Reader zur Geschichte der Staatsverschuldung
Aus dem Jahresgutachten "Wachstum und Währung" des
Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung 1978/79
Höhere Defizite auf Dauer?
Ausgewählt und mitgeteilt von Rudolf Sponsel, Erlangen
Vor 25 Jahren: "Daß die Finanzpolitik den Konsolidierungskurs steuern sollte, hat der Bundestag am 13. April dieses Jahres [RS:1978] in einem einstimmigen Beschluß bekundet. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, 'darauf hinzuwirken, daß der Haushalt des Bundes unter Berücksichtigung des Artikels 115 des Grundgesetzes dauerhaft konsolidiert wird; dazu muß der Schuldenzuwachs mittelfristig abgebaut werden und die Neuverschuldung des Bundes niedriger liegen als bisher.'" [S. 147] [Kommentar]
"Höhere Defizite auf Dauer?
Farbig unterlegte Heraushebungen von Sponsel
"Die Verschuldung des Staates hat in den siebziger Jahren drastisch zugenommen" |
305. Die Verschuldung des Staates hat in den
siebziger Jahren drastisch zugenommen (Schaubild 36). Der Schuldenstand
der öffentlichen Haushalte, der sich von 1950 bis 1962 und von 1962
bis 1970 verdoppelt hatte, verdreifachte sich von 1970 bis 1978. Auch wenn
man in Rechnung stellt, daß wirtschaftliches Wachstum den Spielraum
für staatliche Kreditaufnahme erweitert und Inflation den Wert der
absoluten Schuldenbeträge gemindert hat, bleibt es dabei, daß
die Staatsverschuldung in den siebziger Jahren stark angestiegen ist. Das
Finanzierungsdefizit des öffentlichen Gesamthaushalts, gemessen am
gesamtwirtschaftlichen Produktionspotential, machte im Durchschnitt der
Jahre 1962 bis 1967 etwa 1 l/2 vH aus; im Durchschnitt der Jahre 1974 bis
1979 werden es etwa 3 1/2 vH sein.
Die starke Zunahme der öffentlichen Verschuldung
hat einen kräftigen Anstieg der Zinsausgaben mit sich gebracht. Während
der Anteil der Zinsausgaben an den Gesamtausgaben der Gebietskörperschaften
1962 nur 2,8 vH betragen hatte, war er bis 1978 auf 5,3 vH gestiegen und
wird 1979 voraussichtlich 5,5 vH erreichen. Vergleicht man die Schuldenaufnahme
in den siebziger Jahren von Land zu Land, dann befand sich die Bundesrepublik
bei der Kreditaufnahme, gemessen als Anteil am Sozialprodukt, mit an der
Spitze der Industrieländer (Tabelle 33). Bei einem solchen Vergleich
der Situation in verschiedenen Ländern sollten freilich die unterschiedliche
Ausgangssituation nach dem Kriege sowie das Tempo der Schuldenaufnahme
seitdem nicht aus dem Bild bleiben. Schlüsse auf den Spielraum für
eine weitere Zunahme der Verschuldung in der Bundesrepublik können
aus einem solchen Vergleich allerdings nicht gezogen werden.
306. In der Entwicklung der Haushaltsdefizite spiegeln sich zu einem Teil auch Konjunkturverlauf und staatliche Konjunkturpolitik. Vor allem seit Mitte der siebziger Jahre prägen Steuerausfälle infolge der lang anhaltenden Unterauslastung des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotentials und expansive Impulse der Finanzpolitik zur Nachfragestützung und zur Wachstumsförderung die Entwidclung der staatlichen Kreditaufnahme. Soweit der Anstieg der Haushaltsdefizite auf konjunkturbedingten Einnahmenausfällen berubt, fällt er bei einer Analyse der mittelfristigen Entwicklung der Staatsverschuldung nicht so sehr ins Gewicht, weil er sich von selbst zurüchbildet, wenn im Zuge eines nachhaltigen Aufschwungs wieder eine normale Auslastung des Produktionspotentials erreicht wird. Das gilt in gewissem Umfange auch für Ausgabensteigerungen, die sich bei schwacher Konjunktur automatisch ergeben; diese sind allerdings noch schwerer abzuschätzen. Vorübergehend sind die fiskalischen Lasten einer Rezession jedoch keineswegs (JG 76 Ziffern 228 ff.). Bereinigt man die tatsächlichen Defizite um die konjunkturellen Einnahmenschwankungen, dann bleibt als "bereinigtes" Defizit das, was in den Haushalten der Gebietskörperschaften an Impulsen zur Beeinflussung der konjunkturellen Entwicklung und an Dauerverschuldung angelegt ist. Anders als kon
[>143]
[Anmerkung RS: Die Kurve zur Staatsverschuldung ist für nicht mathematisch Versierte nicht nachvollziehbar und mißverständlich, weil sie einen logarithmischen Maßstab verwendet und durch das linear stetig steigende Schaubild das ganze Ausmaß der Schuldenexplosion graphisch verschleiert. Graphisch angemessen dargestellt wird die Kurve in unserem Schaubild]
[>144]
junkturbedingte Einnahmenausfälle bilden sich expansive Impulse bei einer konjunkturellen Belebung nicht von selbst zurück. Die Entwicklung dieses 'bereinigten' Defizits — bezogen auf das Produktionspotential — zeigt in den siebziger Jahren eine weniger dramatische Zunahme als die des tatsächlichen Defizits; die deutliche Tendenz zu einer höheren staatlichen Kreditaufnahme bleibt aber bestehen (Schaubild 36).
307. Wieweit sich diese stark angestiegene Kreditaufnahme des Staates wieder zurückbilden wird, läßt sich nur schwer abschätzen. Anhaltspunkte für die weitere Entwicklung der öffentlichen Verschuldung bieten die mittelfristigen Finanzpläne der Gebietskörperschaften, in denen der mittelfristige Kurs der Finanzpolitik offengelegt werden soll. Da kein zusammengefaBter Finanzplan für den öffentlichen Gesamthaushalt vorliegt, gehen wir, um ein Schätzurteil über die Entwicklungstendenzen für die öffentliche Verschuldung zu gewinnen, vom Finanzplan des Bundes für die Jahre bis 1982 aus. Dort ist unter der Annahme eines nachhaltigen Aufschwungs — im Durchschnitt der Jahre 1978 bis 1982 ist ein reales Wirtschaftswachstum von 4 vH und ein Anstieg des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus um 3 vH unterstellt — eine nur moderate Rückführung der Nettokreditaufnahme von 35 1/2 Mrd DM im Jahre 1979 auf etwa 30 Mrd DM im Jahre 1982 vorgesehen. Nimmt man für Länder und Gemeinden an, daß sie insgesamt gesehen bei der Zurückführung ihrer Defizite ähnlich vorgehen, dann zeichnet sich für das Jahr 1982 im öffentlichen Gesamthaushalt ein Finanzierungssaldo in der Größenordnung von 40 Mrd DM bis 50 Mrd DM ab. Dies ist weit mehr, als sich bei einem Fortschreiben der Kreditaufnahme nach dem Verschuldungsverhalten des Staates in den sechziger Jahren ergäbe, das wir auch für die potentialorientierte Kreditaufnahme in unseren Rechnungen zum konjunkturneutralen Haushalt zugrunde legen. Sollte die Finanzpolitik einem solchen Kurs folgen, dann würde die Kreditaufnahme des Staates im Verhältnis zum Sozialprodukt in dem Jahrfünft, das von der aktuellen Fina,nzplanung erfaßt wird — also von 1978 bis 1982 — noch etwas höher ausfallen als in dem Jahrfünft zuvor, und dies, obwohl in den beiden Zeiträumen vermutlich ganz unterschiedliche Aufgaben zur Lösung anstanden [>145] beziehungsweise a,nstehen. Waren es in den 3ahren von 1973 bis 1977 vor allem konjunkturelle Probleme, die man zu bewältigen suchte, so dürften in den vor uns liegenden Jahren wohl Wachstumsprobleme dominieren.
308. Aus ökonomischer Sicht gibt es keine
leicht zu bestimmenden Grenzen dafür, wieweit der Staat seine Ausgaben
durch Kredite finanzieren kann. Eine Anderung im Finanzierungsverhalten
des Staates in dem Sinne, daß Kredite an die Stelle von Steuern treten,
muß daher von den Wirkungen her beurteilt werden, die davon zu erwarten
sind; wichtig ist außerdem, wie die Chancen einzuschätzen sind,
allfällige Nebenwirkungen abzufangen.
Bei unseren Überlegungen gehen wir von folgenden
Grundannahmen aus:
"Der Spielraum, der durch eine auf Dauer angelegte Erhöhung der Kreditaufnahme für zusätzliche Staatsausgaben oder für Steuerentlastungen entsteht, wird oft überschätzt. Schulden bringen Zinsverpflichtungen mit sich, so daß ein mit der Zeit zunehmender Teil der dauerhaft erhöjten Kreditaufnahme durch dauerhaft höhere Zinszahlungen aufgezehrt wird." |
309. Der Spielraum, der durch eine auf Dauer
angelegte Erhöhung der Kreditaufnahme für zusätzliche Staatsausgaben
oder für Steuerentlastungen entsteht, wird oft überschätzt.
Schulden bringen Zinsverpflichtungen mit sich, so daß ein mit der
Zeit zunehmender Teil der dauerhaft erhöjten Kreditaufnahme durch
dauerhaft höhere Zinszahlungen aufgezehrt wird. Wieviel dies sein
wird, hängt zum einen vom Tempo des wirtschaftlichen Wachstums und
zum anderen davon ab, wie hoch der Zinssatz ist, zu dem die Staatsschulden
verzinst werden müssen. Für die Zeit des Übergangs auf einen
höheren Verschuldungspfad ist freilich in jedem Falle wegen der verzögerten
Anpassung der Zinslasten Spielraum für mehr Staatsausgaben oder Steuerentlastungen
gegeben. Im Zuge der Anpassung verengt dieser sich jedoch; in diesem Maße
muß entweder die Ausgabenexpansion oder die Steuerentlastung zurückgenommen
werden. Soll der Spielraum ungeschmälert bleiben, muß die staatliche
Kreditaufnahme ständig beschleunigt zunehmen. Dieser dritte Weg stieße
auf stabilitätspolitische und wachstumspolitische Bedenken. Der zweite
Weg, die wachsenden Zinslasten über Steuererhöhungen zu finanzieren,
wäre nur dann möglich, wenn angenommen werden dürfte, daß
der Steuerwiderstand in der Zukunft wesentlich geringer sein wird, als
er in der Gegenwart ist. Der erste Weg, eine Verminderung der künftigen
Ausgabenexpansion, ist im Prinzip gangbar. Man müßte allerdings
Spielraum dafür sehen oder schaffen, und dabei ist zu bedenken, daß
über die Staatsausgaben durch langfristige Verpflichtungen weitgehend
disponiert ist, und bei dem geringen Rest von Staatsausgaben, der für
politisches Handeln zur Verfügung steht, führt nicht erst eine
Erhöhung der Zinslast um volle Prozentpunkte zu spürbaren Einschränkungen.
Auch hier könnte es nicht darum gehen, einfach darauf zu setzen, daß
künftig etwas leicht fällt, was heute große Anstrengungen
erfordert.
"Hielte der Staat die erhöhte Kreditaufnahme aber auf Dauer, also auch bei einer normalen Auslastung des Produktionspotentials durch, wären stabilitätspolitische Probleme wahrscheinlich." |
310. Aus stabilitätspolitischer Sicht
stehen gegenwärtig wegen unterausgelasteter Kapazitäten und sinkender
Preissteigerungsraten einer vergleichsweise hohen Kreditaufnahme des Staates
wenig Bedenken entgegen. Hielte der Staat die erhöhte Kreditaufnahme
aber auf Dauer, also auch bei einer normalen Auslastung des Produktionspotentials
durch, wären stabilitätspolitische Probleme wahrscheinlich. Zumindest
lehrt dies die Erfahrung. Anfang der siebziger Jahre führte der Versuch,
eine erhöhte Staatsquote zu realisieren, ohne daß die Bürger
darauf vorbereitet waren, daß dies einen Verzicht, sei es freiwillig
oder über Steuererhöhungen, in der privaten Beanspruchung des
Produktionspotentials erforderte, zu einem Zusammenstoß der steigenden
Ansprüche und beschleunigte die Inflation (JG 75 Ziffer 290).
Bedenken muß man auch, daß eine dauerhafte Erhöhung
der staatlichen Kreditfinanzierungsquote den konjunkturpolitischen Handlungsspielraum
des Staates einschränken kann.
"Die Höhe der Defizite, die in den öffentlichen Haushalten entstehen können, ohne daß die Zukunftserwartungen von privaten Haushalten und Unternehmen beeinträchtigt werden, ist nicht unbegrenzt. Zwar läßt sich der Spielraum der Finanzpolitik quantitativ nicht angeben, er meg sich auch im Zeitablauf ändern; aber es leuchtet wohl ein, daß das, was davon in konjunkturell normalen Zeiten in Anspruch genommen wird, der Finanzpolitik fehlt, wenn gegen eine Rezession anzugehen ist." |
Die Höhe der Defizite, die in den öffentlichen Haushalten
entstehen können, ohne daß die Zukunftserwartungen von privaten
Haushalten und Unternehmen beeinträchtigt werden, ist nicht unbegrenzt.
Zwar läßt sich der Spielraum der Finanzpolitik quantitativ nicht
angeben, er meg sich auch im Zeitablauf ändern; aber es leuchtet wohl
ein, daß das, was davon in konjunkturell normalen Zeiten in Anspruch
genommen wird, der Finanzpolitik fehlt, wenn gegen eine Rezession anzugehen
ist. Die Erfahrungen des Jahres 1975 haben gezeigt, daß es solche
Grenzen der Rezessionsbekämpfung mit finanzpolitischen Mitteln gibt;
und weil auch für die Zukunft konjunkturelle Rückschläge
nicht auszuschließen sind, ist es nicht ratsam, den Spielraum, der
in diesem Sinn für Defizite in den öffentlichen Haushalten besteht,
auf dem Wege einer erhöhten Normalverschuldung des Staates auszuloten.
"Bedenken gegen eine dauerhafte Erhöhung der staatlichen Kreditfinanzierung kommen vor allem aus wachstumspolitischer Sicht." |
311. Bedenken gegen eine dauerhafte Erhöhung
der staatlichen Kreditfinanzierung kommen vor allem aus wachstumspolitischer
Sicht. Eine verstärkte Kreditaufnahme der öffentlidien Hand ist,
hält man eine starke Zunahme der privaten Investitionen für nötig,
nur unbedenklich, wenn die öffentliche Kreditaufnahme nicht private
Investoren verdrängt, die mit [>146] dem Staat um die anlagebereiten
Mittel konkurrieren. Wachstumspolitisch unbedenklich wäre es beispielsweise,
wenn der Staat mit den zusätzlichen Krediten eine Steuersenkung finanziert,
von der vor allem die Investitionen beqünstigt werden, derart, daß
sich der private Kreditbedarf entsprechend vermindert. Dies ist aber wohl
ein Sonderfall und kein besonders realistischer.
Wenn infolge der erhöhten staatlichen Kreditaufnahme die Zinsen
steigen, könnten Kapitalimporte am Kapitalmarkt Entlastung bringen;
der Zinsauftrieb hielte sich in Grenzen. Das erhöhte Kapitalangebot
würde dazu führen, daB durch die erhöhte Kreditaufnahme
weniger private Investitionen verdrängt werden als ohne die Kapitalimporte.
Die erhöhte Kreditaufnahme des Staates würde insoweit mittelbar
vom Ausland finanziert. Allerdings ist zu bedenken, daß die Aufwertung,
die mit dem Kapitalimport verbunden wäre, den Zwang zum Strukturwandel
verstärken würde. Anpassungsdruck entstünde vor allem in
den außenwirtschaftlichen Bereichen, der Umfang von rentablen Produktionsmöglichkeiten
verringerte sich in der Exportwirtschaft und in den Sektoren der Binnenwirtschaft,
deren Produkte mit Importgütern konkurrieren. Mehr oder weniger begünstigt
würden die übrigen Bereiche der Volkswirtschaft. Dieser Prozeß
wäre sicher mit negativen Wirkungen für die privaten Investitionen
verbunden — freilich nur für die Zeit der Anpassung. Die Dauerwirkung
wäre, daß von dem künftigen Volkseinkommen ein Teil für
Zinszahlungen an das Ausland abgezweigt werden muß.
Eine Beeinträchtigung der privaten Investitionen
infolge einer erhöhten staatlichen Kreditaufnahme auf Dauer könnte,
sieht man von der außenwirtschaftlichen Verflechtung ab, dann vermieden
werden, wenn zugleich die Spielräume für eine Investitionsfinanzierung
aus Unternehmensgewinnen größer würden. Um dies zu erreichen,
müßte die Lohnpolitik eine nachhaltige Verschiebung in den Verteilungsrelationen
zugunsten der Gewinneinkommen zulassen, und zwar über das hinaus,
was sich bei geringerer staatlicher Kreditaufnahme als vollbeschäftigungskonform
erweisen würde. Da es der Lohnpolitik ohnehin schon schwerfällt,
zu einem vollbeschäftigungskonformen Kostenniveau zurückzufinden,
erscheint dieser Ausweg nicht besonders realistisch.
Eine Verdrängung der privaten Investitionen
fände auch nicht statt, insoweit durch ein verändertes Sparverhalten
der Privaten das Kapitalangebot entsprechend ausgeweitet würde. Der
Staat könnte diese Mittel für seine Zwecke aufnehmen; er müßte
sich dabei freilich gegen private Nackfrager von Kapital durchsetzen. Ob
er das tun sollte, ist allerdings keineswegs selbstverständlich. Eine
Entscheidung zugunsten einer staatlichen Verwendung müßte dadurch
begründet sein, daß die Bürger die Staatsleistungen, die
mit diesen Mitteln finanziert werden höher bewerten als die privaten
Gütern gewidmeten Investitionen, die dann ausfallen würden.
Es wird auch behauptet, daß der Staat bei
einer Erhöhung der Sparquote die am Kapitalmarkt zusätzlich angebotenen
Mittel nicht nur aufnehmen könne, sondern sogar an sich ziehen müsse,
um eine dauerhafte Nachfragelücke und damit Unterbeschäftigung
zu vermeiden. Abgesehen davon, daß eine Tendenz zu einer langfristig
ansteigenden Sparquote heute kaum auszumachen ist, ist es keinesfalls zwingend,
daß die zusätzlichen Ersparnisse nicht auch von Privaten nachgefragt
würden. Die private Kapitalnachfrage, mit der der Staat auf dem Kapitalmarkt
in Wettbewerb steht, ist nämlich nicht von vornherein auf ein bestimmtes
Ausmaß begrenzt. Die Bereitschaft von Unternehmen und von privaten
Haushalten, Kapitalmarktmittel aufzunehmen, hängt vielmehr von den
Konditionen ab, zu denen dieses Kapital angeboten wird, und außerdem
davon, was die Privaten von der Verwendung dieser Finanzierungsmittel an
Gewinn und an Nutzen erwarten.
Die Forderung nach einer höheren Krediffinanzierungsquote
des Staates wird auch damit begründet, daß privates Kapitalangebot
und private Kapitalnachfrage der Art nach auseinanderfallen. Die privaten
Sparer bevorzugten festverzinsliche Anlagen; die Unternehmen suchten vor
allem risikotragendes Kapital und böten unsichere Beteiligungserträge.
Im Prinzip wird die Transformation von Sparkapital (Geldkapital) in Beteiligungskapital
vom Markt durch eine Änderung der jeweiligen Rendite vorgenommen.
Wenn gleichwohl im Falle einer Erhöhung der Sparquote bei dieser Transformation
Schwierigkeiten auftreten würden, könnte die Bildung von Eigenkapital
attraktiver gemacht werden, beispielsweise durch Änderungen im Steuersystem.
312. Für die Beurteilung der wachstumspolitischen
Wirkungen einer höheren Kreditfinanzierungsquote auf Dauer käme
es auch darauf an, ob mit der veränderten Finanzierungsstruktur der
öffentlichen Haushalte eine Veränderung der Ausgabenstruktur
einhergeht. Eine Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Wachstums aufgrund
des Zurückdrängens von privater Kreditnachfrage könnte vermindert
werden, wenn der Staat in seinen Haushaltsplänen solchen Ausgaben
ein höheres Gewicht einräumen würde, die dem Wachstum förderlich
sind. Dies können sowohl Ausgaben sein, die unmittelbar zu einem verstärkten
Wachstum des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotentials beitragen, als
auch solche, die dazu führen, daß die Privaten mehr Produktionsmöglichkeiten
schaffen oder diese besser nutzen.
"Eine erhöhte staatliche Kreditaufnahme paßt auf die Dauer nicht gut in ein Konzept, das Vollbeschäftigung durch Wachstum zu erreichen sucht." |
313. Nimmt man die Wirkungen zusammen (die
Zinslasten, die Beschränkung des konjunkturpolitischen Potentials,
die Verdrängung von privaten Investitionen beziehungsweise die Veränderung
der Einkommensverteilung), die von einer erhöhten staatlichen Kreditaufnahme
vermutlich ausgehen, und bezieht die Bedingungen ein (Steuerwiderstand,
Sensibilität in bezug auf Inflation und Streit um die Verteilung),
von denen wir ausgegangen sind, dann überwiegen die Bedenken gegen
eine deutliche und dauerhafte Erhöhung der Kreditfinanzierungsquote
des Staates. Eine erhöhte staatliche Kreditaufnahme paßt auf
die Dauer nicht gut in ein Konzept, das [>147] Vollbeschäftigung durch
Wachstum zu erreichen sucht. Die Gefahr, daß das wirtschaftliche
Wachstum beeinträchtigt wird, mag man gegenwärtig für gering
halten; sie würde aber um so deutlicher werden, je näher die
Volkswirtschaft an die Normalauslastung ihres Produktionspotentials käme.
Im Hinblick darauf gewinnt eine gegenwärtige Entscheidung über
die Höhe der Kreditfinanzierungsquote ihr Gewicht.
Fraglich ist auch, ob eine höhere Kreditfinanzierungsquote
ohne Gefahren für die gesamtwirtschaftliche Stabilität durchgehalten
werden kann. Die Antwort dürfte nicht zuletzt davon abhängen,
ob die private Sparneigung mittelfristig wieder ansteigt. Wenn der Staat
— wie er es Anfang der siebziger Jahre getan hat — auch bei normal ausgelasteten
Kapazitäten auf einer erhöbten Kreditfinanzierung seiner Ausgaben
beharrt, ohne daß die Privaten Raum hierfür geben, besteht die
Gefahr, daß wieder Inflation, oder, wenn die Geldpolitik nicht nachgibt,
Unterbeschäftigung entsteht.
"Alle diese Bedenken richten sich gegen höhere Kreditfinanzierung des Staates auf Dauer" |
Alle diese Bedenken richten sich gegen höhere Kreditfinanzierung des Staates auf Dauer und nicht dagegen, daß die staatliche Kreditnachfrage vorübergehend höher ist. Die aktuelle Kreditaufnahme eines Jahres ist im Zusammenhang mit der konjunkturellen Lage zu sehen. Die aktuellen Defizite werden deshalb an anderer Stelle dieses Gutachtens gewürdigt (Ziffern 414 ff.). In mittelfristiger Sicht geht es um die Frage, wie weit die staatliche Kreditfinanzierungsquote zurückgefahrt sein soll, wenn die konjunkturellen Schwächetendenzen überwunden sind. Ohne weiteres das zum Programm zu machen, was sich gegenwärtig an Tendenzen in der mittelfristigen Finanzplanung abzeichnet, wäre nicht unbedenklich.
314. Soll die erhöhte Kreditfinanzierungsquote zurückgetührt werden, dann ist zunächst zu fragen, was an Wachstumsimpulsen in der Finanzpolitik bereits angelegt ist oder was noch getan werden könnte, um über verstärktes wirtschaftliches Wachstum die Konsolidierungsaufgabe zu erleichtern, wobei freilich zu beachten ist, daß Steuern und Staatsausgaben nicht in erster Linie Instrumente der Wachstumspolitik sind. Gleichwohl: Da geringes Wachstum zu einem wirtschaftspolitischen Problem geworden ist, muß die Finanzpolitik der wachstumspolitischen Aufgabe bei der Gestaltung von Steuern und Staatsausgaben mehr als bisher Rechnung tragen. Ein Konsolidierungsbeitrag allerdings ist von einem beschleunigten Wachstum — das durch Umstrukturierung von Ausgaben und Steuern oder auf anderem Wege bewirkt wird — nur dann zu erwarten, wenn im Zuge des Wachstums die Ausgabenpläne nicht an die wachstumsbedingt steigenden Steuereinnahmen angepaßt werden; bei gleicher Steuerquote müßte die Expansionsrate der Staatsausgaben also hinter der Wachstumsrate des Produktionspotentials zurückbleiben.
315. Durchaus fraglich ist, ob zum Abbau der
staatlichen Kreditfinanzierung auf eine Erhöhung der Steuerquote gesetzt
werden kann. Zwar steigen die Steuereingänge bei unverändertem
Steuerrecht meist etwas stärker als das Bruttosozialprodukt, wodurch
es zu einem Anstieg der Steuerquote kommt, gleichzeitig steigt aber auch
— wie die jüngsten Erfahrungen zeigen — das Drängen auf steuerliche
Entlastung. Sollen außerdem weitere Schritte hin zu einer Senkung
wachstumshemmender Steuern unternommen werden, dann dürfte für
eine Rückführung staatlicher Kreditfinanzierung über Steuererhöhungen
nicht viel Spielraum bleiben.
"Das Schwergewicht der Konsolidierungsbemühungen müßte dann auf der Ausgabenseite des Staatshaushalts liegen." |
316. Das Schwergewicht der Konsolidierungsbemühungen müßte dann auf der Ausgabenseite des Staatshaushalts liegen. Auch dabei gibt es Hindernisse und Gefahren. Aber die Chancen für eine Konsolidierung stehen hier möglicherweise doch besser als bei Steuererhöhungen und bei der Umstrukturierung von Ausgaben und Steuern. Außerdem sprechen die zuvor erörterten wachstumspolitischen Gesichtspunkte dafür, eine Dämpfung der Ausgabenexpansion für die wirksamste Form der Konsolidierung zu halten (SG 78 Ziffer 28; Anhang IV).
317. Was das Tempo anlangt, mit dem die Kreditfinanzierungsquote zurückgeführt werden könnte, so müßte darüber anhand der Einschätzung der konjunkturellen Entwicklung, genauer: der Entwicklung der Unternehmensinvestitionen entschieden werden. Kräftige Auftriebstendenzen könnten AnlaB sein, die Rückführung der staatlichen Defizite zu beschleunigen. (Sicherlich sollten dann die Staatsausgaben nicht schneller expandieren als das Produktionspotential wächst.) Bei konjunkturellen Schwächetendenzen wäre zu erwägen, die Rückführung der staatlichen Defizite zu strecken. Allerdings müßte die Grundlinie klar sein, und an die Gründe, die eine Abweichung davon rechffertigen, wären hohe Anforderungen zu stellen.
318. Angesichts dessen, was man in den Jahren
1976 und 1977 an Konsolidierung erreicht hat, erscheint auch eine Rückführung
der staatlichen Kreditfinanzierungsquote auf das Niveau der sechziger Jahre
nicht von vornherein ausgeschlossen, und, wenn man sich mehr Zeit lieBe,
nicht unrealistisch. Eine so bemessene Konsolidierung könnte beispielsweise
bis 1982 weitgehend erledigt sein, wenn die Zuwachsraten der Staatsausgaben,
die sich derzeit nach den Finanzplanungen abzeichnen, für jeweils
zwei Jahre um einen ganzen Prozentpunkt und für jeweils zwei Jahre
um einen halben Prozentpunkt gemindert würden. Die Behauptung, daß
Konsolidierung in absehbarer Zeit nicht möglich sei, hat so gesehen
nicht viel für sich. Daß die Finanzpolitik den Konsolidierungskurs
steuern sollte, hat der Bundestag am 13. April dieses Jahres in einem einstimmigen
Beschluß bekundet. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, "darauf
hinzuwirken, daß der Haushalt des Bundes unter Berücksichtigung
des Artikels 115 des Grundgesetzes dauerhaft konsolidiert wird; dazu muß
der Schuldenzuwachs mittelfristig abgebaut werden und die Neuverschuldung
des Bundes niedriger liegen als bisher.
"Daß die Finanzpolitik den Konsolidierungskurs steuern sollte, hat der Bundestag am 13. April dieses Jahres [RS:1978] in einem einstimmigen Beschluß bekundet. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, "darauf hinzuwirken, daß der Haushalt des Bundes unter Berücksichtigung des Artikels 115 des Grundgesetzes dauerhaft konsolidiert wird; dazu muß der Schuldenzuwachs mittelfristig abgebaut werden und die Neuverschuldung des Bundes niedriger liegen als bisher." |
Kommentar: Der Bundestag scheint ein Schwatzverein zu sein, der weder richtig und verantwortlich rechnen kann noch über die geistige und moralische Kraft verfügt, falls er es könnte, dies tatsächlich umzusetzen. Das zumindest beweisen die letzten 25 Jahre. Daraus folgt zwingend, daß eine Grundgesetz- und Verfassungsreform zu den Artikeln 109 und 115 unabdingbar ist. PolitikerInnen - unabhängig ob schwarz, braun, rot, gelb, grün, blau, gelb - können systembedingt nicht vernünftig haushalten und wirtschaften, also müssen die strukturellen und systemischen Bedingungen diesem menschlichen Unvermögen und homo politicus angepaßt werden.
415. Im vergangenen Jahr hat die Finanzpolitik ihren Kurs geändert und versucht, mit Steuerentlastungen und durch eine verstärkte Expansion der öffentlichen Ausgaben der Konjunktur neuen Antrieb zu geben; außerdem hat sie weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Wachstumsbedingungen eingeleitet. Gemessen an unserem Konzept des konjunkturneutralen Haushalts gingen von den öffentlichen Haushalten im Jahre 1978 expansive Impulse in Höhe von gut 17 Mrd DM aus; im Jahre 1977 hatte es so gut wie keine Impulse gegeben (Ziffern 198 f.). Ungewiß war, ob dieser erneute Versuch, Investition, Produktion und Konsum über eine starke Ausweitung der staatlichen Defizite zu beleben, zu einem sich selbst tragenden Aufschwung führen würde, oder ob die konjunkturelle Entwicklung bald wieder an Kraft verlieren und auf ein unbefriedigendes Niveau zurückfallen würde. Diese Unsicherheit wurde verstärkt, als sich mit der kräftigen Höherbewertung der D-Mark die Aussichten für eine Stützung des Aufschwungs durch die Außenhandelsentwicklung verdüsterten; auch von der Lohnpolitik kam weniger Unterstützung, als zur Uberwindung der anhaltenden Beschäftigungsprobleme durch mehr Wachstum nötig gewesen wäre (Ziffern 59 ff.). Hinzu kam das Drängen der ausländischen Partner auf eine expansive Politik in der Bundesrepublik, von der diese sich einen Beitrag zur Überwindung ihrer eigenen wirtschaftlichen Probleme versprachen. So sah sich die Finanzpolitik vor eine Entscheidung über den weiteren Kurs gestellt, noch bevor die bereits angelegten expansiven Impulse ihre Wirkung voll entfalten konnten. Handlungsbedarf für die Finanzpolitik hat der Sachverständigenrat in dieser Situation im Hinblick auf eine Verbesserung der Wachstumsbedingungen, nicht im Hinblick auf eine zusätzliche Nackfragestützung gesehen (SG 78 Ziffern 12 ff.; Anhang IV). Im Zusammenhang mit einem solchen Programm der Wachstumsförderung schien es jedoch wichtig, für einen mittelfristigen Ausgleich von Ausgabenerhöhungen und Steuerentlastungen durch Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen an anderer Stelle zu sorgen, damit die Wachstumskräfte nicht durch einen erneuten Anstieg der bereits hohen öffentlichen Defizite behindert würden.
416. Der Kurs der Finanzpolitik für die Jahre 1979 und 1980 wurde durch die Beschlüsse der Bonner Weltwirtschaftskonferenz und deren Konkretisierung in den 'Maßnahmen zur Stärkung der Nachfrage und zur Verbesserung des Wirtschaftswachstums' abgesteckt (Ziffer 175). Statt einer allmählichen Zurückführung der staatlichen Nettokreditaufnahme, wie es die vorjährigen Finanzpläne vorgesehen hatten, ist nunmehr zunächst eine kräftige Erhöhung der staatlichen Defizite geplant. Die Finanzpolitik für die Jahre 1979 und 1980 bleibt damit weiterhin und verstärkt auf eine Stützung der Nachfrage gerichtet."
noch nicht end-korrigiert