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    Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT DAS=03.09.2000

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    Terminologische Probleme in der Geschichte der Chemie

    August Kekulé Im Neuen Handwörterbuch der Chemie von Hermann von Fehling (1871, S. 77-88 ) zu den Problemen der Chemischen Terminologie anhand der Begriffe Aequivalent und Aequivalenz

    Namen in der Originalarbeit gesperrt geschrieben, hier kursiv. Fette Hervorhebungen von uns. Auszug. Sekundärquelle.

        "Aequivalent und Aequivalenz.'' l)  Die Ausdrücke aequivalent und Aequivalenz sind schon seit den ersten Jahren dieses Jahrhunderts in der Chemie in Gebrauch, aber erst in den letzten Jahrzehnten sind die Begriffe, welche durch sie ausgedrückt werden, scharf und bestimmt festgestellt, und damit der Gebrauch der Ausdrücke geregelt worden. In Uebereinstimmung mit dem ethymologischen Sinn der Worte spricht man jetzt von Aequivalenz nur bei Substanzen, die eine mehr oder weniger ähnliche Rolle zu spielen, die also annähernd denselben Effect hervorzubringen im Stande sind, und man nennt die relativen Mengen chemisch ähnlicher Substanzen, welche nahezu dieselbe Wirkung ausüben, äquivalente Mengen.
        Die ersten Versuche zur Ermittelung derjenigen relativen Mengen gewisser chemisch ähnlicher Substanzen, welche denselben chemischen Effect hervorbringen, die wir also jetzt als äquivalente Mengen bezeichnen, sind, selbst wenn die von Homberg schon 1699 ausgeführten Versuche als zu ungenau und mit zu unreinen Substanzen angestellt, unberücksichtigt bleiben, vor jetzt nahezu 100 Jahren von Bergmann, Kirwan, Wenzel und Richter ausgeführt worden. Wenn Bergmann (1775) und nach ihm Kirwan (1780) diejenigen relativen Gewichtsmengen verschiedener Basen ermittelten, die sich mit derselben Menge einer gewissen Säure zu vereinigen vermögen, wenn sie andererseits die relativen Mengen verschiedener Säuren feststellten, welche sich mit einer und derselben Menge einer gewissen Base verbinden, so bestimmten sie das, was wir jetzt äquivalente Mengen der verschiedenen Säuren oder der verschiedenen Basen nennen. Wenn Bergmann weiter erforschte, in welchen relativen Mengen ein Metall ein anderes aus der neutralen und neutral bleibenden Lösung eines Salzes zu fällen vermag, so ermittelte er diejenigen relativen Mengen der verschiedenen Metalle, die wir jetzt als äquivalente Mengen bezeichnen. Auch die Untersuchungen von Wenzel (1717), obgleich sie zu manchen irrigen Schlußfolgerungen führten, hatten nach unserer jetzigen Ausdrucksweise wesentlich die Bestimmung äquivalenter Mengen zum Gegenstande.
        Richter, der in derselben Richtung ausführliche Experimentaluntersuchungen anstellte, kam der Erkenntniß der Aequivalenz noch näher. Seine Betrachtungen über die Neutralsalze zeigen deutlich, daß ihm der Begriff der Aequivalenz eigentlich schon geläufig war, wenn er sich auch des Ausdrucks nicht bediente. Er stellte diejenigen Mengen von Basen, welche durch dasselbe Gewicht einer gegebenen Säure neutralisirt werden, und ebenso die Mengen von Säuren, welche durch dieselbe Quantität gewisser Basen gesättigt werden, in Reihen zusammen und nannte solche Reihen Neutralitäts- oder Massenreihen. Fischer vereinigte dann (1802) die verschiedenen Reihen von Richter in eine einzige Tabelle, in welcher in einer Columne die wichtigsten Basen, in der anderen die damals bekannten Säuren aufgeführt waren; die beigesetzten Zahlen geben die relativen Mengen an, nach welchen die verschiedenen Basen sich mit den verschiedenen Säuren zu Neutralsalzen vereinigen. Fischer' s Tabelle kann füglich die erste Aequivalentgewichtstafel genannt werden; die eine Spalte gab die Aequivalentgewichte der Basen, die andere die Aequivalentgewichte der Säuren. Der Ausdruck "Aequivalent" wird freilich immer noch nicht gebraucht, Fischer bedient sich vielmehr der Bezeichnung "Verhältnißmengen".
        Nachdem dann durch Dalton (1804) die atomistische Theorie in die Chemie eingeführt worden war, hatten der englische Chemiker Davy und der Physiker Wollaston, obgleich sie die Grundidee dieser Atomtheorie billigten und annahmen, doch gewisse Bedenken. Sie meinten, alle Grundsätze und Betrachtungen, [886] durch welche man die Anzahl der Atome in den Verbindungen bestimme, seien an sich unsicher, und diese Unsicherheit übertrage sich natürlich auf die relativen Gewichte der einzelnen Atome, also auf die sogenannten Atomgewichte; es sei daher geeigneter, sich für chemische Betrachtungen nicht der Atome und der Atomgewichte zu bedienen. Davy bezeichnete die relativen Gewichtsmengen, welche Dalton und seine Anhänger Atomgewichte nannten, als "proportions", also Verhältnisse, ein Ausdruck, der mit Fischer's "Verhältnißmengen" zusammenfällt, und statt dessen man sich später auch der Ausdrücke "Verbindungsgewichte" (combining proportions), oder "Mischungsgewichte" bediente. Wollaston dagegen schlug 1814 den Ausdruck "Aequivalent" vor. Dabei hatte Wollaston unverkennbar die Versuche von Bergmann und Richter, und andere Versuche, durch welche wirklich äquivalente (d. h. gleichwerthige) Mengen bestimmt worden waren, im Auge; aber indem er den Ausdruck Aequivalent geradezu an die Stelle des Ausdrucks Atomgewicht setzte, benutzte er von Anfang an das Wort Aequivalent in einem Sinn, den es seiner ethymologischen Ableitung nach nicht in allen Fällen ausdrücken konnte. Er nannte ebensowohl diejenigen relativen Mengen verschiedener Körper, die sich gegenseitig ersetzen, Aequivalente als auch diejenigen relativen Mengen verschiedener Stoffe, die sich zu einfachen und bekannten Verbindungen vereinigen, und die man zweckmäßiger, mit Davy, proportions oder Verbindungsgewichte genannt hätte.
    So gab Wollaston selbst zu der Verwirrung der Begriffe Veranlassung, die sich Jahrzehnte lang erhielt, und die einen so nachtheiligen Einfluß auf die Entwickelung der Wissenschaft ausübte. In der nächstfolgenden Zeit wurde zwar von Berzelius und seiner Schule die atomistische Hypothese streng durchgeführt und weiter ausgedehnt, und man bediente sich vorzugsweise und sogar ausschließlich der Atomgewichte. Als aber verschiedene der Anhaltspunkte, die man zur Bestimmung der Atomgewichte benutzen zu können geglaubt hatte, sich für den damaligen Stand der Wissenschaft als unzureichend erwiesen (specifische Gewichte, specifische Wärmen etc.), glaubte man, "man würde wohl niemals darüber einig werden, durch welche Gewichtsverhältnisse die relativen Atomgewichte auszudrücken seien, und es sei deshalb zweckmäßiger, auf sie Verzicht zu leisten und sich der Aequivalente zu bedienen.'' 2)
    Von  jetzt an wurden von den meisten Chemikern die Ausdrücke: Atomgewicht, Aequivalent und Verbindungsgewicht (oder Mischungsgewicht) neben einander und für dieselben Begriffe gebraucht. Was man durch sie bezeichnete, waren weder in allen Fällen die Atomgewichte, noch waren es wahre Aequivalente; es war bald das eine, bald das andere, bisweilen auch keins von beiden. Es waren willkürlich gewählte, oder durch Uebereinkunft für gewisse Perioden festgestellte Verbindungs- oder Mischungsgewichte; also [887] Zahlenwerthe, mit Hülfe derer man Formeln schreiben und die empirischen Gesetze darstellen konnte, die aber keine durch irgend welche Thatsachen oder Speculationen feststellbare Größen ausdrückten. Die Begriffe von Atom und von Aequivalent waren beide noch nicht mit voller Klarheit erkannt; man verwechselte sie vielfach und man unterschied von beiden noch nicht den Begriff des Molecüls.
        Erst nachdem durch Gerhardt und namentlich durch Laurent 3) (1846) die Begriffe von Atom und Molecül von einander getrennt, klar erfaßt und scharf definirt worden waren konnte auch der Begriff des Aequivalents bestimmt erkannt und consequent durchgeführt werden (1849). Man sah jetzt, daß für die Elemente die Aequivalente zwar bisweilen, aber durchaus nicht immer mit den Atomgewichten  zusammenfallen; daß die relativen Mengen, welche man durch die damals gebräuchlichen Symbole ausdrückte, weder in allen Fällen Atomgewichte noch auch Aequivalente waren. Man entschloß sich, der atomistischen Schreibweise wieder den Vorzug zu geben: man sah die Nothwendigkeit ein, die drei völlig verschiedenen Begriffe: Atom, Molekül und Aequivalent scharf von einander zu unterscheiden, und man bemühte sich, jeden der drei Ausdrücke möglichst consequent nur für einen der drei verschiedenen Begriffe anzuwenden. Dabei übte freilich die alte Gewohnheit den nachtheiligsten Einfluß aus. Sie veranlaßte, daß die frühere Unklarheit und Verwirrung noch längere Zeit fortdauerte und noch jetzt nicht vollständig verschwunden ist.
        Während man jetzt in der Chemie mit Atom die chemisch kleinsten, also chemisch nicht weiter spaltbaren Theilchen von Materie bezeichnet, so daß von Atomen nur für die Elemente die Rede sein kann: während man unter Molecül die kleinste, der freien Existenz fähige Menge von Substanz, also das chemische Individuum versteht; hat der Begriff Aequivalent mit diesen aus der atomistischen Hypothese entsprungenen Anschauungen direct durchaus nichts gemein. Aequivalent nennt man vielmehr, in Uebereinstimmung mit dem ethymologischen Sinn des Wortes diejenigen relativen Mengen, die von einem gewissen Gesichtspunkt aus als gleich- oder ähnlich-werthig erscheinen, die also in gewissen, gerade berücksichtigten Fällen, denselben Effect hervorzubringen im Stande sind. Von Aequivalenz kann also nur für Körper die Rede sein, die von irgend einem chemischen Gesichtspunkt aus in Bezug auf Wirkungswerth mit einander verglichen werden können. Da man nun in Bezug auf chemischen Effect die Atome der verschiedenartigsten Elemente wohl untereinander und ebenso die Molecüle der mannigfaltigsten Substanzen miteinander nie aber Atome mit Molecülen vergleichen kann, so ist es jedenfalls einleuchtend daß von der Aequivalenz von Atomen mit Molecülen niemals die Rede sein kann. Wie weit man aber für diejenigen Substanzen, für welche überhaupt von Aequivalenz gesprochen werden darf den Begriff der Aequivalenz ausdehnen will, hängt wesentlich von den Gesichtspunkten ab, von welchen aus man gerade Vergleiche anstellt." ...



    1) "In Betreff der älteren Versuche und der älteren Ansichten über äquivalente Mengen und Aequivalenz vgl. H. Kopp, Gesch. d. Ch. bes. 2, S. 314, 355, 363 und A. Ladenburg, Entwickelungsgesch. d. Ch. bes. S. 51, 67, 108, 185, 198 etc." — Erste Auflage 1869, Braunschweig, Vieweg & Sohn.) (Anmerkung Anschütz 1929)
    2) "Liebig, Ann. Ch.: Pharm. 31, S. 36 (1839)".— Wörtlich heißt es dort: ,.Die Aequivalente werden sich nie ändern, ich zweifle aber sehr, ob man jemals darüber einig werden wird, durch welche Gewichtsverhältnisse die relativen Atomgewichte auszudrücken sind. Das Studium der Chemie würde unendlich erleichtert werden, wenn sich die Chemiker entschlössen, zu den Aequivalenten zurückzukehren." (Anmerkung Anschütz 1929.)
    3) "Vgl. bes. Ann. Chim. Phys. [3] 18, S. 266 u. 296 (1846): Laurent et Gerhardt, Compt. rend. d. Traveaux d. Chim. 1849, p: 1." -  (Jahrgang 5, pag. I—VIII. unterzeichnet ,.C. G.", d. h. Charles Gerhardt.) (Anmerkung Anschütz 1929)



    Nach Sekundär- Quelle Anschütz (1929) Bd. I, S. 884ff.

    Zitierung
    Sekretariat SGIPT (DAS). August Kekulé Im Neuen Handwörterbuch der Chemie von Hermann von Fehling (1871, S. 77-88 ) zu den Problemen der Chemischen Terminologie anhand der Begriffe Aequivalent und Aequivalenz.
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    Materialien zu: Kekulés Traum. Über eine typisch-psychoanalytische Entgleisung Alexander Mitscherlichs über den bedeutenden Naturwissenschaftler und Chemiker August Kekulé (1829-1896), Mitschöpfer der Valenz-, Vollender der Strukturtheorie und Entdecker der Bedeutung des Benzolrings. Alternative Analyse und Deutung aus allgemeiner und integrativer psychologisch -psychotherapeutischer Sicht. Erlangen: https://www.sgipt.org/wisms/geswis/chem/k_term0..htm
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