Forensisch-Psychopathologischer Kommentar
zum
Gesetzentwurf der bayerischen Staatsregierung über den Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie der einstweiligen Unterbringung (Bayerisches Maßregelvollzugsgesetz – BayMRVG). Drucksache 17_4944.pdf.
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Erste Lesung und Aussprache im bayerischen Landtag
Plenarprotokoll
17/35v. 29.01.2015
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- Erste Lesung -
Staatsministerin Emilia
Müller.......................... 2725
Franz Schindler (SPD).....................................
2726
Joachim Unterländer (CSU).............................
2727
Florian Streibl (FREIE
WÄHLER)..................... 2728
Kerstin Celina (GRÜNE)..........................
2729 2730
Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Staatsregierung durch Frau Staatsministerin Müller begründet. Ich bitte sie zum Rednerpult.
Staatsministerin Emilia Müller
(Sozialministerium):
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen und Kolleginnen!
Mit dem Entwurf für ein Bayerisches Maßregelvollzugsgesetz legt
die Bayerische Staatsregierung ein modernes, für alle Länder
richtungweisendes Gesetz für den Vollzug von strafgerichtlich angeordneten
Maßregeln der Besserung und Sicherung vor. Hauptanliegen des Gesetzes
ist die Resozialisierung straffällig gewordener psychisch kranker
und suchtkranker Menschen. Die untergebrachten Personen sollen geheilt
und wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden.
Der Gesetzentwurf legt dabei auf zwei Punkte großen Wert: einerseits auf den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung, andererseits gewährleistet er für die betroffenen Patienten und Patientinnen eine hohe Qualität der Therapie. Sie reicht von der Behandlung der Erkrankten über Beschäftigungs- und Arbeitstherapie bis hin zur Sporttherapie.
Die Rahmenbedingungen stellen wir mit dem Gesetzentwurf auf ein sicheres und transparentes rechtliches Fundament. Damit kommen wir zum einen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes nach, das in den letzten Jahren für verschiedene Bereiche des Maßregelvollzugs gesetzgeberische Festlegungen eingefordert hat. Zum anderen wird durch eine detaillierte Regelung der Rechtsstellung der untergebrachten Personen sichergestellt, dass die Patientinnen und Patienten, ihre Angehörigen und die in den Einrichtungen Beschäftigten wissen, welche Rechte und Pflichten sie haben und welche Maßnahmen unter welchen Voraussetzungen zulässig sind.
Wichtig ist mir dabei, dass wir in Bayern einen menschlichen Maßregelvollzug gewährleisten. Deshalb ist von Bedeutung, dass der Gesetzentwurf die Belange besonderer Personengruppen berücksichtigt. So gibt es spezielle Regelungen für schwangere Frauen, für Personen, die gemeinsam mit ihren Kindern untergebracht sind, und für junge untergebrachte Personen. Auch das Recht auf uneingeschränkte Religionsausübung wird ausdrücklich genannt.
Selbstverständlich legen wir besonderen Wert auf die Qualitätssicherung im Maßregelvollzug. Hier möchte ich zwei Punkte herausgreifen. Um die Fachaufsicht über den Maßregelvollzug aktiv gestalten zu können, wollen wir im "Zentrum Bayern Familie und Soziales" eine neue Fachaufsichtsbehörde für den Maßregelvollzug in Bayern etablieren. Auf diese Weise wollen wir sicherstellen, dass die Fachaufsichtsbehörde auch präventiv und beratend tätig werden kann und damit mögliche Mängel frühzeitig erkannt und abgestellt werden können. Die Erkenntnisse, die die Fachaufsicht aus ihren Beratungen, Überprüfungen und Kontrollen zieht, sollen zu landesweit einheitlichen Qualitäts- und Sicherheitsstandards führen.
Als ständiger Ansprechpartner vor Ort sollen künftig für die untergebrachten Personen, ihre Angehörigen und die Beschäftigten der Einrichtungen Maßregelvollzugsbeiräte eingerichtet werden, denen auch Landtagsabgeordnete angehören sollen. Die Beiräte sind eine wichtige Initiative, um im Maßregelvollzug Transparenz zu schaffen und zu Problemlösungen beizutragen. Beiräte haben sich in den Justizvollzugsanstalten bewährt und sollen deshalb auch für den Maßregelvollzug eingeführt werden.
Träger des Maßregelvollzugs sind auch künftig die Bezirke. Ihnen ist diese Aufgabe seit Langem übertragen. Sie nehmen diese Aufgabe selbst oder mittels ihrer Kommunalunternehmen in enger Verzahnung mit dem Kostenträger, dem Freistaat Bayern, engagiert wahr.
Das Bayerische Maßregelvollzugsgesetz bringt Rechtssicherheit für die untergebrachten Menschen wie auch für die Beschäftigten. Im Interesse der Betroffenen bitte ich Sie daher, zu einem zügigen Gesetzgebungsverfahren beizutragen. [>2726]
(Beifall bei der CSU)
Zweite Vizepräsidentin Inge Aures: Herzlichen Dank. - Ich eröffne
nun die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt nach
den neuen Regeln der Geschäftsordnung 24 Minuten. Die Redezeit der
Staatsregierung orientiert sich dabei an der Redezeit der stärksten
Fraktion. - Erster Redner ist der Kollege
Franz Schindler.
Franz Schindler (SPD): Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Staatsministerin! Der Gesetzentwurf, der heute eingebracht wird, ist längst überfällig, hat eine lange Vorgeschichte und wäre an sich Anlass, auf die geschichtlichen Hintergründe der Maßregeln der Sicherung und Besserung, wie es früher im deutschen Strafrecht geheißen hat, einzugehen, nämlich auf das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher aus dem Jahr 1933. Allerdings habe ich dafür nicht die Zeit.
Der Zustand, dass der Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung in Bayern in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt bisher gesetzlich in Artikel 28 des Unterbringungsgesetzes nur sehr rudimentär geregelt ist, ist spätestens seit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 2008 zum Vollzug der Untersuchungshaft und von 2011 zur Frage der Zulässigkeit medizinischer Zwangsbehandlungen nicht mehr haltbar.
Es geht um den Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung gemäß § 61 des Strafgesetzbuches an Personen, die eine rechtswidrige Tat begangen haben und wegen mindestens verminderter Schuldfähigkeit und bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen der §§ 63 und 64 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt untergebracht werden.
Es geht ausdrücklich nicht um die Voraussetzungen der Anordnung einer Maßregel. Hierfür ist der Bundesgesetzgeber zuständig. Die entsprechende Problematik wird, wie Sie wissen, auf Bundesebene heftig diskutiert, und es ist zu erwarten, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einweisung in die Psychiatrie deutlich verschärft werden und die Dauer der Unterbringung durch häufigere Überprüfungen und Begutachtungen während des Vollzugs deutlich verkürzt wird. Es ist zu hoffen, dass damit der rechtspolitische Missstand behoben wird, dass zwar die Zahl der strafgerichtlichen Unterbringungsanordnungen seit Jahren in etwa stabil ist oder nur leicht ansteigt, jedenfalls in Bayern, die Zahl der Untergebrachten aber wegen der immer längeren Dauer der Unterbringung insgesamt ständig größer wird.
Es geht um neue Regelungen für einen Rechtsbereich, der gelegentlich als die Dunkelkammer des Rechts bezeichnet wird. In der Realität ist es auch so, dass für viele Betroffene die Unterbringung aufgrund einer strafgerichtlichen Entscheidung als viel schwerwiegenderer Eingriff begriffen wird als die Verhängung einer Haftstrafe, da es jedenfalls dann, wenn keine Sicherungsverwahrung angeordnet ist, leichter ist, aus dem Strafvollzug entlassen zu werden als aus einem psychiatrischen Krankenhaus.
Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um die ebenfalls erforderliche grundsätzliche Überarbeitung unseres Unterbringungsrechts durch Schaffung eines Hilfegesetzes für psychisch kranke Personen. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die Staatsregierung nun endlich einen Gesetzentwurf zum Vollzug der Maßregeln vorlegt, was im Übrigen auch wegen der Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit der sogenannten Modellbauaffäre einer ehemals genau für diesen Bereich zuständigen Ministerin staunend zur Kenntnis genommen wurden, erforderlich ist.
Der Gesetzentwurf genügt allerdings den hoch gespannten Erwartungen, die unter anderem auch bei einer Anhörung im Rechtsausschuss im Mai letzten Jahres zu diesem Thema geäußert worden sind, nicht. Wie von vielen Verbänden im Rahmen dieser Anhörung und auch gegenüber der Staatsregierung kritisiert wurde, orientiert sich der vorliegende Entwurf sehr stark an der bestehenden Vollzugspraxis, und es wird der grundlegende Unterschied zwischen dem Maßregelvollzug und dem Strafvollzug nicht durchgängig beachtet.
Das zeigt sich schon an der Definition der Ziele und Grundsätze des Maßregelvollzugs. In Artikel 2 Absatz 2 heißt es, dass die untergebrachte Person auf ein straffreies Leben vorbereitet werden soll. – Meine Damen und Herren, es geht um den Maßregelvollzug und nicht um den Vollzug der Freiheitsstrafe. Der Bayerische Richterverein weist völlig zu Recht darauf hin, dass die untergebrachte Person eben nicht bestraft worden ist, sodass das Ziel auch nicht sein kann, sie auf ein straffreies Leben vorzubereiten. Das Ziel, den Maßregelvollzug auch sprachlich deutlich vom Strafvollzug zu unterscheiden, wird auch verfehlt, wenn die psychisch kranken Personen als "untergebrachte Personen" und nicht wie in den Gesetzen anderer Bundesländer und auch im Strafvollzugsgesetz als Patienten, die der Hilfe und Behandlung bedürfen, bezeichnet werden. Die Kritik, dass die vorgesehene Definition stigmatisiert und verkennt, dass in einem psychiatrischen Krankenhaus Patienten behandelt werden, ist meines Erachtens berechtigt. [>2727]
Zwar ist zu begrüßen, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erstmals der Vollzug der einstweiligen Unterbringung infolge einer strafgerichtlichen Entscheidung gemäß § 126 a StPO und der Vollzug der Sicherungshaft auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden, doch wird hierbei der Unschuldsvermutung nicht ausreichend Rechnung getragen.
Zu begrüßen ist, dass in Artikel 6 des Gesetzentwurfs versucht wird, den hohen Anforderungen der Rechtsprechung an die Zulässigkeit von Behandlungsmaßnahmen ohne Einwilligung des Betreffenden gerecht zu werden. Missglückt ist unseres Erachtens aber die äußerst komplizierte Regelung zum Rechtsschutz der psychisch kranken Menschen.
In der Ersten Lesung kann ich nur noch kurz ansprechen, dass es nicht angeht, dass bis zu vier psychisch kranke Menschen in einem Zimmer untergebracht werden können bzw. sollen.
(Beifall bei der SPD)
Man muss auch kritisieren, dass die vorgesehene Regelung zur mechanischen Fixierung auch künftig nicht ausschließen wird, dass psychisch kranke Menschen länger als 24 Stunden fixiert werden dürfen, und dass bei den Vorschriften über den persönlichen Besitz und den Besuch offensichtlich den Interessen der Vollzugseinrichtungen der Vorrang vor den Bedürfnissen der Menschen eingeräumt werden soll.
Dennoch, meine Damen und Herren, ist es ein ganz wichtiges Thema. Wir
werden es sorgfältig – möglicherweise nicht ganz zügig,
aber umso sorgfältiger – im zuständigen Ausschuss behandeln.
Zweite Vizepräsidentin Inge Aures: Herzlichen Dank. - Jetzt bitte ich den Kollegen Unterländer zum Rednerpult.
Joachim Unterländer (CSU): Frau Präsidentin, Frau Staatsministerin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rechtsprechung in diesem Bereich hat es dringend erforderlich gemacht, dass es zu dem bisherigen Unterbringungsrecht eine Alternative gibt, nämlich ein eigenständiges Bayerisches Maßregelvollzugsgesetz. Auch wenn – Kollege Schindler hat das zu Recht angesprochen – zwei entscheidende Fragestellungen, nämlich die Frage der Einweisung in die Psychiatrie und die Frage der Gestaltung der Unterbringung, mit diesem Maßregelvollzugsgesetz nur peripher etwas zu tun haben, so denke ich schon, dass es notwendig ist, das in einem Kontext zu sehen. Es besteht Handlungsbedarf – der Fall Mollath ist ein Beispiel, das man erwähnen muss –, eine Neuregelung ist notwendig.
Ich halte das für eine ganz schwierige und sensible Problematik zwischen der Einschränkung von Rechten von psychisch kranken Rechtsbrechern auf der einen Seite und dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft auf der anderen Seite abzuwägen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in den vergangenen Jahren wiederholt, zum Beispiel wegen der fehlenden gesetzlichen Grundlagen und der Prüfung der Frage der Zulassung medizinischer Zwangsbehandlungen mit dem Ziel der Erreichung einer Entlassungsfähigkeit einer untergebrachten Person im Maßregelvollzug, Vorgaben gemacht, denen das bisherige Unterbringungsgesetz nicht genügt.
Für besonders wichtig halte ich auch, dass die Kriterien der Privatisierung von Maßregelvollzugseinrichtungen verschärft worden sind. Dies widerspricht Tendenzen aus anderen Ländern, eine Privatisierung vorzunehmen. Diese Diskussion gibt es in der Tat. Ich halte die Privatisierung für kontraproduktiv, weil ich glaube, dass das eine originäre Staatsaufgabe ist, die als solche klar umrissen bleiben muss.
Die Ausgestaltung der Unterbringung, der Arbeit, der Beschäftigung und der Bildung sowie der Außenkontakte entsprechen der gegenwärtigen Praxis. Da gibt es nun unterschiedliche Auffassungen, ob man sich an der bisherigen Praxis orientiert, Herr Kollege Schindler, oder ob man entsprechende Veränderungen vornimmt. Wir meinen – das müssen wir entsprechend intensiv in den Ausschüssen beraten –, dass das bisherige Konzept die Basis sein sollte.
Eine konkrete Gestaltung der Sicherungsmaßnahmen und auch die Schaffung von Maßregelvollzugsbeiräten – die Frau Staatsministerin hat das bereits angesprochen –, die analog der JVA-Beiräte gestaltet werden sollen, sind wichtige strukturelle Konkretisierungen. Sie sind zu begrüßen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass auf der Tagesordnung heute auch noch ein Gesetzentwurf der GRÜNEN zum PsychKHG steht – über dessen Inhalt reden wir an späterer Stelle –, also ein Gesetzentwurf zur Hilfe und Unterbringung in psychischen Krisen und bei psychischen Krankheiten, in dem der Unterbringungsbereich und der Maßregelvollzug in gewisser Weise ebenfalls geregelt werden sollen. Ich meine allerdings, dass wir hier eine klare Trennung vornehmen sollten. Das Maßregelvollzugsgesetz braucht eine eigenständige Gestaltung. Für den therapeutischen Ansatz und auch für die Sicherheit von Betroffenen, 2.500 Personen, ist es notwendig. [>2728]
Die Bedingungen bei Aufnahmeverfahren werden klar verändert. Das ist auch für die Betroffenen insgesamt positiv. Es haben bereits intensive Beteiligungs- und Anhörungsverfahren stattgefunden. Auch der Rechtsausschuss hat dazu eine Anhörung durchgeführt.
Sie haben die Bezirke angesprochen. Auch insofern gibt es noch Fragen, die nicht rein rechtspolitischer Natur sind, zum Beispiel die, ob forensische oder sozialpsychiatrische Ambulanzen in das Gesetz aufgenommen werden sollen oder ob sie bereits maßgeblich in den strafrechtlichen Bestimmungen enthalten sind. Auch dieser Auffassung kann man sein. In den Gesprächen hat uns in Bezug auf die Betroffenen ferner die Frage sehr intensiv berührt, ob Klinikleitungen durch Psychotherapeuten übernommen werden können. Diese Fragen müssen in den Gesetzgebungsberatungen geklärt werden.
Im Gesetzentwurf ist auch eine neue Regelung zur Vollzugsgestaltung
insgesamt enthalten. Das ist aus unserer Sicht der richtige Weg, gerade
was die einstweilige Unterbringung anbelangt. Ich halte zudem die Neugestaltung
der Aufsicht durch das Zentrum Bayern, Familie und Soziales für eine
durchaus dringende und zweckmäßige Maßnahme. Dieses Thema
hat Staatsministerin Emilia Müller bereits angesprochen. Ich hoffe,
dass es gelingt, die Stellensituation so zu entwickeln, dass diese Aufsicht
entsprechend wahrgenommen werden kann. Wir werden das sehr genau beobachten
und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen müssen. Vor dem Hintergrund
der entsprechenden Urteile ist es notwendig, auf eine schnellstmögliche
Umsetzung bei präziser Beratung abzuzielen. Ich freue mich auf die
Beratungen in den zuständigen Ausschüssen.
Zweite Vizepräsidentin Inge Aures: Herzlichen Dank. – Ich bitte nun Herrn Kollegen Streibl zum Rednerpult.
Florian Streibl (FREIE WÄHLER): Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Ministerin, werte Kolleginnen und Kollegen! Wie schon allein die Rednerliste zeigt, steht dieses Gesetz in einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen Sozialpolitik und Rechtspolitik. Es ist dringend notwendig und längst überfällig. Es steht seit Jahren aus. Endlich ist die Staatsregierung auf diesem Gebiet tätig geworden. Bevor ich auf den Gesetzentwurf zu sprechen komme, muss man sagen: Der Maßregelvollzug war bislang völlig unzureichend geregelt. In Bayern haben die Vorschriften den Anforderungen der Rechtsprechung schon lange nicht mehr genügt. Daher ist es gut, dass dieses Gesetz jetzt kommt.
Der Bayerische Richterverein hat in der Vergangenheit in seinen Stellungnahmen immer wieder Kritik an der jahrelangen gesetzgeberischen Untätigkeit geübt; denn dadurch entstand eine Rechtsunsicherheit für die Einrichtungen, für das Personal und die Patienten. Deshalb begrüßen wir diesen Gesetzentwurf ausdrücklich. Wir nehmen zur Kenntnis, dass viele Forderungen von Sachverständigen aus der Landtagsanhörung berücksichtigt worden sind, vor allem Forderungen nach einer Regelung in Bezug auf Zwangsmaßnahmen wie die Fixierung. Der Richtervorbehalt ist da, aber Verbesserungen sind möglich. Wir alle haben die Vorwürfe und Geschehnisse in Taufkirchen vor Augen. So etwas darf nicht mehr passieren. Das muss gesetzgeberisch so geregelt werden, dass diese Dunkelkammer des Rechts erhellt wird und man für die Patienten eintritt.
Dieser Gesetzentwurf wird zwar von vielen Verbänden gelobt; dennoch gibt es berechtigte Kritik, wie wir vom Kollegen Schindler gehört haben. Durch diesen Gesetzentwurf wabert immer noch ein Substrat alten Denkens, das in dieses Gesetz eigentlich nicht hineingehört. Der Gesetzentwurf orientiert sich immer noch an der Vollzugspraxis, was auch die Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger deutlich kritisiert, die Verbesserungen fordert. Auch der Bayerische Richterverein sagt hier deutlich, dass sich der Gesetzentwurf letztlich an den Bedürfnissen der Einrichtungen orientiere, aber nicht an den Bedürfnissen der Patienten. Im Entwurf ist noch kein behandlungsorientierter Vollzug zu sehen; hier muss also noch nachgebessert werden.
Wir müssen auch hier deutlich machen: Bei den untergebrachten Personen handelt es sich um Patienten. Hier wollen wir nachbessern. Unsere Fraktion wird entsprechende Änderungsanträge in die Diskussion einbringen, um die Rechte der Untergebrachten zu stärken, zum Beispiel bei der Regelung ihrer persönlichen Angelegenheiten, wobei sie auch Angehörige oder Vertrauenspersonen einbeziehen können. Ferner werden wir beantragen, die Mindestbesuchsdauer zu erweitern und gerade im Bereich der Zwangsmaßnahmen weitere Dokumentationspflichten vorzusehen, die das Ganze nachvollziehbar machen. Wir wollen auch ein zentral geführtes, landesweites Melderegister einführen. Dafür gibt es möglicherweise eine Ombudsstelle, die sich für die Interessen der Untergebrachten einsetzt.
Bislang ist auch die Forderung des Bayerischen Bezirketages nach einer Regelung zur forensisch-psychiatrischen Ambulanz nicht berücksichtigt. Auch dieser Aspekt ist hier noch nicht zu sehen. Es gibt also [>2729] noch einiges nachzubessern, worüber wir in den Ausschüssen reden können. Darüber hinaus gibt es insofern weiteren Regelungsbedarf, als auch das bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz auf den Weg gebracht werden muss. Ich bitte die Staatsregierung, sich darüber hinaus im Bundesrat dafür einzusetzen, § 63 des StGB zu reformieren.
Vor einem Jahr haben wir im Landtag den Antrag eingebracht, aus dem Fall Mollath Konsequenzen zu ziehen. Jetzt, nach einem Jahr, kommt die Staatsregierung langsam in die Gänge. Das ist zwar zu begrüßen, aber leider eine zu langsame Vorgehensweise. Daher werden wir unser Möglichstes tun, um das Ganze in diesem Haus zu beschleunigen. Wir hoffen, dass wir in den Ausschüssen zügige, intensive und erfolgsorientiere Diskussionen haben werden.
Zweite Vizepräsidentin Inge Aures: Danke schön. – Frau Kollegin Celina, kommen Sie bitte zum Rednerpult.
Kerstin Celina (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrte Damen und Herren! Dem von der Staatsregierung vorgelegten Gesetzentwurf eines Bayerischen Maßregelvollzugsgesetzes habe ich mit Spannung entgegengesehen; denn wie Sie auch in der Problembeschreibung vor dem eigentlichen Gesetzentwurf richtig und deutlich schreiben, wird das bisherige Unterbringungsgesetz seit Längerem seiner Bedeutung nicht mehr gerecht. Seit vielen Jahren fordern die Betroffenen und die in der Praxis Zuständigen immer wieder, für alle Beteiligten nachvollziehbare und eindeutige Rechtsgrundlagen zu schaffen. Die politisch Verantwortlichen sollen endlich den Mut haben, Entscheidungen zu treffen und den Maßregelvollzug und die Verantwortlichkeiten in diesem Zusammenhang klar zu regeln.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Die Debatte ist letztlich aber erst seit den einschlägigen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts in Gang gekommen. Seitdem ist klar, dass im Unterbringungsgesetz keine hinreichende gesetzliche Grundlage existiert, um die Rechte der Betroffenen einzuschränken.
Die Urteile unseres höchsten Gerichtes fordern mehr Klarheit bei der Zulässigkeit und beim Verfahren medizinischer Zwangsbehandlungen. Sie stellen fest, dass eine Zwangsbehandlung nur als letztes Mittel und unter engen Voraussetzungen eingesetzt werden darf.
Endlich liegt der Gesetzentwurf der Staatsregierung vor. Der Entwurf ist ein großer Schritt für Bayern, aber in mancher Hinsicht immer noch ein zu kleiner Schritt für die Betroffenen.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Ich möchte Ihnen detaillierte Änderungsvorschläge ans Herz legen. Manchmal sind es nur Formulierungsvorschläge, zum Beispiel gleich zu Beginn, wenn es um das Ziel des Gesetzes geht. Das Ziel muss nämlich die Befähigung des Patienten sein, ein in die Gemeinschaft eingegliedertes Leben zu führen um zu erreichen, dass er oder sie nicht mehr gefährlich ist. Was jetzt in dem Gesetz steht ist – wie die Vorredner auch schon sagten – wieder der ordnungspolitische Ansatz, den wir bereits seit dem letzten Jahrtausend haben und der nicht mehr dem heutigen Stand der Wissenschaft entspricht.
Wir schlagen Konkretisierungen vor, zum Beispiel die, dass über einen Antrag auf Verlegung binnen eines Monats entschieden werden muss. Ich hänge nicht an der von uns vorgeschlagenen Zeitspanne von einem Monat; aber gar keine Zeitspanne vorzugeben, halte ich für falsch.
(Beifall bei den GRÜNEN)
Wir schlagen Erweiterungen vor, zum Beispiel bei Artikel 48, in dem es um die Leitung der Maßregelvollzugseinrichtungen geht. Wir sind der Meinung, dass auch Psychotherapeuten prinzipiell geeignet sind, eine solche Einrichtung zu leiten; denn der beste Chef ist nicht immer der beste Sachbearbeiter mit dem detailliertesten Wissen. Das weiß inzwischen jeder Personalchef. Es kommt stattdessen auf die Führungsfähigkeiten an sowie auf fachliches Grundwissen und auf die Fähigkeit, sich weiterzubilden.
(Beifall bei den GRÜNEN)
All das können Psychotherapeuten je nach persönlicher Eignung ebenso gut wie Fachärzte der Psychotherapie. Dazu ein kleiner Exkurs am Rande: Ministerin Ursula von der Leyen war weder Expertin für Arbeitsmarktpolitik noch Expertin für Verteidigungspolitik. Trotzdem wurden ihr die Ressorts aufgrund der von ihr erwarteten persönlichen Eignung anvertraut. Das ist politische Praxis. Das ist Praxis in der Wirtschaft. Warum soll man also nicht auch die Leitung einer Maßregelvollzugsanstalt für die von mir genannte Berufsgruppe öffnen und dann nach persönlicher Eignung entscheiden?
Wir schlagen auch Streichungen vor, zum Beispiel die in Artikel 22 genannten Disziplinarmaßnahmen; denn [>2730]
bei den GRÜNEN)
diese entsprechen einfach nicht mehr dem heutigen Stand.
Obwohl dieser Gesetzentwurf viele Artikel enthält, die gut gelungen sind und die Ziele der GRÜNEN widerspiegeln, zum Beispiel Artikel 5 zum Behandlungsund Vollzugsplan, gibt es doch auch Punkte, in denen der Gesetzentwurf zu unklar bleibt und nichts darüber aussagt, wie Grundrechte gewahrt werden müssen und von den Einrichtungen auch tatsächlich gewahrt werden können. Wir haben deshalb Artikel 13, in dem es um die Außenkontakte geht, und Artikel 51, in dem es um Maßregelvollzugsbeiräte geht, komplett überarbeitet und schlagen detaillierte Regelungen vor, zum Beispiel zu den Besuchen von Rechtsanwälten und zur Besuchskommission, und bitten darum, unsere Vorschläge ernsthaft zu prüfen und zu diskutieren.
Ein extrem wichtiger Punkt in diesem Gesetzentwurf ist die Regelung von Zwangsbehandlungen. Der Gesetzentwurf greift hier vieles auf, was in der Vergangenheit kritisiert wurde. In einem Punkt sehe ich den Gesetzentwurf aber kritisch, nämlich was die Zwangsbehandlung zur Abwehr von Gefahren für Dritte anbelangt; das ist Artikel 6 Nummer 6. Ich verstehe die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes so, dass insbesondere bei Personen, deren Einwilligungsfähigkeit nicht aufgehoben ist, mit besonderen Sicherungsmaßnahmen reagiert werden muss, anstatt mit Zwangsmaßnahmen.
Zweite Vizepräsidentin Inge Aures: Beachten Sie bitte die Redezeit!
Kerstin Celina (GRÜNE): Ja. – Ich verweise in diesem Zusammenhang
auch explizit auf die Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission bei der
Bundesärztekammer aus dem Jahr 2013, die das genauso festgestellt
hat. - Im Interesse der Betroffenen und im Interesse derer, die in und
mit den Vollzugseinrichtungen arbeiten, sowie im Interesse der Allgemeinheit
würde ich mich freuen, wenn wir diesen Gesetzentwurf tatsächlich
weiterentwickeln könnten.
Zweite Vizepräsidentin Inge Aures: Danke schön. – Die Aussprache
ist damit geschlossen. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss
für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration als federführendem
Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Herzlichen
Dank. Dann ist dies so beschlossen.
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