Erleben und Erlebnis bei Krishnamurti
In Über dieses Buch: "Plötzlich
weiß er, er lebt - weil er erlebt"
Originalrecherche von Rudolf Sponsel,
Erlangen
Zur Methode der Fundstellen-Textanalyse
* Hauptbedeutungen
Erleben und Erlebnis * Zusammenfassung
Hauptseite *
Zusammenfassung-Erleben-Krishnamurti: Das ist ein zwar schwieriger, aber doch sehr interessanter 2-Seiten Text von 88 der im Inhaltsverzeichnis ausgewiesenen Texten (meist problematischen), ein schönes Beispiel für praktizierte Phänomenologie der Wahrnehmung in der indischen Lebensphilosphie. Vergangenheit, denken, erinnern ("Erlebtes muß schweigen, damit Erleben möglich wird.") stören das (reine) Erleben. Wenn Wahrnehmder und Wahrgenommes verschmelzen und eins geworden sind, die Trennung von Subjekt und Objekt also aufgehoben ist, dann ist echtes (reines) Erleben der Wahrnehmung im Sinne Krishnamurtis gelungen. Zum Erleben gehört nach psychologischem Verständnis nicht nur die Wahrnehmung, sondern viel mehr (>Praktisch psychotherapeutische Dimensionen des Erlebens).
Fundstellen Erleben 21, erlebt 14, Erlebnis 0. Für nur 2 Seiten eine ganze Menge.
35:"
Erleben
Das Tal lag schon im Schatten, die untergehende Sonne berührte die fernen Gipfel, die wie von innen her erglühten. Die Berge im Norden der langen Straße waren kahl und öde, dort hatte ein Brand gewütet und allen Baumwuchs zerstört. Im Süden dehnten sich grüne, mit Buschwerk und Bäumen bedeckte Hügel. Die Straße lief kerzengerade durch das langgestreckte, liebliche Tal und teilte es in zwei Hälften. Heute waren die Berge seltsam nah und unwirklich, ihre Umrisse hoben sich hell und zart gegen den Himmel ab. Mächtige Vögel kreisten schwerelos im hohen Blau, Erdeichhörnchen rannten "ohne Scheu vor uns über den Weg, und weit in der Ferne brummte ein Flugzeug. Zu beiden Seiten der Straße lagen regelmäßig angelegte, sauber gepflegte Orangengärten. Nach dem heißen Tag verströmte der Purpursalbei seinen betäubenden Duft, der sich mit dem Geruch sonnengebackener Erde und trockenen ? Heus vermengte. Im dunklen Grün der Orangenbäume leuchteten die schweren goldenen Früchte. Fern und nah schlugen die Wachteln, ein Straßenköter drückte sich scheu in den Busch. Eine [>36] langgestreckte Schlangeneidechse, die der Hund aufgestöbert hatte, schlängelte sich eilends davon und verschwand im dürren Gras. Die Stille des Abends senkte sich über das Land.
Erlebtes ist etwas
ganz anderes als das Erleben selbst.
Das Erlebte ist eine Schranke,
die sich vor das Erleben legt; ob es
schön oder häßlich war, es läßt nicht zu, daß
sich das Erleben entfaltet. Alles Erlebte
war, es ist schon im Netz der Zeit gefangen, es ist Erinnerung geworden,
die nur auf den Anruf der Gegenwart wieder zum Leben erwacht. Dann überschattet
es mit seinem Gewicht und seiner Bedeutung die Gegenwart und bewirkt so,
daß uns das Erleben selbst zum
Erlebten
wird. Das Erlebte, das Gewußte
ist unser Bewußtsein, dieses kann nie unmittelbar
erleben.
Was es Erleben nennt, ist nur Anknüpfung
an das schon Erlebte und Gewußte.
Unser bewußtes Denken kennt nämlich nur Zusammenhänge und
kann darum das Neue nicht aufnehmen, weil es am Faden des Zusammenhangs,
der Fortdauer des Gewußten festhält. Seine Kenntnis zum Erfahrenen,
Feststehenden schließt jedes echte Erleben
aus. Erlebtes kann also unmöglich
eine Brücke zu echtem Erleben sein,
das sich außerhalb alles Gewußten und Erinnerten vollzieht.
Erlebtes
muß schweigen, damit
Erleben möglich
wird.
Unser Denken kann nur sein eigenes Geschöpf,
das Gewußte, das Bekannte erleben.
Ehe es nicht damit aufhört, gibt es kein Erleben
des Unbekannten. Jeder Gedanke ist der Ausdruck eines Erlebten,
eine Antwort der Erinnerung, und solange der Gedanke störend dazwischentritt,
gibt es kein echtes Erleben. Es gibt
kein Mittel und keine Methode, der Aufdringlichkeit des Erlebten
ein Ende zu machen, schon der Wille dazu stünde wahrem
Erleben hindernd im Wege. Um ein Ende, ein Ziel, einen Zweck
zu wissen, heißt nämlich im Zusammenhang des Bekannten stehen,
und wer ein Mittel zu jenem Zweck gebraucht, der fordert damit das Fortwirken
des Bekannten. Jeder Wunsch, etwas zu erreichen, ist daher von Übel
und muß schweigen, er ist es nämlich, der die Mittel und
die Zwecke schafft. Demut ist wesentlich, wenn sich echtes
Erleben entfalten soll.
Wie gierig stürzt sich unser Denken auf jedes
Erleben,
um es einem Hort des Erlebten, Erinnerten
einzuverleiben. Wie eilfertig ? macht es sich daran, alles Neue zu zerdenken
und es so in Altes zu verwandeln! Dabei unterscheidet es scharf zwischen
dem Erleben und dem Erlebten
und reißt so die alte Kluft des Dualismus wieder auf. Im Zustand
des Erlebens gibt es nämlich weder
den Erlebenden noch das Erlebte.
Der Baum, der Hund und der Abendstern werden durch keinen Außenstehenden
erlebt,
sie sind vielmehr das Erleben selbst.
Der Beobachter und das Beobachtete sind eins, es gibt keine Zeit und damit
keine Lücke, durch die sich das bewußte Ich einschleichen könnte,
alles Denken ist ausgelöscht, das Ich verliert sich in der Fülle
des Seins, Es ist müßig, über diesen Zustand reinen Seins
nachdenken oder meditieren zu wollen, er läßt sich nicht anstreben
noch erreichen. Der Erlebende muß
aufhören zu erleben, dann erst
umfängt ihn das absolute, zeitlose, in sich beruhende Sein."
197 Vergangenheit, Entwertung des Denkens und der Lebensbewältigung: "Wie stark wir doch an das Vergangene gebunden sind! Nein, wir sind nicht nur gebunden, wir sind die Vergangenheit. Dabei ist die Vergangenheit etwas unendlich Kompliziertes. Besteht sie doch aus Schichten über Schichten ungeordneter Erinnerungen, freudiger und trauriger in buntem Durcheinander. Sie verfolgt uns buchstäblich Tag und Nacht, und allzu selten gibt es in dieser Folge des Sich-Erinnerns eine Lücke, durch die ein heller Lichtstrahl fallen kann. Die Vergangenheit ist wie ein Schatten, in dessen Dunkell das Leben matt und düster erscheint. Dieser Schatten raubt dem Heute seine Klarheit und Frische und legt sich wie ein drohendes Unheil über das Morgen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden durch den langen Faden des Gedächtnisses zusammengehalten, und dieser ganze wenig duftende Strauß trägt den Namen Erinnerung. Das Denken wandert rastlos wie ein angekettetes Tier durch die Gegenwart in die Zukunft und wieder zurück, es bewegt die dem ihm eigenen engeren oder weiteren Zirkel, aber es dangt dabei nie aus dem Bereich seines eigenen Schattens. Diese Bewegung ist die Beschäftigung des Denkens mit der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Das Denken ist diese Beschäftigung, sobald das Denken nicht beschäftigt ist, hört es auf zu bestehen. Es macht keinen Unterschied, womit sich das Denken befaßt, ob mit Beleidigungen oder Schmeicheleien, mit Gott oder dem Alkohol, mit Tugend oder Leidenschaft, mit Sammeln oder Verschenken, alles das ist nur Beschäftigung, Sorge und Unrast. In Anspruch genommen sein ist immer ein unwürdiger, oberflächlicher Zustand, gleichgültig, ob es dabei um Gott oder nur um die Möbel geht."
202: "»Kann man die dem Denken gezogenen Grenzen nicht doch auf
irgendeine Weise überschreiten?«
Darauf kommt es doch nicht an, und außerdem ist es unmöglich.
Wir können nicht über das Denken hinaus, denn jener >man<,
von dem Sie sprechen, der Urheber des Bemühens, ist ja selbst nur
ein Denkergebnis. Wenn wir das Wesen des Denkvorgangs entschleiern oder,
mit anderen Worten, uns selbst erkennen, dann macht die Wahrheit dessen,
was ist, den Illusionen des Denkens ein Ende. Die Wahrheit dessen, was
ist, ist weder in alten noch in neuen Büchern zu finden; was Sie dort
finden, ist nur das Wort, aber nicht die Wahrheit.
»Wie muß man es also anstellen, um die
Wahrheit zu finden?« Man kann sie nicht finden. Alle Bemühung,
die Wahrheit za finden, führt nur an ein selbstgestecktes Ziel, und
dieses Ziel ist nicht die Wahrheit. Die Wahrheit ist kein Ergebnis, jedes
Ergebnis zeugt nämlich nur eine Weiterführung des Denkens durch
Ausweitung oder Bildung neuer Vorstellungen. Die Wahrheit ist jedoch etwas
Endgültiges, daher kann sie uns nur erfüllen, wenn alles Denken
ein Ende hat. Es ist unmöglich, dem Denken durch Zwang, durch Zucht
oder irgendeine andere Form des Widerstandes ein Ende zu machen. Die Fesseln
des Denkens fallen wie von selbst, wenn wir aufgeschlossen der Geschichte
lauschen, die uns das, was ist, zu erzählen weiß. Nur die Wahrheit
selbst vermag uns zu befreien, nicht unser eigenes Streben nach Freiheit."
Krishnaburti, Jiddu (1981) Erleben in (35-37) Leben. Frankfurt: Fischer.
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