Erleben und Erlebnis bei Wolfgang
Metzger
Erlebensbeobachtung * Künstlerisches
Erleben.
Originalrecherche von Rudolf Sponsel, Erlangen
Zur Methode der Fundstellen-Textanalyse
* Hauptbedeutungen
Erleben und Erlebnis * Zusammenfassung
*
Zusammenfassung Metzger Erlebensbeobachtung
(62-64)
Gleich zu Beginn definiert - ohne das Wort Definition zu benutzen -
Metzger klar, was zu den Erlebnissen und damit zum Erleben gehört:
Fundstellen: Erlebensbeobachtung (ohne im Titel) 7, Erlebnisse 2.
Lesebeispiel Indizierung, z.B. MG62e2: MG steht für
Metzger, Gestaltpsychologie 1965, 1999 (Taschenbuchausgabe, original 1986),
S. 62, erleben in 2. Erwähnung.
Fundstellen im Kontext Erlebensbeobachtung
12. Die Erlebensbeobachtung
Die MG62e1Erlebensbeobachtung
umfaßt außer der Beobachtung von MG62E1Erlebnissen
im engsten Sinn, d. h. von inneren Erscheinungen oder Inhalten des Selbstbewußtseins
(Gefühlen, Stimmungen, Befindlichkeiten, Neigungen, Gelüsten,
Bedürfnissen, Gerichtetheits-, Tätigkeits- und Erleidensbewußtsein)
einschließlich der offenkundig innenbedingten - „unwirklichen" -
Sachgehalte (Gedanken, Vorstellungen, Erinnerungen, Wissengehalte, Erwartungen,
Pläne, Einbildungen, Erdichtungen, Träume) auch die Beobachtung
von Erscheinungen der gesamten scheinbar ich-unabhängigen äußeren
- „wirklichen” - Welt (einschließlich des eigenen Körpers),
deren tatsächliche Abhängigkeit von der Natur des Menschen als
eines beseelten und darüber hinaus bewußtseinsbegabten Wesens
sie untersucht. (Die verbreitete Bezeichnung „Selbstbeobachtung" oder Introspektion
ist daher für die MG62e2Erlebensbeobachtung
zu eng. Sie trifft nur auf die erste der drei genannten Gruppen von Erscheinungen
zu.)
Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften betrachtet
sie auch die Erscheinungen der äußeren Welt zunächst nicht
in ihrer Rolle als Abbildung eines bewußtseinsunabhängigen und
bewußtseinsjenseitigen wirklichen Seienden (obwohl sie beim Aufbau
und der Verwendung ihrer Versuchsanordnungen von dieser, als tatsächlich
vorausgesetzten, Rolle technischen Gebrauch macht); sie betrachtet also
diese Erscheinungen nicht unter ständigem berichtigendem gedanklichem
Abweichen von ihrer unmittelbaren Gegebenheitsweise, sondern unter geflissentlichem
Absehen von allem „besseren Wissen" im möglichst unbefangenen Hinnehmen
ihres Soseins. Sie kennt daher auch nicht die naturwissenschaftliche Beschränkung
auf einige wenige „zuverlässige" Erscheinungen (auch die optische
Beobachtung durch den „Reduktionsschirm" spielt durchaus nicht diese Rolle);
sondern die unzuverlässigsten, die sogenannten Täuschungen, sind
ihr besonders wichtig, weil an ihnen die Eigenart der Wahrnehmungsfunktionen
sich am greifbarsten äußert.
Neben der Untersuchung von Täuschungen der
verschiedensten Art, die sich ihrer Aufmerksamkeit aufdrängen, besteht
ihre Tätigkeit sogar großenteils in der Schaffung neuer Täuschungen.
In diesem Zusammenhang gehört vor allem auch der sogenannte Attrappenversuch,
in welchem untersucht wird, welche unter den Eigenschaften der ( Dinge
und Vorgänge in der Umgebung eines mit Sinneswerkzeugen ausgestatteten
Wesens überhaupt am Aufbau seiner Eigen weit beteiligt sind und dadurch
sein Verhalten beeinflussen können. Als Beispiel eines einfachen Attrappenversuchs
am Menschen . nennen wir die Erzeugung des Eindrucks der Durchsichtigkeit
mit ausschließlich undurchsichtigen, nur in geeigneter Anordnung
dargebotenen Dingen. Die größte Bedeutung hat der Attrappenversuch
in letzter Zeit in der Erforschung der tierischen - Instinkthandlungen
gewonnen (LORENZ, TINBERGEN).
[>63]
Da die naturwissenschaftlich
bevorzugte Einstellung „sich nichts vormachen zu lassen“, zugleich die
lebensdienlichste und daher die Grundeinstcllung des Alltags ist, bedarf
der psychologische Beobachter einer Schulung im Zurückhalten der Neigung
zum „wirklichkeitsgerechten“ Umdeuten des unmittelbar Gegebenen (Abschn.
3 und 10).
In den ersten Jahrzehnten der psychologischen Forschung
betrachtete man als wesentlichsten Bestandteil psychologischer Beobachtungskunst
die Fertigkeit, seine Aufmerksamkeit auf möglichst kleine Ausschnitte
(„Punkte“) des Wahrnehmungsfel¬des einzuengen und möglichst einfache
Bestandteile oder Eigenschaften aus der Mannigfaltigkeit des unmittelbar
Gegebenen herauszufassen, unter möglichstem Absehen von der gesamten
räumlich-zeitlichen und qualitativen Umgebung. In der Schulung des
psychologischen Beobachtens spielte daher die Aneignung dieser Fertigkeit
eine besondere Rolle (man denke an das Heraushören von Teiltönen
aus musikalischen Klängen). Diese Auffassung von den Erfordernissen
psychologischer Beobachtung folgte notwen¬dig aus der damals herrschenden
Meinung, es sei die wichtigste oder wenigstens vordringlichste Aufgabe
der Psychologie, die „kleinsten“ oder „einfachsten" „Bestandteile“, die
„Elemente" oder „Atome“ des Seelischen zu isolieren, um dann später
die Gesetze der Verbindung und des Zusammenwirkens' dieser Urbestandteile
zu erforschen, - Inzwischen hat sich dieses Forschungsprogramm, trotz aller
Erfolge, in der Psychologie als sinnlos erwiesen. Im Zusammenhang damit
ist man von der Ansicht, das unter eingeengter Aufmerksamkeit Beobachtete
habe für die Psychologie eine wissenschaftliche Sonderstellung, aus
guten Gründen abgekommen. Seitdem kann die Fertigkeit des „Herausfassens“
nur noch als eine unter vielen anderen Möglichkeiten willkürlicher
Aufmerksamkeitsrichtung und -Verteilung gelten, durch die geprüft
werden kann, in welcher Weise und wie weit subjektives Verhalten das Gegebene
beeinflußt. Unter dieser Fragestellung ist aber die willkürliche
Ausweitung des Aufmerksam- keitsbereichs neben der willkürlichen Lösung
der Aufmerksamkeitsrichtung von der "Blickrichtung mindestens ebenso wichtig
wie ihre willkürliche Einengung.
Übrigens können unter geeigneten Vorkehrungen
auch völlig ungeschulte Beobachter durch aus zuverlässige MG63e1Erlebensbeobachtungen
liefern (siehe unten Abschn. 19).
Eine Besonderheit, die die MG63e2Erlebensbeobachtung
von der/Beobachtung in allen ? anderen Wissenschaften unterscheidet und
die offenkundig für die Inhalte des Selbstbe- 1 wußtseins und
die innenbedingten Sachgehalte gilt, erweist sich bei näherem Zusehen
Kais ebenso gültig für die Inhalte des Weltbewußtseins:
Sie sind „privat“, nur einem ^Beobachter unmittelbar zugänglich; sic
können einem zweiten Beobachter nicht ?gezeigt, sondern ihm nur (in
Worten oder Abbildungen) berichtet werden; (man kann niemandem ein Nachbild
zeigen, das man eben selber sieht). Dies gilt, streng genom- h»en,
auch für die Beobachtungsgegenstände der Physik; die numerische
Identität für ( mehrere Beobachter ist, auch wenn es sich um
den Zusammenfall einer Zeigerspitze l'tend eines Skalenstrich cs handelt,
nur scheinbar (W. KÖHLER 1933). Ein zweiter Beobachter kann immer
nur in dieselbe Lage gebracht und nach seinen, ebenso |j«ivaten,
MG63E1Erlebnissen
oder gegenständlichen Beobachtungen gefragt werden, die dann |in günstigsten
Fall mit denen des ersten übercinstimmen. - Um die gewünschte
"Aussage“ machen zu können, muß er freilich außerdem wissen,
was der erste eigentlich beobachtet haben möchte und wie auch er selbst
sich bei der Beobachtung zweckmäßig zu verhalten habe (genau
wie ein zweite Beobachter in der Physik erfahren muß, was für
Hebel er zu bedienen, auf welchen Zeiger er schauen und welchen Standpunkt
er selbst einzunehmen hat, damit die Deckung mit dem Skalenstrich richtig
[>64] zu sehen ist). Phänomenologisch betrachtet ist also bei der
MG64e1Erlebensbeobachtung
die Versuchsperson etwas ganz anderes als bei der Verhaltensbeobachtung:
Sie ist ein zusätzlicher, beauftragter Beobachter, ein Forschungsgehilfe,
und nur in demselben funktionalen Sinn, in dem es auch schon der erste
Beobachter ist, zugleich „Gegenstand“ des Versuchs.
Ein Hilfsbeobachter braucht seine Arbeitsanweisung.
Dies ist der einfache Sinn der „Instruktion“ oder Versuchsanweisung, die
im psychologischen Versuch - im Gegensatz zu dem Experiment sämtlicher
anderer Wissenschaften - eine so auffallende Rolle spielt. Daß sie
kein notwendiges und unterscheidendes Merkmal des psychologischen Experiments
ist, geht aus zwei Tatsachen hervor: 1. gehört zu der psychologischen
Verhaltensbeobachtung im reinen Fall keine Instruktion der Vp. (vgl. Abschn.
19); 2. gehört zur Verhaltensbeobachtung gar nicht notwendig ein zweiter
Mensch als Vp. (also auch nicht eine Versuchsanweisung und eine „Aussage“),
Jede MG64e2Erlebensbeobachtung
kann grundsätzlich vom Forscher allein angestellt werden, indem er
sich selbst in die gewünschte Lage begibt bzw. die gewünschten
Faktoren auf sich einwirken läßt und seine Beobachtung, ebenso
wie der Physiker, selbst ausführt. Es gibt kaum eine wichtige Erscheinung
der äußeren und der inneren Wahrnehmung und des Selbstbewußtseins,
die nicht auf diese Weise, ohne Vp., entdeckt und in ihren wesentlichen
Zügen erforscht wurde, bevor man weitere Beobachter hinzuzog, um ihre
Verbreitung festzustellen.
Zweckmäßigerweise macht der Psychologe
in entscheidenden Phasen der MG64e3Erlebensbeobachtung
seinen Helfer nicht zur Vp., sondern zum Versuchsleiter, und übernimmt
die Beobachtung (d. h. die Rolle der Vp.) immer (auch) selbst. Dann hat
er, was er für seine Entscheidungen braucht, aus erster Hand. Ja,
er hat seine Unterlagen viel unmittelbarer zur Verfügung als irgendein
Natur- oder Verhaltensforscher, da 1., ebenso wie bei der Verhaltensbeobachtung,
die entstellende und verarmende sprachliche Vermittlung entfällt,
und 2. - was in keinem Verhaltensversuch möglich ist - sein Forschungsgegenstand
ihm nicht etwa durch die Wahrnehmung als ein mehr oder weniger irreleitendes
Abbild nur vermittelt wird, sondern in den beobachteten Wahrnehmungserscheinungen
selbst unmittelbar vor ihm steht. (Über technische Schwierigkeiten
des Versuchs an der eigenen Person siehe unten Abschn. 20). Der entstellende
Einfluß der Sprache, der m der Begründung des Behaviorismus
eine so entscheidende Rolle spielt, setzt in diesem Fall genau an der Stelle
ein, wo er auch beim Behaviorismus selbst einsetzt, nämlich bei der
unvermeidlichen Aufgabe des Forschers, seine Ergebnisse der Allgemeinheit
mitzuteilen und andere Forscher zur Nachprüfung einzuiaden.
Zahlreiche Eigenschaften der anschaulichen Welt
können auch (unter Umgehung der sprachlichen Mitteilung) aus dem Verhalten
der Vp, erschlossen werden (das gilt auch für Bewußtseinsinhalte,
welche die Vp. zu verheimlichen sucht). Bei einem Wesen, das nicht sprechen
kann oder mit dem aus anderen Gründen keine sprachliche Verständigung
möglich ist, bleibt dies der einzige Weg ihrer Erforschung. Doch sind
die erforderlichen Vorkehrungen (Wahldressuren u. dgl.) im Vergleich zu
der Dürftigkeit ihres jeweiligen Ertrags so unvergleichlich viel umständlicher
und zeitraubender, daß beim sprachbegabten Wesen, solange keine Irreführungsabsichten
vorauszusetzen sind, schon aus Gründen der Sparsamkeit hierfür
die Befragung das weit sinnvollere Verfahren ist."
Zusammenfassung-Metzger-Künstlerisches Erleben (1965)
Der Begriff künstlerisches Erleben ist mehrdeutig. Einmal kann
es um das Erleben eines Künstler gehen, wenn er Kunst erzeugt. Zum
anderen kann es um das Erleben von Kunstschöpfungen gehen, wenn Rezipienten
Kunstwerke oder solche, die als solche gelten, auf sich wirken lassen.
Naheliegend ist es, die Erlebnisse, die Kunstschöpfungen bei RezipientInnen
hervorrufen, Kunsterlebnisse zu nennen. Ich interpretiere Metzger so, auch
wenn er es nicht ausdrücklich sagt. Und Metzger erklärt leider
auch nicht, was er unter künstlerischem Erleben versteht und
wodurch ein Erleben ein künstlerisches Erleben wird - obwohl das ja
gerade Thema seines Vortrages ist.
Diese Frage nach dem Schönen in der Wahrnehmung ist in der
traditionellen
Ästhetik verhaftet und ist schon viel zu speziell. Allgemeiner
und treffender wäre die Frage: welche spezifischen Wirkungen rufen
Kunstwerke oder solche, die als Kunstwerke gelten, in RezipientInnen hervor?
Das ist die Gretchenfrage der Kunstpsychologie. Und sie kann nur mit empirisch
Untersuchungen beantwortet werden. Nimmt man vorweg, dass bei einer Untersuchung
dieser Frage herauskommt, dass die Wirkungen, die durch Kunstwerke hervorgerufen
werden, auch durch Nicht-Kunstwerke hervorgerufen werden können, steckt
man in einer methodischen Sackgasse, weil es dann keine kunstwerkspezifischen
Wirkungen gäbe. Was wäre es aber dann, das Spezifische des Erlebens
eines Kunstwerks, wenn die Wirkung als Kriterium ausfällt?
erleb 38, e:= erleben 20, erlebt 9, E:= Erlebnis 9
Lesebeispiel Indizierung der Fundstellen: MK498e1Erleben
bblies bitte: MK := Metzger Der Beitrag der Gestalttheorie zur Frage der
Grundlage des künstlerischen Erlebens (1965), der Gebrauch findet
sich auf Seite 498, und auf dieser Seite ist es der erste Gebrauch von
erleben (e1)
Titel
498: ".......... Es wäre sonderbar,
wenn die Vertreter einer Lehre, die schon in der Theorie der alltäglichen
Wahrnehmung
mit im Grunde ästhetischen Begriffen arbeitet, in dieser langen
Zeit nicht auch über das
eigentlich künstlerische Schaffen und MK498e1Erleben
und deren psychologische Voraussetzungen
sich Gedanken gemacht hätten. Der Beitrag der Gestalttheorie —
so wie er gedruckt
der Allgemeinheit vorliegt — besteht aber bisher vorwiegend aus zerstreuten
Bemerkungen.
Bedeutsam scheinen mir unter anderem einige Arbeiten von Karl DUNCKER,
dem
vorzeitig verstorbenen hoffnungsvollsten Mitglied der Gruppe, die sich
in den zwanziger
Jahren im Berliner Psychologischen Institut zusammengefunden hatte,
und von
Rudolf ARNHEIM, dessen Werk „Art and Visual Perception" Ihnen vermutlich
bekannt
ist. Dort und in einem besonderen Aufsatz von ARNHEIM gibt es eingehendere
Überlegungen, die ich nun im folgenden mit eigenen Gedanken zu
einem halbwegs
einheitlichen Ansatz zusammenfassen möchte.
Ich beginne mit einer einfachen, man kann fast sagen
banalen These. Sie lautet: Alle
Kunst soll Freude machen. Man spricht im Deutschen auch von Kunstgenuß
— ein
unvermeidliches, aber von mir nicht sehr geschätztes Wort, weil
es ein wenig an ein
Delikatessengeschäft erinnert. Was ist das aber für eine
besondere Art von Freude oder
Genuß? Einiges Erleuchtende darüber hat Karl DUNCKER in
seiner nachgelassenen
Schrift über „Pleasure, Emotion, and Striving" gesagt. Er unterscheidet
dort drei Arten
von lustvollen MK498E1Erlebnissen.
500: "... ARNHEIM sucht nun unabhängig von DUNCKER
weiter aufzuklären, worauf es hierbei vor allem ankommt. Er fragt
ganz einfach, was
nimmt man eigentlich wahr, wenn man etwas schön findet? Er nennt
dann als Beispiele
ein harmonisches Zueinander von Farben, einen musikalischen Akkord,
ferner die
wohlausgewogenen, zur Einheit zusammengeschlossenen Bewegungen, wie
man sie an
einem Tanzenden nicht nur als Zuschauer sieht, sondern vor allem wie
sie der Tänzer
selbst in den wechselnden Muskelspannungen seines Körpers und
den gegenseitigen
Verlagerungen seiner Glieder spürt, was sicher etwas ebenso Schönes
ist wie die
sichtbaren Figuren des Tanzes; endlich, was man MK500e1erlebt,
wenn man die erfreuliche
Übereinstimmung entdeckt zwischen dem Spannungsgefüge in
einer Mannigfaltigkeit
von Formen und Farben und demjenigen, das irgendeiner bedeutsamen Lebenssituation
innewohnt. Von diesen Beispielen kann das erste und zweite — also der
Akkord
und das Farbzueinander — zweifellos etwas Schönes sein, aber erst
das dritte und das
vierte wird man als Kunstwerk bezeichnen, oder richtiger: es können
Kunstwerke sein.
Auch nach ARNHEIM bietet Kunst sinnliche Formen, Bilder und Gedanken
nicht um
ihrer selbst willen dar, sondern als Gefäße, die irgendetwas
anderes enthalten; freilich
in der merkwürdigen Art und Weise — um es nun mit meinen Worten
zu sagen — daß es
sich nicht aus ihnen herauslösen läßt. Es sind gewissermaßen
Gefäße, die man nicht
ausschütten kann. Aber was enthalten sie denn? Fragt man die älteren
Theoretiker der
Ästhetik, so ist ihre Meinung ziemlich einheitlich. ARNHEIM führt
einige Engländer an,
er hätte genausogut Deutsche nennen können. Er zitiert Roger
FRY, D. W. PRALL.
Das, was das Kunstwerk ausdrückt, sind nach ihrer Meinung ausnahmslos
Gefühle und
Emotionen. Ganz gleich welcher Art von Kunst es angehört, ob es
ein Bild, ein
Musikstück oder ein Gedicht ist, stets ist es eine Manifestation
seelischer Zustände in
wahrnehmbarer Form. Dies ist unter anderem auch die Meinung TOLSTOIS,
der sich ja
ebenfalls grundsätzlich mit ästhetischen Fragen beschäftigt
hat. Er versteht Kunst als
eine menschliche Tätigkeit, durch welche der eine Mensch mit Hilfe
bestimmter
äußerer Zeichen dem anderen Gefühle vermittelt oder
an ihn weitergibt, die er selbst
MK500e2erlebt hat. Wobei
dann der andere von diesen Gefühlen angesteckt wird und sie
ebenfalls MK500e3erlebt.
In neuerer Zeit wird vielfach behauptet, das alltägliche
und das ästhetiche Erfassen
fremden Seins und Schicksals setze die Identifikation des MK500e4Erlebenden
mit seinem
Gegenstand voraus. Auf diese Annahme möchte ich nun etwas näher
eingehen. Sicher
kommen solche Identifikationen nicht selten vor. Doch sprechen genug
Beobachtungen
dagegen, daß die Identifikation eine notwenige Voraussetzung
ästhetischen Auffassens
sei. Wo etwa in einem Stück mehrere Personen zusammenspielen,
kann man nicht
fortgesetzt von dem einen in den anderen kriechen. Vielmehr ergibt
sich je nach der
Vergleichbarkeit mit dem Betrachter ganz von selbst eine aus dem Kreise
der übrigen
herausgehobene „Identifikationsperson". Meist — aber nicht immer und
nicht bei jedem
Betrachter — ist es diejenige Person, die der Dichter ohnehin als den
Haupthelden
gedacht hat. Diesen einen sieht man sozusagen von innen. ManMK500e5lebt
in ihm, man denkt
seine Gedanken mit. Aus ihm schaut man heraus auf die anderen, die
man genau wie
der Hauptheld nur von außen sieht. Aber, und das ist jetzt wichtig,
man wird dabei
durchaus nicht unfähig, die Handlungen der anderen, der Mitspieler
ästhetisch zu
erfassen und zu werten. Man kann auch von künstlerisch dargestellten
menschlichen
Seins- und MK500e6Erlebensweisen
mitgerissen und erschüttert werden, mit denen man sich
nicht wirklich identifizieren kann. Bei mir selbst zum Beispiel gelingt
die Identifikation
ausgezeichnet, oder richtiger gesagt, sie findet ganz ungewollt statt,
etwa mit dem [501]
Haupthelden von Bert BRECHTS „Galilei", was nicht bedeuten soll, daß
ich mich mit
ihm vergleichen möchte. Sie findet statt, besonders weil das Forscher-
und Gelehrter-
Sein übereinstimmt, und weil man nochmals in alle typischen Situationen
mit den
weltlichen und geistlichen Mächten, den Vorgesetzten, den erhofften
Geldgebern und
so weiter geführt wird. Man fühlt sich als Münsterscher
Professor direkt in Düsseldorf,
wenn man die Szenen in Florenz MK501e1miterlebt.
Aber wichtiger ist in unserem theoretischen
Zusammenhang die Möglichkeit künstlerischen MK501e2Miterlebens
ohne eigentliche Identifikation,
wie etwa beim Galileo GALILEI das Erfassen der Person des Inquisitors,
der
Schüler mit ihren verschiedenen Temperamenten oder der frömmelnden
Tochter. Um
ein vielleicht noch schlagenderes Beispiel zu nennen: Mit wem soll
man sich in Max
FRISCHS „Der Biedermann und die Brandstifter" identifizieren? Ich selber
kann es
weder mit dem einen noch mit dem anderen der beiden Gegenspieler. Ich
habe es auch
gar nicht erst versucht. Trotzdem ist da doch das Erregende, das Unaufhaltsame
der
Entwicklung des heraufziehenden Unheils aus dieser merkwürdigen,
sogenannten
Menschenfreundlichkeit, die weiter nichts als schlotternde und völlig
egoistische Angst
ist, die sich hier selber das Grab gräbt. Auch wenn diese Haltung
dem Zuschauer völlig
fremd ist, ebenso fremd wie die raffinierte Unverschämtheit des
Bettlers, so geht
dadurch doch das Überzeugende im Verhalten aller Beteiligten und
in ihrem Zueinander
nicht verloren. Um noch einiges andere zu nennen: Denken Sie an das
Verständnis
von BRECHTS „Mutter Courage" oder der Frauen in Jeremias GOTTHELFS
Romanen,
einer Heiligen Anna von LEONARDO, einer Madonna von MANTEGNA oder eines
kleinen Mädchens von RENOIR. Kann man sich, wenn man ein 65jähriger
Großvater
ist, mit diesen Frauengestalten identifizieren? Ich glaube kaum. Doch
kann man. nicht
leugnen, daß man von diesen Verkörperungen reinsten und
zartesten Frauentums
ergriffen wird und sie irgendwie MK501e3miterlebt.
Wie ist das möglich? Um das verständlich zu
machen, muß ich etwas zurückgreifen.
Infolge einer tief eingewurzelten theoretischen
Voreingenommenheit haben wir
lange Zeit nicht den Mut gehabt, zuzugeben, daß von uns nicht
nur die im gegenwärtigen
Augenblick herrschenden eigenen Gefühle unmittelbar MK501e4erlebt
werden können.
Neben diesem erfülltesten Modus des Fühlens, der in den Theorien
gewöhnlich allein
berücksichtigt wird, und vielfach sogar als der einzig mögliche
gilt, gibt es noch
mehrere andere Modi und unter diesen das unmittelbar wahrgenommene
Gefühl des
anderen Menschen. Das Bewußtsein fremden Gefühls besteht
nicht etwa nur in einem
Wissen auf Grund von Analogieschlüssen oder besonderen Akten der
Hineinversetzung,
sondern ist für uns in dem sichtbaren oder hörbaren Ausdrucksverhalten
des
anderen Wesens und ebenso in seiner gelungenen künstlerischen
Darstellung — ganz
gleich ob sie sich sprachlicher oder bildnerischer Mittel bedient —
unmittelbar verkörpert.
Genauer: Sie kann es wenigstens sein; unter welchen Bedingungen, möchte
ich
sogleich besprechen. Dieses unmittelbare, unreflektierte Innewerden
fremder Innerlichkeit
kann dann allerdings nachträglich durch das, was man Sich-Hineinversetzen,
Sich-Einfühlen, Nachfühlen, MK501e5Miterleben,
MK501e6Nacherleben
und dergleichen nennt, noch
verstärkt, stärker erfüllt und spezifiziert werden,
freilich — wie schon früher gesagt — bei
überlegenen und gefährlichen Gegenständen nur bei ihrer
ästhetischen Ausgrenzung
aus der Wirklichkeit. Man kann aber, was sich an dem Verhältnis
zum wirklichen, im
Leben angetroffenen Gegenstand besser verdeutlichen läßt
als am Kunstwerk, ein
solches Sich-Hineinversetzen auch ablehnen, von sich fernhalten, zum
Beispiel, wenn
man in einer bestimmten Realsituation befürchtet, dadurch weich
zu werden. Schon
hieraus folgt, daß das wahrgenommene Gefühl des anderen
nicht ein aus dem Betrach-[>502]
ter hinaus- und in jenen hineinverlegtes, eigenes Gefühl des Betrachters
sein kann, wie
es in der zwar verbreiteten, aber trotz aller ihr gewidmeten Gedankenarbeit
völlig
ungeklärten Annahmen einer sogenannten Projektion behauptet wird.
Auch zur Projektionsannahme seien hier einige kritische
Bemerkungen erlaubt.
Natürlich kommt es vor, daß man, wie es heißt, von
sich auf andere schließt. Das
betrifft aber im allgemeinen gerade nicht den Gemütszustand des
anderen, der ja meist
zwingend in seinen Gebärden verkörpert ist, es betrifft vielmehr
seine vom Betrachter
vermuteten Beweggründe, die sich im Ausdrucksverhalten nicht ebenfalls
abspiegeln.
Und ebenso kommt es vor, daß man ,sich einfühlt'. Aber es
gibt Realsituationen, in
denen das völlig ausgeschlossen ist, weil hier gewissen wahrgenommenen
fremden
Gefühlen völlig entgegengesetzte eigene Gefühle unlösbar
zugeordnet sind. Wenn ein
wildgewordener Stier hinter uns her ist, so ist die Zerstörungswut,
sein Drang, den
vermeintlichen Feind oder Störenfried zu vernichten, ihn umzurennen,
aufzuspießen
und zu zertrampeln, ganz sicher nicht unsere aus uns in ihn hinausverlegte
Wut. Denn
in uns ist nur Todesangst und das dringende Verlangen, uns in Sicherheit
zu bringen.
Und was für diese gegensätzlichen Gefühle gilt, gilt
ebenso für die gleichartigen. Die
Liebe der Geliebten, die ich in ihren Worten, Blicken und Zärtlichkeiten
spüre, ist
nicht meine in sie hinausverlegte, sondern ihre ganz eigene Liebe,
die der meinigen
selbständig gegenübersteht und eigenartige Wechselbeziehungen
mit ihr eingeht. Das
Sich-Hineinversetzen und MK502e1Nacherleben
setzt seiner Natur nach voraus, daß das fremde
Gefühl als solches, und nicht nur das ihm zugeordnete leere Bewegungsschema
wahrgenommen
ist. Erst dann kann es im Betrachter zu eigenen Gefühlen und Strebungszuständen
Anlaß geben, etwa zum Mitleid beim gütigen Menschen, zu
gar nichts beim
gleichgültigen, zur Schadenfreude beim hartherzigen und zur perversen
Lust, den
fremden Schmerz noch zu steigern, beim Quälgeist, zur begierdefreien
Freude, zur
Ergriffenheit und endlich zur selbstvergessenen Versenkung in den Gegenstand
beim
künstlerischen MK502e2Erleben.
Daß die Vermittlung fremder Gefühle in
echter und großer Kunst aller Arten
vorkommt, steht außer Zweifel. Trotzdem ist eine Gefühlsübertragungstheorie
des
künstlerischen MK502e3Erlebens
bei weitem zu eng. Es bleiben wesentliche künstlerische
Erscheinungen in ihr unberücksichtigt. Schon beim Bildnis und
bei der Menschenschilderung
eines Romans kann man fragen, werden hier überhaupt in erster
Linie Gefühle
vermittelt? Oder ist das, was da vermittelt werden soll, nicht eine
unwiederholbare und
faszinierende Art des Seins? Noch eindeutiger muß die Antwort
ausfallen, etwa bei der
Lithographie eines Frosches, Katers oder Stieres von PICASSO oder eines
Pferdes, einer
Kiefer, eines Bambuszweiges, einer Meereswoge auf einem chinesischen
oder japanischen
Bild. Denken wir endlich an die Lyrik und Hymnik, an die Musik, an
die
abstrakte Struktur einer Metallplastik, sagen wir beispielsweise von
Bruno MUNARI,
oder eines Farb- und Formspiels von KLEE, SO ist hier nicht mehr die
Rede von
menschlichen MK502E1Erlebnissen,
ja überhaupt nicht mehr von MK502E2Erlebnissen,
die man im strengen Sinne des Wortes MK502E3nacherleben
kann. Hier wird das Sein in seiner Tiefe
aufgeschlossen und durchleutet in einer Weise, die zwar Gefühle
erweckt, aber nicht im
Sinne TOLSTOIS Gefühle des einen Menschen dem anderen übermittelt.
Oder es wird zu
der unabsehbaren Mannigfaltigkeit des Schönen, wie es unter anderem
in Wolken und
Kristallen, in Schmetterlingen und Blüten die Welt erfüllt,
und das sich durch Mutationen
noch heute immer weiter vermehrt, ungeahntes Neues gefügt, das,
wie etwa eine
Sammlung neuer Fugen, gewissermaßen auf dem Boden des menschlichen
Geistes
wächst und nur auf ihm wachsen kann. Wie ist das nun wieder möglich?"
...
504: "Gestalten sind transponierbar. Das heißt, daß Gestaltqualitäten
weitgehend unabhängig
sind von dem Material, aus dem die sie tragenden Strukturen gebildet
sind.
Daher die merkwürdige Verwandtschaft der künstlerischen Äußerungen
bestimmter
geschichtlicher Epochen, daher die Möglichkeit, in Sprache, Bild
und Musik nahe
verwandte, ja, praktisch bedeutungsgleiche Werke zu schaffen, auch
für Sachverhalte
der verschiedensten Sinnesgebiete, ja auch für solche der inneren
und äußeren Welt, für
greifbar Sinnliches und rein Geistiges dieselben sprachlichen Bezeichnungen
zu benutzen,
wie wir es alle Tage ohne Bewußtsein des Metaphorischen ganz
selbstverständlich
tun, und übrigens nicht nur wir, sondern — wie Solomon ASCH feststellt
— jedes bisher
darauf untersuchte Volk auch der fremdesten Sprachfamilien. Daher endlich
die
Möglichkeit, wenigstens den Rahmen einer Theorie des künstlerischen
Schaffens und
MK504e1Erlebens für
sämtliche Künste gemeinsam zu entwerfen.
Sehen wir nun zu, in welcher Weise der eben vorgebrachte
Ansatz auch auf die
menschlichen Gefühle anwendbar ist. Wenn die menschlichen Gefühle
Sonderfälle von
Gestaltqualitäten sind, und wenn jede Gestaltqualität ihr
strukturelles Korrelat hat, so
müssen auch die Gefühle strukturelle Korrelate haben, worauf
übrigens schon KLAGES
mit seinem Begriff der ,Antriebsgestalt` der Gefühle hingewiesen
hat, für die er einige
eindrucksvolle Beispiele bringt. Diese Korrelate können aber auf
keinen Fall die
überdauernden Körperformen sein, denn diese bleiben ja beim
Wechsel der Gefühle
unverändert. Sie sind das Korrelat des seelisch Überdauernden
der unverwechselbaren
Individualqualität des einzelnen Menschen. Das gesuchte strukturelle
Korrelat der
wechselnden Gefühle sind, wie mir scheint, die ganz ebenso wechselnden
Spannungsgefüge,
die dynamischen Strukturen, die sich über das Subjekt hinaus auf
die mit ihm in
Wechselbeziehung stehenden Gegenstände und Wesen erstrecken und
in den wechselnden
Gebärden äußerlich sichtbar sind. Der eben schon erwähnte
Ludwig KLAGES hat
sie als wesentlichen, weil für das Ausdrucksgeschehen entscheidenden
Bestandteil der
Gefühle neben deren altbekannte ‚Färbung< gestellt. Die
besondere Bedeutung der
dynamischen Strukturen ist über das alltägliche Gefühlsverständnis
hinaus auch für das
künstlerische MK504e2Erleben
allgemein grundlegend. ARNHEIM behauptet geradzu, die eigentlichen Vermittler
ästhetischer Freuden seien allgemein, nicht nur bei der Erfassung
des [>505]
menschlichen Ausdrucks, die gerichteten Spannungen oder dynamischen
Strukturen, die von eben denselben Reizmannigfaltigkeiten vermittelt werden
wie die rein statischen
Verteilungen, also in einer Zeichnung die Verteilung und der Verlauf
der
verschiedenen Striche. Die vollständigere Art des Wahrnehmens,
bei der das Hauptgewicht
auf den in dem wahrgenommenen Gebilde enthaltenen, gerichteten Spannungen
liegt, sei die Voraussetzung alles ästhetischen MK505e1Erlebens.
Faßt man ein Kunstwerk rein
statisch auf, also ein Gemälde als geordnetes Nebeneinander bestimmt
gewählter
Farben oder auch als Nebeneinander bestimmter Gegenstände, ein
Musikstück als Mitund
Nacheinander bestimmter Tonhöhen von bestimmter Dauer oder auch
als Mit- und
Nacheinander bestimmter Intervalle, eine Dichtung als eine Folge von
Aussagen
und Szenen, so ist die Auffassung noch nicht ästhetisch. So aufgefaßt,
ist der Gegenstand
tot. Die Dynamik ist die wichtigste strukturelle Eigenschaft alles
Lebenden, und
erst wenn es Dynamik erhält, beginnt beispielsweise ein Musikstück
zu leben. Hamlets
Monolog, sagt ARNHEIM, würde, wenn man ihn rein inhaltlich als
Folge von Einfällen,
von Gedanken auffaßte, allenfalls von historischem oder psychologischem
Interesse
sein. Um ästhetisch zu wirken, muß er als Zickzack-Kurs
widersprechender Tendenz
verstanden werden, von denen der Held hin- und hergerissen wird.
Besonders aufschlußreich erscheint mir, wie
ARNHEIM seinen Gedanken am Beispiel
des Tänzers oder Schauspielers durchführt. Dieser kann erstens
die passenden Gesten,
deren Bedeutung er kennt, auf der Bühne völlig kalt, äußerlich
gewissermaßen statisch
zur Schau stellen. Er kann aber zweitens auch seinem eigenen Körper
so gegenüberstehen
wie der Maler seiner Leinwand. Er kann also seinen Körper ebenso
zum Träger von
ausdruckshaltigen Bewegungskonfigurationen machen wie jener seine Komposition
auf
der Leinwand. Er kann die dynamische Gestaltung, etwa der Rücksichtslosigkeit
des
Tyrannen, der ängstlichen Verzagtheit des Flüchtlings, der
Hingabe des Liebenden
unmittelbar in diesen willkürlich gesteuerten Konfigurationen
der Bewegungen seiner
eigenen Glieder abbilden. Er kann drittens aber auch ganz vergessen,
daß er zum
Beispiel nicht Romeo ist, und als Romeo handeln, wobei er dann seinem
eigenen Leib
nicht mehr als einem Werkzeug gegenübersteht, sondern sich mit
ihm identifiziert.
Dies ist aber keineswegs eine notwendige Vorbedingung eines guten Spiels.
Ebenso verschieden kann das MK505e2Erleben
des Zuschauers sein. Er kann Romeos inneres
Schicksal MK505e3miterleben,
mit ihm fürchten, hoffen und verzweifeln, ohne zu vergessen,
daß er es nicht selber ist. Aber beides andere, die stückhafte
Kenntnisnahme der
aufeinander folgenden Gesten und Äußerungen auf der einen
Seite und das völlig
selbstvergessene Sich-Hineinversetzen auf der anderen, ist auch bei
ihm möglich. Die
Freude an der ausdruckshaltigen dynamischen Qualität, etwa an
dem Schwung einer
auf ihre Beute herabstoßenden Möwe oder an dem Schwung der
Verteidigungsrede
eines gewandten Anwalts vor Gericht, ist aber nur eine Komponente des
ästhetischen
Genusses, wenn auch eine grundlegende. Andere Faktoren spielen eine
nicht weniger
bedeutsame Rolle, auf die ich aber hier nur kurz eingehen kann.
Als zweites kommt hinzu die Freude an der Stimmigkeit
der Komposition, des
Aufbaus, an der Notwendigkeit und Geschlossenheit der Folge im Ganzen
und im
einzelnen, sofern es sich, wie bei einem Schauspiel, einem Roman oder
einem Musikstück,
um einen zeitlichen Ablauf handelt. Wir können diese Eigenschaften
in allen
Künsten unmittelbar erleben, sehen oder hören, genau wie
die Farben oder Töne. Wir
spüren unmittelbar das Gleichgewicht, die Einheit, den Rhythmus,
die Proportionen,
aber ebenso auch ihren Mangel. Als Beispiel einer ausgesprochenen Überfrachtung
sei [>506]
aus dem schon erwähnten Stück von Bert BRECHT die Schlußrede
GALILEIS genannt.
Hier ist in Bert BRECHT der Lehrer dem Künstler davongelaufen."
...
507: "Dazu gehört etwa die sachlich nicht geforderte Gehobenheit,
das
gesucht Lyrische, Edle, Preziöse, Frömmelnde, Schwüle,
Süßliche, Erhabene, Pathetische,
das als solches gesucht und genossen werden kann, wofür ja in
den letzten Jahren
Beispiele genug aus der Literatur und auch der Kunst zusammengestellt
worden sind.
Dieses, daß man das Kunstwerk oder auch schon ein MK507e1miterlebtes
tatsächliches Ereignis
und die von ihm hervorgerufenen Gefühle gewissermaßen als
warmes Bad benutzt, hat
schon Philipp LERSCH als die Grundeigenschaft der Sentimentalität
gekennzeichnet.
Und KILLY hat es als die Technik des literarischen Kitsches geschildert,
wobei es für
mich als Leser eine schöne Pointe gewesen ist, daß die klassische
Kennzeichnung dieser
Verwendung von Sprache oder von akustischem Material aus dem Munde
einer
Klassikerin des sentimentalen Kitsches stammt. Es handelt sich um Agnes
GÜNTHER,
die Verfasserin eines von sentimentalen Damen ehemals sehr geschätzten
Romanes,
„Die Heilige und ihr Narr". Sie schildert, wie jemand am Klavier sitzt
und spielt, und
wie jemand anders zuhört, ganz hingegeben, „seine Seele bespült
von der Flut der
Töne". Hier sagt sie es selbst."
Erleben/Erlebnis in den Titeln seiner 372 Verröffentlichungen:
Bücher:
Anmerkung 17, S.477: "Metzger wollte damals mit den gestaltpsychologischen Gesetzen der Wahrnehmung die völkische Staatsauffassung untermauern (Metzger 1938, 1942). Ich komme auf diese Aufsätze in Kap. V zurück. Beide und ein weiterer von mir gefundener (Metzger 1938a) sind in der Metzger-Bibliographie nicht erwähnt (Psychologische Beiträge, 1960,5, S. 283 ff.). Auf den Aufsatz von 1942 angesprochen - die anderen waren mir seinerzeit noch nicht bekannt- äußerte Metzger 1979 in einem Gespräch, daß dies sein Primanerstandpunkt gewesen sei; er habe diesen Aufsatz nicht geschrieben, um den Lehrstuhl in Münster 1942 zu bekommen (ZS/A 37, f. 189). Metzger wollte mir eine Stellungnahme schicken und dazu diesen Aufsatz noch einmal lesen, der sich nicht mehr in seinem Besitz befand. Leider kam es dazu nicht mehr, da Metzger am 20.12.1979 verstarb. Die beiden Aufsätze von 1938 erschienen in der Zeitschrift des NS-Lehrerbundes im Gau Halle-Merseburg; 1937/38 hatte Metzger in Halle eine Lehrstuhlvertretung. Für eine erste These zu ihrer Interpretation vgl. Geuter 1983 a, S. 102; neuerdings ausführlicher auch Prinz 1984."
Aus Geuters Literaturverzeichnis S.538
Prinz, W. (1985), »Ganzheits- und Gestaltpsychologie und Nationalsozialismus«,
in: P. Lundgreen (1985, Hrsg.), Wissenschaft im 3. Reich. Frankfurt/M.:
Suhrkamp.
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