Adam Smith
5.6.1723 Kirkcaldy - 17.7.1790 Edinburgh
Stich des College Universität of Glasgow von J. Slezer 1693. Hier studierte Adam Smith 1737-1740 und hier lehrte er 1751-1764. |
Aus: Smith, Adam (dt. 1974, engl. 1776). Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen. Neu aus dem Englischen übertragen von Horst Claus Recktenwald. München: C. H. Beck
Gleich zur fundamentalen
Arbeitswert-Definition
FÜNFTES KAPITEL
Der Real- und Normalpreis der Güter oder ihr Arbeits- und ihr Geldwert
Ein Mensch ist arm oder reich, je nachdem in welchem Ausmaß er sich die zum Leben notwendigen und annehmlichen Dinge leisten und die Vergnügungen des Daseins genießen kann. Wenn die Arbeitsteilung einmal weit gediehen ist, kann er indes nur noch wenige Dinge für diesen Bedarf selbst herstellen, die meisten muß er von anderen als deren Arbeitsertrag beziehen, und er ist arm oder reich, je nach der Menge Arbeit, über die er verfügen oder deren Kauf er sich leisten kann. Deshalb ist der Wert einer Ware für seinen Besitzer, der sie nicht selbst nutzen oder konsumieren, sondern gegen andere tauschen möchte, gleich der Menge Arbeit, die ihm ermöglicht, sie zu kaufen oder darüber zu verfügen. Arbeit ist demnach das wahre oder tatsächliche Maß für den Tauschwert aller Güter.
Der wirkliche oder reale Preis aller Dinge, also das, was sie einem Menschen, der sie haben möchte, in Wahrheit kosten, sind die Anstrengung und Mühe, die er zu ihrem Erwerb aufwenden muß. Was Dinge wirklich für jemanden wert sind, der sie erworben hat und der über sie verfügen oder sie gegen etwas anderes tauschen möchte, sind die Anstrengung und Mühe, die er sich damit ersparen und die er anderen aufbürden kann. Was jemand gegen Geld kauft oder gegen andere Güter eintauscht, erwirbt er mit ebensoviel Arbeit wie etwas, zu dem er durch eigene Mühe gelangt. In der Tat ersparen uns dieses Geld und diese Güter eine solche Anstrengung. Beide enthalten den Wert einer bestimmten Menge Arbeit, die wir gegen etwas tauschen, von dem wir annehmen, es enthalte zu dieser Zeit dem Wert nach die gleiche Arbeitsmenge. Arbeit war der erste Preis oder ursprünglich das Kaufgeld, womit alles andere bezahlt wurde. Nicht mit Gold oder Silber sondern mit Arbeit wurde aller Reichtum dieser Welt letztlich erworben. Und sein Wert ist für die Besitzer, die ihn gegen neue Güter austauschen möchten, genau gleich der Arbeitsmenge, die sie damit kaufen oder über die sie mit seiner Hilfe verfügen können
Reichtum ist Macht, wie Hobbes meint, doch jemand, der ein großes Vermögen erwirbt oder erbt, erlangt oder erbt damit nicht unbedingt auch irgendwelche politische Macht, sei es zivile, sei es militärische. [>29]
Sein Vermögen mag ihm vielleicht die Mittel liefern, um beides zu erlangen, aber der bloße Besitz dieses Vermögens überträgt sie nicht zwangsläufig auf ihn. Was er an Macht sofort und unmittelbar erhält, ist eine gewisse Macht, kaufen zu können oder eine gewisse Verfügung über alle Arbeit oder alle Produkte aus Arbeit, die zu dieser Zeit auf dem Markte sind. Ihr Ausmaß bestimmt genau, ob sein Vermögen größer oder kleiner ist, mit anderen Worten, diese Macht, kaufen zu können, entspricht der Menge Arbeit eines anderen oder, was das gleiche ist, den Produkten dieser Arbeit, welche er damit kaufen oder über die er mit ihrer Hilfe verfügen kann. Der Tauschwert eines jeden Gutes muß stets genau dem Ausmaß dieser Kaufmacht entsprechen, die es seinem Besitzer überträgt oder verleiht.
Auch wenn die Arbeit das wirkliche Maß für den Tauschwert aller Waren ist, so wird doch ihr Wert gewöhnlich nicht mit ihrer Hilfe geschätzt. Oft fällt es nämlich schwer, das Verhältnis zweier verschiedener Arbeitsmengen zueinander zu ermitteln. So kann die Zeit allein, die auf zwei verschiedene Arten von Arbeit verwendet wird, nicht immer dieses Verhältnis ausdrücken. Man muß auch die Unterschiede der aufgewandten Mühe und geistigen Anstrengung auf gleiche Weise berücksichtigen. So kann in einer anstrengenden Tätigkeit von einer Stunde mehr Arbeit stecken als in einer leichten Beschäftigung von zwei Stunden oder in einer einstündigen Ausübung eines Berufes, der zehn Jahre Ausbildung voraussetzt, mehr als in einer einfachen und leichten Beschäftigung in einem ganzen Monat. Es ist indes nicht leicht, irgendein geeignetes Maß für die Schwere oder die geistige Anstrengung zu finden. Tatsächlich werden beide in gewisser Weise berücksichtigt, wenn man verschiedene Produkte verschiedenartiger Arbeit gegeneinander tauscht. Das geschieht aber nicht nach einem exakten Maß, sondern in einem Aushandeln und Feilschen auf dem Markt, ein zwar grober Interessenausgleich, aber, obwohl nicht exakt, immerhin ausreichend, um die Geschäfte im täglichen Leben abwickeln zu können.
Überdies tauscht und vergleicht man somit Waren weit häufiger mit anderen als mit Arbeit. Es ist daher nur ganz natürlich, wenn man ihren Tauschwert nach der Menge einiger anderer Waren schätzt und nicht nach der Arbeitsmenge, die man damit kaufen kann. Die meisten Menschen verstehen auch besser, was mit einer Menge eines bestimmten Gutes, anstatt einer Arbeitsmenge, gemeint ist. Das eine ist eine einfache, greifbare Sache, das andere ein abstrakter Begriff, der nicht ganz so natürlich und einleuchtend ist, obwohl man ihn genügend verständlich machen kann.
Sobald nun der unmittelbare Tausch aufhört und Geld das übliche Tauschmittel beim Handel geworden ist, wird jede einzelne Ware häufiger gegen Geld als gegen eine andere Ware getauscht. Der Metzger [>30] trägt nur noch selten sein Rind- oder Hammelfleisch zum Bäcker oder Brauer, um dafür Brot und Bier einzuhandeln. Er verkauft es vielmehr auf dem Markt gegen Geld und kauft dann mit dem Erlös Brot und Bier. Die Menge Geld, die er dafür bekommt, bestimmt auch die Menge Brot und Bier, die er damit kaufen kann. Es ist für ihn nur natürlich und einleuchtend, den Wert des Fleisches nach der Menge Geld zu bemessen, also nach der Ware, gegen die er es unmittelbar tauscht, und nicht nach der Menge Brot und Bier, den Waren, gegen die er es nur durch das Zwischenschalten einer anderen Ware, also nur indirekt, eintauschen kann. Er sagt dann einfach, das Pfund Fleisch sei 3 oder 4 Pence wert und nicht 3 oder 4 Pfund Brot oder 3 oder 4 Viertel Dünnbier. So kommt es, daß der Tauschwert jeder Ware häufiger nach der Menge Geld geschätzt wird als nach der Menge Arbeit oder einer beliebigen anderen Ware, die man dafür eintauschen kann.
Gold und Silber schwanken indes in ihrem Wert wie jede andere Ware; manchmal sind sie billiger, manchmal teurer und einmal leichter und dann wieder schwerer zu bekommen. Die Menge Arbeit oder andere Güter, die man für eine bestimmte Gold- oder Silbermenge kaufen oder über die man verfügen kann, hängt stets von der Ergiebigkeit der Gruben ab, die zur Zeit der Tauschgeschäfte bekannt sind. So führte im 17. Jahrhundert die Entdeckung der ergiebigen Minen in Amerika zu einem Preisverfall bei Gold und Silber in Europa um etwa zwei Drittel des früheren Wertes. Da es nun weniger Arbeit als bislang kostete, die Metalle von den Gruben auf den Markt zu bringen, konnte man dort mit ihnen weniger Arbeit kaufen oder über sie verfügen. Dieser vielleicht größte Wertverfall von Gold und Silber ist keineswegs der einzige, den wir aus der Geschichte kennen. Ein Maß aber, dessen Größe ständig schwankt, wie etwa ein normaler Fuß, eine Armlänge oder eine Handvoll, kann niemals die Menge anderer Dinge exakt angeben. Ebenso kann auch eine Ware, die sich im Wert ständig ändert, niemals den Wert anderer Waren genau messen. Immerhin kann man soviel sagen, daß gleiche Arbeitsmengen immer und überall von gleichem Wert für den Arbeiter sind. Bei normaler Gesundheit, Kraft und seelischer Verfassung muß er, durchschnittlich erfahren und geschickt, stets gleichviel an Bequemlichkeit, Freiheit und Glück opfern. Der Preis, den er zahlt, muß also immer gleich sein, wie groß auch die Menge Waren sein mag, die er dafür bekommt. Er mag nun tatsächlich einmal weniger, dann wieder mehr Waren für seine Arbeit kaufen können, doch ändert sich in diesem Falle der Wert der Waren und nicht der seiner Arbeit, mit der er diese kauft. Immer und überall ist das teuer, was schwer zu bekommen ist oder für das man viel Arbeit aufwenden muß. Umgekehrt ist das billig, was leicht oder mit nur wenig Arbeit zu haben ist. Arbeit allein ist somit der letzte und wirk-[>31]liche Maßstab, nach dem der Wert aller Waren zu allen Zeiten und an allen Orten gemessen und verglichen werden kann, da sie sich niemals in ihrem Wert verändert. Die Arbeit ist ihr wirklicher oder realer Preis, Geld lediglich ihr nominaler.
Für den Arbeiter haben gleiche Mengen Arbeit stets gleichen Wert, doch erscheint er dem, der ihn beschäftigt, bald höher, bald niedriger. Er kauft nämlich Arbeit manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Waren, so daß es für ihn den Anschein hat, als ob der Preis der Arbeit wie der aller Waren schwanke. Einmal hält er sie für teuer, ein andermal für billig. In Wahrheit aber sind es die Waren, deren Preise sich ändern.
In diesem sehr allgemeinen Sinne kann man deshalb auch sagen, Arbeit habe wie jede Ware einen realen und einen nominalen Preis. Ihr realer Preis bestehe in Dingen, die man für sie hingibt und die zum Leben notwendig sind und es angenehm machen. Ob der Arbeiter arm oder reich ist, gut oder schlecht entlohnt wird, hängt von dem realen und nicht dem nominalen Preis für seine Arbeit ab.
Die Unterscheidung in Nominal- und Realpreis der Waren und der Arbeit ist nicht bloße Theorie, sie kann auch bisweilen von erheblicher praktischer Bedeutung sein. Der gleiche Realpreis entspricht stets dem gleichen Wert, während der gleiche Nominalpreis gelegentlich von ganz unterschiedlichem Wert sein kann, je nachdem, wie sich der Gold- und Silberwert ändert. Aus diesem Grunde ist es für eine Familie, zu deren Gunsten ein Landgut auf der Basis einer ewigen Rente verkauft wird, wichtig, daß die Rente nicht in einer bestimmten Geldsumme festgelegt wird, wenn sie stets den gleichen Wert haben soll. Ihr Wert könnte nämlich in diesem Falle Schwankungen von zweierlei Art ausgesetzt sein: Erstens könnte sich der Gold- und Silbergehalt von Münzen mit dem selben Nennwert mit der Zeit ändern und zweitens könnte der Wert von Gold und Silber selbst im Laufe der Zeit schwanken.
Herrscher und unabhängige Staaten haben wiederholt in der Vorstellung, es brächte ihnen im Augenblick einen Vorteil, den reinen Metallgehalt ihrer Münzen herabgesetzt, doch nur selten kamen sie auf den Gedanken, es könne vorteilhaft sein, den Feingehalt heraufzusetzen. Entsprechend hat sich, wie ich glaube, bei allen Völkern, der Wert der Münzen fast ständig verschlechtert und kaum jemals verbessert. Solche Änderungen mindern daher in der Tendenz durchweg den Wert einer Geldrente.
Die Entdeckung der amerikanischen Minen senkte den Gold- und Silberwert in Europa, ein Wertverfall, der immer noch anhält und auch für lange Zeit andauern wird, wie man allgemein annimmt, wenn auch, wie ich meine, ohne sicheren Beweis. Würde diese Annahme stimmen, müßte der Wert einer Geldrente eher fallen als steigen, selbst [>32] wenn die Zahlung anstatt in einem festgelegten Geldbetrag etwa in soviel Pfund Sterling in soundso vielen Unzen reinem Silber oder Silber von einem bestimmten Feingehalt vereinbart sein sollte.
Renten, in Getreide ausbedungen, waren weit wertbeständiger als Geldrenten, selbst dort, wo der Nennwert der Münze nicht geändert worden ist. Im 18. Regierungsjahr Elisabeths wurde angeordnet, daß ein Drittel der Rente aller von Colleges verpachteten Gütern in Getreide bemessen werden sollte, zahlbar entweder in Naturalien oder in Geld, jeweils berechnet nach den Getreidepreisen auf dem nächstgelegenen Markt. Die Geldsumme aus dieser Getreidepacht, obwohl ursprünglich nur ein Drittel der Gesamtpacht, beträgt gegenwärtig, nach Dr. Blackstone, gewöhnlich fast das Doppelte der Einkünfte aus den beiden anderen Dritteln. Demnach müssen die alten Grundrenten der Colleges nahezu auf ein Viertel ihres früheren Wertes gefallen sein, anders ausgedrückt, sie sind heute lediglich noch rund ein Viertel der früheren Getreidemenge wert. Und dabei wurde der Nennwert der englischen Münzen seit der Regierung Philipps und Marias wenig oder überhaupt nicht geändert, und auch ihr Feingehalt an Silber blieb nahezu gleich. Allein der Wertverlust des Silbers verursachte mithin diesen Wertschwund bei den Geldrenten der Colleges.
Weiterhin ist dieser Verlust noch größer, wenn darüber hinaus der Metallgehalt der Münzen von gleichem Nennwert, zusammen mit dem Wert des Silbers, abnimmt. In Schottland, wo der Nennwert der Münzen wesentlich stärkeren Änderungen unterworfen war als jemals in England, und in Frankreich, wo er noch mehr geschwankt hat als in Schottland, sind solch alte Renten, ursprünglich von beträchtlichem Wert, auf diese Art beinahe wertlos geworden.
Auf längere Sicht wird die gleiche Menge Arbeit weit eher mit der gleichen Menge Getreide, dem wichtigsten Nahrungsmittel des Arbeiters, gekauft als mit der gleichen Menge Gold oder Silber oder auch einer anderen Ware. Der reale Wert des Getreides wird folglich für längere Zeit nahezu gleich bleiben, anders ausgedrückt, sein Besitzer ist in der Lage, fast gleichviel Arbeit von anderen zu kaufen oder darüber zu verfügen. Getreide behält seinen realen Wert, wie gesagt, eher als die meisten anderen Waren, doch auch sein Wert bleibt nicht völlig unverändert. Wie ich später zeigen werde, ist nämlich der Lebensunterhalt des Arbeiters, kurz, der reale Preis der Arbeit, je nach Wirtschaftslage sehr unterschiedlich: Er ist reichlicher in einer aufblühenden Volkswirtschaft als in einer stagnierenden und in dieser wiederum höher als in einer Volkswirtschaft mit rückläufiger Entwicklung. Auf jeden Fall kann man zu einer bestimmten Zeit für alle anderen Waren einmal mehr, einmal weniger Arbeit kaufen, je nach der Menge Lebensmittel, die man dann dafür eintauschen kann. Eine in Getreide vereinbarte Rente hängt in ihrem Wert nur von der Änderung der [>33] Arbeitsmenge ab, die man für eine bestimmte Menge Getreide kaufen kann, während eine Rente, die nach einer anderen Ware bemessen ist, darüber hinaus noch Schwankungen in der Getreidemenge ausgesetzt ist, die man mit einer bestimmten Menge dieser Ware kaufen kann.
Wie man nun beobachten kann, schwankt der reale Wert
einer Getreiderente weit weniger von Jahrhundert zu Jahrhundert als der
einer Geldrente, aber wiederum weit mehr von Jahr zu Jahr. Der Geldpreis
der Arbeit seinerseits folgt jährlich nicht den Schwankungen des Geldpreises
für Getreide, wie ich später zeigen werde, er scheint sich vielmehr
überall dem durchschnittlichen oder üblichen und nicht dem zeitweiligen
oder gelegentlichen Preis dieses Nahrungsmittels anzupassen. Der übliche
Preis für Getreide wiederum wird vom Wert des Silbers bestimmt, wie
ich späterhin ebenfalls zu zeigen versuche, also von der Ergiebigkeit
der Silberminen, die den Markt beliefern oder, anders ausgedrückt,
von der zum Abbau erforderlichen Menge Arbeit und folglich der Getreidemenge,
die nötig ist, um das Metall in bestimmter Menge von der Grube auf
den Markt zu bringen. Wenn nun auch der Wert des Silbers von Jahrhundert
zu Jahrhundert gelegentlich stark schwankt, so bleibt er doch von Jahr
zu Jahr, häufig sogar während eines halben oder ganzen Jahrhunderts
fast unverändert. Aus diesem Grunde kann sich auch der normale oder
Durchschnittspreis für Getreide über einen solch langen Zeitraum
hin, zusammen mit dem Geldpreis der Arbeit, kaum ändern, sofern nur
die Volkswirtschaft auch sonst einigermaßen stabil bleibt. Zwischendurch
kann sich der Marktpreis für Getreide innerhalb eines Jahres häufig
verdoppeln und beispielsweise zwischen 25 und 50 Schillingen je Quarter
schwanken. Ändert sich der Getreidepreis in diesem Umfange, so steigen
Nominal- wie Realwert einer Grundrente entsprechend um das Doppelte, mit
anderen Worten, man kann nunmehr damit doppelt so viele Arbeitskräfte
beschäftigen oder doppelt so viel Waren kaufen. Der Geldlohn und mit
ihm der Geldpreis der meisten anderen Dinge bleiben indes, unabhängig
von diesen Schwankungen, gleich.
Wir können den realen Wert der einzelnen Waren von Jahrhundert zu Jahrhundert, wie wir zugeben müssen, nicht nach der Silbermenge messen, die man für sie hingibt. Wir können ihn auch nicht von Jahr zu Jahr an Hand der Getreidemengen schätzen. Aber mit Hilfe der Arbeitsmenge kann man ihn mit größter Sicherheit für beide Zeiträume ausdrücken. Säkular betrachtet ist Getreide ein besseres Maß als Silber, da man von Jahrhundert zu Jahrhundert mit gleichen Mengen Getreide eher die gleiche Menge Arbeit kaufen kann als mit gleicher Menge Silber. Im Jahresvergleich ist indes Silber als [>34] Maß dem Getreide vorzuziehen, weil man mit gleichbleibender Menge Silber eher über die gleiche Menge Arbeit verfügen kann.
Legt man ewige Renten fest oder schließt man Pachtverträge von sehr langer Dauer ab, mag es zwar von Nutzen sein, zwischen Real- und Nominalpreis zu unterscheiden, doch ist dies für den Kauf und Verkauf überflüssig, wenn es sich um gewöhnliche Geschäfte im Alltag handelt.
Zur selben Zeit und am gleichen Ort stehen Real- und Nominalpreis aller Waren in einem ganz bestimmten Verhältnis zueinander. Je mehr oder weniger Geld man für eine Ware, beispielsweise auf dem Londoner Markt, bezahlt, desto mehr oder weniger Arbeit wird man dort zur selben Zeit auch dafür kaufen oder einsetzen können. Geld ist somit das exakte Maß für den realen Tauschwert aller Waren, allerdings nur zur selben Zeit und am selben Ort.
Wenn auch an weit voneinander entfernten Orten kein reguläres Verhältnis zwischen Real- und Geldpreis der Waren besteht, so muß doch ein Kaufmann, der Waren von einem Platz zum anderen bringt, lediglich ihren Geldpreis beachten oder die Spanne zwischen der Menge Silber, für die er sie kauft und derjenigen, für die er sie wieder zu verkaufen hofft. Für eine halbe Unze Silber kann man vielleicht im chinesischen Kanton mehr Arbeit und entsprechend mehr zum Leben notwendige und angenehme Dinge erstehen als für eine ganze Unze in London. Daher mag eine Ware, deren Preis in Kanton nur eine halbe Unze Silber beträgt, real gesehen, dort teurer und ihrem Besitzer tatsächlich mehr wert sein, als es eine Ware, die eine Unze kostet, für einen Käufer in London ist. Kann jedoch ein Londoner Kaufmann in Kanton eine Ware für eine halbe Unze Silber einkaufen, die er hinterher in London für eine Unze verkaufen kann, so verdient er an diesem Handel 100%, gerade so viel, wie wenn die Unze Silber in London genau denselben Wert hätte wie in Kanton. Für ihn ist es belanglos, daß er mit einer halben Unze Silber in Kanton mehr Arbeit und mehr Lebens- und Genußmittel hätte kaufen können als in London mit einer ganzen Unze. In London kann er mit einer Unze stets über doppelt so viele Waren verfügen wie dort mit einer halben Unze, und genau das will er.
Da somit letzten Endes der Nominal- oder Geldpreis der Güter über Vor- und Nachteile bei allen Käufen und Verkäufen entscheidet und dadurch fast alle Geschäfte im Alltag, in denen der Preis eine Rolle spielt, regelt, nimmt es nicht wunder, daß ihm weit mehr Beachtung zugekommen ist als dem realen Preis.
In einer Untersuchung wie dieser mag es indes gelegentlich ganz sinnvoll sein, die einzelnen Realwerte einer Ware zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, mit anderen Worten, die unterschiedliche Verfügungsmacht über die Arbeit anderer, welche diese [>35] Ware ihren Besitzern jeweils verliehen hat, miteinander zu vergleichen. Zu diesem Zweck müssen wir nicht so sehr die einzelnen Mengen Silber, gegen die sie gewöhnlich verkauft wurde, einander gegenüber stellen, als vielmehr die verschiedenen Mengen Arbeit, die man damit jeweils kaufen konnte. Allerdings werden wir wohl niemals zuverlässig herausfinden, welche Marktlöhne in früheren Zeiten an den einzelnen Orten üblich waren. Über die Getreidepreise wissen wir im allgemeinen besser Bescheid, obwohl sie nur an wenigen Plätzen regelmäßig aufgezeichnet wurden. Auch haben Historiker und andere Autoren häufiger darüber berichtet. Wir müssen deshalb in der Regel mit den Getreidepreisen vorlieb nehmen, auch wenn sie untereinander nicht immer das gleiche Verhältnis aufweisen wie die Marktlöhne. Immerhin liefern sie noch die besten Näherungswerte, die man hierfür überhaupt finden kann. Ich werde später Gelegenheit haben, einzelne Vergleiche dieser Art anzustellen.
Mit fortschreitender Entwicklung hielten es die handeltreibenden
Völker für sinnvoll, verschiedene Metalle zu Geld auszuprägen:
Gold für größere Zahlungen, Silber für Käufe
von geringerem Wert und Kupfer oder anderes grobes Metall zum Zahlen kleinster
Beträge. Stets gaben sie jedoch einem dieser Metalle als Wertmesser
den Vorzug, meist scheint es dasjenige gewesen zu sein, welches sie zufällig
als erstes im Handel als Tauschmittel benutzt hatten. Waren sie erst einmal
an dieses Wertmaß gewöhnt, wozu ihnen auch nichts anderes übrigblieb,
da sie noch kein anderes Geld kannten, behielten sie es gewöhnlich
auch dann bei, wenn es nicht mehr unbedingt notwendig war."
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Wert Wirtschaft site:www.sgipt.org. * . |