präsentiert
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Die
DünnbrettbohrerIn1)
"Der Grundtoffel und der Dünnbrettbohrer.
Einleitung.
Beide Leitbegriffe sind mir nur aus meiner engeren Heimat bekannt (Südwestsachsen). Ich habe sie andernorts nicht feststellen können. Ihre lokale Gebundenheit verleiht ihnen von vornherein einen anderen Charakter, als er etwa so weit verbreiteten popularpsyologischen Ausdrücken wie 'Streber', 'Angeber', 'Draufgänger' usw. zukommt. Dieser Umstand erweckt Zweifel an ihrer psychologischen oder gar typologischen Bedeutung. Andererseits sind sie in meiner Erinnerung von Jugend an so anschaulich gesättigt und mit so bestimmten Vorstellungen verknüpft, daß deren Mitteilung und Erörterung zumindest einen persönlichen Wunsch erfüllt. Ob ihnen darüber hinaus ein objektiver Wert innewohnt, bleibt abzuwarten. Immerhin haben sie mir bei der charakterologischen Beobachtung dazu gedient, eine Anzahl symptomatischer Erscheinungen und gewisse Persönlichkeitsbilder mit einem zwar privaten, aber sehr anschaulichen Begriff spontan zu bezeichnen und zu erfassen."
Im 1. Abschnitt II grenzt Beck die DünnbrettbohrerIn vom Nachlässigen, Bequemen und Betriebsamen ab.
"1. Der Ausdruck 'Dünnbrettbohrer' erklärt sich von selbst. Er bezeichnet den Menschen, der immer 'das Brett an der dünnsten Stelle bohrt'. Diese Tendenz bestimmt ihn von vornherein zum 'Gegentypus' des Grundtoffels, den man analog ebensogut als einen 'Dickbrettbohrer' bezeichnen könnte. Um den Dünnbrettbohrer zu beschreiben, braucht man nur die Aussagen über den Grundtoffel umzukehren. Nur gleichen sie sich in einem Punkt: auch der Dünnbrettbohrer hat eine bestimmte Zielvorstellung, der er mit Leib und Seele verschrieben ist. Sie besteht aber im Gegensatz zum Grundtoffel darin, nicht den Dingen auf den Grund — sondern möglichst um sie herumzugehen. Diesem Ziel gilt seine meist beachtliche Findigkeit und Aktivität, durch die er sich vom Nachlässigen und Bequemen absetzt. Der Nachlässige besitzt überhaupt keine Zielvorstellung, d. h. er faßt eine Aufgabe gar nicht als etwas Aufgegebenes auf; er hat keinerlei Ehrgeiz und Aufgabenbewußtsein, sondern schludert über alles hin, ohne auch nur den Schein der Mühegabe und der Aufgabenerfüllung zu wahren. Der Dünnbrettbohrer dagegen faßt seine Aufgabe durchaus aktiv an und besitzt auch den Ehrgeiz, sie 'penibel' und gefällig auszuführen. Ja, es steht für ihn gerade die 'fertige' Aufgabe und ihre augenscheinliche Vollendetheit so sehr im Vordergrund des Interesses, daß er alle Überlegung und Findigkeit daran wendet, auf dem schnellsten und garantiert erfolgreichsten Weg zu diesem Ziel zu gelangen. Auch dem Bequemen imponiert dieses Ziel; aber ihm fehlt die Bestimmtheit der Ausrichtung und ein entsprechendes Aktions- und Denktemperament. Während der Nachlässige das Halbfertige für das Fertige hinnimmt, der Bequeme beim Unfertigen friedlich verweilt und der Grundtoffel durch seine eigene Besessenheit und Eindringlichkeit am Fertigwerden ständig verhindert werden kann, wird der Dünnbrettbohrer zu schnell fertig, ohne in das Wesen einer Aufgabe überhaupt eingedrungen zu sein. Der Erfolg liegt für ihn im Fertigwerden an sich, nicht in der wesensgerechten Erfüllung des Auftrages. Am ehesten ist er noch dem Betriebsamen verwandt, von dem er sich jedoch dadurch unterscheidet, daß der Betriebsame seinen Lustgewinn nicht vom Fertigwerden, sondern vom bloßen Agieren bezieht (Funktionslust) und ebensowenig wie der Nachlässige von einer bestimmten, auf den augenscheinlichen Abschluß der Aufgabe ausgerichteten Zielvorstellung angezogen wird."
Beck beschreibt im Anschluß das Verhalten der DünnbrettbohrerIn in der charakterologischen Untersuchung:
"Er wird immer das tun, wovon er den geringsten persönlichen Aufwand
und den besten Eindruck erhofft. Jede Aufgabe wird er lösen 'nach
dem Leichten hin und nach des Leichten leichtester Seite' (Rilke); aber
er wird sie lösen — im Gegensatz zum Nachlässigen, Bequemen,
Betriebsamen und auch zum Grundtoffel, dessen Schwere bei dem Tempo der
Aufgabenfolge viel Ungelöstes zurücklassen muß."
...
"4. Aus der bisherigen Beschreibung lassen sich folgende dominierendeZüge für den Dünnbrettbohrer entnehmen:
a) ein lebhaftes, flüssiges Temperament, dem es nicht an Beschwingtheit und Agilität, wohl aber an Schwung- und Stoßkraft mangelt;
b) eine lockere und unscharfe Willenshaltung, die nicht auf Einsatz, sondern auf schnellstmögliche Erreichung des Zieles und augenscheinliche Vollendung der Aufgabe ausgerichtet ist;
c) eine heitere, in ihrer Unbeschwertheit gewinnende Grundstimmung;
d) ein wendiger und findiger, dabei restlos unproblematischer Verstand;
e) ein zwar empfängliches, mitunter auch 'strahlendes', aber untiefes und spannungsarmes Gemüt, das durch Neigungen und leichte Affekte, aber nicht durch echte Gemütskräfte gekennzeichnet ist;
f) ein lockeres, unernstes Geltungsbedürfnis;
g) Harmonie und Lockerheit der Gesamtstruktur bei geschickt verborgenem Mangel an Integrations-Kernen und -Kräften.
Konstitutionell scheinen athletische und pyknische Körperbauformen mittlerer Prägnanz zu überwiegen, ohne daß darüber eine definitive Aussage gemacht werden könnte. An bestimmte Entwicklungsphasen ist die Erscheinung des Dünnbrettbohrers nicht gebunden; sie tritt in allen Altersklassen auf. Auch setzt sie sich in allen Lebensbezügen durch, so daß wir also weder von einer Phasen- noch von einer Teilstruktur sprechen können. Im übrigen muß die Bestimmung des Struktur- und des Typencharakters dieser Erscheinung noch abgewartet werden, bis ihre Beziehung zu ähnlichen Erscheinungsformen erörtert werden konnte. Es besteht der Eindruck, daß der Dünnbrettbohrer eine Variante eines allgemeineren Typus darstellt, zu dem annehmbar auch der Oberflächliche, der Betriebsame u. a. grundsätzlich zu rechnen sein wird, und der typologisch im Zwischengebiet, zwischen dem I 1-, dem S 1 (vital)- und dem S1-Typus (nach Jaensch) anzusetzen ist.
Variationen innerhalb der Erscheinungsformen des Dünnbrettbohrers ergeben sich aus der Verschiedenartigkeit der Schicht, aus der die Grundstrebung zum mühelosen Fertigwerden hervorgeht. Erfahrungsgemäß kenne ich folgende drei Unterformen:
a) Der Dünnbrettbohrer aus Instinkt: Vorwalten einer lockeren, unkernigen Stimmungs-, Gefühls- und Empfindungsproportion bei instinkthafter Findigkeit und naiver Intellektualität. (Lokalisierung im 'endothymen Grund', nach Lersch.)
b) Der Dünnbrettbohrer aus Überlegung und Berechnung: Ausdruck einer mißratenen Lebensklugheit; Pseudo-Integration um eine rational gestützte 'Devise', etwa: 'Die Welt will betrogen sein;' 'Tempo ist der Ruf der Zeit;' 'Fertigwerden ist alles.' Diese Form ist eine der mannigfaltigen Erscheinungsformen des 'Fassadenmenschen'. — (Lokalisierung im 'noetischen Oberbau'.)
c) Der Dünnbrettbohrer aus Verwöhnung: Soziale Mißbildung. Kunstprodukt aus fehlerhaften Umweltreaktionen auf begabte Naturen. Der Mensch, dem an sich 'Alles leicht fällt', der dadurch überall anspricht und dem nunmehr 'Alles leicht gemacht' wird, so daß er eine Vertiefung seiner Zielsetzungen und eine ständige Erprobung seiner Kräfte nicht mehr nötig hat. (Der Kompanie- usw. 'Liebling'.) Er beginnt, das Leichte zu suchen und dem Schweren auszuweichen; es setzt eine sekundäre Desintegration ein. — Aus dieser nicht angelegten, sondern habituellen Lebensform ist er durch eine verständnisvolle und zugleich unerbittliche Erziehung heraus und zu seinem ursprünglichen Wesen zurückzuführen. Dagegen können die 'echten' Formen a) und b) nur äußerlich geformt, aber nicht im eigentlichen Sinne erzogen werden."
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