Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=01.01.2023 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: tt.mm.jj
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Allgemeine Psychologie, Bereich Erleben, und hier speziell zum Thema:

    Erleben und Erlebnis bei Kandinsky und im Blauen Reiter

    Über das Geistige in der Kunst.
    Der blaue Reiter (mit Franz Marc).

    Originalrecherche von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Zur  Methode der Fundstellen-Textanalyse  * Hauptbedeutungen Erleben und Erlebnis  * Zusammenfassung *



    Editorial
    Die Kunst ist eine wichtige Quelle für besonderes Erleben: eben das künstlerische Erleben (> Metzger) und ein schönes Beispiel dafür, dass wir für das meiste, was wir erleben, gar keine Worte haben. Eine wirklich fundierte gesprochene und geschriebene Sprache für das Erleben, muss erst noch entwickelt werden - falls das überhaupt geht. Hierbei muss natürlich die Kunst (Architektur, Kunmtshandwerk, Bildende K., Darstellende K., Musik, Theater, Film, ..)  besondere Berücksichtigung finden.



    Über das Geistige in der Kunst (1912, 3.A) [Online]

    Zusamenfassung Kandinsky Über das Geistige in der Kunst
    Kandinsky gebraucht die Worte erleben, erlebt, Erlebnis (Fundstellen: erleb 8, erleben 2, erlebt(e,en,es) 1, Erlebnis 5. ), aber er erklärt sie nicht, sondern setzt sie - wie viele andere, selbst Wissenschaftler, auch -  als allgemeinverständlich und nicht näher begründungsbedürftig voraus.

    _______
    Fundstellen im Textkontext
    Gesperrt bei Kandinsky hier fett.

    4f: "Dieser wichtige innere Berührungspunkt ist aber bei seiner ganzen
    Wichtigkeit doch nur ein Punkt. Unsere Seele, die nach der langen
    materialistischen Periode erst im Anfang des Erwachens ist, birgt
    in sich Keime der Verzweiflung des Nichtglaubens, des Ziel- und
    Zwecklosen. Der ganze Alpdruck der materialistischen Anschauungen,
    welche aus dem Leben des Weltalls ein böses zweckloses Spiel gemacht
    haben, ist noch nicht vorbei. Die erwachende Seele ist noch stark unter
    dem Eindruck dieses Alpdruckes. Nur ein schwaches Licht dämmert
    wie ein winziges Pünktchen in einem enormen Kreis des Schwarzen.
    Dieses schwache Licht ist bloß eine Ahnung, welches zu sehen die [>5]
    Seele keinen vollen Mut hat, im Zweifel, ob nicht dieses Licht — der
    Traum ist, und der Kreis des Schwarzen — die Wirklichkeit. Dieser
    Zweifel und die noch drückenden Leiden der materialistischen Philosophie
    unterscheiden stark unsere Seele von der der „Primitiven“.
    In unserer Seele ist ein Sprung und sie klingt, wenn man es erreicht
    sie zu berühren, wie eine kostbare in den Tiefen der Erde wiedergefundene
    Vase, die einen Sprung hat. Deswegen kann der Zug
    ins Primitive, wie wir ihn momentan erleben, in der gegenwärtigen
    ziemlich entliehenen Form nur von kurzer Dauer sein."

    16: "Wenn weiter dieses „Wie“ auch die Seelenemotion des Künstlers
    einschließt und fähig ist, sein feineres Erlebnis auszuströmen, so stellt
    sich schon die Kunst an die Schwelle des Weges, auf welchem sie [>17]
    später unfehlbar das verlorne „Was“ wiederfindet, das „Was“, welches
    das geistige Brot des jetzt beginnenden geistigen Erwachens bilden wird.
    Dieses „Was“ wird nicht mehr das materielle, gegenständliche „Was“
    der hintengebliebenen Periode sein, sondern ein künstlerischer
    Inhalt, die Seele der Kunst, ohne welche ihr Körper (das „Wie“)
    nie ein volles gesundes Leben führen kann, ebenso wie der einzelne
    Mensch oder ein Volk.
        Dieses Was ist der Inhalt, welchen nur die Kunst in sich fassen
    kann, und welchen nur die Kunst zum klaren Ausdruck bringen
    kann durch die nur ihr gehörenden Mittel."
     

    32: "Hier fühlt Schönberg genau, daß die größte Freiheit, welche die
    freie und unbedingte Atmungsluft der Kunst ist, nicht absolut sein
    kann. Jeder Epoche ist ein eigenes Maß dieser Freiheit gemessen.
    Und über die Grenzen dieser Freiheit vermag die genialste Kraft
    nicht zu springen. Aber dieses Maß muß jedenfalls erschöpft werden
    und wird jedesmal erschöpft. Es mag die widerspenstige Karre sich
    sträuben wie sie will! Diese Freiheit zu erschöpfen sucht auch Schönberg,
    und auf dem Wege zum innerlich Notwendigen hat er schon
    Goldgruben der neuen Schönheit entdeckt. Schönbergsche Musik
    führt uns in ein neues Reich ein, wo die musikalischen Erlebnisse
    keine akustischen sind, sondern rein seelische. Hier beginnt die
    „Zukunftsmusik“.
    "
    43f: "                      WIRKUNG DER FARBE

    Wenn man die Augen über eine mit Farben besetzte Palette gleiten
    läßt, so entstehen zwei Hauptresultate:
        1. es kommt eine rein physische Wirkung zustande, d. h.
    das Auge selbst wird durch Schönheit und andere Eigenschaften der
    Farbe bezaubert. Der Schauende empfindet ein Gefühl von Befriedigung,
    Freude, wie ein Gastronom, wenn er einen Leckerbissen im Munde hat.
    Oder es wird das Auge gereizt, wie der Gaumen von einer pikanten
    Speise. Es wird auch wieder beruhigt oder abgekühlt, wie der Finger,
    wenn er Eis berührt. Dies alles sind jedenfalls physische Gefühle,
    welche als solche nur von kurzer Dauer sein können. Sie sind auch
    oberflächlich und hinterlassen keinen dauernden Eindruck, wenn die [>44]
    Seele geschlossen bleibt. Ebenso wie man bei Berührung von Eis
    nur das Gefühl einer physischen Kälte erleben kann und dieses Gefühl
    nach dem Wiedererwärmen des Fingers vergißt, so wird auch die
    physische Wirkung der Farbe vergessen, wenn das Auge abgewendet
    wird. Und ebenso, wie das physische Gefühl der Kälte des Eises, wenn
    es tiefer eindringt, andere tiefere Gefühle erweckt und eine ganze
    Kette psychischer Erlebnisse bilden kann, so kann auch der oberflächliche
    Eindruck der Farbe sich zu einem Erlebnis entwickeln."

    77 Fußnote: "Diese Vertiefungsgabe finden wir im Blau und ebenso erst theoretisch
    in ihren physischen Bewegungen. 1. vom Menschen weg und 2.
    zum eigenen Zentrum. Und ebenso, wenn man das Blau (in jeder gewünschten
    geometrischen Form) auf das Gemüt wirken läßt. Die
    Neigung des Blau zur Vertiefung ist so groß, daß es gerade in tieferen
    Tönen intensiver wird und charakteristischer innerlich wirkt. Je tiefer
    das Blau wird, desto mehr rust es den Menschen in das Unendliche,
    weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem.
    Es ist die Farbe des Himmels, so wie wir ihn uns vorstellen bei dem
    Klange des Wortes Himmel.
        Blau ist die typisch himmlische FarbeFN77.1). Sehr tiefgehend
    entwickelt das Blau das Element der RuheFN77.2). Zum Schwarzen [>78]
    sinkend, bekommt es den Beiklang einer nicht menschlichen TrauerFN78.1.
    Es wird eine unendliche Vertiefung in die ernsten Zustände, wo es
    kein Ende gibt und keines geben kann. Ins Helle übergehend, wozu
    das Blau auch weniger geeignet ist, wird es von gleichgültigerem Charakter
    und stellt sich zum Menschen weit und indifferent, wie der
    hohe hellblaue Himmel. Je heller also, desto klangloser, bis es zur
    schweigenden Ruhe übergeht — weiß wird. Musikalisch dargestellt
    ist helles Blau einer Flöte ähnlich, das dunkle dem Cello, immer tiefer
    gehend den wunderbaren Klängen der Baßgeige; in tiefer, feierlicher
    Form ist der Klang des Blau dem der tiefen Orgel vergleichbar.

    FN77.1 . . . les nymbes . . . sont dores pour l’empereur et les prophetes (also
    für Menschen) et bleu de ciel pour les personnages symboliques (also für
    nur geistig existierende Wesen). (Kondakoff, N. Histoire de Part bysantin consid.
    princip. dans les miniatures. Paris 1886—1891. Vol. II, p. 38,2.)
    FN77.2 Nicht wie Grün — welches, wie wir später sehen werden, irdische, selbstzufriedene
    Ruhe ist — sondern feierliche, überirdische Vertiefung. Dies ist
    buchstäblich zu verstehen: auf dem Wege zu diesem „über“ liegt das „irdische“,
    welches nicht zu vermeiden ist. Alle Qualen, Fragen, Widersprüche des Irdischen
    müssen erlebt werden. Keiner hat sich ihnen entzogen. Auch hier ist
    innere Notwendigkeit, die durch das Äußere verdeckt wird. Die Erkenntnis
    dieser Notwendigkeit ist die Quelle der „Ruhe“. Da uns aber diese Ruhe
    am entferntesten liegt, so können wir uns auch im Farbenreiche dem Überwiegen
    des Blau innerlich schwer nähern."
    FN78.1 Auch anders als violett, wie dieses weiter unten bezeichnet wird.

    97f: "Wenn wir schon heute anfangen würden, ganz das Band, das uns
    mit der Natur verknüpft, zu vernichten, mit Gewalt auf die Befreiung
    loszusteuern und uns ausschließlich mit der Kombination von reiner
    Farbe und unabhängiger Form zu begnügen, so würden wir Werke
    schaffen, die wie eine geometrische Ornamentik aussehen, die, grob [>98]
    gesagt, einer Krawatte, einem Teppich gleichen würden. Die Schönheit
    der Farbe und der Form ist (trotz der Behauptung der reinen
    Ästheten oder auch der Naturalisten, die hauptsächlich auf „Schönheit“
    zielen) kein genügendes Ziel in der Kunst. Wir sind eben infolge unseres
    elementaren Zustandes in der Malerei sehr wenig fähig, von ganz emanzipierter
    Farben-, Formenkomposition schon heute ein inneres Erlebnis
    zu erhalten. Die Nervenvibration wird freilich vorhanden sein (wie
    etwa vor kunstgewerblichen Werken), sie bleibt aber hauptsächlich im
    Bereiche der Nerven stecken, weil sie zu schwache Gemütsvibrationen,
    Erschütterungen der Seele hervorrufen wird. Wenn wir aber bedenken,
    daß die geistige Wendung ein direkt stürmisches Tempo angeschlagen
    hat, daß auch die „festeste“ Basis des menschlichen Geisteslebens, d. h.
    die positive Wissenschaft, mitgerissen wird und vor der Tür der Auflösung
    der Materie steht, so kann behauptet werden, daß nur noch
    wenige „Stunden“ uns von dieser reinen Komposition trennen."



    Der blaue Reiter [Online]


     

    Zusammenfassung-Blauer-Reiter (1912)
    Der "Blaue Reiter" ist ein bemerkenswertes Buch, weil es die verschiedenen Künste (Bildende Kunst, Musik, Literatur, Theater) zu Worte kommen lässt, um dem Kunsterleben auf die Spur zu kommen.

    Fundstellen
    erleben 5 (1 Pseudo Künstlerleben), erlebt(e,en,es) 1 (1 Pseudo verlebten Schutt, Vorwort Franz Marc), Erlebnis 12.
     

      Pseudo verlebter Schutt (Vorwort Franz Marc)


    14: "DIE„WILDEN" RUSSLANDS

    von D. BURLJUK

    DerRealismus
    verändert sich in Impressionismus. In der Kunstrein realistisch zu
    bleiben, ist undenkbar. Alles in der Kunst ist mehr oder weniger realistisch. Es ist aber
    unmöglich, auf diesem „mehr oder weniger" Prinzipien einer Schule zu bauen. „Mehr oder
    weniger" ist keine Aesthetik. Der Realismusist nur eine Spezies des Impressionismus.
    Der Impressionismusaber, d. h. das Leben durch das Prisma eines Erlebnisses, ist schon
    ein schöpferisches Leben des Lebens. Mein Erlebnis ist eine Umgestaltung der Welt. Das
    Vertiefen in ein Erlebnis bringt mich zur schöpferischen Vertiefung. Das Schöpfen ist
    gleichzeitig das Schöpfen der Erlebnisse und das Schöpfen der Gestaltungen. Die Schöpfungs-
    gesetze sind die einzige Aesthetik des Impressionismus. Und dies ist zur selben Zeit die
    Aesthetik des Symbolismus. „Der Impressionismusist ein oberflächlicher Symbolismus."
    (Andrej Bjely.)FN14.1).
        FN14.1 Einer der bekanntestenmodernen„jungen" Dichter. Red.
    "

    31f: "Ich war vorein paar Jahren tief  beschämt, als ich entdeckte, dass ich bei einigen
    mir wohlbekannten Schubert-Liedern gar keineAhnung davon hatte, was in dem zu-
    grundeliegenden Gedicht eigentlich vorgehe. Als ich aber dann die Gedichte gelesen
    hatte, stellte sich für mich heraus, dass ich dadurch für das Verständnis dieser Lieder
    gar nichts gewonnen hatte, da ich nicht im geringsten durch sie genötigt war, meine Auf-
    fassung des musikalischen Vortrags zu ändern. Im Gegenteil: es zeigte sich mir, dass ich,
    ohne das Gedicht zu kennen, den Inhalt, den wirklichen Inhalt, sogar vielleicht tiefer er- [>32]
    fasst hatte, als wenn ich an der Oberfläche der eigentlichen Wortgedanken haften ge-
    blieben wäre. Noch entscheidender als dieses Erlebnis war mir die Tatsache, dass ich
    viele meiner Lieder, berauscht von dem Anfangsklang der ersten Textworte, ohne
    mich auch nur im geringsten umden weiteren Verlauf der poetischen Vorgänge zu
    kümmern, ja ohne diese im Taumeldes Komponierens auch nur im geringsten zu er-
    fassen, zu Ende geschrieben und erst nach Tagen darauf kam, nachzusehen, was denn
    eigentlich der poetische Inhalt meines Liedes sei. "

    35: "DIE KENNZEICHEN DER ERNEUERUNGIN DER MALEREI
    von ROGER ALLARD

    Die Entfaltung
    eines malerischen Stiles mitzuerleben bis zu seiner Verknöcherung
    und seinem Tode, der überdauert wird vondem Pseudostile seiner Epigonen, bildet
    für den Geist die beste Schule, die Gesetzmässigkeit künstlerischer Evolutionen zu
    studieren."

    41: "Auch bei den Bildhauern, wie Duchamp-Villon und Alexandre Archipenko, erleben
    wir die Wendungzu den neuen Ideen."
     

      54 Pseudo "Künstlerleben"


    55: "Eine grosse Zahl tief erlebter Gedichte wurden nach seinem Tod gefunden, von denen
    er [Kahler] nie gesprochen."

    57: "PROMETHEUS VON SKRJABIN
    von L. SABANEJEW

    Es istschwer, bei der Analyse des Skrjabinschen Schaffens die einzelnen Gestaltungen des-
    selben von der allgemeinen Idee, der endgültigen ,,Kunstidee", die jetzt dem Bewusstsein
    des Komponisten vollkommen klar geworden ist, zu trennen. Das ist die Kunstideeals
    ein gewisser mystischer Vorgang, der zum Erreichen eines ekstatischen Erlebnisses dient
    — der Ekstase, dem Sehen in höheren Plänen der Natur. Wir sehen eine logische Ent-
    wicklung dieser Idee von Skrjabins erster Symphonie bis zum Prometheus. In der ersten
    Symphonie — ein Hymnus der Kunst als Religion, in der dritten — die Befreiung des
    Geistes von Ketten, Selbstbehauptung der Persönlichkeit, ein Poem der Ekstase — Freude
    des freien Vorganges, die Schaffensekstase. Diesalles sind verschiedene Entwicklungs-
    stadien einer und derselben Idee, welche die vollkommene Verkörperung im Skrjabinschen
    Mysterium finden soll — in grandiosem Ritualvorgang, inwelchem zum Zweck des eksta-
    tischen Aufschwunges alle Erregungsmittel, alle „Sinnenliebkosungen" (anfangend mit
    Musik bis zum Tanz — mit Lichtspielen und Symphonien von Düften) ausgenützt werden.
    Wenn man tief in das Wesen der mystischen Kunst von Skrjabin eindringt, wird es klar,
    dass man weder Grund noch Recht hat, diese Kunst ausschliesslich mit Musik abzugrenzen.
    Die mystisch-religiöse Kunst, die dem Ausdruck der sämtlichen geheimen Fähigkeiten
    des Menschen, dem Erreichen der Ekstase dient, brauchte immer und von jeher alle
    Mittel zur Wirkung auf die Psyche. "

    63f: "Mitihr beginnt das Prometheus-Poem* des schöpferischen Geistes, welcher, schonfrei
    geworden, frei die Welt schafft. Dasist eine Art symphonischen Konspektes des
    Mysteriums, worin die Mitwirkenden gezwungen werden, die ganze Evolution des schöpfe-[>64]
    rischen Geistes mit zu erleben, wo die Teilung in empfangende, passive und in kunst-
    schöpfende Menscheninterpreten fallen wird. Diese Teilungist im Prometheus noch zu
    beobachten: er hat die gewohnte Form einer Symphonie, die von Orchester und Chor
    ausgeführt wird. In einer blaulila Dämmerung erklingt die mystische Harmonie, bei dem.
    Flattern derselben klingt das Hauptthema(i) in den Waldhörnern: [Noten]"

    72: "Diese Musik gibt eine volle Freiheit der Inspiration und besitzt die schon oben-
    genannten Vorzüge der natürlichen Musik: sie kann subjektive Erlebnisse darstellen und
    zugleicher Zeit die Lyrik der Stimmungen undLeidenschaften, sowie Illusionen der
    Naturhervorrufen."

    83 Fußnote: "1) DenInhalt des gewohnten Schönen hat der Geist schon absorbiert und findet keine neue
    Nahrung darin. Die Form dieses gewohnten Schönen gibt dem faulen körperlichen Auge die gewohnten
    Genüsse. DieWirkung des Werkes bleibt im Bereiche des Körperlichen stecken. Das geistige Erlebnis
    wird unmöglich. Sobildet oft dieses Schöne eine Kraft, die nicht zum Geist, sondern vom Geist führt."

    89: "Undtatsächlich: wennes eine prinzipielle Frage der Form gäbe, so würde auch eine
    Antwort möglich sein. Und jeder, der diese Antwort kennt, würde Kunstwerke schaffen
    können. D. h. zur selben Zeit würde die Kunst nicht mehr existieren. Praktisch gesagt:
    Die Frage der Form verändert sich in die Frage: welche Form soll ich in diesem Falle
    anwenden, um zum notwendigen Ausdruck meines inneren Erlebnisses zu gelangen? Die
    Antwortist in diesem Falle immer wissenschaftlich präzis, absolut und für andere Fälle
    relativ. D. h. eineForm, die die beste in einem Falle ist, kann in einem anderen Falle die
    schlechteste sein: alles hängt hier von der inneren Notwendigkeit ab, die allein eine Form
    richtig machen kann. Und nur dann kann eine Form eine Bedeutung für mehrere haben,
    wenn die innere Notwendigkeit unter dem Druck der Zeit und des Raumes einzelne Formen
    wählt, die miteinander verwandt sind. Dieses ändert aber an der relativen Bedeutung
    der Form gar nichts, da die auch in diesem Falle richtige Form in vielen anderen Fällen
    falsch sein kann."

    90: "Daspraktische Resultat: man darf nie einem Theoretiker (Kunst-
    historiker, Kritiker etc.) glauben, wenn er behauptet, dass er
    irgendeinen objektiven Fehler im Werke entdeckt hat.
        Und: das Einzige, wasder Theoretiker mit Recht behaupten kann, ist das,
    dasser bis jetzt diese oder jene Anwendung des Mittels noch nicht gekannt hat. Und: die
    Theoretiker, die, vonder Analyse der schon dagewesenen Formen ausgehend, einWerk
    tadeln oder loben, sind die schädlichsten Irreführer, die zwischen demWerk und dem naiven
    Beschauereine Mauer bilden.
        Vondiesem Standpunkte aus (welcher leider meistens der einzig möglicheist) ist
    die Kunstkritik der schlimmste Feind der Kunst.
        Der ideale Kunstkritiker wäre also nicht der Kritiker, welcher die
    „Fehler"1), "Verirrungen", „Unkenntnisse", „Entlehnungen" usw. usw. zu entdecken
    suchen würde, sondern der, welcher zu fühlen suchen würde, wie diese oder jene Form
    innerlich wirkt und dann sein Gesamterlebnis dem Publikum ausdrucksvoll mitteilen würde.
    Hier würde natürlich der Kritiker eine Dichterseele brauchen, da der Dichter ob-
    jektiv fühlen muss, um subjektiv sein Gefühl zu verkörpern. D. h. der Kritiker würde
    eine schöpferische Kraft besitzen müssen. In Wirklichkeit sind aberdie Kritiker sehr oft
    misslungene Künstler, die am Mangel eigener schöpferischer Kraft scheitern und deshalb
    sich berufen fühlen, die fremde schöpferische Kraft zu lenken."

    91: "Hier muss ich präzis sein. Eine fremde Formzu gebrauchen heisst in der Kritik,
    im Publikum und oft bei den Künstlern ein Verbrechen, ein Betrug. Das ist aber in Wirk-
    lichkeit nur dann derFall, wenn der,,Künstler" diese fremden Formen ohne innere Not-
    wendigkeit braucht und dadurch ein lebloses, totes Scheinwerk schafft. Wennaber der
    Künstler zum Ausdruck seiner inneren Regungen und Erlebnisse sich einer oder der andern
    fremden" Formder inneren Wahrheit entsprechend bedient, so übter sein Recht aus,
    sich jeder ihm innerlich nötigen Form zu bedienen — sei es ein Gebrauchsgegen-
    stand, ein Himmelskörper oder eine durch einen andern Künstler schon künstlerisch
    materialisierte Form."

    99 "2. Das Aufbauendes seelisch-geistigen Lebens des 20. Jahrhunderts, welches wir
    miterleben und welches sich schon jetzt in starken, ausdrucksvollen und bestimmten Formen
    manifestiert und verkörpert."

    112: "Die folgende kleine Bühnen komposition ist ein Versuch, aus dieser Quelle zu schöpfen.
    Essind hier drei Elemente, die zu äusseren Mitteln iminnerenWertedienen:
    1. musikalischer Ton und seine Bewegung,
    2. körperlich-seelischer Klang und seine Bewegung durch Menschen und Gegen-
    stände ausgedrückt,
    3. farbiger Ton undseine Bewegung(eine spezielle Bühnenmöglichkeit).
    So besteht hier schliesslich das Drama aus dem Komplex der inneren Erlebnisse
    (Seelenvibrationen) des Zuschauers."
     
     



    Literatur (Auswahl)
     
    • Kandinsky, Wassily (1893) Über die Gesetzmäßigkeit der Arbeiterlöhne. (Dissertation).
    • Kandinsky, Wassily (1911) Über das Geistige in der Kunst. Insbesondere in der Malerei. München: Piper (3. Aufl. 1912). Revidierte Neuauflage, Benteli Verlag, Bern 2004.
    • Kandinsky, Wassily & Marc, Franz (1912) Der Blaue Reiter. München: Piper.
    • Kandinsky, Wassily (1913) Klänge, mit 12 Farbholzschnitten und 44 Schwarz-Weiß-Holzschnitten. München: Piper
    • Kandinsky, Wassily (1926) Punkt und Linie zu Fläche. Beitrag zur Analyse der malerischen Elemente. Bauhausbücher Nr. 9, München 1926. (online).
    • Kandinsky, Wassily (2005) Unterricht am Bauhaus. Vorträge, Seminare, Übungen 1923–1933. Hrsg. von Angelika Weißbach. Gebr. Berlin: Mann.




    Links(Auswahl: beachte)
    • https://archive.org




    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
    __
    Primitive
    Kunst der Naturvölker. Der Ausdruck "primitiv" suggeriert Minderwertigkeit und ist daher nicht mehr angemessen. Vor und um die Jahrhunderwende und im frühen 20. Jahrhundert wurde die Kunst der Naturvölker entdeckt. Gauguin wanderte 1891 nach Haiti aus. Einher ging die Entdeckung der der Geisteskranken (Prinzhorn) und die Entwicklung der naiven Malerei (Rousseau)
    __


    Querverweise
    Standort: Erleben und Erlebnis bei Kandinsky und im Blauen Reiter.
    *
    Überblick Kunst in der IP-GIPT.
    Wolfgang Mezger Der Beitrag der Gestalttheorie zur Frage der Grundlage des künstlerischen Erlebens.
    Haupt- und Verteilerseite Die Erforschung des Erlebens und der Erlebnisse
    Zur  Methode der Fundstellen-Textanalyse  * Hauptbedeutungen Erleben und Erlebnis  * Zusammenfassung *
    *
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    *
    Dienstleistungs-Info.
    *

    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Erleben und Erlebnis bei Kandinsky und im Blauen Reiter. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/erleben/Kandinsky.htm

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    korrigiert:





    Änderungen wird gelegentlich überarbeitet, ergänzt und vertieft * Anregungen und Kritik willkommen
    01.01.2023 Angelegt, gesichtet, Fundstellen erfasst, ausgewertet und zusammengefasst.