"Die Rolle der Phantasie in der Wissenschaft"1)
Der Vortrag des Kekulé Schülers Jacobus Henricus
van't Hoff am 10.11.1878
in der Reichsuniversität Amsterdam
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Jacobus Henricus van't Hoff
(1852-1911). Der Arztsohn, 3. von sieben Kindern, wollte schon wie
Liebig als Schüler Chemiker werden, was damals noch sehr ungewöhnlich
war. Mit 26 Professor in Amsterdam. 1874 Tetraedermodell Kohlenstoff (auch
Le Bel). 1878 Prof. in Amsterdam, ebenda Vortrag über die Phantasie
in der Wissenschaft; 1896 in Berlin. 1884: Theorie der Lösungen, Reaktionkinetik
und chemisches Gleichgewicht 1885: Formel für den osmotischen Druck.
1901 Erster Nobelpreis für Chemie.
Links zu weiteren biograph. Daten |
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Bildnis 1873. Nach Sekundärquelle Anschütz (1929) Bd. I, S. 437. Original beim Biographen Cohen, Ernst (1912). Jacobus Henricus van't Hoff. Sein Leben und Wirken. Leipzig: Akademische Verlagsgesellschaft. S. 37. van't Hoff studierte bei Kekulé von Herbst 1872 bis Frühling 1873 in Bonn, bewunderte ihn und schlug jedoch ein Forschungsvorhaben aus, weil er es als wirtschaftliches Ausnutzen ansah, wodurch sich die persönliche Beziehung zu Kekulé etwas abkühlte.Danach bei Wurtz in Paris, 1874 Promotion bei Mulder in Utrecht. |
Warum erwähnte van't Hoff Kekulés Uroboros Traum nicht in seinem Vortrag?
Wir folgen hier zunächst der Arbeit Dr. Ferdinand Kirchofs, Neulußheim
(Quelle 1)): "Im gleichen Jahr wie Kekules
Sechseckformel erschien auch Loschmidts Publikation über die 'Größe
der Luftmoleküle'. Sollte sich Kekule dabei an die Kreissymbole der
Schemata 184 und 185 in Loschmidis 'Constructionsformeln' erinnert haben?
Wir wissen es nicht [5].
Nach Prof. Gillis Vermutung hatte Kekulé seinen Traum vom 'Schlangensymbol'
zu Beginn des Winters 1861. Was den Einfluß dieses vielzitierten
Traums auf die Schreibweise des Benzols als Sechsring betrifft, so scheint
davon zu Lebzeiten Kekulés bis zum Jahre 1890 kaum etwas auch in
dessen nächste Umgebung gedrungen zu sein. Ein Indiz für diese
Vermutung scheint mir der Vortrag des Kekule Schülers J. H. van't
Hoff zu bergen, welchen dieser als 26jähriger Professor der Chemie
am 11. 10.1878 in der Reichsuniversität von Amsterdam über 'Die
Phantasie in der Wissenschaft' gehalten hat [6]. Van't Hoff betrachtet
darin 'als eine gesunde Äußerung der Phantasie den Kunstsinn'
eines Gelehrten. Er führt dazu die Lebensbeschreibungen von 52 namhaften
Forschem von Ampere bis Watt an, bei welchen ein solcher Kunstsinn nachweisbar
war. Von damals lebenden Autoren schildert er als Beispiel ausführlich
die Erfindung des Augenspiegels durch H. v. Helmholtz als Folge des Zusammenwirkens
von Phantasie und Urteilskraft, das 'Auf-den-Gedanken-kommen'. Obwohl die
Aufstellung der Benzolformel durch Kekulé damals bereits 13 Jahre
zurücklag, war im Vortrag van't Hoffs davon nicht die Rede. Van't
Hoff war bereits 1872 ins Labor Kekules in Bonn eingetreten, worüber
er in einem Brief an seinen Vater voll Begeisterung berichtete [7]. Bei
dem großen Interesse van 't Hoffs und seiner Verehrung für Kekule
erschiene es merkwürdig, wenn ihm die Geschichte vom Traumgesicht
seines Meisters nicht bekanntgeworden sein sollte, da sie doch einen eklatanten
Fall für sein Thema von 1878 dargestellt hätte [8].
Erst auf dem sog. 'Benzolfest', welches die Deutsche Chemische Gesellschaft
in Berlin anläßlich der 25. Wiederkehr der Veröffentlichung
der klassischen Benzolformel beging, erfuhr die versammelte öffentlichkeit
die Geschichte vom allmählichen Reifen der grundlegenden Ideen und
vom Wachtraum, die zur endgültigen Formulierung des Benzolringes führten
(1890)."
Beurteilung und Bewertung: Man muß berücksichtigen, daß van't Hoff nur kurze Zeit bei Kekulé studierte: vom Herbst 1872 bis Frühling 1873, das ist ein knappes halbes Jahr. Van't Hoff schlug ein Angebot Kekulés aus. Warum sollte Kekulé van't Hoff in der kurzen Zeit, gerade 20, von dem Uroboros-Traum erzählt haben? Nur, daß van't Hoff darum wußte, hätte ja ermöglicht, daß er in seinem Vortrag über die Phantasie in der Wissenschaft davon erzählte, aber auch nur unter der Voraussetzung, daß es keine Abmachung zwischen den beiden gab, diese Information vorerst noch zurückzuhalten. Am plausibelsten erscheint mir aber, daß van't Hoff nichts von dem Uroboros-Traum wußte. Insgesamt ist der Beweisindizwert des Vortrages von vant' Hoff im Zusammenhang mit dem Nichterwähnen des Uroboros-Traumes so dürftig, daß das Argument nicht überzeugt.
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