Journal für Psychologie 5 (1), 1997
Themenschwerpunkt: Psychotherapieforschung
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Vollständiges Verzeichnis der Ausgaben des Journals für Psychologie bis 2001 bei Asanger
     
    "ZU DIESEM HEFT 
    Die Psychotherapieforschung, der dieses Heft gewidmet ist, befindet sich in einem bedeutenden und grundlegenden Umbruch, der wie viele wissenschaftliche Paradigmenwandel mit einer technischen Neuerung begann. Gemeint ist die Einführung des Tonbandgerätes und später des Videos zur Aufzeichnung psychotherapeutischer Sitzungen. War zuvor überwiegend davon die Rede, was Psychotherapeuten vor der Stunde beabsichtigen zu tun und was sie nach der Stunde glauben getan zu haben, so beschäftigen wir uns nun - zumindest auch mit dem, was die Aufzeichnung der Stunde und deren Transkription authentisch wiedergibt. 
    Natürlich sind auch hier Selektions- und Reduktionsvorgänge, beispielsweise bereits bei der Transkription, am Werke. Aber dennoch wandelt sich unser Verständnis von Psychotherapie tiefgreifend. Waren die schulengebundenen Vorstellungen vom psychotherapeutischen Prozeß bisher nur relativiert durch vor und/oder nach der Stunde erhobene Fragebogendaten, die diesen Prozeß allenfalls indirekt reflektieren, so werden nun schulenunabhängige und schulenübergreifende Prozeßmodelle des faktischen Ablaufs der Behandlung erforderlich. Dies impliziert die Etablierung von Methoden, die sich zur Auswertung von Texten ebenso eignen wie zur schrittweise abstrahierenden Generierung theoretischer Einsicht.
        Die im vorliegenden Heft unter dem Themenschwerpunkt »Psychotherapieforschung« zusammengetragenen Arbeiten geben repräsentative Einblicke in den aktuellen Stand dieser Forschung. Am Anfang stehen tiefgründige Überlegungen zur Methodologie der qualitativen Forschung von David Rennie, der als Psychologe an der York University in Ontario, Kanada, lehrt. Sie gehen auf einen Vortrag zurück, den Rennie bei der Jahrestagung der Society for Psychotherapy Research 1994 hielt. Die Ulmer Arbeitsgruppe um Horst Kächele und Reiner Dahlbender dokumentiert den Stand ihrer Arbeit mit der von Lester Luborsky entwickelten ZBKT-Methode vor dem Hintergrund eines psychoanalytischen Grundverständnisses. Irene Kühnlein und Gerd Mutz beschäftigen sich in ihrem Beitrag kritisch mit Fragen der Wirksamkeitsforschung. Der vierte Beitrag des Themenschwerpunktes stammt schließlich aus der Düsseldorfer Forschungsstelle für Qualitative Methoden in der Psychotherapeutischen Medizin, die zur Zeit von Andreas Stratkötter kommissarisch geleitet wird.
        In den Kontext der Psychotherapieforschung läßt sich auch der von Ute Ritterfeld für den letzten Themenschwerpunkt »Psychologische Diagnostik«des »Journals« verfaßte Beitrag stellen, der aus Platzgründen in diesem Heft erscheint.
        Die Redaktion"


    Inhaltsverzeichnis

    Themenschwerpunkt: Psychotherapieforschung 2

    DAVID L. RENNIE
    Nachvollziehbarer Konstruktionismus als Prüfstein qualitativer Forschung 3  [Zusammenfassung]

    REINER W. DAHLBENDER, CORNELIA ALBANI UND HORST KÄCHELE
    Wünsche und ihre Ver-Bindungen. Eine Einzelfallstudie mit der Methode der Zentralen Beziehungsmuster 13 [Einleitung]

    IRENE KÜHNLEIN UND GERD MUTZ
    Wirkt Psychotherapie wie ein Medikament? Thesen zu einer sozialwissenschaftlichen Fundierung der Psychotherapieforschung 33  [Zusammenfassung]

    ANDREAS STRATKÖTTER, RENATE BERTRAM, JÖRG FROMMER UND WOLFGANG TRESS
    Die Veränderung von Beziehungen im Verlauf einer ambulanten Kurztherapie. Eine qualitativ-inhaltsanalytische Einzelfalluntersuchung 47  [Zusammenfassung]

    Debatten und Kontroversen
    EVA JAEGGI UND HEIDI MÖLLER
    Die Rolle der Psychologinnen in den Medien   59 [vollständig hier]

    Aus dem Elfenbeinturm
    WOLFGANG HOFSOMMER
    Organisationsentwicklung lehren und lernen.  Ein Beitrag zur Didaktik im Fach Organisationspsychologie 65

    GUY BODENMANN, MEINRAD PERREZ, HEIDI LOTTI UND GABRIEL WUST
    Zur Ausbildungssituation der Psychologie in der Schweiz 70

    Psychologie in der Berufspraxis
    UTE RITTERFELD
    Beschreibung als Diagnose?! Zur Analyse von Eltern-Kind-lnteraktionen 77

    Buchbesprechungen
    Christina Schröder: Der Fachstreit um das Seelenheil. Psychotherapiegeschichte zwischen 1880 und 1932 (ALMUTH-BRUDER-BEZZEL) 86
    Heidi Möller: Menschen, die getötet haben.
    Tiefenhermeneutische Analysen von Tötungsdelinquenten;
    Heidi Möller (Hrsg.) Frauen legen Hand an.
    Untersuchungen zu Frauen und Kriminalität (WOLGANG HEGENER)  88

    Leserbrief 92
    Autorinnen und Autoren dieses Heftes. 94
    Zum nächsten Heft; Hinweise für die Manuskriptgestaltung 96


    Zusammenfassung: DAVID L. RENNIE: Nachvollziehbarer Konstruktionismus als Prüfstein qualitativer Forschung   [

    Zusammenfassung zu Beginn des Artikels [S. 3]
    Qualitative Forschung geht Rennie zufolge davon aus, daß zum einen Bewußtsein und Erfahrung des Menschen weder rein fundamentalistisch noch rein relativistisch zu erfassen sind. Zum anderen aber ist die Interpretation des dem Forscher Mitgeteilten ein wesentlicher Bestandteil qualitativer Forschung, die nichtder Vermehrung obiektiven Wissens, sondern dem Gewinnen von Verstehen dient. Somit muß die Konstruktion des Forschers bezüglich des untersuchten Phänomenbereichs mit einer vom Rezipienten nachvollziehbaren Methode kontrolliert werden können. Begründung in der Materialbasis und in der Reflexion des Forschers über seine subjektiven Anteile bei Interpretation und Verstehen der Phänomene sind hierzu unerläßliche Voraussetzung qualitativer Forschung. Rennie plädiert für eine Versöhnung von Realismus und Relativismus, um die Fehler von Objektivismus einerseits und Subiektivismus andererseits umgehen zu können.

    "Zusammenfassung am Ende des Artikels [S. 7/8]
    Ich habe ausgeführt, daß die meisten Ansätze der qualitativen Forschung Humanwissenschaft im Sinne von Dilthey und Wundt instantiieren. Im Grunde behandeln alle die reale Welt als außerhalb des Forschers befindlich, in der die Relativität, die durch die Subjektivität des Forschers geschaffen wird, ausdrücklich anerkannt wird. Soll qualitative Forschung solide sein, müssen beide Aspekte angesprochen werden, zum einen, indem das Verständnis der Phänomene in den Daten, durch die sie repräsentiert werden, verwurzelt sein muß, und zum anderen, indem qualitative Forschung reflexiv hinsichtlich der Subjektivität sein soll. Diese Solidität nimmt so die Form eines nachvollziehbaren Konstruktionismus an im Gegensatz zu der naturwissenschaftlichen Herangehensweise an die Sozialwissenschaft, welche mit der objektivistischen Methode zu tun hat. Ich möchte darauf verweisen, daß Unklarheiten über diesen grundlegenden Punkt die qualitative Forschung unterlaufen können. Im Gegensatz dazu führt die Anerkennung dieses Punktes zur Steigerung ihrer Ernsthaftigkeit und trägt zu ihrer Entwicklung als einer Methode bei, die besonders zur ganzheitlichen Erforschung der komplexen menschlichen Erfahrung geeignet ist."



    Einleitung: REINER W. DAHLBENDER, CORNELIA ALBANI UND HORST KÄCHELE: Wünsche und ihre Ver-Bindungen. Eine Einzelfallstudie mit der Methode der Zentralen Beziehungsmuster [S. 13]

    Diese Arbeit enthält keine Zusammenfassung, so daß ich die Einleitung zu ihrer Charakterisierung ausgefwählt habe:

    "Wünsche bilden das Kernstück psychoanalytischer Motivationstheorien (vgl. z. B. Lichtenberg 1989; Modell 1984; Sandler 19821. Enttäuschte Bindungs- und Beziehungswünsche zählen zu den prominentesten Klagen von Menschen auf der Suche nach professioneller psychotherapeutischer Hilfe. Gleichgültig, ob als Konstrukte, Schemata, Repräsentanten, Modellszenen, etc. konzipiert (vgl. Singer & Salovey 1991), gehen heute viele Ansätze davon aus, daß jeder im Laufe seiner Lebensgeschichte die positiven wie negativen Bindungs- und Beziehungserfahrungen zu einem relativ stabilen Set von mehr oder weniger impliziten Annahmen bzw. Vorstellungen über die Welt die Obiekte, sich selbst den Körper, die interpersonellen Transaktionen etc. internalisiert. Diese vielfach determinierten internalisierten Bindungs- und Beziehungserfahrungen bleiben zeitlebens eng mit dem aktuellen affektiven Erleben auf äußerst wirksame Weise vernetzt (Stern 1992; Lichtenberg 1991; Spranger & Zimmermann 1995). Indem diese die inneren (Entwicklungs-)Konflikte und die Bemühungen um ihre Abwehr bzw. Meisterung zu einem lebensgeschichtlich determinierten Muster konfigurieren, geben sie Auskunft über wichtige Aspekte der Persönlichkeitsstruktur (Kernberg 1985, 1996). Die verinnerlichten Subjekt-Objekt-Bilder unterstützen die alltägliche interpersonelle Orientierung. Nicht nur psychodynamisch orientierte Therapiekonzeptionen stimmen heute darin überein, daß bei seelischen Störungen biographisch bestimmte, sich aktuell immer neu bestätigende, konflikthafte Beziehungsstrukturen im multifaktoriellen neurotischen Geschehen mitwirken. Gleichfalls besteht heute ein breiter Konsens, die Beziehung zwischen Patient und Arzt als das entscheidende Moment zur Veränderung derartig neurotisch eingeengter Beziehungsmuster im therapeutischen Prozeß zu konzipieren (vgl. Orlinsky 1994). Seit Mitte der 70er Jahre bemühen sich zahlreiche Arbeitspruppen, Subjekt- Objekt-Relationen im therapeutischen Kontext zu identifizieren und klinisch wie empirisch fruchtbar zu machen (Henry et al. 1994). Das Uberwiegen methodisch orientierter Publikationen vor klinischen Anwendungen weist darauf hin, daß viele dieser Instrumente bis heute allerdings noch nicht ausreichend stabilisiert sind.
        Wünsche in Verbindung mit Objekt- und Subjektreaktionen sind die inhaltlichen Bestimmungsstücke eines von Psychotherapieforschern wie Klinikern gleichermaßen genutzten Instruments zur Formulierung internalisierter Beziehungskonfigurationen. Im folgenden wird die von Luborsky (1977) entwickelte Core Conflictual Relationship Theme Method (CCRT), die im deutschen Sprachraum als Zentrales Beziehungskonflikt-Thema (ZBKT) (Luborsky & Kächele 1988) eingeführt ist, vorgestellt und an einem Anwendungsbeispiel illustriert. Die Methode wurde in einem umfangreichen Forschungsprogramm zur Operationalisierung eines strukturellen Übertragungskonzeptes sukzessive weiterentwickelt (Luborsky et al. 1994; Kächele & Dahlbender 1993). Nur wenige psychoanalytische Konzepte können eine solch systematische Erkundung und Überprüfung vorweisen (Luborsky & Crits-Christoph 1990)."



    Zusammenfassung: IRENE KÜHNLEIN UND GERD MUTZ
    Wirkt Psychotherapie wie ein Medikament? Thesen zu einer sozialwissenschaftlichen Fundierung der Psychotherapieforschung [S. 47]

    "Zusammenfassung:
    Der Beitrag kritisiert das gängige, aus der Medizin entlehnte Dosis-Wirkungs-Modell als wissenschaftstheoretische Grundlage für die psychotherapeutische Evaluationstorschung. Die Gruppenbildung durch die Zugehörigkeit der Therapeuten zu einer bestimmten Schule ist weder für das therapeutische Handeln noch für die jeweiligen Problem- und Zieldefinitionen angemessen. Auch auf seiten der Klienten reichen psychiatrische Diagnosen nicht zu einer umfassenden Charakterisierung einer Person und deren psychosozialer Problemlage aus. Statistische Überprüfungen von Gruppenunterschieden sind deshalb wenig aussagekräftig.
        Eine wissenschaftstheoretische Alternative ist die sozialwissenschaftliche Psychotherapieforschung: Psychotherapie wird als interaktive Vermittlung von Erfahrungs-, Erklärungs und Handlungswissen aufgefaßt. Dabei sind die Transformationsprozesse bei der Umsetzung dieses Wissens zentral: Diese gelten sowohl für die Verwendung des wissenschaftlich- akademischen Wissens durch die Psychotherapeuten im therapeutischen Prozeß als auch für die Verwendung dieses bereits transformierten Wissens durch die Klienten im Alltag. Klienten integrieren die neuen psychotherapeutischen Erfahrungen vor dem Hintergrund unterschiedlicher biographischer Konstruktionsmuster. Solche biographischen Konstruktionsmuster sind übergreifende lebensgeschichtlich gewachsene Wissens- und Erfahrungsbestände, die die subjektiven Störungserklärungen und die Erwartungen an die Therapie bestimmen. Sie beeinflussen weiterhin, in welcher Weise psychotherapeutisches Deutungs- und Handlungswissen aufgenommen wird und damit die langfristige Wirkung der Behandlung im Alltag. Empirische Untersuchungen haben vier typische Transformationsformen ergeben, die ausschlaggebend sind für die Ziele der weiteren Lebensgestaltung."



    Zusammenfassung: ANDREAS STRATKÖTTER, RENATE BERTRAM, JÖRG FROMMER UND WOLFGANG TRESS: Die Veränderung von Beziehungen im Verlauf einer ambulanten Kurztherapie. Eine qualitativ-inhaltsanalytische Einzelfalluntersuchung [S. 33]

    "Zusammenfassung
    Nach Ansicht der Autoren kann die Erforschung psychotherapeutischer Prozesse gegenwärtig von einer Rückbesinnung auf die bestehende Tradition von Einzelfalluntersuchungen profitieren. Qualitative Methoden sollten dabei Verwendung finden, um dem methodischen Anspruch einer selbstreflexiven, transparenten, verstehenden Psychotherapieforschung gerecht zu werden. Es wird berichtet über eine qualitativ- inhaltsanalytische Einzelfallstudie, in welcher Gesprächsinhalte ausgewählter Transkriptionen einer ambulanten Kurztherapie systematisch kodiert und therapieverlaufsbezogen ausgewertet wurden. Als Ergebnisse werden die Kategorien Beziehung der Patientin zu ihrem Ehemann und Beziehung der Patientin zum Therapeuten vorgestellt."



    Überblick Arbeiten zur Definitionslehre, Methodologie, Meßproblematik, Statistik, Wissenschaftstheorie und Psychotherapieforschung

    Fußnoten
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.

    Zitierung
    SGIPT  (DAS). Journal für Psychologie 5 (1), 1997: Themenschwerpunkt: Psychotherapieforschung .Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT. Erlangen:  https://www.sgipt.org/wisms/ptf/zeits/jfp97-1.htm
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