Explorations-Projekt der Allgemeinen und Integrativen PsychotherapeutInnen
von R. Sponsel, gewidmet Dr. med. Ulrich Hilber, der mich darauf gebracht hat
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F01
Beschreibung, Erfahrung und
Erlebnisverarbeitung einer betroffenen
Hyperaktiven
Vorbemerkung R. Sponsel: Die folgende
Erlebnis- und Problembeschreibung ist original und wird mit Erlaubnis der
PatientIn hier wiedergegeben. Das Erkennen, woran sie - neben anderem -
leidet ist bekannt, hat einen Namen und es gibt auch andere, denen es ähnlich
ergeht, führte zu einer großen Erleichterung. Psychodiagnostisch
und psychotherapeutisch ist hochinteressant, daß die Unterdrückung
und Unmöglichkeit, Aktivitätsimpulsen nachzugehen zum Auslöser
von phobischen Zuständen wird, die sich bis zu Panikattacken steigern
können. Wir wissen, daß wir psychotherapeutisch Neuland betreten
haben, da es bislang keine Standardverfahren, wie Hyperaktivitätsimpulsen
zu begegnen ist, gibt. Wir teilen diesen Sachverhalt gemeinsam der psychologisch-psychotherapeutischen
Öffentlichkeit mit in der Hoffnung mit anderen Betroffenen, Behandler-
oder ForscherInnen in einen kreativen, uns alle weiterbringenden Kontakt
eintreten zu können.
"Typische Eigenschaften bei mir 1. Totale Ungeduld (unerledigtes muß sofort erledigt werden)
Aktivität= gut
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1. Totale Ungeduld
Bsp.: Es ist Freitag früh und ich habe heute meinen Wochengroßputz
zu erledigen. Freitags muß ich bis 12:30 Uhr arbeiten. Dann sitze
ich den ganzen Vormittag wie auf Kohlen und kann es nicht erwarten bis
ich endlich zum putzen heimgehen kann. Ich glaube, daß es gar nichts
mit dem Putzen zu tun hat. Ich muß einfach Dinge, die zu erledigen
sind, sofort machen. Es geht manch mal so weit, daß ich Zeitausgleich
nehme und von der Arbeit früher heimgehe um mit dem Putzen beginnen
zu können, damit es ENDLICH fertig ist.
Alle Vierteljahre muß ich wegen meinem Asthma zur Lungenkontrolle.
Diesen Termin habe ich meistens an einem Freitag Mittag. Wenn das jetzt
zufällig auch noch so ein Großputzfreitag ist, könnte ich
total ausrasten, weil ich dann das Putzen nicht sofort nach der Arbeit
erledigen kann. Wenn ich mich dann am Donnerstag in die Sache reinsteigere,
dann mach ich den Großputz gleich noch am Donnerstag, damit das erledigt
ist. Bin ich dann beim Putzen, mache ich mehrere Sachen gleichzeitig; z.
B. ich putz das Waschbecken und ich gehe schnell in die Küche um einen
Lappen zu holen. Unterwegs sehe ich im Schlafzimmer die Bügelwäsche.
Dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß ich erst schnell
die Wäsche wegbügle, bevor ich das Bad weiterputz. Fällt
mit dann beim Bügeln ein, daß ich noch den Müll raustragen
muß, dann unterbreche ich das Bügeln auch noch und erledige
den Müll. Auf dem Weg zum Müll muß ich mir dann schon langsam
einen Plan machen, damit ich überhaupt mit allem fertig werde. Ich
grüble dann ganz schnell und intensiv, daß ich bis zur Haustür
den bestmöglichen Plan habe. Wenn dann endlich alles getan ist, die
Wohnung ordentlich und sauber ist, dann erst bin ich so richtig erleichtert
und glücklich. Ich kann in meiner Wohnung, auch nur entspannen, wenn
sie ordentlich ist. Wenn alles wirr rumliegt und noch zum putzen ist, dann
fühle ich mich auch wirr und unruhig, weil ich dann ständig daran
denken muß, was ich noch alles machen muß. Wobei es mir jedoch
völlig egal ist, wie es bei anderen Leuten aussieht.
2. Konzentrationsprobleme
Bsp.: Mein Mann schlägt mir vor, daß ich mir doch mal mit ihm eine politische Sendung ansehen soll, die zufällig gerade im Fernseher läuft. Dann bin ich erst einmal einverstanden. Dann sitze ich da, und versuch wirklich irgendwie zu verstehen, was die im Fernseher sagen, ABER es geht nicht. Ich verstehe zwar die einzelnen Wörter, aber ich kann die Aussage nicht begreifen. Beim 4. Wort habe ich das 2. und 3. vergessen. Es dauert dann nicht lange und in mir macht sich dann eine endlose Langeweile breit. In diesem Fall ist das ganze kein Problem, weil ich das Programm einfach umschalten kann. Aber wenn ich z.B. in der Schule ein Fach hatte, das mich nicht interessiert, habe ich gedacht ich werde vor Langeweile verrückt. Es war fast ein Gefühl von Platzangst. ANDERERSEITS, wenn mich etwas interessiert, dann kann ich mich in die Sache voll und ganz reinsteigern. Das artet dann schon fast wieder aus.
3. Unzufriedenheit und ständige Unruhe
Es kommt öfter mal vor, daß sich in mir so eine unerklärliche Unzufriedenheit breit macht. Ich habe dann eigentlich überhaupt keinen Grund dazu. Es ist dann so eine komische Stimmung. Wenn ich dann auch noch an den ganzen Alltagstrott denke, könnte ich heulen, weil mir bewußt wird, daß das ganze putzen und arbeiten nie enden wird. Ich kann Freitags noch so toll putzen; in einer Woche wird es wieder dreckig sein. Ich werde also niemals fertig sein. Dann denk ich mir, wieso kann ich nicht reich sein, und muß mich nicht um alles kümmem. Als Kind und Jugendlicher habe ich auch immer gedacht, daß in meinem Leben als Erwachsener auch bestimmt mal was besonderes passieren wird. ABER es passiert nichts besonderes. Um die Stimmung zu heben, höre ich mir dann auch noch irgendeine traurige Musik an um dann garantiert einen Heulkrampf zu kriegen.
4. Wünsche und Vorhaben, die nicht klappen
werden schnell verworfen.
Wenn ich auf etwas recht lange warten muß, ist die Ungeduld so schlimm, daß ich es dann lieber erst gar nicht haben will. Das Warten würde mich dann so nervös und unausstehlich machen, daß es für mich unerklärlich wäre. Also verzichte ich lieber gleich darauf.
5. Langeweile
Mir ist es nicht nur dann langweilig, wenn ich nichts zu tun habe. Ich langweile mich manchmal sogar auf einer Party. Ich unterhalte mich zwar mit den Leuten, die doof sind, aber innerlich warte ich nur auf den Moment, daß mein Mann sagt "Wir gehen". Eigentlich bin ich auch immer die erste, die gehen will. Wenn es möglich ist, fahre ich auch nie mit einer Fahrgemeinschaft irgendwo hin, damit ich auch ja rechtzeitig gehen kann. Wenn wir dann doch mal mit anderen mitfahren, bin ich schon von vorne herein nur damit beschäftigt, mir Gedanken zu machen, ob wir auch nicht zu lange bleiben müssen. Wenn mich mein Mann mal ärgern will, dann sagt er z.B.:" Jetzt ruhen wir uns mal aus und machen gar nichts". Für andre ist das völlig normal und schön, aber für mich ist es das Schlimmste, was mir passieren kann; nur rumsitzen und nichts tun. Für mich ist so, als wenn man mich in eine Zwangsjacke sperren würde.
6. Wutausbrüche wegen Kleinigkeiten
Ich habe oft so eine Wut in mir wegen irgendwelchen Kleinigkeiten, daß ich am liebsten zu Staub zerfallen würde. Angenommen ich liege im Bett und ärgere mich über irgendeine Kleinigkeit, die tagsüber geschehen ist. Dann kann ich mich so reinsteigern, daß ich platzen könnte. Ich würde dann am liebsten mitten in der Nacht aufstehen und die Sache irgendwie bereinigen (z.B. jemandem meine Meinung sagen). Die Nacht ist dann für mich beendet und ich kann auch höchstwahrscheinlich nicht mehr ein schlafen. Oder wenn ich z.B. auf dem Sofa liege und kurz vorm einschlafen bin. Es läuft irgendein Film, den ich eigentlich gem sehen würde, aber ich bin müde. Mein Mann denkt, daß ich schon schlafe und schaltet auf einen Sender um, auf dem Fußball läuft (ich hasse Fußball). Ich bemerke es, werde ruckartig wach und bin total wütend. Ich wundere mich selber darüber, aber wenn im Femseher irgend etwas läuft, daß ich nicht leiden kann, dann kann ich dabei auch nicht schlafen. Selbst wenn ich schon im Bett bin und mein Mann sieht sich irgendwas an, was mir nicht gefällt (z.B. Talkshows), und ich höre nur Bruchteile davon, dann kann ich nicht mehr schlafen."
Ende F01 Beschreibung, Erfahrung und Erlebnisverarbeitung einer betroffenen Hyperaktiven