Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=28.09.2013 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 15.09.15
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20   D-91052 Erlangen
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    In memoriam Walter Toman 28.09.2013

    Walter Toman über das Verstehen

    Von Irmgard Rathsmann-Sponsel und Rudolf Sponsel

    Walter Tomans Dissertation erschien im Jahr 1944 und hatte das Thema: Experimenteller Beitrag zum Verstehen. Das ist das Kernthema aller Psychologie, Psychopathologie und Psychotherapie und beschäftigt darüber hinaus zahlreiche andere Wissenschaften und Lebensbereiche. Zu erforschen, wie man verstehen kann und versteht, ist daher von größter Bedeutung. Umso mehr, wenn man sich vergegenwärtigt, dass eine der ausgeprägtesten Quellen für zwischenmenschliche Konflikte das Missverstehen ist.

    Die großen Verstehensfragen der Psychologie, Psychopathologie, Psychotherapie, Pädagogik, Soziologie und Kommunikationsforschung sind:

    • Wie kann ich mich selber verstehen?
    • Wie kann ich andere verstehen?
    • Was kann man tun, um verstehen zu prüfen?
    • Was kann man tun, um verstehen zu fördern?


    Hierzu hat Walter Toman einen frühen, leider weitgehend in Vergessenheit geratenen Beitrag geleistet, den wir deshalb an dieser Stelle wieder in Erinnerung rufen möchten. Als ebenso bedeutsam wie typisch für Walter Tomans wissenschaftliche Grundeinstellung ist seine Methode, wie sie schlicht, kurz und trefflich im Titel zum Ausdruck kommt: Experimenteller Beitrag zum Verstehen. Diese empirisch-experimentelle und operationale Haltung hat er sein ganzes wissenschaftliches Leben hindurch - auch als Tiefenpsychologe und Psychoanalytiker - durchgehalten, was ihn gerade als Tiefenpsychologen und Psychoanalytiker auszeichnet.
     

    • Toman, Walter (1944). Experimenteller Beitrag zum Verstehen. Dissertation. Universität Wien, Philosophische Fakultät.

       
    • Toman, Walter (1947). Das Verstehen. Ein experimenteller Beitrag. Wiener Zft. Philos. Psychol. Päd., 1, p. 162-204, hier S. 203f:


    "Zusammenfassung

    Als Ergebnis unserer Arbeit ergeben sich folgende Sätze: Etwas verstehen heißt: Daran denken, es sich vorstellen, sich ein Beispiel davon geben. Wendet man sich danach wieder dem zu Verstehenden zu, dann ist es bereits verstanden. Dann ist das Verstehen schon vorbei. Dann kann man es jederzeit wieder verstehen. Die Bedingungen des Verstehens sind:
            1. Es selbst schon gemacht oder an sich ablaufen gespürt haben, mindestens schon einmal, spätestens soeben. Wir können diese Bedingung die erworbene Bedingung des Verstehens nennen.
            2. An etwas (selbst schon Gemachtes oder schon an einem Abgelaufenes) denken können. Wir dürfen diese Bedingung die angeborene Bedingung des Verstehens nennen. Sie zerfällt in einen phylogenetischen und in einen ontogenetischen Teil. Der phylogenetische Teil ist erfüllt, wenn man überhaupt an etwas denken kann; wenn man hoch genug steht im Tierreich. Der ontogenetische Teil ist erfüllt, wenn man schon an etwas denken kann; wenn man weit genug entwickelt ist; wenn man alt genug ist.
            Etwas verstehen heißt also: Daran (an das gleiche selbst schon Gemachte, schon an einem Abgelaufene) denken, es sich vorstellen, sich ein Beispiel davon geben. Unmittelbares Verstehen ist dabei immer ein unmittelbar gewordenes Verstehen. Es ist nichts anderes als ein sehr rasches Verstehen.
            Man versteht etwas umso richtiger (vollkommener, adäquater), je mehr das, was man selbst schon gemacht oder an sich ablaufen gespürt hat, diesem gleicht. Vollkommen richtig versteht man daher nur sich [>204] selbst. Nur dann nämlich kann das, was man verstehen soll, und das, was man selbst schon gemacht oder an sich ablaufen gespürt hat, vollkommen gleich sein. Allgemein gilt hier: Je mehr einer überhaupt schon gemacht oder an sich ablaufen gespürt hat, und je öfter einer überhaupt schon an all das gedacht hat, desto richtiger und rascher vermag er zu verstehen. Aber auch ein weniger richtiges Verstehen ist noch ein Verstehen. Es gibt keine untere Grenze des Verstehens. Auch das unvollkommenste Verstehen ist doch ein Verstehen. Denn auch darin gibt sich der Verstehende ein Beispiel, er denkt daran, stellt es sich vor, wenn auch noch so unvollkommen (wenn auch für noch so wenig künftige Erfahrung brauchbar). Man versteht umso deutlicher, je vollständiger und wirklichkeitsgetreuer man das zu Verstehende selbst macht oder an sich ablaufen spürt.
            Erklären heißt, vom Ende des zu Verstehenden auf seinen Anfang zurückgehen. Das Erklären hat aber das Verstehen zum Ziel. Ich erkläre, um zu verstehen. Komme ich nicht zum Verstehen, dann habe ich nicht erklärt. —
     

      Diese Sätze lassen sich auf folgende wenige reduzieren:
      Die Bedingungen des Verstehens sind:
      1. Es selbst schon gemacht oder an sich ablaufen gespürt haben.
      2. An etwas denken können.


            Verstehen heißt: Wirklich daran denken (es sich vorstellen, sich ein Beispiel davon geben). Man versteht etwas umso richtiger, je mehr das, WAS man selbst schon gemacht oder an sich ablaufen gespürt hat, diesem gleicht. Man versteht umso deutlicher, je vollständiger und wirklichkeitsgetreuer man das zu Verstehende selbst macht oder an sich ablaufen spürt.
            Man erklärt, um zu verstehen."
     



    Glossar, Anmerkungen und Fußnoten
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    Kommunikationsdaten: Nachdem Walter Toman am Sonntag, den 28.9.2003 verstarb, haben wir die Kommunikationsdaten herausgenommen.
    Nachfolger von Prof. Toman am Institut für Psychologie I war Prof. Dr. Friedrich Lösel (Lehrstuhl 1), inzwischen emeritiert.



    Querverweise
    Standort: In Memoriam 28.9.13: Walter Toman über das Verstehen.
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    Überblick Walter Toman im Internet * Berufsbiographie und Literaturliste *



    Zitierung
    IP-GIPT (DAS). In Memoriam 28.9.13: Walter Toman über das Verstehen. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/lit/toman/im130928.htm
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    korrigiert: 28.9.13



    Änderungen - wird unregelmäßig überarbeitet, in der Regel erscheint zum Todestag ein "In memoriam". Kleine Änderungen werden nicht extra dokumentiert.
    15.09.15    Linkfehler geprüft.