Nachrichten von der Psychodiagnostik
recherchiert von Rudolf Sponsel, Erlangen.
Ein Team um LMU-Psychiater Nikolaos Koutsouleris konnte Patienten mit vorwiegend bipolaren oder schizophrenen Diagnosen in fünf neue Untergruppen von Psychosen einteilen. Dies könnte künftig eine gezieltere und wirksamere Behandlung ermöglichen.
Psychosen sind in der Psychiatrie immer noch unscharf definiert. Bislang bezeichnen Ärzte Patienten auf der Grundlage gemeinsamer Muster in der psychiatrischen Vorgeschichte, bei den Symptomen und dem Krankheitsverlauf meist entweder als bipolar oder als schizophren. Diese beiden Diagnosen sind sowohl für die klinische Praxis wie für die Forschung zentrale Kategorien, obwohl die Krankheitsverläufe und die Symptome bei genauerer Betrachtung sehr viel heterogener sind und es auch überlappende genetische Risikoprofile gibt. Im Rahmen einer großen Kohortenstudie konnte eine Forschergruppe um den LMU-Psychiater Nikolaos Koutsouleris nun Patienten in fünf neue Untergruppen von Psychosen mit unterschiedlichen Merkmalen einteilen und so das Krankheitsbild „Psychose“ feiner zeichnen.
Die Forscher erfassten zunächst bei 1223 Patienten mit den klassischen Psychose-Diagnosen insgesamt 188 verfügbare Variablen zur Krankheitsgeschichte, zu den Symptomen, zur Leistungsfähigkeit und Kognition. Die Studie sollte nun klären, ob sich unter Verwendung dieser hochdimensionalen klinischen Daten bei der Grunddiagnose „Psychose“ klinische Untergruppen finden lassen. Neu war hier der generelle Ansatz: Die Bildung von Clustern war datengetrieben. Computer sollten mit Methoden des Maschinellen Lernens im Datenwust klare Muster der Erkrankungen erkennen, also eine Art verborgene Struktur hinter den Daten. Mit Erfolg, wie LMU-Psychiater Dominic Dwyer sagt, Erstautor der Untersuchung: „Die Studie zeigt, dass wir den Computer nutzen können, um zu überdenken, wie Menschen mit etablierten Psychose-Symptomen diagnostiziert werden.“
Die Datenanalyse lieferte fünf Untergruppen. „Diese Untergruppen wiesen neben differenzierten Symptom- und Funktionsverläufen auch trennbare klinische Fingerabdrücke auf“, sagt Studienleiter Nikolaos Koutsouleris. Eine der Untergruppen war zudem aufgrund ihres Scores für das Bildungsniveau zu unterscheiden, was einen Zusammenhang mit einem potenziellen Risikofaktor für psychotische Erkrankungen aufzeigt.
Die Forscher verwendeten ein Verfahren, das sich „nicht-negative Matrixfaktorisierung“ nennt. Dabei wurden die hohe Anzahl von 188 Variablen auf fünf Kernkomponenten reduziert, sogenannte Faktoren. Diese sind in der Lage, verborgene Beziehungen zwischen den Variablen zusammenzufassen und zu erklären. „Die Faktorbewertungen jeder Person lassen sich dazu einsetzen, diese in Gruppen einzuteilen, die ähnliche Bewertungen haben“, erklärt Dwyer. So entstanden die fünf Untergruppen „hochfunktionelle affektive Psychose“, „suizidale Psychose“, „depressive Psychose“, hochfunktionelle Psychose“ und „schwere Schizophrenie“.
Jede der Gruppen lasse sich auf Datenbasis klar von anderen Gruppen unterscheiden, so Koutsouleris. Patienten der Gruppe 5 beispielsweise haben als Kernfaktoren eine Schizophrenie-Diagnose, einen deutlich niedrigeren Bildungsgrad, geringe verbale Intelligenz, waren meist männlich und hatten ausgeprägte Symptome einer Psychose, nicht aber einer Depression oder Manie. Bei Gruppe 2 wiederum war die Suizidneigung stark ausgeprägt. Die Einteilung wurde zudem erfolgreich bei einer unabhängigen Testgruppe von 458 Personen bestätigt.
Bisherige Diagnosen basierten vor allem auf sichtbaren biologischen
Markern, nicht auf verborgenen Mustern von Daten. „Unsere Analysen legen
nahe, dass eine unvoreingenommene, datengesteuerte Clusterbildung helfen
kann, das Risiko von Patienten besser zu erfassen mit dem Ziel, die Prognose-
und Behandlungspräzision zu erhöhen“, sagt Dwyer. Die Psychose-Untergruppen
könnten helfen, die Behandlung genauer auf die Patienten zuzuschneiden.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Nikolaos Koutsouleris
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU,
Koordinator des EU-FP7 Projekts PRONIA
Email: Nikolaos.Koutsouleris@med.uni-muenchen.de
Telefon: +49 89-4400 5 5885
Originalpublikation:
Dominic B. Dwyer, PhD, Jonas L. Kalman, Monika Budde, et. al.:
An Investigation of Psychosis Subgroups With Prognostic Validation
and Exploration of Genetic Underpinnings. The PsyCourse Study
JAMA Psychiatry 2020
https://jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/article-abstract/2760515
doi:10.1001/jamapsychiatry.2019.4910"
Erster Eindruck: Das hört sich nach Faktorenanalyse oder Clusteranalyse an, daher scheint mir Vorsicht geboten. Die Eingangsbehauptung "Psychosen sind in der Psychiatrie immer noch unscharf definiert." ist zwar richtig, aber nicht die daran anschließende: "Bislang bezeichnen Ärzte Patienten auf der Grundlage gemeinsamer Muster in der psychiatrischen Vorgeschichte, bei den Symptomen und dem Krankheitsverlauf meist entweder als bipolar oder als schizophren." ist falsch, wie ein einfacher Blick in ICD-10 zeigt. Außerdem ist nicht nachvollziehbar deutlich gemacht, worin nun die neue "Schärfe" bestehen soll. Wichtig wäre, dass die Originaldaten verfügbar gemacht werden, damit man die Methodik und Thesen überprüfen kann. So lange das Haus der Psychiatrie in der Luft hängt, ist mit keinerlei Fortschritt zu rechnen. |
Literatur (Auswahl) > Psychodiagostik.
z.B. Diagnostik site: www.sgipt.org. |