Russische Günstlinge nach G.A.W. von Helbig
für die Zeit der Zaren Peter I. (~1680) bis Paul
I. (~1800)
Helbig, G.A.W. von (1809; 1917). Russische Günstlinge. Neu bearbeitet
von Max Bauer.
Mit 34 Bildbeigaben. München: G. Müller.
Internetaufbereitung von Rudolf Sponsel, Erlangen
* Günstlingszeit * Übersicht 110 Günstlinge * Kritische Einleitung zu von Helbig von Max Bauer * Querverweise *
Kürzel | ZarInnen und ihre Regierungszeiten |
Pet1 | Peter I. (der Große) 1682-1725 |
kat1 | Katharina I. (Witwe Peters I.) 1725-1727 |
Pet2 | Peter II. (Enkel Peters I.) 1727-1730 |
AnI4 | Anna (Tochter Iwans V.) 1730-1741 |
AnL | Anna Leopoldowna (Nichte Annas, Mutter Iwans VI.) 1740-1741 |
Iwan6 | Iwan VI. (Großneffe Annas) 1740-1741 |
Elis | Elisabeth (Tochter Peters I.) 1741-1762 |
Pet3 | Peter III. (Elisabeths Neffe) 1762 |
Kat2 | Katharina II. (die Große, Witw Peters III.), 1762-1796 |
Paul1 | Paul I. (Sohn Katharinas II.) 1796-1801 |
Inhaltsverzeichnis.
1. Franz Jakob Le Fort H_13
2. Alexander Menschikow H_23
3. Katharina I Alexjewna H_41
4. Peter Schaphirow H_61
5. Heinrich Johann Friedrich Ostermann I. (-1727) H_68
6. Johann Christoph Dietrich Ostermann II. H_90
7. Pawl Jaguschinski I. H_92
8. Jaguschinski II. H_99
9. Emanuel Deviére H_100
10. Adam Weide H_104
11. Anna Cramer H_109
12. Mons de la Croix H_111
13. Kaiserling, geborne Mons de la Croix H_116
14. Balk, geborne Mons de la Croix H_118
15. Balk H_119
16. Glück H_121
17. Villebois, geborne Glück H_123
18. Villebois H_123
19. Alsufiow I. H_126
20. Wassilej Alsufiow II. H_126
21. Wassilej H_126
22. Alexej Makarow H_128
23. Schulz H_129
24. Hennin H_129
25. Drewnik I. H_130
26. Drewnik II. H_131
27. Dmitrej Schepelew H_131
28. Vincent Raiser H_132
29. Iguatj Jelatschin H_133
30. Johann Schlatter H_133
31.Friedrich Asch H_134
32. Abraham Hannibal H_135
33. Carl Skawronski H_136
34. Skawronska, Gräfin H_140
35. Christina Hendrikow H_140
36. Simon Hendrikow H_141
37. Anna Jefimowsky H_142
38. Michael Jefimowsky H_143
39. Heinrich Fick H_144
40. Ernst Johann Bühren H_145
41. Carl Bühren II. H_175
42. Gustav Bühren III H_176
43. Eichler H_177
44. Sabakin H_178
45. Johann Hermann L'Estocq H_179
46. Schwarz H_198
47. Grünstein H_199
48. Alexej Rasumowsky I. H_200
49. Kyrilla Rasumowsky II. H_205
50. Schubin H_209
51. Berger H_212
52. Carl Sievers I. H_220
53. Sievers II. H_221
54. Loellin H_222
55. Woschinsky H_222
56. Jermolai Skwarzow H_223
57. Tschoglogow H_223
58. Tschulkow H_224
59. Iwan Tscherkassow H_225
60. Oloff H_227
61. Poltarazky H_228
62. Iwan Schuwalow H_228
63. Dimitrej Wolkow H_236
64. Bressan H_240
65. Gregorej Orlow I H_242
66. Iwan Orlow II H_267
67. Alexej Orlow III H_268
68. Feodor Olrow IV H_283
69. Wladimir Orlow V H_285
70. Orlow VI H_286
71. Passek H_287
72. Schkurin H_290
73. Gregorej Teplow H_291
74. Engelhardt H_296
75. Stanislaw August Poniatowsky H_299
76. Iwan Yelagin H_330
77. Dietrich Osterwald H_332
78. Iwan Betzkoy H_333
79. Ribas H_339
80. Andreas Tschernitschew H_340
81. Kischensky H_341
82. Sallern H_347
83. Frederiks H_353
84. Wlodimirow H_354
85. Alexander Wasiltschikow H_355
86. Gregorej Potemkin H_358
87. Turtschaninow H_362
88. Michelson H_364
89. Peter Sawadowsky H_365
90. Alexander Besborodko I H_370
91. Besborodko II H_378
92. Lasarew H_379
93. Wassiljew H_381
94. Dubjansky H_382
95. Sorizsch H_382
96. Korsakow H_388
97. Iwan Strachow H_394
98. Alexander Lanskoy H_395
99. Alexander Yermolow H_402
100. Alexander Mamonow H_408
101. Eck H_417
102. Dahl H_418
103. Stepan Tschischkowsky H_419
104. Radischew H_421
105. Germann H_425
106. Platon Subow I H_427
107. Valerian Subow II H_441
108. Nicolaj Subow III H_450
109. Arcadj Markow H_452
110. Iwan Pavlovitsch Kutaizow H_456
Register H_462
Kritische Einleitung zu den RUSSISCHE GÜNSTLINGEN von Max Bauer
"EINLEITUNG
ZU den wertvollsten Urkunden aus dem Werdegang jenes Landes, das sich nach dem leuchtenden Beispiel seiner Bundesgenossen als Kulturträger gegenüber den deutschen Barbaren aufspielt, gehört Helbigs Buch von den russischen Günstlingen. Es enthält einhundertzehn Schilderungen von Geschöpfen, die zarische Willkür mit Glanz und Macht umgab. Nur ganz wenigen dieser Männer und Frauen, die sich in der Sonne der Herrschergunst erfreuen durften, ist das, was sie für Glück hielten, treu geblieben. Meist war ein echt moskowitisches Ende ihr Los, auf dem Schafott, unter Knutentieben, in Schlüsselburg oder in Sibirien.
Mit Peter dem Großen, dem Schöpfer des jetzigen Rußlands, setzt die Arbeit Helbigs ein, und sie schließt mit den ersten Regierungsjahren Peters III., des unbedeutenden Sohnes der bedeutendsten Persönlichkeit, die jemals auf dem mit Blut gemauerten und von Knuten gestützten Throne Rußlands gesessen.
Über den Lebensgang des Verfassers dieses Buches ist nur wenig bekannt.
Gustav Adolf Wilhelm von Helbig war Sachse. Er kam im Jahre 1787, fünfundzwanzig Jahre nach dem Regierungsantritt Katharinas, als Sekretär der sächsischen Gesandtschaft nach Petersburg. Neun Jahre später fand die Kaiserin bei der geheimen Durchsicht von Briefschaften ein Urteil Helbigs, das man ihr, der Kaiserin, zugeschrieben hatte. Erbost darüber forderte sie [>III] die Abberufung Helbigs. Das sächsische Ministerium, sehr zufrieden mit Helbigs einsichtsvollen und wahrheitsgetreuen Berichten, erfüllte den Befehl der Monarchin, sandte Helbig als Legationssekretär nach Berlin. Fünf Jahre darauf erhielt er dort den Adel und den Titel Legationsrat. Das Jahr 1810verbrachte er als adeliger Assessor beim Landgericht und als Landsyndikus bei der Landesobersteuerkasse in Dresden, das folgende als Geheimer Legationsrat und sächsischer Resident bei der freien Stadt Danzig. Bald darauf kehrte er nach Dresden zurück, wo er am 14. November 1813 starb.
Helbigs schriftstellerische Tätigkeit ist allein Rußlands Geschichte gewidmet.
In der Mincrva von Archenholz erschienen seine Aufsätze über Potemkin, die auch jetzt noch Quellenwert haben. Eine große Lebensbeschreibung Peters III., Tübingen 1808/1809, ist diktiert von Helbigs Vorliebe für den gekrönten Schwächling, den er ebenso hochschatzt, wie er dessen Mutter, Katharina II., herabzusetzen sich bemüht. Und dies ist nicht ohne Einfluß auf Helbigs Hauptwerk geblieben, das ihm zum Nachruhm verhelfen sollte.
Die "Russischen Günstlinge", deren Neudruck hier vorliegt, kamen im Jahre 1809 bei der J. G. Cottaschen Buchhandlung in Tübingen heraus. Das Buch war bald vergriffen.
In den folgenden Kriegsjahren zählte Rußland zu den Verbündeten der Deutschen, deshalb war an eine Nenauflage einer solchen Anklageschrift nicht zu denken. So geriet sie in Vergessenheit und zählte bald zu den Seltenheiten, die, mit hohem Preise bezahlt, in deu Raritätenkasten des Sammlers wanderten.
Scheible in Stuttgart, der große Antiquar und Wie[>IX]dererwecker bibliographischer Kuriositäten, veranstaltete im Jahre 1883 einen Neudruck, der eine genaue Wiedergabe des Originales darstellen sollte. Sogar die unbeabsichtigten Druckfehler sind in ihm übernommen. Aber auch dieser Neudruck ist längst vom Büchermarkt verschwunden, so daß schon aus diesem Grunde das Wiedererscheinen der "Russischen Günstlinge" gerechtfertigt ist.
Der Zeitpunkt hierfür, jetzt im Toben des Weltkrieges, erscheint mir als der geeignetste.
HelLigs "Günstlinge" stellen ein getreues Bild jenes Reiches dar, das im Brustton der Überzeugung den Satz von russischer Kultur aufstellt, und seinen Lehrmeister, den Deutschen, herabsetzt und mit Schmutz bewirft. Gerade den Deutschen, der das in Rußland gebaut, was europäisch ist und ohne den es heute noch das wäre, was es vielleicht in absehbarer Zeit wieder sein wird, eine Horde von Asiaten, nicht wert, in einem Atem mit jenen Völkern genannt zu werden, die sein numerisches Übergewicht, seine Roheit, seine Selbstsucht und Gewissenlosigkeit, sein rücksichtsloses Niedertreten aller Nenschenrechte und Naturgesetze, den Untergang ganz nahe brachte oder völlig vernichtet hatte, indem es sie zu Kindern von Mütterchen Rußland erklärte.
Deutsches Blut, deutscher Geist, deutsche Tatkraft und deutsches Können haben die Fesseln des russischen Mongolentums an vielen Stellen gesprengt; sie ganz zu vernichten, waren sie niemals imstande; dazu war die russische Rasseneigenschaft zu stark und der Haß jener mit einem dünnen Kulturfirnis bedeckten Halb oder Ganzasiaten gegen den Lehrmeister zu tief gewurzelt.
Der Franzose brachte neue freudig begrüßte Laster [>X] ins Land, er war willkommen; der Deutsche ernste Arbeit, unbequemeNeuerungen hol' ihnderTeufel! Jede Zeile von Helbigs Buchist ein Beweis fürdieseTatsachen, eine wuchtige Anklage. Und daher der große Wert, die kulturgeschichtliche Bedeutung dieses Werkes.
Professor Bilbassow, ein stockrussischer Deutschenfresser aber sehr bedeutender Geschichtsforscher, beabsichtigte Helbigs "Günstlinge" ins Russische zu übertragen, doch der allmächtige Zensor vereitelte das Unternehmen, was aufrichtig zu bedauern ist, da Bilbassow viele Ergänzungen und Berichtigungen der Helbigschen Angaben geplant hatte.
Diese sind leider unbedingt nötig.
Helbig kam zu einer Zeit nach Petersburg, wo er noch manchen Zeitgenossen der Nachfolger Peters des Großen hören und sprechen konnte. Den Hof Katharinas kannte er aus eigener Anschanung. Ihm und seiner Herrin, ihrer Staatskunst, ihren Schlafzimmergeheimnissen ist der größte Teil des Buches gewidmet. Da, wo Katharina die Bühne betritt, kommt ein dramatischer Zug des Unmittelbaren in das Buch. Einer, der selbst gesehen hat und leidenschaftlich Partei nimmt, erzählt nun subjektiv, wie es ihm ums Herz ist. Oas Düstere in den Lebensbildern aus der Zeit dieser Herrscherin von eigenen Gnaden ist ihm häufig nicht düster genug. Er färbt, erzählt mit Behagen Klatsch nach, den er geflissentlich nicht auf seinen wahren Wert hin untersucht, wie es wohl in seiner Macht gestanden hätte. In dem Haremstreiben Katharinas sieht Helbig nichts Verwerfliches. Er lebt zu lange unter den Russen, um nicht ihre Moral gelten zu lassen und das unmöglich scheinende in dieser Hinsicht als mögliches anzunehmen. Aber er, derDurchschnittsmensch, haßt die Frau wie der Hungernde den Prasser, soweit sein [XI] Alltagsgeist zu hassen vermag. Er vermag den Vollmenschen Katharina, seine Schwächen, seine Größe, nicht zu erfassen. Ihm scheint alles verzerrt an diesem Überweibe. Sein Auge ist nur auf das Gewimmel rings umher eingestellt. Dem mit dem Purpur bekleideten Narr, wie dem dritten Peter, der sich als Herr gebärdet und doch nur ein hohler Popanz ist, gelingt es ihn zu täuschen, weil der Kaiser dieselbe Alltagspflanze ist, wie sein Geschichtschreiber. Er ist für Helbig nicht der Sohn seiner Mutter, sondern deren Widersacher und deshalb seiner Teilnahme sicher. Ihm naht sich Helbig mit dem Katzenbuckel der Hofschranze. In ihm verkörpert sich für den diensteifrigen Hofmenschen das Gottesgnadentum, während ihm Katharina nur die gekrönte Dirne, die nordische Messalina ist.
Wie hätte auch der unbedeutende diplomatische Handlanger zu einer höheren Auffassung kommen sollen. Schon seine Stellung, mehr aber noch sein Bürgertum machte ihn zum Zaungast der Hofkreise, in denen buntschillerndes Abenteurergelichter und adelsstolzes Streberpack durcheinander wirbelten. Er füblt sich als AusgestoBener, wo er so gerne eine Rolle gespielt hätte. Er erkennt die ganze bodenlose Verderbtheit dieser Gesellschaft mit von Haß geschärften Augen, und in Katharina sieht er die verderbteste unter allen ihren Kreaturen.
Aber er haßt Katharina nicht nur, er verachtet sie auch.
Wie die erste Katharina ist sie ihm ein Emporkömmling, ein Günstling, aber kein Studienobjekt, dessen Erforschung sich gelohnt hätte. Sie blieb seine Gegnerin, wahrscheinlich nur in seiner Einbildung, bis seine Bosheit ihm die Kaiserin zur wirklichen Feindin machte, deren Grimm ihn aus Rußland trieb. [>XII]
Helbig nahm die Tatsachen in Katharinas Leben als unabänderliche hin, ohne sich über ihr Entstehen klar werden zu wollen. Katbarina verstehn, heißt diese große Verbrecherin gegen landesübliche Moral nicht hassen, sondern bemitleiden.
Das schüchterne deutsche Prinzeßchen, das übel behandelte Kind einer herzlosen, eigensüchtigen Mutter, kommt aus den drückendsten Verhältnissen an den Hof einer mit allen Lastern behafteten Frau. Dort wird sie verschachert, wie eine Dirne. Der Gatte dieses Kindes ist ein roher Narr, ein verkommener Säufer, geistlos bis zur Borniertheit, ohne jedes Wissen, der es als schwerste Strafe empfindet, wenn er baden muß, der sich nur in der Gesellschaft von gemeinen Weibern und Lakaien wohl fühlt und seine Frau mißhandelt und verachtet, weil sie sich seinen Sauforgien entzieht. In diesem Boden mußte ein Geschöpf, wie es Katharina war, verdorren oder sich dem Nährboden anpassen und zur Giftpflanze werden, wie die anderen, die in jener Schwüle den Lebensodem gefunden hatten. Mit Katharina geschah merkwürdigerweise beides und keines von beiden ganz. Die deutsche Prinzessin ist in ihr nie ganz erstorben. Die Giftpflanze kam nicht zur vollen Entwicklung. Sie wurde eben Katharina II.
Man hat sie als Semiramis, als Mannweib bezeichnet. Sie war es nicht, wenn sie sich auch gern nach Männerart kleidete und im Männersitz ritt, wie sie in ihren Erinnerungen erzählt. Das sind Außerlichkeiten, die bei einer Eigenart wie sie Katharina darstellt, nicht ins Gewicht fallen. Aber sie hat etwas von jenen Frauen der Merowingerzeit und von den Viragines der italienischen Renaissance, die, dem Manne gleich, jede Schranke niederreißen, die sie nicht überspringen wollen odcr können. Ein Umgehen kommt ihr nicht in [>XIII] den Sinn. Wie sie dem ersten Liebhaber widerstrebend, den aufgepeitschten Sinnen nachgebend, vielleicht sogar gezwungen von dem tyrannischen Gebot ihrer Peinigerin, der Kaiserin Elisabeth, in die Arme sinkt, so bestimmt sie fortan den Liebhaber, der ihr zusagt. Sie läßt sich nicht umwerben. Sie befiehlt und der Sklave hat zu gehorchen. Selbst der willensstarke Potemkin ist nur ihr Sklave. Er hat eine Stimme im Rat, sie fordert diesen ein, aber die Kaiserin entscheidet. Er darf bitten, aber sie heischt. Sie ist und bleibt die Herrscherin, er der Günstling, den ein Machtwort hinwegfegen kann; nichts mehr. Und er weicht zähneknirschend, als sie seiner überdrüssig geworden. Er, der ihr am meisten wahlverwandte unter allen ihren Liebhabern, hat nur das Recht, "sich selbst die Nachfolger in der Gunst seiner Herrin'` zu wählen. Er kennt ihren Geschmack. Er kuppelt, intrigiert, schleicht, als er selbst nicht mehr der Günstling ist, denn die Kaiserin zahlt, zahlt gut. Er war und blieb stets der Knecht der Frau, die ihm erlaubte, sie zu küssen und zu lieben. Darum machte sich auch Katharina in einem Briefe an Grimm (vom 23. Juni 1790) über Friedrich Wilhelm II. von Preußen lustig, der sich seine Geliebten zur linken Hand antrauen ließ. Sie ist erhaben über solche Kleinigkeiten. Die Liebe ist ihr Privatvergnügen, ihre Liebschaften die Scherze einer Kaiserin, die nur im Schlafgemach Frau ist, sonst aber der Gebieter über Millionen, unter denen sich auch der augenblickliche Günstling befindet, und nicht einmal als der erste unter ihren Untertanen. Denn sie liebt nicht mit dem Herzen. Nur ihre Sinne verlangen einen Mann. Sie nimmt ihn, wenn es ihre Laune eingibt, verstößt ihn, wenn sich ein anderer zeigt, der ihr für den Augenblick besser zusagt. [>XIV]
Der Aufgabe, einer solchen Frau als Schilderer gerecht zu werden, ist Helbig nicht gewachsen. Er wühlt in Oberflächlichkeiten. Ihm ist das Geschichtchen lieber als Geschichte. Er trägt zusammen, was er erfahren kann, ordnet es sorgsam ein, numeriert und registriert es und arbeitet es sauber aus. Der ganze Holklatsch dringt unmittelbar zu ihm, und er ist nicht der Mann, sein Ohr vor einer schlüpfrigen Anekdote zu verschließen. Je pikanter und entwürdigender für die Kaiserin, desto besser. Händereibend fügte er zu dem Leckerbissen noch eigene Zutaten bei. Kritik, das Bestreben, die Wahrheit aus dem boshaften Gerede der Zuträger zu kristallisieren, war seine Sache nicht. Er erzählt alles weiter, verschweigt niemals absichtlich dasWahre, wie auch das ihm selbst Unwahrscheinliche. Und gerade darin liegt der große Wert und der intime Reiz seines Buches. Durch die subjektive Wiedergabe des Selbstgesehenen, Selbstgehörten, durch Schlüsselloch Beob,achtungen Erlauschten, auf Hintertreppen Aufgeschnappten kommt ein Fluß in die Darstellung, den kein geschichtliches Werk erreicht, das sich auf unanfechtbaren Urkunden aufbaut.
Mag deshalb der Historiker achselzuckend die "Russischen Günstlinge" beiseite schieben, der Sittengeschichtler wird sie als ein Dokument von unschätzbarem Werte ansehen, in einem Atem zu nennen, um aufs Geratewohl einige Beispiele herauszugreifen, mit Casanova, den Briefen Lise Lottes, Laukhards Lebensbeschreibung.
Mein Hauptbestreben war es, aus diesen Erwägungen heraus, das Werk Helbigs in seiner vollen Eigenart zu erhalten. Ich habe nicht ein Wort an ihm geändert. Nur Druck und Papier unterscheidet es von seinem Original. Die Druckfehler sind allerdings verbessert [XV] und die Rechtschreibung modernisiert. Auch habe ich hier und da langatmige Anmerkungen in den Text einbezogen, da ich gezwungen war, selbst viele Fußnoten und Anmerkungen zu geben. Sehr viele, wie der Augenschein lehrt. Doch leider noch lange nicht genug. Der Krieg hat eine Verbindung jäh zerrissen, die ich mit dem damaligen St. Petersburg angeknüpft hatte, um weiteres Berichtigungsmaterial zu erhalten. So mußte ich mich darauf beschränken, die deutschen geschichtlichen Werke über die behandelten Epochen heranzuziehen. Sie haben nicht ausgereicht, eine Nenausgabe zu schaffen, die vor dem strengen Blick des Fachgelehrten bestehen kann. Ich, und ich glaube mit mir auch der Leser, dürfen uns aber leichten Herzens darüber hinwegsetzen, wenn nicht der Geburts und Todestag jedes der vielen Günstlinge richtiggestellt ist, und Nebensächlichkeiten breitgetreten sind. Auch Ergänzungen hätten gegeben werden können. Helbig begnügte sich häufig mit einfacher Namensnennung bedeutender und bemerkenswerter Persönlichkeiten, die eine ausführliche Lebensbeschreibung wohl verdient hätten. Ich erwähne von ihnen nur die Brüder Tschernitscheff, Sergey Soltikoff, Leon Narischkin, Repnin usw. Vielleicht hatte Helbig seine Gründe, sie zu übergehn. Außerdem war von ihm weder Vollständigkeit geplant noch durchzuführen. Dazu ist die Reihe der durch Zarenwillkür Emporgehobenen zu lang. Ich habe mich nicht für berechtigt gehalten, das Fehlende hinzuzufügen, denn mir stand nur das Werkzeug des Geschichtschreibers zur Verfügung, nicht das Selbsterleben, die Selbstbeobachtungen Helbigs. Mit um so größerer Sorgfalt habe ich das mir zugängliche Material ausgenützt.
Ich will eine etwaige tadelnde Kritik nicht durch [>XVI] das offene Bekenntnis abschwächen, das mir die Beschränkungen im Verkehr mit Bibliotheken während des Krieges, manche Quelle unerreichbar gemacht hat. Aber alles Erreichbare habe ich herangezogen.
Die größte Ausbeute an Richtigstellungen boten Crusenstolpes "Russische Hofgeschichten". Eine Neuauflage dieses grundlegenden, geschichtlichen Unterhaltungsbuches, in vorbildlicher Weise von Joachim Delbrück bearbeitet, erscheint gleichfalls bei meinem Verleger. Zu diesem Buche bietet der Helbig Ergänzung und Gegenstück. Ich möchte sogar behaupten, daß beide für die bedeutsame Zeit von Peter dem Großen bis Peter III. ein unteilbares Ganzes bilden. Was das umfassendere, die volle Geschichte des russischen Hofes behandelnde Werk Crusenstolpes nur flüchtig berühren kann, führt Helbig in breiter Detailmalerei aus. So füllt er die Lücken und illustriert gerade die reizvollsten, bedeutendsten Teile der Crusenstolpen Geschichten.
Neben dieser Hauptquelle haben Katharinas Erinnerungen, dann von neueren Werken die Arbeiten Golikows, Bertholds, Schnitzlers, Schiemanns, Brückners, Bilbassows und manche andere untergeordnete reichen Stoff geliefert, so die geheimen Geschichten Biilaus, die für einige Abschnitte wertvolles Material enthielten.
Die beigefügten Bilder sprechen für sich selbst. Sie sind so sorgfältig gewählt und so vollendet wiedergegeben, wie man dies bei meinem Verlage von jeher gewöhnt ist.
Friedenau, Mai 1916.
Max Bauer
<suchbegriff site:www.sgipt.org>
Beispiel: <Herrscher
site:www.sgipt.org>
Hier gibt Ihnen die Suchmaschine aus, auf welchen IP-GIPT Seiten der Suchbegriff "Herrscher" vorkommt. |
korrigiert: