Methodische Probleme, Fallstricke und Fehlschluß-Varianten in wissenschafts-geschichtlichen Fragestellungen und die Kunstfehler in der Wissenschaftsberichtserstattung aus allgemeiner und integrativer psychologischer Perspektive
1. Kriterien der WissenschaftshistorikerInnen
In seiner Arbeit "Vom Handwerk des Chemiehistorikers" formuliert Christoph Meinel - Universität Regensburg - einige interessante kritische Prinzipien für die Arbeit des Wissenschaftshistorikers:
1) Die Fiktion des Exempels: Historische Quellen eignen sich in der Regel nicht dazu, bestimmte Positionen der aktuellen naturwissenschaftlichen Forschung zu stützen, und ihr Wert bei der didaktischen Vermittlung moderner chemischer Konzepte ist strittig. Denn in beiden Fällen werden heutige Begriffe und Vorstellungen dem historischen Material aufgezwungen, obgleich dieses nur in den Kategorien seiner Zeit, nicht in denen der unseren, richtig zu erfassen ist.
2) Die Fiktion der Autopsie: Man macht es sich zu leicht, wenn man sich darauf verläßt, daß Augenzeugen oder unmittelbar Beteiligte ein Geschehen immer zuverlässig wiedergeben. Jede Zeugenvernehmung vor Gericht lehrt, daß auch solche Aussagen stets auf ihre sachliche Verläßlichkeit hin überprüft werden müssen.
3) Die Fiktion der Vollständigkeit: Historische Überlieferung ist immer lückenhaft. Selbst bei gründlichster Nachforschung werden wir nie alle existierenden Quellen zu Gesicht bekommen, und die uns vorliegenden werden nie die ganze Geschichte erzählen. Ja wir sollten uns sogar darüber Rechenschaft geben, weshalb bestimmte Quellengruppen überliefert, andere hingegen nicht erhalten sind.
4) Die Fiktion der Konsequenz: Geschichtliche Wirklichkeit unterscheidet sich von einem Groschenroman durch den auffallenden Mangel an Konsequenz im Handeln aller Beteiligten. Der Historiker, der es in der Geschichte mit realen Menschen zu tun hat, wird gut daran tun, von diesen kein geringeres Maß an Widersprüchlichem zu erwarlen, als er es von der eigenen Person kennt.
5) Die Fiktion der Objektivität: Geschichtsschreibung ist niemals im naturwissenschaftlichen Sinne objektiv. Sie will es auch gar nicht sein, denn der Historiker hat nie eine als Objekt verfügbare äußere Realität vor sich, die sich bestimmen ließe wie die Struktur eines Kristalls. Historische Fragestellungen spiegeln selbstverständlich auch den Standpunkt des Fragenden wider. Damit soll natürlich nicht der Willkür Tür und Tor geöffnet sein. Mafstab und Prüfstein aller historischen Aussagen sind und bleiben die Quellen, die aber stets der Interpretation, der subjektiven Aneignung im Akt historischen Erkennens und Verstehens bedürfen. Wenn zwei Chemiker die physikalischen Daten ein und derselben Verbindung publizieren, sollten im Idealfall exakt identische Ergebnisse -herauskommen. Wenn zwei Historiker auch wenn ihnen die gleichen Quellen zur Verfügung stehen - die Geschichte einer Entdeckung oder die Biographie eines Forschers schreiben, so werden im Idealfall durchaus unterschiedliche Darstellungen entstehen. Wenn ihre Aussagen von den Quellen her fundiert sind, dürfen beide mit gleichem Recht Anspruch auf historische Wahrheit erheben. Je weiter freilich die Forschung fortschreitet, um so leichter wird man sich verständigen können, nach welchen MaLstäben die vorhandenen Quellen in ihrem Verhältnis zueinander zu deuten sind. In der Chemiegeschichtsschreibung stehen wir in vielen Fragen leider noch ganz am Anfang dieses Weges. Geschichte wird nämlich nicht einfach immer wieder umgeschrieben, wie man bisw eilen hört, sondern die Entw icklung der historischen Forschung bedeutet insgesamt auch einen Zuwachs an Kenntnis, eine Verfeinerung des Urteils, eine Erweiterung des Gesichtskreises und eine Annäherung an den Eigenwert der Vergangenheit."
Soweit der Wissenschaftshistoriker Meinel.
2. Kunstfehler
in der Wissenschaftsberichtserstattung aus
allgemeiner und integrativer psychologischer
Perspektive
Persönliche
Interessenlage und Perspektive: Das Moment subjektiver Motivation
Publizierer verfolgen bestimmte Ziele und Interessen. Manche davon
mögen mehr oder weniger klar und bewußt sein, andere weniger
bis gar nicht. Die mehr oder minder ausdrücklichen und auch oder gerade
die verborgenen Motive, Ziele und Absichten bestimmen die Publikation in
ihrer Diktion, Tendenz, Aussage und Wertung. Viele Publikationen im wissenschaftlichen
Bereich verleugnen die subjektive motivationale Komponente und geben sich
einen "rein" sachlichen, neutralen oder, landläufig formuliert "objektiven"
Anstrich. Da jede Publikation endlich ist, ergibt sich die Subjektivität
durch das, was berichtet, wie es berichtet, und was nicht
berichtet wird, da jede Publikation aufgrund ihrer Endlichkeit zwangsläufig
etwas weglassen muß. Umfang, Ausdruck und (An-) Ordnung sind
weitere Äußerungsformen der Subjektivität. Zum Probleme
der verschiedenen Welten und Perspektiven siehe bitte hier.
Persönliche Fähigkeiten und persönliches Wissen
Übertragungs- und Gegenübertragungsgefahren alter emotionaler Rechnungen
Faulheit und Nachlässigkeit: oberflächliche Recherchen
Fehlerfortpflanzung: Einer schreibt vom andern falsch und falscher ab
Allgemeine Mythen- und Legendenbildungsneigung
Heldenverehrung und Glorifizierun: die Sehnsucht nach Idolen
Falscher Hang zur Vereinfachung
Die Eitelkeit
vermeintlicher Kennerschaft
1) Meinel, Christoph
(1984). Vom Handwerk des Historikers. Zwei Teile. Chemie in unserer Zeit
/18. Jahrg. 1984 / Nr. 2, 62-67 [Teil I], Teil II 18. Jahrg. Nr. 4, 138-142.
2) Wir pflegen in unseren Publikationen
auch in den Wertungen einen klaren und offenen Stil, der Auseinandersetzungen
förderlich sein sollte.
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Wissenschaft site:www.sgipt.org. |