Hermeneutik und hermeneutisches Mißverständnis der Psychoanalyse und analytischen Psychotherapie
Das hermeneutische Mißverständnis der Psychoanalyse und analytischen Psychotherapie besteht darin, irrtümlich zu glauben, durch die Erklärung, man sei oder arbeite hermeneutisch, erübrigten sich Experiment, Empirie und Evaluation, als sei Hermeneutik eine besondere Form der Wissenschaft, die um das spezifisch Wissenschaftliche, nämlich empirisch zu belegen, zu zeigen, zu "beweisen", lehr-, lern- und damit überpüfbar darzulegen, also um die eigentliche wissenschaftliche Arbeit herumkommt. Das psychoanalytisch vulgärwissenschaftliche Verständnis von Hermeneutik kulminiert letztlich in der Haltung: die Einfälle und Assoziationen der PsychoanalytikerIn seien schon die ganze Wissenschaft, was gut zum Junktim-Dekret zum Forschen und Heilen von Freud (1927) paßt.
Zum Begriff Hermeneutik =: (griechisch) die Auslege- und Übersetzungskunst. Nach: (1) Terminus für die Praxis der Auslegung (Interpretation), die zum Verstehen führt. (2) Für die Theorie der Auslegung als einer Reflexion auf die Bedingungen und Normen des Verstehens und seiner sprachlichen Kundgabe."Die Wortbedeutung von 'Hermeneutik' als 'Kunst der Auslegung' überwiegt bis zum Beginn der Neuzeit. Eine Theorie der Auslegung entwickelt sich erst mit dem 17. Jahrhundert und kommt im 19. Jahrhundert zu einem ersten Abschluß. Gegenstand der Auslegung können alle Lebensäußerungen sein, wenn auch traditionell die (vor allem schriftliche) Rede im Vordergrund steht ('Texthermeneutik')."
Wichtige Bezugsbegriffe: Verstehen, Einfühlung
(Empathie).
Namen: Philosophie: Dilthey, Husserl, Rothacker,
Bollonw, Gadamer, Habermas. PA: P. Ricceur; J. Lacan
Kritisch: Albert, H. (1972). Konstruktion
und Kritik.
Literatur
zur psychoanalytischen Hermeneutik
Lorenzer, Alfred (1976). Die Wahrheit
der psychoanalytischen Erkenntnis. Ein historisch-materialistischer Entwurf.
Frankfurt: Suhrkamp.
Möller, H. J. (1978). Psychoanalyse
als hermeneutische Wissenschaft. In: Psychoanalyse - erklärende Wissenschaft
oder Deutungskunst, 162-209. München: Fink. [bespricht u. a. die Positionen
Dilthey, Jaspers, Pauleikoff, Tellenbach, verstehende Psychologie, Empathie,
Lorenzer und Habermas]
Literatur
zum Verstehen, zur Einfühlung und Empathie
Lipps, Theodor (1903c). Einfühlung,
innere Nachahmung, und Organempfindungen. Archiv Für Die Gesamte Psychologie.
I. Band, 185-204.
Lipps, Theodor (1905). Weiteres zur Einfühlung.
Archiv Für Die Gesamte Psychologie. IV. Band, 465-519.
Lipps, Theodor (1907, Hg.).
Das Wissen von fremden Ichen. In: Psychologische Untersuchungen. Bd. 1.,
694 722. Leipzig: W. Engelmann.
Pigman, G. W. (1995). Freud And The History
Of Empathy. International Journal of Psychoanalysis 76, 237 256.
Stein, Edith (1917). Zum Problem der Einfühlung. Halle: Buchdruckerei
des Weisenhauses.