Das Geheime Komitee
Freud's Ideologisches Clearing Instrument
Nach Clark * Nach Dührssen * Kommentar
Freud und das Geheime Komitee 1922
Die Männer mit dem Gemmen-Ring
Hintere Reihe (stehend) von li>re: Rank,
Abraham, Eitington, Jones
Vordere Reihe (sitzend) von li>re: Freud, Ferenczi, Sachs
nach Sekundärquelle Freud romono 1971, S.138/39,
geschnitten u. montiert
Zusammengestellt von Rudolf Sponsel, Erlangen
Erstausgabe 30.3.2002, Letztes Update TT.MM.JJ
Der Freud Biograph Ronald W. Clark berichtet: "In diesem Augenblick, im Sommer 1912, als echte wissenschaftliche Widersprüche die persönliche Kluft zwischen Freud und Jung unheilvoll vertieften, kam bei Jones der romantische Kelte zum Vorschein, und er schlug eine Prätorianergarde vor, die sich im Notfall um ihren Führer scharen konnte. Etwas dergleichen schien auch tatsächlich notwendig zu sein. Adler war gegangen und hatte einen unliebsam großen Teil der Wiener Vereinigung mitgenommen. Stekel war ihm gefolgt, und es bedurfte keines besonderen Scharfsinns zu sehen, daß Jung, eine Persönlichkeit von größerem Format als die anderen Deserteure, bald seine eigene Fahne zu hissen gedachte. Daher, meinte Jones, war die Notwendigkeit eines inneren Kreises gegeben, mit dem Freud regelmäßig die Angelegenheiten der Internationalen Vereinigung besprechen konnte und dessen Mitglieder sich verpflichten würden, keine radikalen Neuerungen der psychoanalytischen Theorie oder Praxis zu publizieren, bevor sie nicht von allen diskutiert worden wären.
Die Rolle, die Jones bei der Entstehung des »Komitees«, wie es genannt wurde, spielte, ist nicht ganz klar. »Die Idee einer geschlossenen kleinen Truppe, die wie die Paladine Karls des Großen das Reich und die Politik ihres Herrn zu schützen hatte, ist ein Produkt meiner eigenen Romantik gewesen«, schrieb er Freud kurz nachdem diese Idee zum erstenmal ausgesprochen worden war, und er fügte hinzu: »Ich habe es nicht gewagt, mit anderen darüber zu sprechen, bevor ich sie nicht Ihnen eröffnet hatte.« [FN06] Vierzig Jahre später erklärte er, er habe den Plan mit Rank und Ferenczi diskutiert.
Am 30. Juli 1912 schrieb er wieder an Freud. Er könne nicht umhin, [363] sagte er, »zu wünschen, daß die Dinge an der Spitze, um Sie herum, zufriedenstellender wären«. In Wien, fuhr er fort, habe einer, wahrscheinlich Ferenczi, »den Wunsch geäußert, daß eine kleine Gruppe von Männern von Ihnen gründlich analysiert werde, so daß sie die reine Theorie, unverfälscht durch persönliche Komplexe, repräsentieren und so einen inoffiziellen inneren Kreis im Verein bilden und als Zentren dienen könnten, wo andere (Anfänger) hingehen und die Arbeit lernen könnten. Wenn das nur möglich wäre, würde es die ideale Lösung sein.« [FN07]
Freud antwortete postwendend. Er begrüßte die Idee, was nicht weiter verwunderlich war, da sie ihm zumindest ein wenig von der Macht zurückgab, die er in Nürnberg eingebüßt hatte. »Was meine Phantasie sofort in Beschlag nahm, war Ihre Idee eines geheimen Konzils, das sich aus den besten und zuverlässigsten unserer Leute zusammensetzen solle, deren Aufgabe es sei, für die Weiterentwicklung der Psychoanalyse zu sorgen und die Sache gegen Persönlichkeiten und Zwischenfälle zu verteidigen, wenn ich nicht mehr da bin« [FN08], schrieb er. Aber die Idee, auch die Ferenczis, schien nicht neu zu sein. In zwei Sätzen, die Jones ausließ, als er Freuds Antwort in seiner Biographie wiedergab, meinte Freud, er selbst könnte diese Idee gehabt haben, als er noch hoffte, Jung werde einen solchen Kreis bilden.
Er war sich jedoch scharfsichtig der Gefahren bewußt. »Ich weiß, daß in diesem Projekt auch ein Element von knabenhafter Romantik liegt«, fuhr er fort, »aber es läßt sich vielleicht realitätsgerecht machen. Ich will meiner Phantasie freien Lauf lassen und Ihnen die Rolle des Zensors überlassen.« [FN09] Freuds einzige Forderung war, daß Existenz und Wirken des Komitees streng geheim bleiben müßten. Darin lag viel Weisheit. Wäre es bekannt geworden, daß sich die Gründerväter der Psychoanalyse zusammenscharten und gleichsam wie Schuljungen eine Geheimgesellschaft bildeten, so würde die Sache zweifellos darunter gelitten haben. Jones selbst hielt es später für ratsam, diesen Aspekt des Komitees zu unterspielen, nachdem Freud jedem Mitglied eine antike Gemme geschenkt hatte, die der Empfänger in einen goldenen Ring fassen ließ. »Lassen Sie sich von der kindischen Sache mit den Ringen nicht irreführen«, schrieb Jones an Brome. »Sie hatten nichts zu bedeuten, und mindestens zwei Mitgliedern des Komitees ist es peinlich, sie zu tragen . . . [FN10]
Die ursprünglichen Mitglieder waren Ferenczi, Rank, Sachs, Abraham und Jones. »Als ich Rank als den letzten Rekruten unserer kleinen Gruppe vorstellte«, schrieb Jones später, »musterte ihn Ferenczi aufmerksam und stellte ihm die Frage: „Ich nehme an, Sie werden der [364] Psychoanalyse immer treu bleiben?" . . . Rank antwortete: „Gewiß" [FN11] „Es war", sagte Jones, „ein merkwürdiger Zufall, daß gerade sie in den folgenden Jahren die einzigen waren, die unserem Versprechen gegenseitiger Verständigung nicht treu blieben." [FN12]
Andere vertraute Freunde wurden nach und nach in den Zauberkreis mit einbezogen, und einer der ersten scheint Eitingon gewesen zu sein. Ringe erhielten Lou Andreas- Salome, Freuds Tochter Anna, Prinzessin Marie Bonaparte, die spätere Freundin und Anhängerin Freuds, Annas Freundin Dorothy Burlingham und Ernest Jones Frau, Katherine. Auf Listen von Ringempfängern scheinen noch andere Namen auf, darunter Stefan Zweig, Ferenczis Frau Gisela, Ruth Mack-Brunswick, Edith Jackson, Henny Freud und Eva Rosenfeld. Wie weit diese Einzelheiten stimmen, ist nicht klar, aber die Idee einer exklusiven, geheimen Körperschaft von Tonangebenden wurde offensichtlich mit der Zeit verwässert.
Als er das Komitee vorschlug, hatte Jones die immer größer werdende Kluft zwischen Freud und Jung im Auge. Aber er selbst war nicht über jeden Verdacht erhaben. Kurz nachdem er den Plan Freud vorgelegt hatte, erhielt dieser einen Brief von Ferenczi: »Selten noch ist es mir so klar gewesen wie jetzt, welchen psychischen Vorteil es bedeutet, als Jude geboren zu werden . . . Jones müssen Sie stets im Auge behalten und ihm die Rückzugslinie abschneiden.« [FN13]."
Clark,
Ronald W. (dt. 1981, engl. 1979). Sigmund Freud. Frankfurt: Fischer.
FN06 Jones - Freud 7.8.1912 Colchester
FN07 Jones - Freud 30.7.1912 Colchester
FN08 Jones - Freud 1.8.1912 zitiert
bei Jones II. S. 187
FN09 ibid
FN10 Jones - Brome. zit. bei Brome,
Freud
loc. cit. S. 160
FN11 Jones Free Associations, loc.
cit., S. 227
FN12 Jones II, S. 187
FN13 Ferenczi - Freud, 16.8.1912,
zit. bei Jones II, S. 187.
Das »Geheime Komitee« nach Dührssen
"FREUD hat sein Leben hindurch tiefgehende Gefühlsbindungen auf sich gezogen und gewissen Menschen gegenüber auch erwidert. Nach seinem eigenen Bericht will ERNEST JONES etwa im Verlauf der Jahre 1911/1912 erkannt haben, daß FREUDS intensive Beziehung zu JUNG keinen Bestand haben würde. Er war 33 Jahre alt, als er gemeinsam mit HAHNS SAcxs und OTTO RANK den Plan zur Gründung einer verläßlichen Hilfstruppe für FREUD schmiedete. Auch HAHNS SACHS und OTTO RANK waren noch jung: 31 und 28 Jahre. Man kam überein, daß auch der 35jährige KARL ABRAHAM ebenso wie FERENCZI (39 Jahre) bereit und geeignet wären, eine solche Hilfstruppe zu gründen.
JONES trug FREUD seine Pläne vor, der von Anfang an enthusiastisch begeistert war und nur die Bedingung stellte, daß das Bündnis der Männer und ihre gemeinsamen Aktivitäten absolut geheim bleiben müßten. FREUD schenkte jedem dieser Männer einen Ring mit einer antiken Gemme - ähnlich einem Ring, wie er ihn selber trug - und besiegelte damit jenen Bund der Ringträger, der sich das »Geheime Komitee« nannte. Die schwärmerische Anhänglichkeit dieser jungen Männer hatte einen unverkennbar romantischen Stempel. Alle verstanden sich als die Paladine FREUDS, der ihr Heerführer sein sollte, und FREUD selbst hat diese Einstellung ausdrücklich begrüßt.
Alle Ringträger, die sich damals um FREUD versammelt hatten, lebten ganz ohne Zweifel in einer tiefen inneren Beziehung zu ihrem Meister. Sie kamen aus den verschiedensten Ländern, hatten aber doch offensichtlich in mancherlei Hinsicht einiges gemeinsam. JONES sagte über die Männer dieser Gruppe: »Keiner von uns war ein gut aussehender Mann.« Tatsächlich fällt diese Eigentümlichkeit dem Betrachter der wenigen Bilder, die von den Beteiligten erhalten sind, besonders auf. Keiner sah gut aus, keiner war groß gewachsen (vgl. Abb. 7)."
Diese Ausführungen muten doch
etwas seltsam an. Im Grunde wird hier mitgeteilt: wer als Mann schlecht
ausieht, neigt zur romantischen Verschwörung. Sehen wir uns z.B. Karl
Abraham näher an, so kann ich das ästhetische Urteil Annemarie
Dührssens nicht nachvollziehen, auch die Methode als Beleg Karikaturen
zu wählen, erscheint mir doch recht ungewöhnlich:
Daß sie in ihrer weitergehenden Deutung bei Abraham zumindest falsch liegt, scheint Dührssen selbst zu bemerken, wenn sie fortfährt: "Dafür liegen jedoch von allen - bis auf KARL ABRAHAM - Berichte vor, die darauf schließen lassen, daß sie in ihrer männlichen Identität recht erschüttert und verunsichert waren. Zudem stammten sie familiär eher aus einem Außenseitermilieu. | ||
Bildnis Karl Abraham aus der Biographie seiner Tochter Hilde | Karikatur bei
Dührssen S. 67 |
JONES war Waliser und gehörte in England zu einer nationalen Randgruppe. FERENCzis Familienname war ursprünglich FRAENKEL. Die Familie hatte ihren Namen magyarisieren lassen." |
Quelle:
Dührssen, Annemarie (1994). Ein jahrhundert Psychoanalytische
Bewegung in Deutschland. Die Psychotherapie unter dem Einfluß Freuds.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
"Freuds einzige Forderung war, daß Existenz und Wirken des Komitees streng geheim bleiben müßten."
Studiert man die Entwicklung der Psychoanalyse und ihre Spaltungen, so wird zwar psychologisch verständlich, daß man nach Mitteln und Wegen suchte, die Truppe beisammen zu halten, aber der Sachverhalt wird dadurch nicht besser. Zeigt er doch, daß Freud und seine Jünger, keiner der PionierInnen außer Reik hatte Psychologie studiert, nicht die geringste Vorstellung davon hatten, was unter einer wissenschaftlichen und psychologischen Psychotherapie zu verstehen ist. Es war eine Art Psycho-Theologie, die Freud kreierte, und seine Lehre verstand er quasi als offizielle und legitime Kirche (er spricht ja auch vom geheimen Konzil), mit ihm an der Spitze als Papst, die anderen (Adler, Jung, Stekel, ...) werden zu Deserteuren, Dissidenten und Sektierern denunziert. So kann man das Geheime Komitee tendenziell gut der Inquisition der Katholischen Kirche oder dem Clearingkonzept [das optimale Individuuum] von Scientology zuordnen: die (geheimen) Führer und optimalen Individuen wissen um die Wahrheit. Es war ein grundlegendes Mißverständnis, daß die Psychoanalyse bis heute nicht verlassen hat. Sie hat weder echte wissenschaftliche Wurzeln noch ein richtiges Wissenschaftsverständnis. Sie muß überwunden werden, auch wenn sie nach ihrem PR-Gebaren noch so sehr den Anschein von libertär und kritisch zu erwecken versucht. Wie die offizielle Kirche Psychoanalyse mit charakterlich anspruchsvollen Kritikern umspringt, konnte erst jüngst am Fall Masson studiert werden. Und die frühe sexuelle Mißbrauchsgeschichte vieler Pioniere unterstreicht die Dubiosität der Einrichtung Psychoanalyse besonders eindringlich - von Anfang an.