Die „systemische Familientherapie Therapie nach Bert Hellinger“ – eine gefährliche Heilslehre im pdf-Format Von Irmela Wiemann, Diplom Psychologin Akutualisierter Titel 7.10.2001 |
von Christoph Bördlein , Bamberg, 3.5.2001
Preprint aus Glauben Sie nicht jeden Mist!
[Arbeitstitel]
Eine Einführung ins Skeptische Denken
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Seit einiger Zeit sind sie *der* Renner in der "Psycho-Szene": "Familienaufstellungen nach Hellinger". Für ein paar hundert Mark kann man vor Publikum seine Problem offenbaren. Bert Hellingers Methode der Familienaufstellungen (vgl. Goldner, 1997) geht von zwei Grundannahmen aus: "Es gibt eine Ordnung im Leben jeder Familie" (Fincke, 1998, S. 16) und "Kinder wollen ihre Eltern lieben" (ebd.). Die Lösung von Konflikten besteht bei Hellinger darin, diese "Ordnungen der Liebe" (Buchtitel, Hellinger, 1996) wiederherzustellen. Nach Hellinger ist ein Verstoß gegen die "Ordnung der Liebe" die Ursache für Erkrankungen, psychische wie physische: "Also Krebs ist meistens eine Sühne, und zwar für Verachtung der Eltern" (Hellinger nach Offergeld, 1997, S. 23).
Die Aufstellungen finden meist in großem Rahmen statt, vor bis zu 500 Teilnehmern. Diese Veranstaltungen werden häufig auf Tonband oder Videokassette aufgezeichnet und später im Handel vertrieben (vgl. Hellinger, 1995, 1999). Einige Teilnehmer sind "Aufsteller" - also die eigentlichen Klienten, deren Probleme auf der Bühne thematisiert werden. In der Regel dauert dies nur wenigen Minuten (dann kommt der nächste Aufsteller dran). Die anderen Teilnehmer schauen bloß zu oder assistieren als Statisten für die Aufstellung: Bei der Aufstellung nimmt sich der Klient andere Teilnehmer als Repräsentanten seiner Familie. Diese stellt er dann so auf, daß sie seine Wahrnehmung der Beziehungen innerhalb der Familie widerspiegeln bzw. symbolisieren.
Der Therapeut greift dann in diese Aufstellung ein
und verändert sie, so daß sich eine "Lösung" ergibt. Oft
besteht diese Lösung in der Wiederherstellung konservativer Strukturen
(Hellinger war früher Ordenspriester), d.h. die Kinder müssen
die Eltern respektieren, die Frau den Mann usw. Dies sollen sie oft auch
durch einen Satz, den Hellinger ihnen einsagt, den Repräsentanten
ihrer Familie gegenüber zum Ausdruck bringen. - Es sind immer wieder
dieselben Sätze, die Hellinger "verordnet": "Ich gebe Dir die Ehre"
ist wohl Hellingers Lieblingssatz, gemessen an der Verwendung in den protokollierten
Aufstellungen. In Verbindung mit einer Verneigung vor der Stellvertreterin
der Mutter dient er z.B. als "Behandlung" gegen Rückenschmerzen (Hellinger,
1996, S.68). Hellinger selbst liefert im Interview mit "Psychologie heute"
einige weitere erschreckende Beispiele für sein Vorgehen, z.B. bei
sexuellem Mißbrauch: "Ich habe sie sagen lassen: ´Papa, ich
habe es gerne für dich gemacht`" (Krüll & Nuber, 1995,
S.23). Eine Diagnose stellt Hellinger nie, auch wird nicht ausreichend
abgeklärt, ob z.B. eine organische Erkrankung vorliegt (was ja bei
Rückenschmerzen nicht gerade abwegig ist).
Fincke (1998) berichtet von einem Selbstmord, der sich 1997 im Anschluß an eine derartige Veranstaltung ereignete. Eine Frau und Mutter von 4 Kindern wurde von Hellinger mit der Bemerkung, sie habe ein kaltes Herz, aus der Familienaufstellung entfernt: Sie solle gehen und gehen könne auch sterben heißen. 24 Stunden später hatte sich die Frau das Leben genommen.
Hellingers Arbeiten wird oft als "systemisch" bezeichnet. Simon und Retzer (1998, vgl. Simon & Retzer, 1995) verwehren sich gegen einen Vergleich der Aufstellungen mit der Systemischen Therapie im eigentlichen Sinne (einem vergleichsweise anerkannten Therapieverfahren). Hellingers Vorgehen hat mit der Systemischen Therapie praktisch nichts gemeinsam. Simon und Retzer (1998) sehen diese Differenzierung "als Akt der Aufklärung des Verbrauchers, ja des Verbraucherschutzes" (S. 65).
Obwohl Hellinger selbst keine Schüler ausbildet, gibt es doch mittlerweile einige Dutzend Therapeuten, die "Familienaufstellungen nach Hellinger" anbieten. Die Esoterik-Blättchen in größeren Städten sind voller Anzeigen für derartige Veranstaltungen. - Hellinger selbst fühlt sich für diese Epigonen nicht zuständig, unternimmt aber andererseits auch nichts, um seinen Namen oder seine Methode schützen zu lassen. Stöhr (1999) berichtet über ein Seminar im Berliner Dom, in dem die Technik der Familienaufstellung nach Hellinger geübt wurde. Stöhr erkennt zwar, daß die Vermittlung therapeutischer Techniken an Laien ohne Vorbildung kritisch zu sehen ist, verkennt aber - vermutlich mangels ausreichender eigener Vorbildung -, daß die Technik als solche - auch unter fachkundiger Anleitung - nutzlos bis schädlich ist.
Offergeld (1997) untersuchte die Theorie bzw. die
Weltsicht Hellingers. Hellinger grenzt den sonst üblichen Begriff
der "Diagnose" von seiner "Wahrnehmung" bzw. "Wahrheit" ab. Hellinger ist
also die "Wahrheit" unmittelbar zugänglich, er behauptet, oft mit
einem Blick die Probleme des Klienten zu erkennen. Aber Hellinger will
nicht nur heilen, er vermittelt auch seine Weltsicht. Diese stützt
sich in vielen Teilen auf die Philosophie Martin Heideggers - oder was
Hellinger darunter versteht. Bei Heidegger spielt das Ordnungsprinzip der
Zeit eine große Rolle. Daraus leitet
sich Hellingers Ansicht vom Vorrang des Zuerstgekommen ab:
Viele Intellektuelle und Therapeuten greifen
diese Abkehr von der Vernunft und Rationalität gerne auf. Und so gehören
v.a. Menschen, die selbst in therapeutischen Berufen tätig sind, zu
Hellingers Kundschaft: "Er hat ihnen eine neue Religion gegeben, in der
sie selbst Priester sein dürfen" (Offergeld, 1997, S. 26).
Was ist, zusammenfassend,
an Hellingers Methode zu kritisieren (vgl. auch Anonymus, 1998)?
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Akutualisierter Titel 7.10.2001
Christoph Bördlein: Das sockenfressende Monster in der Waschmaschine.
Eine Einführung ins skeptische Denken.
Aschaffenburg: Alibri. Erscheint voraussichtlich im November 2001.
ca. 180 Seiten, kartoniert, ca. DM 25.- ISBN 3-932710-34-7
Zum Autor und Buch: Christoph Bördlein,
geboren 1967, Studium der Psychologie und der Germanistik, derzeit Wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der Universität Bamberg. Bördlein ist Mitglied
in der GWUP und publiziert regelmäßig im Skeptiker. "Skeptisches
Denken" findet sich nicht nur in Universitäten und Forschungseinrichtungen,
auch im Alltag bedienen wir uns immer wieder auf dieser Methode. Ganz gleich,
ob wir uns zwischen zwei Alternativen entscheiden oder eine Behauptung
überprüfen - wir greifen dabei auf das wissenschaftliche Verfahren
zurück. Christoph Bördlein führt anhand vieler Beispiele
aus Wissenschaft und Alltag ins skeptische, wissenschaftliche Denken ein.
Allgemeinverständlich und unterhaltsam erklärt er, wie Wissenschaft
als Methode, Thesen zu überprüfen, funktioniert. Ausführlich
werden Möglichkeiten, sich zu
täuschen, vorgestellt und Strategien, nicht in solche Fallen zu
tappen, aufgezeigt. Auch die (relativistische) Kritik an Wissenschaft wird
erörtert; letztlich plädiert der Autor jedoch für skeptisches
Denken als brauchbare Grundlage, um richtige Entscheidungen zu treffen.
Aus dem Inhalt: Wie prüft man Vermutungen * Wissenschaft als Methode
*
Kritik an der Wissenschaft ("Wissenschaft ist nur ein Überzeugungssystem";
Kulturelle Abhängigkeit von Wissen; Vorläufigkeit von Wissen;
Konstruktivismus) * Möglichkeiten sich zu täuschen ("Warum klingelt
das Telefon immer, wenn ich dusche..."; Barnum-Effekt & Vorurteile;
Unwahrscheinliche Dinge sind unwahrscheinlich wahrscheinlich;
Wahrnehmungstäuschungen; "Klingt gut...")
Kommunikationsdaten: Christoph
Bördlein
Universitaet Bamberg / Lehrstuhl Psychologie I
Homepage: https://www.uni-bamberg.de/~ba2pg7/christph.htm
E-Mail: mailto:boerdlein@gwup.org