Psychotherapie auf dem Prüfstand
Buchhinweis mit Leseprobe, Inhaltsverzeichnis und Bewertung von Rudolf Sponsel, Erlangen
Peters, Bruno (2001). Psychotherapie auf dem Prüfstand. Über Sitten und Gebräuche in helfenden Berufen. Heidelberg: Asanger. ISBN 3-89334-361-X, 156 Seiten 25 Euro
Ein Plädoyer für Kreativität, Humor und feinfühlige Frechheit.
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Der Autor: Bruno Peters, Diplom-Psychologe, Jahrgang 1932, bis 1992 Berater und Psychotherapeut an der Ruhr-Universität Bochum (Zentrale Studienberatung und Zentrum für Hochschulpädagogik). Vorher unter anderem zehn Jahre als Lehrer tätig, im Zweitberuf Schauspieler. Ausbildung in verschiedenen Psychotherapieverfahren. Lange Erfahrung in der Ausbildung von Therapeuten, in Supervision und Fortbildung. Freiberuflich tätig in der Fortbildung von Sozialarbeitern und Psychologen und als Psychotherapeut. Schwerpunkte: Systemische Familientherapie, Supervision, therapeutisches Theater. |
Bewertung: Der Autor greift besonders eine weitgehend in Vergessenheit geratene Konzeption der Psychotherapie auf: die Bedeutung von Intuition, Heuristik - erstmals von Heinroth 1818 in ihrer grundlegenden Bedeutung erkannt - und Flexibilität für wirklich realistische und erfolgreiche Psychotherapie. Klar, daß er gegen die Therapie-Schulen, ihre bürokratische Manualisierung und gegen jede Form verstaubter Kathederpsychotherapie ist, die erfolgreiches Arbeiten mit lebendigen Menschen in der wirklichen Welt und ihren unendlich mannigfaltigen Lebenssituationen so paradox anmutend erschweren. Ein Buch, das seinem Stil nach eher von einem 27jährigen denn von einem 70jährigen geschrieben sein könnte. Doch Alter bedeutet nicht nur vielfältige Erfahrung - manchmal auch Weisheit -, sondern auch jene hier propagierte feinfühlige Frechheit, die sich eben ein 70jähriger leisten kann: seine Wahrheit mitzuteilen. So kommt diesem Buch ein ganz besonderer authentischer Wert zu, vielleicht gerade recht, um der zunehmend bürokratischen Verschulung der Psychotherapie entgegen zu wirken. |
Prolog: Gutes Tun 1
Zu diesem Buch 3
Helfer, Heiler, Hilfesuchende 5
Von der Rechtgläubigkeit, die ehrenwert ist, aber etwas grau 7
Erlernte Inkompetenz und Erfolglosigkeit 18
Von der defizitfixierten zur ressourcenorientierten
Psychotherapie, Sozialarbeit und Pädagogik
20
Das Spiel des interpersonalen Verstehens 38
Ein Exkurs über Ressourcen 51
Lösungsorientierung versus Problemorientierung
66
Kreativität und Ressourcensensibilität
69
Die innere Haltung des Beraters 74
Salutogenese 77
Tips zur Chronifizierung eines Problems 88
Abstand gewinnen von sich selbst und eine kreative
Lösung suchen 91
Verstehen, Verständnis und Veränderung
103
Anhang 1: Das Gute im Schlechten (Wolfgang
Neumann) 115
Anhang 2: Das Klagelied als professionelle Disziplin.
Polemische Fragmente aus dem Alltag der Selbstbehinderung (Michael Preis)
144
Literatur 155
Wohlgemerkt, ich rede dabei nicht vom Prozeß, den der Klient erfahren sollte, sondern von den Möglichkeiten, die der Therapeut in und mit sich selbst hat. "Wenn man sich nicht bemüht, das Unaussprechliche auszusprechen, geht nichts verloren, sondern das Unaussprechliche ist - unaussprechlich - in dem Ausgesprochenen enthalten." Damit zitiert Fehringer (1994) Wittgenstein und ergänzt: "Diese Forderung betrifft in erster Linie den Therapeuten. Dessen vordringliche Aufgabe es ist, nicht schlau zu sein." In Grimms Märchen jedoch gewinnt die "Dumme" zu guter Letzt durch Sprachwitz und Naivität Königreich und Königssohn, weil die Schwestern, die in Konkurrenz miteinander waren, besonders schlau sein wollten.
Vielleicht ist das Unaussprechliche eben nicht durch Schläue zu finden, sondern durch Kreativität, Humor und feinfühlige Frechheit. Sicher ist das alles für die herkömmliche Therapeutenausbildung, ebenfalls für die anderer psychosozialer Berufe und für Pädagogen erst recht, fremd. Das ist ja auch verständlich, ... "wenn man sich darauf verläßt, daß der Therapeut nur durch seine persönliche Therapie lernt, wie man einen Klienten verändert. Dadurch wird verhindert, daß der Therapeut in die Lage versetzt wird, jemanden zu verändern. Früher betonte man die persönliche Therapie und schuf damit Therapeuten, die sich über ihre unbewußten Konflikte sorgten. Nun ist es wohl naiv, einem Therapeuten Mißtrauen gegen sich selbst beizubringen [< S. 21] und dann zu erwarten, daß er den Hilflosen und Unglücklichen Zuversicht und Hoffnung vermittelt. Deshalb ist es am wichtigsten, daß der Therapeut Vertrauen in sich und seine Ideen und Interventionen in der Therapie hat" (Haley, 1990).
Milton Erickson sagte einmal, ein Therapeut müsse viele verschiedene Möglichkeiten lernen, wie er viele verschiedenen Menschen verändern kann. Wolle er das nicht, müsse er sich einen anderen Beruf suchen. Manchmal scheint es wirklich in Therapeutenkreisen auch bei Sozialarbeitern und Pädagogen, in den einschlägigen Besprechungen und Zirkeln die heimliche Regel zu geben: In unserem Beruf gibt es wenig zu lachen, weil wir es mit ernsten Dingen zu tun haben. Oder: Alles ist schwer, es ist nichts so einfach, wie es aussieht, und es darf nicht laut gelacht werden.
Dazu paßt ganz gut die Geschichte, die Bradford P. Keeny (Dr. Bradford P. Keeny ist Professor an der University of St. Thomas, St. Paul, Minnesota) über Respektlosigkeit und Kreativität erzählt. Im Mittelalter gab es in ganz Europa einen Feiertag, den man "Fest der Narren" nannte. Zwar war er beim Adel und bei der herrschenden Klasse nicht populär, das einfache Volk jedoch feierte ihn. Die Einheimischen verkleideten sich als Repräsentanten der Kirche oder als Gerichtsbeamte, machten die hochgeachteten Ideen, Ideale, Rituale und Bräuche lächerlich und führten sie ad absurdum. Ein wichtiger Beitrag des Festes der Narren bestand in der Art und Weise, wie es die Macht der Mächtigen schwächte und das Selbstbewußtsein der Bürgerschaft stärkte. Wie Harvey Cox (1989) bemerkte, "beraubt man die Mächtigen allen leeren Scheins, erscheint die Macht weniger unwiderstehlich. Und deshalb zittern Tyrannen vor Narren und verbieten Diktatoren politisches Kabarett."
Dieser seltsame Brauch der Respektlosigkeit wäre gut zu übertragen auf den Berufsstand der Helfer und Erzieher. Jede heilige Kuh unseres Feldes ist dann nur einen Moment lang heilig, und die Respektlosigkeit vor dem heiligen therapeutischen Atem hätte vielleicht zur Folge, daß es uns gelegentlich mißlingen würde, die von den verschiedenen Psycho- Theologien aufgestellten Axiome zu ehren und zu achten oder sie einfach zu praktizieren. Statt dessen [< S. 22] würde die Arbeit des Helfens und Heilens eher durch Neugier, Verlangen, Leidenschaft, Phantasie, Erfindung, Kreativität und Improvisation geleitet.
Vielleicht befreit das die Praktiker aus den unwiderstehlichen Klauen der therapeutischen Schulen, Fachzeitschriften, Bücher, Startherapeuten und von all dem Pomp und Flitter unseres Berufsfeldes (nach Keeny, aus Cecchin u.a.1993). "Der Therapeut kann verglichen werden mit einem poetischen Komiker, und zwar mit einem entwaffnendem, der die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum listig überwindet. Wie schrecklich schön: "Sie da hinten, in der letzten Reihe, nein nicht Sie, die Dame mit der giftgrünen Bluse ... ... Würden Sie mir einmal hier vorn helfen kommen? Ich komme hier alleine einfach nicht klar." Schrecklich, Panik, das Publikum klatscht, der Schreck läßt nach, und das Wagnis beginnt, sagt Wolfgang Neumann (1996).
Und er ist damit in guter Gesellschaft, schon 1988 haben Simon und Weber bildliche Vergleiche zum Beruf des Therapeuten gebracht: Friseur, Handwerker, Gärtner und Drehbuchautor.
Und wie wäre es, wenn dieser Komiker-Therapeut, da doch sein Medium die Sprache ist, wortgewandt wäre? Ein Poet gar, ein Sprachkönner? Ein poetischer Komiker nähme zum Witz (der Wortstamm von Witz beinhaltet das Wort "klug") die Poesie dazu, arbeitete mit der Feinheit des sprachlichen Ausdrucks, griffe in Sanftheit zu Bildern, die den Verstand über das Herz erreichen. Und er spräche die "Wahrheit" aus, die oft nicht offen zu sehen ist, weil sie sich hinter dem Widerstand versteckt hält (Neumann, Peters, 1996): Vorsicht: Die ewigen Wahrheiten werden auf den Kopf gestellt, auf der Straße wird getanzt.
Und wenn der Leser dieses Buch mit der standesgemäßen gebührenden Ehrfurcht oder dem entsprechenden wissenschaftlichen Ernst liest, mag eine Intervention helfen, die ich hier vorschlage: "Öffnen Sie das Buch auf einer beliebigen Seite und deuten Sie mit dem Finger auf irgendeinen Satz oder Absatz. Schreiben Sie ein Gegenpapier, in dem Sie darlegen, weshalb Sie meinen, daß niemand dem Inhalt gegenüber, den die Sätze ansprechen, respektlos [< S. 23] sein sollte. Dann schreiben Sie den Autoren einen Brief, in dem Sie sich dafür bedanken, daß Sie von ihnen inspiriert wurden, dieses spezifische Gegenpapier zu schreiben, Achten Sie darauf, dies mit einer geschliffenen Respektlosigkeit zu sagen, damit die Autoren ihre eigene Medizin schmecken können" (Cox, 1969).