Staatsverschuldung Berlins 2001
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Dieser BüSo-Kommentar erschien auch in der Neuen Solidarität
Nr. 35 vom 29. August 2001.
https://www.bueso.de/berlin/texteberlin/berlin_005.htm
29. August 2001 -
Berlin, das in die Kategorie der Großschuldner aufgerückt
ist, braucht keinen Sparhaushalt, sondern ein Schuldenmoratorium. Nur die
BüSo präsentiert im Wahlkampf eine Alternative zum Schuldendesaster.
Schluß mit der Argentinisierung Berlins!
Schuldenmoratorium unumgänglich
Als Berlins Regierender Übergangsbürgermeister Klaus Wowereit Ende Juli seinen "Kassensturz" vorlegte, nannte er den Betrag von 78 Mrd. DM, der als Schuldenberg in laufenden Haushaltsjahr auf der deutschen Hauptstadt laste. Mit diesem Betrag rückt Berlin in eine Kategorie von Großschuldnern auf, in der man bisher nur Länder wie Indonesien, Mexiko und Argentinien sowie etliche ost- und mitteleuropäische Länder fand.
Berlin hat mit seiner Pro-Kopf-Verschuldung von mehr als 22000 DM das dreimal einwohnerstärkere Ungarn mit seiner Pro-Kopf-Verschuldung von 2200 DM schon weit hinter sich gelassen. Wäre das zehnmal einwohnerstärkere Argentinien, das derzeitige Hauptsorgenkind der Weltfinanzmärkte, pro Kopf genauso stark verschuldet wie Berlin, so betrüge die argentinische Gesamtschuld 780 Mrd. DM. Derzeit hat Argentinien jedoch "nur" knapp 300 Mrd. DM Schulden, was einer Pro-Kopf-Verschuldung von etwas mehr als 8300 DM entspricht. Auch die bittere Tatsache, daß Berlin gerade einmal 40% seines laufenden Haushalts durch eigene Steuereinnahmen abdecken kann, erinnert an iberoamerikanische, asiatische, osteuropäische Krisenländer.
Eigenartig ist auch das dynamische Wachstum der Berliner Schulden: Vor dem Mißtrauensvotum gegen Wowereits Vorgänger Eberhard Diepgen sprach man von etwa 66 Mrd. DM, nach dem Beinahekollaps der Bankgesellschaft Berlin war man schon bei 70-72 Mrd. DM, und der letzte Stand war Wowereits Angabe von 78 Mrd. DM. Und auch das ist noch nicht die ganze Wahrheit, denn es gibt - und interessanterweise haben auch Finanzexperten von Wowereits grünem Koalitionspartner darauf hingewiesen - weitere versteckte Risiken in geschätzter Gesamthöhe von 40 Mrd. DM. Es handelt sich dabei um chronisch defizitäre öffentliche Unternehmen wie die Berliner Verkehrsgemeinschaft (1 Mrd. DM im Minus) und um Beteiligungen, die weitere Belastungen für den Berliner Haushalt bilden und schnell zu Krisenpunkten werden können.
Allein in der ersten Augusthälfte wurden drei solche akuten Krisenherde
bekannt: 1. Die Anfang des Jahres gebildete, landeseigene Dachgesellschaft
für zehn städtische Berliner Krankenhäuser Vivantes wird
im September oder spätestens Oktober ihre Kreditlinie in Höhe
von 400 Mio. DM ausgeschöpft haben und ohne weiteren Zuschuß
im November und Dezember kaum Gehälter an ihre Angestellten zahlen
können. Der Senat wird möglicherweise mit 100 Mio. DM einspringen
müssen. 2. Die hochdefizitäre Berliner Landesentwicklungs-Gesellschaft
hat ein Minus von 110 Mio. DM angehäuft und mußte aufgelöst
werden. Ob die Gesellschaft noch einen nennenswerten Teil ihres auf nominell
250 Mio. DM bezifferten Liegenschaftsbesitzes realisieren und damit im
Schlußverkauf dem Senat helfen kann, das Defizit
auszugleichen, ist angesichts der angespannten Lage auf dem Grundstücksmarkt
fraglich. Schon die Bankgesellschaft ist über die Differenz zwischen
hochspekuliertem Grundstückspreis und realem Grundstückswert
ins Rutschen geraten und hat die jüngste Berliner Krise ja eigentlich
damit ausgelöst. 3. Die BerliComm, eine Telekommunikationsfirma, die
dem Gemeinschaftsunternehmen von Senat und der französischen Firma
Vivendi, Berliner Wasser, gehört, ist aufgrund der schlechten Marktentwicklung
in ein Minus gerutscht, das derzeit auf etwa 700-750 Mio. DM geschätzt
wird.
Langfristige Belastungen, die sich ansonsten nur mit überschaubaren Summen im jeweils laufenden Berliner Haushalt bemerkbar machen, werden plötzlich zu akuten Krisenposten, die genauso plötzlich das Minuskonto des Senats um einige hundert Millionen DM erweitern.
Wie in einer solchen Lage der Wowereit-Senat, aber auch die derzeitige Opposition im Abgeordnetenhaus der Illusion nachhängt, man könne die "Mindereinnahmen" durch Einsparungen an gewissen Haushaltsposten ausgleichen, die Schulen abzahlen und außerdem bis zum Jahr 2009 auch noch die Neuverschuldung auf Null bringen, ist unerklärlich. Und es wird auch bis zum Jahr 2009 unerklärlich bleiben. An dieser Illusion sind schon ungezählte Regierungen, Finanzminister und Experten der bekannten Schuldnerländer wie Argentinien gescheitert.
Schuldenmoratorium unumgänglich
Berlin, das muß man sehen, kann kurzfristig seine Lage überhaupt
nicht verbessern. Um die Steuereinnahmen sichtbar zu verbessern, müßten
erst einmal etliche Milliarden in neue Betriebe und neue Arbeitsplätze
investiert werden. Unter dem Einfluß monetaristischer Ideologie hatte
sich Berlin aber seit 1990 darauf verlegt, fast
200000 Arbeitsplätze in der produzierenden Wirtschaft abzubauen
und statt dessen auf Einnahmen aus Grundstücksgeschäften, Bankdividenden
und Verkäufen von öffentlichem Besitz zu setzen. Mit Verkäufen
hat Berlin in den letzten zehn Jahren 20 Mrd. DM eingenommen - aber welchen
Effekt hat es gehabt, außer daß vielleicht einige akute Haushaltslöcher
gestopft wurden?
Der Beinahekollaps der zu 56% im Senatsbesitz befindlichen Bankgesellschaft, die zwischen ihrer Gründung 1992 und 1999 schon 7 Mrd. DM in den Sand gesetzt hat, belastet den Berliner Haushalt im laufenden Jahr mit zusätzlich fast 4 Mrd. DM aufgrund der notwendig gewordenen Kapitalerhöhung. Dazu kommen weitere 2 Mrd. DM an Neuverschuldung. Das ergibt ein Defizit von 6 Mrd. DM, denn bei Ausgaben von fast 44 Mrd. DM nimmt Berlin nicht einmal 38 Mrd. ein (wovon 8,8 Mrd. DM Gelder aus dem Finanzausgleich sind). Die realen Steuereinnahmen liegen in einer Höhe von nur 16,2 Mrd. DM. Berlin investiert nicht, Berlin nimmt immer weniger ein und zahlt sich kaputt.
Aus dieser finanziellen Falle kommt Berlin ohne ein substantielles Schuldenmoratorium ebensowenig heraus wie Argentinien, und das gleiche gilt ja für das Weltfinanzsystem insgesamt. Innerhalb des bisherigen Systems, das ins Rutschen geraten ist, ist eine Besserung nicht möglich, und insofern ist Berlin im "Kleinen", was die Gesamtlage im "Großen" ist.
Der einzige Ausweg aus dieser sich ständig verschlimmernden Lage ist ein ordentliches Bankrottverfahren, und es ist mehr als dringlich, daß sich die Berliner als Einwohner und Wähler der Hauptstadt einer der maßgeblichen Wirtschaftsnationen an die Spitze der internationalen Bewegung für ein Neues Bretton Woods stellen. Mit einem Schuldenberg von 78 Mrd. ist Berlin kein lokales Krisenproblem mehr, sondern ist zu einer der großen wunden Stellen des Weltfinanzsystems geworden.
Ein Schuldenmoratorium, wie es zu den Hauptforderungen der Bewegung für das neue Bretton Woods gehört, das über die Kandidatur der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) den Berlinern auch zur Wahl steht, ist dringlich. Es kann Berlin wieder in die Lage versetzen, in den Aufbau einer produktiven Wirtschaft als verläßlicher Quelle von Steuereinnahmen zu investieren, und zwar in Höhe von mehreren Mrd. DM jährlich. Mit den spekulativen Geschäften im Grundstücks- und Leasingbereich, die Berlin an den Tropf der instabilen Finanzmärkte gehängt und damit ruiniert haben, muß endlich Schluß sein.
Es ist höchste Zeit, daß Berlin sein Potential endlich entwickelt
und jenes europäische Industriezentrum mit fünf Millionen Einwohnern
wird, das es schon 1990 hätte werden sollen. Der Berliner Bär
muß aus dem Schulden-Zirkus befreit werden. Der allererste Schritt
zu einer grundlegenden Änderung, welche Möglichkeiten für
eine wirkliche Verbesserung schaffen kann, ist die Wahl der BüSo ins
neue Abgeordnetenhaus von Berlin. Die Berliner Politik braucht nicht nur
ein neues Programm, sie
braucht auch neue Köpfe. Rainer Apel
noch nicht end-korrigiert