimmten
Vollzug der Rache oder (3) sogar als quasi-rechtsstaatlichen Versuch der
öffentlichen Überführung. Hamlet kann in der Interpretationsvariante
(3) gar nicht als Zögerer und Zauderer verstanden werden, sondern
als selbstbestimmter Mensch, der sich sein eigenes Urteil bilden will,
ja muss und seine eigene Selbstverwirklichung anstrebt, in diesem Fall
die öffentliche Überführung.
Eine neue
Deutung für Hamlets eigenen Weg
Die bekannte Hemmung Hamlets ergibt sich aus seinem Misstrauen,
ob das mit der Geisterscheinung seine Richtgkeit hat. Das ist eine aufklärerische,
moderne Idee, die man nicht als Schwäche interpretieren kann und darf.
Rationale Zweifel und die Suche nach einer eben diese beseitigenden Prüf-
und Beweismethode gehören ebenfalls zu einem aufgeklärten und
rechtsstaatlich denkenden Menschen. Auch diese Haltung kann und darf nicht
als Schwäche, Feigheit oder falsches Zaudern bewertet werden.
Man kann die Entwicklung des vermeintlichen Zauderns
und Zögerns auch noch anders sehr positiv interpretieren, nämlich
als Versuch, den Königsmörder (hof-) öffentlich zu überführen.
Wozu muss er ihn töten, wenn die öffentliche Bloßstellung
gelingt? Genau dieser Weg entspräche seiner Werthaltung und aus heutiger
Sicht auch einer besseren Ethik. In dieser Interpretation zeigte sich Hamlet
als sehr starker Charakter, der seiner Zeit weit voraus wäre, seinen
eigenen, besseren Weg sucht und geht. Er würde nicht Gleiches mit
Gleichem, nicht Mord mit Mord in gemeiner Claudius-Manier vergelten. Gegen
diese Idealisierung von Hamlets besserem Charakter spricht aber die Art
und Weise, wie er ohne Skrupel und Reue den Irrtumsmord an Polonius - immerhin
Vater der vormals Geliebten - verarbeitet (vertuscht) und Rosencrantz und
Guildenstern genussvoll in den Tod schickt, den sie ihm zudachten.
Gibt es einen
zentralen Konflikt Hamlets ?
Das Stück enthält nicht nur einen Konflikt, sondern zahlreiche,
so dass InterpretInnen viel Freiheit haben, wie sie ihre Schwerpunkte setzen.
Am anspruchsvollsten wäre es natürlich, das ganze Konflikt-Spektrum
Hamlets zu entfalten, was selten gelingen dürfte - auch, weil die
einseitigen und verkürzten Deutungsstereotypien,
die sich im Laufe der Geschichte durchgesetzt haben, eine solche Breitbanddarstellung
nicht fördern.
Im Zentrum des Geschehens steht aber ohne
Zweifel das Unrecht, das Hamlets Vater durch die Ermordung durch seinen
Bruder aber auch Hamlet selbst durch Verweigerung der Krone widerfuhr und
wie er damit - insbesondere mit dem väterlichen Racheauftrag und mit
der Untreue seiner Mutter - umgehen soll. Untrennbar damit verbunden ist
eine "Welt", die ihn abstößt und damit die Frage, wie sich in
einer solchen Welt verhalten? Kämpfen für eine bessere Welt oder
in Verzweiflung, Ekel und Schwermut versinken? Verallgemeinert geht es
um die Stellung in der Welt: Sein oder
Nichtsein (III,1).
Die Erlanger
Markgrafentheater Inszenierung [TheaterInfo]
Die Inszenierung zerfällt in zwei Teile. Der erste - bis zum 3.
Aufzug - war viel zu oberflächlich und komödiantisch, teilweise
mit lächerlichen Elementen überfrachtet. Der 2. Teil startet
fulminant mit dem - hier von allen vorgetragenen - Monolog
Hamlets "Sein oder nicht sein ... "
Die Inszenierung beginnt wie absurdes Theater mit
mehrfach platten Wiederholungen über das kalte Wetter und wie spät
es wohl sei. Alle - Hamlet, Claudius, Gertrud, Polonius, Ophelia und Horatio
- scheinen sich verhalten-gespannt zu langweilen und warten, dass etwas
geschieht, möglicherweise, ob der Geist von Hamlets Vater (Wittkopp)
erscheine, der dann auch im Hintergrund des eindrucksvoll schlicht ganz
in Weiß gehaltenen Bühnenbildes langsam und symbolträchtig
die Treppe hinaufschritt. In dieser Anfangsszene fällt auch der wegweisende
Satz: Es ist was faul im Staate Dänemark. Und nicht zu knapp.
Hamlet ödipal ?
Im zweiten Teil der Erlanger Inszenierung gibt es eine starke inzestuöse
Szene - Hamlet wirft sich auf die Mutter mit einer Anmutung zwischen Mord-
und Vergewaltigungsimpuls, küsst sie später sanft auf die Stirn
und plötzlich unvermittelt heftig auf den Mund, offenbar eine Konzession
an die psychoanalytischen Deutungen, die allerdings vom Originaltext (Schlegel;
III,4.) in keiner Weise belegbar sind oder gestützt werden. Freuds
einziges Indiz ist die Tötungshemmung Hamlets im Lichte seiner Ödipus-Konflikt-Hypothese.
Die künstlerische Absicht: "Die Erlanger Inszenierung wird im Spiegel der Rächertragödie Hamlet über die Frage nach der Stellung des jungen Intellektuellen in der Gesellschaft reflektieren – und dessen Scheitern angesichts einer Welt, die zwar jede Form der Selbstverwirklichung möglich erscheinen lässt, aber die Utopie als anachronistisch diskreditiert und jede Form der Rebellion entschärft. Die Inszenierung will Hamlet als Exponenten einer Generation zeigen, die sich ganz im Bann der Elterngeneration sieht, von welcher bereits alles gelebt und gestaltet wurde, und der das Leben darum wie ein Plagiat erscheint. Verzweifelt suchen die Nachgeborenen zwischen Generationsauftrag ihren Weg. ... Mit Hamlet wird der Regisseur Christian von Treskow uns, unserer Zeit und sich selbst den Hamlet-Spiegel vorhalten."
Die Hauptfiguren sind maximal kontrastierend zum weißen Bühnenbild in schwarz kostümiert, was Assoziationen von Weltraumgestalten (Unwirklichkeits- und Jenseits-Phantasie), Fest- oder Beerdigungstracht (passend zum Thema) und faschistoidschwarzen Schwadronen (Unrechts-, Gewalt- und Mordlust-Phantasie) hervorrief. Passend auch die leise hintergrundmusikalische Untermalung.
Das Publikum spendete langen Beifall, verhaltene Pfiffe und Schreie und leichtes Trampeln zeigte: Man war offensichtlich mit der Leistung des Theaterteams und besonders der SchauspielerInnen sehr zufrieden.
Epilog. Der Versuch, Hamlet in die Gegenwart zu transportieren, kann nicht gelingen, weil die höfischen Szenarien und der allzu primatenhafte Renaissancestaat schon seit einigen Jahrzehnten gar nicht mehr in unsere gesellschaftliche Welt passen. Da half auch die moderne Rappereinlage, die beim Publikum gut ankam, nicht viel. Shakespeares Zeit war in Form und höfischem Inhalt eben eine andere und für den durchschnittlichen Gegenwartsmenschen wenig ansprechende, wenngleich man durchaus sagen kann, dass sich die Grundlagen primatenhaften Machtgebarens nicht verändert haben. Leider (obschon: ein wenig mehr Rechtsstaat gibt es schon in einigen wichtigen Teilen der Welt). Doch die Frage der Gegenwartsrelevanz und Gegenwartsrezeption betrifft natürlich nicht nur Shakespeare allein, sondern die meisten Klassiker aus fernen Jahrhunderten. So stehen die DramaturgInnen und RegisseurInnen vor einer unlösbaren Aufgabe: alte Texte und Themen so zu gestalten, dass sie in die Gegenwart passen und dennoch ihre Identität bewahren. Auch der Erlanger Hamlet-Inszenierung konnte dies nicht gelingen.
Hamlet Online Versionen:
GP nach Schlegel (kritisch) :
Inszenierungen:
Glossar,
Anmerkungen und Endnoten:
GIPT
= General and Integrative
Psychotherapy, internationale
Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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Deutungsstereotypien. Hamlet
wird meist als unentschlossener, vergeistigter und skrupulöser Zögerer
und Zauderer hingestellt. Das stimmt allerdings nur aus der schlichten
Perspektive eines Renaissance-Menschen bei dem man sich aber fragen muss,
worin das Menschliche bestehen soll. Auch der Darsteller interpretiert
auf die bekannte Weise: "Hamlet ist ein Mensch, der Denken und Handeln
nicht wirklich zusammenbringt. Das Problem mit dem Racheversprechen kann
er auch erst lösen, als er nichts mehr zu verlieren hat, wirklich
wütend ist und eh schon alles den Bach runtergeht. Ansonsten bremst
er seine Impulse immer durch zu viel Nachdenken. Im Denken ist er mutig,
aber nicht im Handeln." (Quelle: Begleitmaterial]
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Eindrücke.
Unsere "Eindrücke" von Theateraufführungen sind zwar an manchen
Stellen gelegentlich kritisch, sind aber nicht als traditionelle Theaterkritiken
misszuverstehen. Hierzu sind wir gar nicht ausgebildet und haben auch zu
wenig Theaterkenntnis und -erfahrung. Wir können also die vielfältige
Leistung von Dramaturgie, Regie, Musik, Bühnentechnik und Darstellung,
besonders der SchauspielerInnen gar nicht angemessen bewerten. Und deshalb
möchten wir uns auch mit
Eindrücken begnügen. Wir
verlangen vom Theater nicht mehr, als dass es Interesse weckt, berührt
und zur Auseinandersetzung mit der Aufführung und dem ihm zugrundeliegenden
Stück anregt.
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Enthüllung
des väterlichen Geistes.
I, Fünfte Szene. Ein abgelegener Teil der
Terrasse. Der Geist und Hamlet kommen.
HAMLET. Wo führst du hin
mich? Red', ich geh' nicht weiter.
GEIST. Hör' an!
HAMLET. Ich will's.
GEIST. Schon naht sich meine
Stunde, / Wann ich den schweflichten, qualvollen Flammen
/ Mich übergeben muß.
HAMLET. Ach, armer Geist!
GEIST. Beklag' mich nicht,
doch leih' dein ernst Gehör / Dem, was ich kund
will tun.
HAMLET. Sprich! mir ist's Pflicht
zu hören.
GEIST. Zu rächen auch,
sobald du hören wirst.
HAMLET. Was?
GEIST. Ich bin deines
Vaters Geist: / Verdammt auf eine Zeitlang, nachts
zu wandern, / Und tags gebannt, zu fasten in der Glut,
/ Bis die Verbrechen meiner Zeitlichkeit /
Hinweggeläutert sind. Wär' mir's nicht untersagt, /
Das Innre meines Kerkers zu enthüllen, / So höb'
ich eine Kunde an, von der / Das kleinste Wort die Seele
dir zermalmte, / Dein junges Blut erstarrte, deine Augen
/ Wie Stern' aus ihren Kreisen schießen machte,
/ Dir die verworrnen krausen Locken trennte /
Und sträubte jedes einzle Haar empor, / Wie Nadeln
an dem zörn'gen Stacheltier: / Doch diese ew'ge
Offenbarung faßt / Kein Ohr von Fleisch und Blut.
– Horch, horch! o horch! / Wenn du je deinen teuren Vater
liebtest – HAMLET. O Himmel!
GEIST. Räch' seinen schnöden,
unerhörten Mord!
HAMLET. Mord?
GEIST. Ja, schnöder Mord,
wie er aufs beste ist, / Doch dieser unerhört und
unnatürlich.
HAMLET. Eil', ihn zu
melden: daß ich auf Schwingen, rasch / Wie Andacht
und des Liebenden Gedanken, / Zur Rache stürmen
mag.
GEIST. Du scheinst mir willig:
/ Auch wärst du träger als das feiste Kraut,
/ Das ruhig Wurzel treibt an Lethes Bord, /
Erwachtest du nicht hier. Nun, Hamlet, höre: / Es
heißt, daß, weil ich schlief in meinem Garten, /
Mich eine Schlange stach; so wird das Ohr des Reichs /
Durch den erlognen Hergang meines Todes / Schmählich
getäuscht; doch wisse, edler Jüngling, / Die
Schlang', die deines Vaters Leben stach, / Trägt
seine Krone jetzt.
HAMLET. O mein prophetisches
Gemüt! Mein Oheim?
GEIST. Ja, der blutschänderische
Ehebrecher, / Durch Witzes Zauber, durch Verrätergaben
/ (O arger Witz und Gaben, die imstand /
So zu verführen sind!) gewann den Willen / Der scheinbar
tugendsamen Königin / Zu schnöder Lust. O Hamlet,
welch ein Abfall! / Von mir, des Liebe von der Echtheit
war, / Daß Hand in Hand sie mit dem Schwure ging,
/ Den ich bei der Vermählung tat; erniedert /
Zu einem Sünder, von Natur durchaus / Armselig gegen
mich! / Allein wie Tugend nie sich reizen läßt,
/ Buhlt Unzucht auch um sie in Himmelsbildung, /
So Lust, gepaart mit einem lichten Engel, / Wird dennoch
eines Götterbettes satt / Und hascht nach Wegwurf.
– / Doch still! mich dünkt, ich wittre Morgenluft:
/ Kurz laß mich sein. – Da ich im Garten schlief,
/ Wie immer meine Sitte nachmittags, /
Beschlich dein Oheim meine sichre Stunde, / Mit Saft
verfluchten Bilsenkrauts im Fläschchen, / Und träufelt'
in den Eingang meines Ohrs / Das schwärende Getränk;
wovon die Wirkung / So mit des Menschen Blut in Feindschaft
steht, / Daß es durch die natürlichen Kanäle
/ Des Körpers hurtig, wie Quecksilber läuft;
/ Und wie ein saures Lab, in Milch getropft, /
Mit plötzlicher Gewalt gerinnen macht / Das leichte,
reine Blut. So tat es meinem, / Und Aussatz schuppte
sich mir augenblicklich, / Wie einem Lazarus, mit ekler
Rinde / Ganz um den glatten Leib. /
So ward ich schlafend und durch Bruderhand / (Um Leben,
Krone, Weib mit eins gebracht,) / In meiner Sünden
Blüte hingerafft, / Ohne Nachtmahl, ungebeichtet,
ohne Ölung; / Die Rechnung nicht geschlossen, ins
Gericht / Mit aller Schuld auf meinem Haupt gesandt.
/ O schaudervoll! o schaudervoll! höchst schaudervoll!
/ Hast du Natur in dir, so leid' es nicht; /
Laß Dänmarks königliches Bett kein Lager /
Für Blutschand' und verruchte Wollust sein! / Doch,
wie du immer diese Tat betreibst, / Befleck' dein Herz
nicht; dein Gemüt ersinne / Nichts gegen deine Mutter:
überlaß sie / Dem Himmel und den Dornen, die
im Busen / Ihr stechend wohnen! Lebe wohl mit eins! /
Der Glühwurm zeigt, daß sich die Frühe naht, /
Und sein unwirksam Feu'r beginnt zu blassen. / Ade! Ade!
Ade! Gedenke mein! /
___
Frauenbild im
Hamlet. In I,2 sagt Hamlet: "Schwachheit, dein Nam' ist Weib!" In III,2:
"OPHELIA: Es ist kurz, mein Prinz. HAMLET: Wie Frauenliebe.
HAMLET: «Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden,/Als Eure
Schulweisheit sich träumt, Horatio.» (Akt l, Szene V)
Sein oder Nichtsein:
Ob's edler im Gemüt, die Pfeil' und Schleudern Des wütenden Geschicks erdulden, oder, Sich waffnend gegen eine See von Plagen, Durch Widerstand sie enden. Sterben – schlafen – Nichts weiter! – und zu wissen, daß ein Schlaf Das Herzweh und die tausend Stöße endet, Die unsers Fleisches Erbteil – 's ist ein Ziel, Aufs innigste zu wünschen. Sterben – schlafen – Schlafen! Vielleicht auch träumen! – Ja, da liegt's: Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen, Wenn wir den Drang des Ird'schen abgeschüttelt, Das zwingt uns still zu stehn. Das ist die Rücksicht, Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen. Denn wer ertrüg' der Zeiten Spott und Geißel, Des Mächt'gen Druck, des Stolzen Mißhandlungen, Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub, Den Übermut der Ämter, und die Schmach, Die Unwert schweigendem Verdienst erweist, Wenn er sich selbst in Ruh'stand setzen könnte Mit einer Nadel bloß! Wer trüge Lasten, Und stöhnt' und schwitzte unter Lebensmüh'? Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod – Das unentdeckte Land, von des Bezirk Kein Wandrer wiederkehrt – den Willen irrt, Daß wir die Übel, die wir haben, lieber Ertragen, als zu unbekannten fliehn. So macht Gewissen Feige aus uns allen; Der angebornen Farbe der Entschließung Wird des Gedankens Blässe angekränkelt; Und Unternehmungen voll Mark und Nachdruck, Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt, Verlieren so der Handlung Namen. – Still! Die reizende Ophelia. – Nymphe, schließ' In dein Gebet all meine Sünden ein! |
Die Situation im Stück. 3. Aufzug, 1.
Szene. [Q].
Ein Zimmer im Schlosse. Der König, die Königin, Polonius, Ophelia, Rosenkranz und Güldenstern. Man rätselt über Hamlets Verstörtheit, ob sie mit seiner Neigung zu Ophelia zusammenhängt oder wie sonst sie zu verstehen sein könnte. Hierzu hat man arrangiert, dass Ophelia und Hamlet sich im folgenden begegnen, was heimlich beobachtet werden soll, um Hamlets "Wahnsinn" bzw. seine inneren Qualen zu verstehen. Die Szene beginnt mit einem Monolog Hamlets, in der Erlanger Inszenierung eindrucksvoll von allen zu Beginn des 2. Teils vorgetragen. [kursiv-fette Markierungen von uns]. Die zum geflügelten Wort gewordene Eingangsfrage - Sein oder
Nichtsein - spitzt dramatisch existialistisch zu, dass das
Leben nur aus Angst vor dem, was nach dem Tod kommen könnte, ertragen
wird, wobei schon die atheistische Idee anklingt, dass der Tod nur eine
Art Schlaf ist. Leben und Tod werden
einander gegenüber- gestellt.
So geht es einerseits ganz radikal um Sein oder Nichtsein und andererseits auch um so oder anders sein, was zu Hamlets Zeiten sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich war - zumindest in Hamlets Augen - und einen auch sehr schnell vom Sein zum Nichtsein befördern konnte. |
Nenn' ich die Hölle mit? – O pfui! Halt, halt mein Herz! Ihr meine Sehnen, altert nicht sogleich, Tragt fest mich aufrecht! – Dein gedenken? Ja, Du armer Geist, solang' Gedächtnis haust In dem zerstörten Ball hier. Dein gedenken? Ja, von der Tafel der Erinn'rung will ich Weglöschen alle törichten Geschichten, Aus Büchern alle Sprüche, alle Bilder, Die Spuren des Vergangnen, welche da Die Jugend einschrieb und Beobachtung; Und dein Gebot soll leben ganz allein Im Buche meines Hirnes, unvermischt Mit minder würd'gen Dingen. – Ja, beim Himmel! O höchst verderblich Weib! O Schurke! lächelnder, verdammter Schurke! Schreibtafel her! Ich muß mir's niederschreiben, Daß einer lächeln kann, und immer lächeln, Und doch ein Schurke sein, zum wenigsten Weiß ich gewiß, in Dänmark kann's so sein. Da steht Ihr, Oheim. Jetzt zu meiner Losung! Sie heißt: »Ade, ade! Gedenke mein!« Ich hab's geschworen. |
Kommentar
Obwohl der Auftrag des väterlichen Geistes klar Rache unter Schonung der Mutter verlangt, verarbeitet Hamlet diesen Auftrag unmittelbar nach der Eröffnung nicht so. 'Seine' Sprache zeigt die Erschütterung, dass das alte Welt- und Menschenbild zusammengebrochen ist und nur noch eines zählen soll: »Ade, ade! Gedenke mein!« Ich hätte erwartet: "Tod, dem Schurken". Doch kein Gedanke an das zur Rechenschaft ziehen, Anklage, der Vernichtung, des Tötens scheint auf. "Nur" Abscheu ("Pfui!), fassungsloses Staunen (der immer nur lächelnde Schurke), Abschied und Gedenken stehen im Zentrum. Es fehlt entgegen der Erwartung der nach Rache dürstende Mordimpuls. Bereits hier ist klar und deutlich angelegt: Hamlet ist anders. Mangelnder Mut, Zögern, Zaudern rücken stärker ins Erleben während der Vorbereitungen des Schauspiels, das Claudius überführen soll (II,2): "Und ich, ein blöder, schwachgemuter Schurke, schleiche, / Wie Hans der Träumer, meiner Sache fremd / Und kann nichts sagen / nicht für einen König / An dessen Eigentum und Leben / Verdammter Raub geschah / Bin ich 'ne Memme?" |
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korrigiert: irs 01.10.07