Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=28.09.2015 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: TT.MM.JJ
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20   D-91052 Erlangen
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    In memoriam Walter Toman 28.09.2015
     

    Walter Toman

    Von Irmgard Rathsmann-Sponsel und Rudolf Sponsel

    1985, also vor 30 Jahren erschien die  Festschrift  zum 65. Geburtstag von Walter Toman

    Psychologie und komplexe Lebenswirklichkeit

    im Hogrefe-Verlag, die wir heute als in memoriam vorstellen möchten.
     

      Inhalt

      EINLEITUNG

      Gibt es eine TOMAN-Schule? 9
      Anmerkungen zur Person und zum Psychologieverständnis von Walter TOMAN


    THEORIE UND UNTERSUCHUNGSMETHODIK 17

       
      Walter TOMAN 19
      Das Motivationskonzept der Psychoanalyse -
      Versuch einer wissenschaftstheoretischen Präzisierung mit Beispielen aus dem Alltag

      Peter HÜBNER 41
      Metapsychologische Betrachtungen zu TOMANs Motivations-Modell

      Friedrich LÖSEL 65
      Zur Kontroverse um eine gegenstandsangemessene psychologische Forschung -
      Bemerkungen aus der Sicht der Forschungspraxis

      Walter F. KUGEMANN 93
      Evaluation und komplexe Lebenswirklichkeit -
      Irrwege und Wege einer angewandten Forschungmethodik

      Siegfried PREISER 127
      Kausal- und Finalattributionen in Handlungssituationen -
      Auseinandersetzung mit der Umwelt oder kognitive Fiktion?

      PSYCHOLOGISCHE DIAGNOSTIK 143

      Bernd GASCH 145
      Psychologische Gesprächsführung nach TOMAN -
      Zusammenfassung, Ergänzung und didaktische Aufbereitung

      Karl-Heinz WIEDL 167
      Theoretische und empirische Beiträge zum Ansatz des dynamischen Testens in der Intelligenzdiagnostik

      Ulrike HESS & Arno SCHMITT-PLANERT 185
      Das Assessment-Center, ein eignungsdiagnostisches Hilfsmittel für die betriebliche Praxis

      ENTWICKLUNGSKONTEXTE 201

      Klaus A. SCHNEEWIND 203
      Entwicklung personaler Kontrolle im Kontext der Familie

      Sigrun-Heide FILIPP, Peter AYMANNS & Thomas KLAUER 225
      Verlust und Verlustverarbeitung in Kindheit und Erwachsenenalter

      Manfred FISCHER & Ulrike FISCHER 253
      Ökopsychologische Analysen mobilitätsbedingter Anpassungsprozesse bei Individuum und Familie

      KLINISCH -PSYCHOLOGISCHE ANALYSEN 277

      Arnold LANGENMAYR & Uwe PRÜMEL 279
      Einige Probleme und Ergebnisse der psychosomatischen Forschung am Beispiel 'Krebs' und 'Multiple Sklerose'

      Gerhard LÖHR 293
      Psychosoziale Determinanten der Suchtgenese, aufgezeigt am Beispiel Adipositas

      Peter LINZ 309
      Die kognitive Leistungsfähigkeit und die berufliche Integration hörgeschädigter Jugendlicher

      Reinhard SCHMIDT 321
      Brüderchen und Schwesterchen: ... zur Psychologie der Geschwister-Beziehung

      THERAPIE UND BERATUNG 335

      Rudolf EGG 337
      Inflation der Psychotherapie - zur Problematik des sogenannten Psycho-Booms

      Karl GERLICHER 353
      Aspekte der Familientherapie in einer psychologischen Beratungsstelle -
      Ein Werkstattbericht aus der Städtischen Jugend- und Familienberatungsstelle/Erlangen

      Reinhold SCHELLER 371
      Psychologische Beratung im Adoptionsprozeß
       

      ANHANG
      Publikationen von Walter TOMAN 393
      Autorenregister 399
      Stichwortregister 405
      Anschriften der Verfasser 411



    "Gibt es eine TOMAN-Schule ?
    Anmerkungen zur Person und zum Psychologieverständnis von Walter TOMAN

    Was hat Psychologie mit Fledermäusen zu tun? Eine skurrile, eine abwegige Frage - auf den ersten Blick. Nicht mehr so skurril und abwegig jedoch, wenn man Walter TOMANs Kurzgeschichte 'Die Fledermäuse' liest, die in dem 1952 erschienenen Band 'Busse's Welt-Theater' enthalten ist. Die Geschichte handelt von drei Wissenschaftlern, die in einem finsteren Turm - dem ohnehin schon nicht ganz natürlichen Lebensraum von Fledermäusen - von oben bis unten tausend Meter dünnen Stahldrahts kreuz und quer spannen lassen, um herauszufinden, ob Fledermäuse auch unter diesen Bedingungen kraft ihrer sagenhaften akustischen Orientierungsfähigkeit überleben können. Ein Fledermauspaar demonstriert, daß sie es können, und die Wissenschaftler freuen sich über ihr Experiment. Mit ihnen freut sich ein Arbeiter, der beim Verspannen des Stahldrahts mitgewirkt hatte und zuvor bei einem kleinen Mißgeschick zusammen mit drei seiner Arbeitskollegen so unglücklich in das Drahtgespinst verwickelt worden war, daß es eines ganzen Tages bedurfte, ihn zu befreien. Dieser Arbeiter also freut sich mit den drei Wissenschaftlern, und die Geschichte endet so: „Ihm imponiert vor allem, daß die Gefahren der beiden Fledermäuse so menschlich sind. 'Denen geht es unter diesen Umständen genauso wie uns. Uns selber geht es allerdings unter allen Umständen so', sagt er zu einem der Wissenschaftler, der aber versteht das nicht. Er lauscht nur auf die Fluggeräusche, die aus dem Turm herausgeleitet und mehrfach verstärkt werden, und reibt sich ganz allgemein die Hände."
        Hat der Literat TOMAN mit dieser Parabel sein Verständnis vom Wissenschaftler TOMAN zum Ausdruck gebracht? Oder genauer: seine Vorstellung von Wissenschaft, wie man sie besser nicht betreiben sollte? Sicher ist, daß Walter TOMAN als Psychologe und Wissenschaftler nicht zu den drähtespannenden Experimentalisten gehört, die sich händereibend über den Erfolg ihrer bisweilen kunstfertigen, fast immer jedoch künstlichen Arrangements freuen, die sie sich ausdenken, um etwas über die Gesetzmäßigkeiten menschlichen Verhaltens zu erfahren. Und dies häufig, ohne sich - wie es der einfache Arbeiter in TOMANs Erzählung wohl getan hat - darüber Rechenschaft abzulegen, wie sehr eine "wissenschaftliche" Vorgehensweise die durch sie selbst heraufbeschworenen Gefährdungen für die "conditio humana" aus dem Blick geraten lässt.
    Nein, dies war und ist ganz und gar nicht TOMANs Verständnis einer psychologischen Wissenschaft. Im Gegenteil: ihm geht es vornehmlich darum, in einer möglichst unmanipulativen Weise einfache, leicht eruierbare und relativ verfälschungsunanfällige Daten zu bekommen, die sich unmittelbar auf den Lebenskontext von Personen und ihre Lebensäußerungen beziehen. Diese Daten sind das Material für TOMANs theoretische Rekonstruktion menschlicher Entwicklungsverläufe, jenen psychoanalytisch fundierten Ansatz zum Verständnis menschlicher Motivdifferenzierungsprozesse, den er selbst im ersten Kapitel des vorliegenden Bandes ausführlich darstellt. Lebensnahe, d.h. die biotische Situation des einzelnen betreffende Daten sind es auch, die TOMAN als Psychotherapeut nutzt, um seinen Klienten zu helfen, damit sie sich - wie die besagten Fledermäuse - angemessen ihres Orientierungssinnes bedienen und im "Drahtgewirr" ihres Lebensraumes unbeschadet zurechtfinden können.
        Diese wenigen Bemerkungen mögen in erster Annäherung rechtfertigen, warum diese Festschrift, die Walter TOMAN aus Anlaß seines 65. Geburtstags gewidmet ist, den Titel 'Psychologie und komplexe Lebenswirklichkeit' erhalten hat. Dabei sind die Themen der einzelnen Beiträge dieses Bandes so vielfältig und nicht selten auch so komplex wie die im Titel angesprochene Lebenswirklichkeit. Von der Familie über die Politik bis hin zur Suchtgenese und Krebsforschung finden sich Beiträge, die sich - wiederum auf den ersten Blick - als ein heterogenes Sammelsurium psychologischer Fragestellungen präsentieren.
        Und auf den zweiten Blick? Gibt es außer dem Umstand, daß die Hauptautoren dieses Bandes an dem von TOMAN geleiteten Psychologischen Institut der Universität Erlangen-Nürnberg studiert bzw. wissenschaftlich gearbeitet haben, ein einigendes Band?
    Wir meinen, daß dieses einigende Band in der Tat in der bereits angedeuteten grundsätzlichen Denk- und Arbeitsweise zu sehen ist, die TOMAN seinen Studenten und Mitarbeitern vorgelebt und erfahrbar gemacht hat. Dies heißt freilich nicht, daß diese Denk- und Arbeitsweise ehrfurchtsvoll und unkritisch nachgeahmt worden wäre. Im Gegenteil: es war TOMANs Verdienst, seinen Mitarbeitern stets Raum für kritische Auseinandersetzung und für eigenständige Entwicklung zu lassen. Dies mag dazu geführt haben, daß sich zwar nicht eine „TOMAN-Schule" im üblichen Wortsinne entwickelt hat, wohl aber ein Psychologieverständnis, das - wie die Beiträge dieses Bandes zeigen - eingefärbt ist von der spezifischen Art TOMANscher Grundüberzeugungen. Eine annäherungsweise Umschreibung dieser Grundüberzeugungen ergibt sich über das Gesagte hinaus aus folgenden thesenhaften Feststellungen:

    • Psychologische Fragestellungen entwickeln sich aus realen Lebenssituationen und können in realen Lebenskontexten geprüft und beantwortet werden. Solche Fragestellungen entstehen durch 'Entdeckungen' in der Realität, d.h. einerseits aufgrund von mehr oder minder vortheoretischen Alltagsbeobachtungen und andererseits aufgrund von mehr oder minder expliziten theoretischen Ansätzen.
    • Kontextgebundene Handlungen hinterlassen „Spuren", die - obwohl ohne das Zutun des Wissenschaftlers entstanden - gleichwohl von ihm eruiert und überprüft werden können. Derartige objektive, 'harte' Daten sind in vielen Fällen subjektiven Persönlichkeits- und Einstellungsdaten vorzuziehen.
    • Wichtiger Datenträger ist die handelnde Person selbst. Durch Beobachtung, durch Exploration und durch systematische Retrospektion kann sie bedeutsame Informationen liefern. Im Vordergrund stehen dabei Beschreibungen von Umweltgegebenheiten und realem Handlungsgeschehen, die mehr als etwa Einstellungsmaße etwas über die Art des Lebensvollzugs einer Person aussagen.
    • Das Interesse richtet sich bevorzugt auf komplexe Person-Umwelt-Interaktionen und nicht auf elementare Laboratoriumssituationen. Daraus ergibt sich eine im Ansatz ökologische und interaktionistische Denkweise.
    • Insbesondere dauerhafte Lebenskontexte, solche mit langfristigen Auswirkungen und intensiver Einflußnahme sind von bevorzugtem Interesse, da sie in der Regel das Verhalten des einzelnen nachhaltiger formen als vorübergehende Ereignisse. Komplementär dazu sind auf Seiten der Person wiederkehrende Handlungen, die sich in unterschiedlichen situativen Kontexten und über längere zeitliche Erstreckungen äußern, zur Charakterisierung von Personen bedeutsamer als vereinzelt auftretende Verhaltensweisen.
    • Psychologie gilt als ein offenes System von Sätzen und Gesetzmäßigkeiten, die sich auf die Alltagsrealität von Menschen beziehen. In diesem System werden Entdeckungen gemacht und durch empirische Forschungen überprüft, was gegebenenfalls zu Erweiterungen und Umstrukturierungen des Systems 'Psychologie' führt.
    • Psychologie gewinnt Prägnanz und Überprüfbarkeit durch Formalisierungen, welche helfen, die Komplexität kontextgebundenen menschlichen Handelns handhabbar und damit auch für die Anwendungspraxis in Beratung und Therapie brauchbar zu machen.
    ... "
    Quelle: Kugemann, Preiser, Schneewind  Gibt es eine Toman Schule? S. 9-11. In (9-16) Kugemann, Walter F., Preiser, Siegfried & Schneewind, Klaus A. (1985, Hrsg.)  Psychologie und komplexe Lebenswirklichkeit. Festschrift zum 65. Geburtstag von Walter Toman. Göttingen: Hogrefe.
        Mit freundicher Genehmigung des Hogrefe-Verlages.
     



    Glossar, Anmerkungen und Fußnoten
    __
    Kommunikationsdaten: Nachdem Walter Toman am Sonntag, den 28.9.2003 verstarb, haben wir die Kommunikationsdaten herausgenommen.
    Nachfolger von Prof. Toman am Institut für Psychologie I ist Prof. Dr. Friedrich Lösel (Lehrstuhl 1), inzwischen emeritiert.



    Querverweise
    Standort: In Memoriam Walter Toman 28.9.15
    *
    Überblick Walter Toman im Internet * Berufsbiographie und Literaturliste *



    Zitierung
    IP-GIPT (DAS). Walter Toman in Memoriam 28.9.2015. Gibt es eine Toman Schule? Aus der Festschrift Psychologie und komplexe Lebenswirklichkeit. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/lit/toman/im150928.htm
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    korrigiert:



    Änderungen - wird unregelmäßig überarbeitet, in der Regel erscheint zum Todestag ein "In memoriam". Kleine Änderungen werden nicht extra dokumentiert.
    28.09.15   eingestellt und auf Linkfehler geprüft/korrigiert.