Unruhe
Begriff,
Erscheinung, Erleben, Bedeutung,
Diagnostik,
Epidemiologie, Therapie
von Rudolf Sponsel, Erlangen,
Teil II: Diagnostik, Statistik und Epidemiologie der Unruhe. Teil III.: Biopsychologie der Unruhe. Teil IV: Therapie der Unruhe. |
Die Unruhe ist von so grosser Bedeutung, dass man sich nur wundern kann, dass dieser wichtigen Erscheinung kaum eine eigene gründliche psychologisch-psychopathologische Monographie gewidmet wurde (Ausnahme Bjerre). Die PsychologInnen haben sich kaum mit ihr beschäftigt, wenn dann eher PsychopathologInnen und PsychiaterInnen. Der schwedische Psychotherapeut Bjerre führt aus: "Das erste, was bei einer Umanpassungskrise in die Augen fällt, ist nicht selten die Unruhe - die sich sowohl motorisch in ruhelosem Hinundherlaufen ausdrücken kann, als auch in der inneren Ruhelosigkeit, die keine Handlung zu Ende führt, von Gegenstand zu Gegenstand springt usw. Der Betreffende fürchtet Dinge, die mit der neuen Lage zusammenhängen, und selbst wenn diese Befürchtungen motiviert sein mögen, sind sie durch die Unruhe zu Dimensionen verzerrt, die nur noch wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben. Auf jeden Fall kann die Unruhe nicht aus der Furcht abgeleitet werden; sie ist ein autochthoner Zustand."
Begriff
Unruhe ist
ein elementarer Grundbegriff. Der Sachkerngehalt des Begriffes ist die
Bewegung
(>
"Unruhe" in mechanischen Uhren), die Inkonstanz oder Diskontinuitaet:
etwas bleibt nicht an einem Ort, sondern wechselt und wandert.
Als verallgemeinerte
Kriterien der Unruhe erscheinen: sprunghaft,
wechselhaft,
unstetig,
was
psychopathologisch wiederum sehr an phasische (periodische, rhythmische)
Prozesse erinnert und als asynchronische Störungen aufgefasst
werden können. Mit dieser Überlegung gibt es eine klare Ähnlichkeit
zu den affektlabilen, depressiven, dysthymen, (hypo) maniformen (euphorischen
und vor allem dysphorischen) und zyklothymen (bipolaren) Erscheinungen.
Erleben
Das innere
Unruhe-Erleben wird auch mit eben diesem Wort bezeichnet: ich bin unruhig,
es gärt, brodelt in mir. Unruhe kann als Drang zur Aktivität
gespürt werden und eine PatientIn von mir bezeichnete es einmal sehr
trefflich mit dem Bild "Wepsen im Arsch". Ein Drängen, eine Energie,
die nach einer Realisationsrichtung sucht; das intensive Bedürfnis,
sich zu bewegen, etwas zu machen, nicht still sitzen können, ein Bewegungs-
und Betätigungsdrang.
Bedeutung
Die psychologischen Hauptkomponenten
der Unruhe sind:
(1) Evolutionäre Urbedeutung: Unruhe als Bewegungsimpuls repräsentiert das Wesen des Lebens: Leben ist Bewegung. Die Ruhe, die Unbeweglichkeit, die Starre repräsentieren den Tod.
(2) Normalbedeutung der Unruhe: Unruhe kann auch als ganz natürlicher und normaler Lebensimpuls betrachtet werden. Nicht jede Unruhe ist pathologisch, im Gegenteil: Unruhe als Ausdruck des Lebens und der Lebendigkeit ist in den meisten Fällen ein natürliches und normales Phänomen.
(3) Unruhe als Folge richtungslosen Antriebs und Energie. Fehlen entsprechende Ausprägungen der Gefühle und damit der Motive, so fehlt dem Antrieb und der Energie die Richtung: der unruhige Mensch hat kein Ziel, weiss nicht, was er mit seinem Antrieb und seiner Energie machen soll. Dies ist ein besonderes Leid.
Exkurs: Leid der Langeweile: Es zeigt sich bei AD-H-D oft auch als Phänomen der Langeweile, wenn fehlendes oder nicht ausreichendes Fühlen, Bedürfen und Interesse keine entsprechenden anregenden äusseren Objekte oder Situationen vorfindet. Darauf folgt auch psychotherapeutisch, dass der Langeweile auf zwei grundsätzliche Arten begegnet werden kann: anregende Bedingungen in sich selbst schaffen oder in der Umwelt suchen, um sich innerlich berühren und anstossen zu lassen.
(4)
Unruhe als Folge von Hemmung
Hemmung bedeutet
immer, dass es mindestens
zwei
sich wechselseitig hindernde Motive
gibt: eines will X, das andere will X nicht) - sich widerstreitender oder
wechselseitig hindernder Bedürfnisse und Ziele entstehen.
(3) und (4)
haben gemeinsam, dass Bedürfnisse und Motive nicht zur Realisation
gelangen. Bei (3), weil sie mit einer bestimmten Ausprägung fehlen,
bei (4) weil sich Motiv und Gegenmotiv wechselseitig behindern.
Unruhe kann - negative - Auswirkungen auf alle Lebensbereiche haben.
In den von mir entwickelten Verfahren im Rahmen des CST-Systems (PSB - Psychosomatische Belastungs-Skala; Info) [1982-] und des ADHD-Tests für Erwachsene [1999-] habe ich jeweils Fragen (Items) zum Erleben der Unruhe plaziert. In der PSB allgemein, im ADHD-Test zwei Varianten: die innere Unruhe und die Bewegungsunruhe. Wie man den relativen Häufigkeiten und den direkt aus ihnen gebildeten Prozenträngen entnehmen kann, ist allgemeine Unruhe ein relativ häufiges Phänomen. Es wurde in der CST-Erhebung (1981-1982) von 28,5% der 635 erhobenen CSTs inklusive Zusatzskalen mit OFT angegeben. Im ADHD-Test wurde innere Unruhe und Bewegungsunruhe über 14 Stufen quantifiziert. Hier sieht man bei den drei wichtigsten Stichproben deutliche Unterschiede, und zwar die stärksten Unterschiede beim Erleben der inneren Unruhe.
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