Internet Publikation für
Allgemeine und Integrative Psychotherapie
(ISSN 1430-6972)
IP-GIPTDAS=25.12.2022
Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 25.12.22
Impressum:
Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
E-Mail: sekretariat@sgipt.org
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Anfang_Erleben
und Erlebnis in Karl Jaspers Allgemeiner Psychopathologie_
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* _ Wichtige
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Willkommen in unserer Internet-Publikation
für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Allgemeine
Psychologie, Bereich Erleben, und hier speziell zum Thema:
Erleben und Erlebnis in Karl
Jaspers Allgemeiner Psychopathologie
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Zur Methode der Fundstellen-Textanalyse.
* Hauptbedeutungen
Erleben und Erlebnis
Zusammenfassung Jaspers Allgemeine
Psychopathologie: Die erste Auflage 1913 markierte einen Meilenstein
in der Psychopathologie. Seine große Pioniertat war wahrscheinlich
seine phänomenologische Grundhaltung mit der er den Kranken, den er
immer als Menschen begriff, und den Pathologien begegnete ("Alle Kritik
ist Unsinn gegenüber dem Erleben des Unmöglichen, Beringer",
S. 64). Seit 1946 erscheint das 748-Seiten Werk in unveränderten Auflagen.
Erleben und Erlebnis kommen sowohl im Inhaltsverzeichnis als auch im Sachregister
vor. Erleben wird von Jaspers 1946ff in den ersten rund 30 Erwähnungen
S.2-73, nicht definiert oder näher erläutert, sondern anscheinend
als allgemein verständlicher Grundbegriff verwendet, der keiner Definition
oder näheren Erläuterung bedarf, auch nicht durch Querverweise,
Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis. Aber das Erleben,
vor allem das gestörte, wird über das ganze Werk hindurch an
vielen Stellen mit Beispielen eindrucksvoll dargestellt. Während in
der 3. Auflage 1923 mit 458 Seiten erleben, erlebt und Erlebnis 658 Erwähnungen
erzielen, sind es in der letzten Auflage von 1946 mit 748 Seiten nur noch
272 (falls Google Books es richtig erfasst hat). Bezogen auf die Seitenanzahl
ergibt dies für die 3. Auflage 1.44 (658/458) und für die 4.
Auflage 0.36 (272/748). Nach diesen Verhältniszahlen haben erleben
und Erlebnis 75% in der 4. und letzten Auflage an Erwähnens-Bedeutung
eingebüßt.
Allgemeine-Psychopathologie-1923,
3. A. [Online-PDF]
Sachregister Erlebnisformen 392ff., Erlebnis völliger Ohnmacht
86f.
e:= Erleben 140, erlebt 152, E:= Erlebnis 366
Indizierungslesebeispiel: JP Jaspers Allgemeine Psychopathologie, 3
:= 3. Auflage 1923, es folgt die Seite, e:= erleben, erlebt(e,en,es), E:=
Erlebnis ...
Die ersten rund 25 Fundstellen:
Zur Methode der
Fundstellen-Textanalyse. * Hauptbedeutungen
Erleben und Erlebnis
S. 1: "... Er [der Psychiater] will
nicht das JP3.1e1Erleben,
das Einfühlen und Schauen an sich - dies ist
ihm Material und Basis, dessen reiche Entwicklung ihm unentbehrlich
ist -, sondern er will das in Begriffen Ausdrückbare,
das Mit-
teilbare, das, was sich in Regeln bringen
und in irgendwelchen Be-
ziehungen erkennen läßt."
S. 2: "Der Gegenstand der Psychopathologie
ist das wirkliche, bewußte
psychische Geschehen. Wir wollen wissen,
was und wie Menschen
JP3.2e1erleben, wir wollen
die Spannweite der seelischen Wirklich- keiten kennen
lernen. Und nicht nur das JP3.2e2Erleben
der Menschen,
sondern auch die Bedingungen und Ursachen,
von denen es ab-[>3]
hängt, die Beziehungen, in denen es steht, und die Weisen, wie
es
sich irgendwie objektiv äußert,
wollen wir untersuchen. "
S. 16: "... Die Über-
treibung in dem Suchen nach rationalen Zusammenhängen, diese "in-
tellektualistische Psychologie" ist ein lähmendes Hemmnis für
das richtige verstehende Eindringen in die Zusammenhänge mensch-
lichen Tuns. Man überschätzt die Wirkungen logischen Beweisens
gegenüber suggestiven Überredungen, man ist schnell bei der
Hand
mit der Feststellung von "Demenz", wo Irrationales gefunden wird,
man gewinnt keine Anschauung von dem unendlichen Reichtum
menschlichen JP3.16e1Erlebens."
20: "Unendlich viel hat man darüber gestritten,
ob es unbewußte
seelische Vorgänge gibt. Für diese Fragen ist zunächst
sorgfältig zu
unterscheiden zwischen seelischen Vorgängen, die vom JP3.20e1Erlebenden
nicht bemerkt, aber tatsächlichJP3.20e2erlebt
wurden, und solchen
Vorgängen, die wirklich außerbewußt,
nicht tatsächlich JP3.20e3er-
lebt sind. Unbemerkte
seelische Vorgänge kann man unter gün-
stigen Umständen bemerken und dadurch ihre Wirklichkeit feststellen,
außerbewußte kann man im
Prinzip nie bemerken. ..."
S. 21: "... Man spricht
von diesen Anlagen, mit denen man die außerbewußten Grundlagen
meint, wenn von den Begabungen eines Menschen, seiner Dummheit,
seiner Produktivität, seiner JP3.21E1Erlebnisfähigkeit,
seinen Charaktereigen-
schaften die Rede ist. Oft hat ein Mensch selbst das Bewußtsein,
daß ihm aus eigenen außerbewußten, unbekannten Tiefen
ein JP3.21e1Erleben
entgegentritt oder ihn überwältigt."
S. 22: "1. Objektiv ist alles in die sinnlich
wahrnehmbare Erscheinung
Tretende: Reflexe, registrierbare Bewegungen, Handlungen, Lebens-
führung usw., alle meßbaren Leistungen,
wie Arbeitsleistungen,
Gedächtnisleistungen usw. Subjektiv ist alles, was durch Hinein-
versetzen in Seelisches, durch unmittelbare
Vergegenwärtigung von
Seelischem erfaßt wird. 2. Objektiv sind die rationalen
Inhalte,
z. B. von Wahnideen, die ohne Hineinversetzen in Seelisches durch
bloßes Denken dieser Inhalte, d.
h. rational verstanden werden.
Subjektiv ist das eigentlich Seelische, das durch Hineinversetzen,
Einfühlen, JP3.22e1Miterleben
erfaßt wird, z. B. das ursprüngliche
JP3.22E1Wahnerlebnis.
3. Objektiv wird schließlich ein Teil dessen genannt, was
eben subjektiv war: das durch die unmittelbare
Einfühlung in
Ausdrucksbewegungen erfaßte Seelische, so z. B. die Angst eines
Kranken. Demgegenüber ist subjektiv das, was wir mittelbar
durch die Urteile des Kranken erfahren,
so wenn uns ein Kranker,
der objektiv nicht ängstlich ist, sagt, er habe Angst. Wir erfahren
von ihr nur durch Vermittlung der Selbstbeobachtung und des Urteils
des Kranken über seine eigenen seelischen JP3.22E2Erlebnisse,
seines soge-
nannten psychologischen Urteils. Müssen
wir im vorigen Falle
unsere eigenen Wahrnehmungen kontrollieren
und unser eigenes
Urteil über diese einer Kritik unterziehen, so müssen wir
uns jetzt
mit einer Kritik des psychologischen Urteils des Kranken
begnügen
und die wahrscheinliche Richtigkeit des Urteils prüfen. Es ergibt
sich, daß die letztere Quelle unserer psychopathologischen Erkennt-
nisse minder sicher ist. Aber durch sie wird uns erst ein großer
Teil gerade der wesentlichsten und anschaulichsten von den Vorgängen
in der kranken Seele kund. Wir können auf sie nicht verzichten.
Das wird nicht schaden, wenn wir uns der Quelle bewußt bleiben
und mit Kritik verfahren. - 4. Es besteht die eigentümliche Tat-
sache, daß wir seelisch JP3.22e2erleben,
ohne selbst von der Weise unseres
JP3.22e3Erlebens zu wissen.
Wenn Kranke z. B. gehemmt sind, was wir
objektiv in der Verlangsamung der Reaktionen,
oder objektiv durch
Einfühlen konstatieren, so braucht
er nicht subjektiv sich selbst
dessen bewußt zu sein. Je undifferenzierter
ein Seelenleben ist,
desto weniger ist darin subjektiv bewußt. So haben wir die Gegen-
sätze von objektiver Hemmung und subjektiver Hemmung, der ob-
jektiven Ideenflucht und des subjektiv empfundenen "Gedankendrangs"
(eines empfundenen ordnungslosen und rastlosen Wechsels der Vor-
stellungen). - 5. ..."
S. 35: "Die Phänomenologie [FN1)] hat
die Aufgabe, die seelischen Zustände,
die die Kranken wirklich JP3.350e1erleben,
uns anschaulich zu vergegen-
wärtigen, nach ihren Verwandtschaftsverhältnissen
zu betrachten,
sie möglichst scharf zu begrenzen, zu unterscheiden
und mit
festen Terminis zu belegen. Da wir niemals
fremdes Seelisches
ebenso wie Physisches direkt wahrnehmen können, kann es sich immer
nur um eine Vergegenwärtigung, um ein Einfühlen, Anschauen,
Ver-
stehen handeln, zu dem wir je nach dem Fall durch Aufzählung einer
Reihe äußerer Merkmale des seelischen Zustandes, durch Aufzählung
der Bedingungen, unter denen er auftritt, durch sinnlich anschauliche
Vergleiche und Symbolisierungen, durch eine Art suggestiver Dar-
stellung hingelenkt werden können. Da helfen uns vor allem die
Selbstschilderungen der Kranken, die
wir in der persönlichen
Unterhaltung am vollständigsten und klarsten gestalten können,
die
in schriftlicher, von den Kranken selbst verfaßter Form oft inhaltlich
reicher, aber dafür phänomenologisch unklarer, durch tendenziöse
Reflexionen entstellt sind. Wer selbst JP3.35e2erlebte,
findet am ehesten die
treffende Schilderung. Der nur beobachtende Psychiater würde sich
vergebens zu formulieren bemühen, was der kranke Mensch von seinen
JP3.35E§1Erlebnissen
sagen kann. Es ist für den Anfänger erforderlich, sich an
der Hand der konkreten Beispiele ein reiches phänomenologisches
An-
schauungsmaterial innerlich anzueignen. Dies gibt ihm Richtungen
und Maßstäbe bei der Untersuchung neuer Fälle [FN2).
FN35- 1) Vgl. meinen Aufsatz: Die phänomenologische
Forschungsrichtung in der
Psychopathologie. Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr.
9. 1912. S. 391. Dazu:
Baade: Über die Vergegenwärtigung
von psychischen Ereignissen durch Er-
leben, Einfühlung und Repräsentation, sowie
über das Verhältnis der Jaspers-
schen Phänomenologie zur darstellenden Psychologie.
Zeitschr. f. d. ges. Neurol.
u. Psychiatr. 29. 1915. S. 347. Vgl. das Referat von
A. Kronfeld: Über neuere
pathopsychisch-phänomenologische Arbeiten. Zentralbl.
f. d. ges. Neurol. u. Psy-
chiatr. 28. 1922. S. 441, (worin jedoch der Begriff der
Phänomenologie nicht in dem
bestimmten und engen Sinn unseres vorliegenden ersten
Kapitels gefaßt wird).
FN35f- 2) Gute Selbstschilderungen
findet man an folgenden Orten (ich zitiere sie
später nur mit den Namen der Verfasser der Publikationen):
Baudelaire: Paradis artificiels. Deutsch Minden,
o. J. David, J. J.: Hallu-
zinationen, Die neue Rundschau 17 S. 874. Engelken: Allg.
Zeitschr. f. Psychiatr.
u. psych.-gerichtl. Med. 6 S. 586. Fehrlin:
Die Schizophrenie. Im Selbstverlag
1910. Forel: All. Zeitschr.
f. Psychiatr. u. psych.-gerichtl. Med. 34 S. 960. Gruhle:
Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 28. 1915.
S. 148. ldeler: Der Wahn-
sinn, Bremen 1848, S. 322ff., 365ff. usw. Religiöser
Wahnsinn, Halle 1848, 1 S. 392ff.
Jakobi: Annalen der Irrenanstalt zu Siegburg,
Köln 1837, S. 256ff, James: Die
religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit. Deutsch.
Leipzig 1907. Janet: Les [>36]
obsessions et la psychasthenie. Jaspers:
Zeitschr. f. d. ges. neurol. u. Psychiatr.
14 S. 158ff. Kandinsky:
.Arch. f. Psych. u. Nervenkrankh. 11 S. 453. Kritische
und klinische Betrachtungen im Gebiete der Sinnestäuschungen,
Berlin 1885.
Kieser: Allg. Zeitschr. f. Psychiatr. u. psych.-gerichtl.
Med. 10 S. 423. Klinke:
Jahrb. d. Psych. u. Neurol. 9. Kronfeld:
Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. 35.
1914. S. 275. Mayer-Groß:
Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 62 S. 222.
Mayer-Groß und Steiner:
Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 73 S. 283.
Meinert: Alkoholwahnsinn, Dresden 1907. Nerval
Aurelia.. Deutsch. Mün-
chen 1910. Quincey, Th.
de: Bekenntnisse eines Opiumessers. Deutsch. Stutt-
gart 1886. Rychlinski:
Arch. f. Psych. u. Nervenkrankh. 28 S. 625. Schreber:
Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, Leipzig 1903.
Schwab:
Zeitschr. f. d.
ges. Neurol. u. Psychiatr. 44. Serko:
Jahrb. d. Psych. u. Neurol. 34. 1913.
S. 355. Serko: Zeitschr.
f. d. ges. Neurol. u. Psychiatr. 44 S. 21 Stauden-
maier: Die Magie als experimentelle Naturwissenschaft,
Leipzig 1912. Wollny:
Erklärungen der Tollheit von Haslam, Leipzig 1889."
S. 36: "Vergegenwärtigung dessen, was im
Kranken wirklich vorgeht, was
er eigentlich JP3.36e1erlebt,
wie ihm etwas im Bewußtsein gegeben ist, wie
ihm zumute ist usw. ist der Anfang, bei dem zunächst von Zusammenhängen,
vom JP3.36e2Erleben als Ganzem,
erst recht von Hinzugedachtem,
zugrunde liegend Gedachtem, theoretischen Vorstellungen ganz abzu-
sehen ist. Nur das wirklich im Bewußtsein Vorhandene soll vergegen-
wärtigt werden, alles nicht wirklich im Bewußtsein Gegebene
ist nicht
vorhanden. Wir müssen alle überkommenen Theorien, psychologischen
Konstruktionen oder materialistischen Mythologien von Hirnvorgängen,
alle bloßen Deutungen und Beurteilungen beiseite lassen, wir
müssen
uns rein dem zuwenden, was wir in seinem wirklichen Dasein ver-
stehen, erfassen, unterscheiden und beschreiben können. Dies ist
eine,
wie die Erfahrung lehrt, schwierige Aufgabe. Diese eigentümliche
phänomenologische Vorurteilslosigkeit ist nicht ursprünglicher
Besitz,
sondern mühsamer Erwerb nach langer kritischer Arbeit und oft
ver-
geblichen Bemühungen in Konstruktionen und Mythologien. Wie wir
als Kinder die Dinge zuerst zeichnen, nicht so wie wir sie sehen,
sondern so wie wir sie denken, ebenso gehen wir als Psychologen und
Psychopathologen durch eine Stufe, in der wir uns das Psychische
irgendwie denken, zur vorurteilslosen
unmittelbaren Erfassung des
Psychischen so wie es ist. Und es ist
eine immer neue Mühe und
ein immer von neuem durch Überwindung der Vorurteile zu erwerben-
des Gut: diese phänomenologische Einstellung. Nur in einer Beziehung
machen wir hier zur Aussonderung der abnormen Phänomene
manchmal eine unphänomenologische Voraussetzung: durch den Maß-
stab der Realität und der Richtigkeit der Inhalte"
S. 43: "Bei diesen höheren Graden wird
zwar zunächst das eigentliche
Urteil, wenn man die Kranken mit aller Genauigkeit exploriert, nicht
getrübt, aber die Gefühle sind dann so zwingend, daß
sie deren Wir-
kungen nicht mehr unterdrücken können. Sie müssen tasten,
ob sie
auch noch wirklich da sind, müssen sich durch Stoß von der
Existenz
des Erdbodens überzeugen. Die psychische Störung wird schließlich
so hochgradig, daß von Urteilen überhaupt nicht mehr die
Rede ist,
daß die entsetzten und ratlosen Kranken - die dann meist noch
andere heftige Störungen haben - die Gefühle
als Wirklichkeit JP3.43e1er-
leben und Urteilserwägungen
überhaupt nicht mehr zugänglich sind.
Nun ist ihnen die Welt entschwunden. Es gibt nichts mehr. Sie
allein in fürchterlicher Einsamkeit leben zwischen Unendlichkeiten.
Sie müssen ewig leben, denn sie fühlen: es gibt keine Zeit
mehr. Sie
selbst sind auch nicht mehr, ihr Körper ist tot. Nur diese Scheinexistenz
ist noch ihr qualvolles Schicksal."
S. 55f: "Allgemeiner Sinn: Unter dem
Worte 'allgemeiner Sinn' fassen wir hier
alle Sinnesempfindungen und Wahrnehmungen zusammen, die nach Abzug
der
vier höheren Sinne noch übrig bleiben. Die Psychologie und
Physiologie hat
in diesem allgemeinen Sinn eine weitgehende Differenzierung gefunden,
die aber
noch nicht planmäßig in Beziehung zu den JP3.55E1Erlebnissen
der Geisteskranken gesetzt
wurde. Hier besitzen wir eine ungeheure Mannigfaltigkeit von Angaben
über
rätselhafte Empfindungen. Es ist schwierig, aber prinzipiell zu
fordern, die
wirklichen sinnlichen JP3.55E2Erlebnisse
auf dem Gebiet des allgemeinen Sinns von
den wahnhaften Deutungen zu trennen,
bei letzteren aber die zugrunde liegenden
sinnlichen Vorgänge zur Klarheit zu bringen. Aus der Fülle
der hierher gehörigen
sinnlichen Vorgänge sind einige charakteristische Gruppen herausgelöst.
Man
kann wohl thermische Trugwahrnehmungen
(der Fußboden ist brennend heiß,
unerträgliches Hitzegefühl) von haptischen
(kalter Wind bläst die Kranken
an, es krabbeln Würmer und Insekten, überall wird gestochen)
unterscheiden.
Unter letzteren hat man hygrische Halluzinationen
(Wahrnehmung von Nässe
und Flüssigkeiten) ausgesondert. Interessant sind die Halluzinationen
im Muskel-
sinn (Cramer)[FNl). Der Boden hebt und
senkt sich, das Bett wird gehoben. Die
Kranken versinken, fliegen, fühlen sich federleicht, gewichtslos.
Ein Gegenstand
wiegt in der Hand auffallend leicht oder schwer. Die Kranken glauben
Bewe-
gungen zu machen, während sie in Wirklichkeit unbewegt sind, JP3.55e1erleben
eigenes
Sprechen, ohne zu sprechen (Halluzinationen im Sprechapparat). Die
Trug-
wahrnehmungen von Bewegungen äußerer Gegenstände werden
als Halluzina-
tionen im Muskelsinn der Augen, die Stimmen im Sprachapparat als Halluzinationen
[>56]
in den Muskeln dieses Gebiets aufgefaßt. - Ein Teil dieser Halluzinationen
und
andere besonders Schwindelzustände werden als Halluzinationen
im Vestibu-
larapparat gedeutet. Zahllos sind die
Angaben der Kranken über Organ-
sensationen. Kopf und Glieder sind dick
geschwollen, Teile sind verdreht,
Glieder werden abwechselnd größer und kleiner. Es wird mit
Drähten an Haaren
und Zehen gezogen usw. Mit vielen dieser Sinneswahrnehmungen scheint
das
leibhaftige JP3.55E3Erlebnis,
daß es von außen gemacht wird,
einherzugehen. Die
Kranken deuten nicht etwa beliebige abnorme
Organsensationen so, sondern
nehmen dies "von außen" sofort wahr. So beobachtet man, daß
dieselben Kranken
Schmerzen und Empfindungen bei körperlichen Krankheiten (Angina,
Gelenk-
rheumatismus) richtig auffassen, dagegen ihre besonderen Empfindungen
als von
außen gemacht JP3.55e2erleben.
- Das Empfinden der körperlichen Existenz über-
haupt wird verändert: der Kranke fühlt sich als bloße
Seifenblase, fühlt, daß
seine Glieder aus Glas sind oder wie sonst die zahllosen Umschreibungen
lauten."
FN55- 1) Cramer:
Die Halluzinationen im Muskelsinn, Freiburg 1889.
S. 58: "Es handelt sich bei solchen Trugerinnerungen
um das Phänomen,
daß den Kranken eine Vorstellung auftaucht von einem früheren
JP3.58e1Er-
leben mit dem lebhaften Gefühl
der Erinnerung, während in Wahrheit
nichts, nicht einmal eine Grundlage wirklich erinnert, sondern alles
neu erschaffen wird. Es gibt nun aber
offenbar ähnliche Phäno-
mene, in denen nicht alles neu geschaffen wird, sondern wirkliche
Szenen auf diese Weise umgeschaffen werden,
z. B. eine harmlose
Wirtshausszene in ein Vergiftungs- und JP3.58E1Hypnoseerlebnis.
Und schließ-
lich gibt es solche Trugerinnerungen auch ganz harmlosen Inhalts:
ein Kranker behauptet, vor einer Stunde Besuch gehabt zu haben,
während er in Wahrheit allein zu Bett lag. Hier bleibt das Merkmal
des "Einfalls" schließlich allein übrig neben dem Eindruck
des "elemen-
taren" Phänomens, das subjektiv manchmal solche Dinge noch von
den
normalpsychologischen Erinnerungsverschiebungen unterscheiden läßt."
Allgemeine-Psychopathologie-1946,
völlig neu bearbeitete Auflage, danach unveränderte Neuauflagen
[GB]:
Sachregistereinträge:
Erleben und die Aufgabe der Phänomenologie
45, 47ff.;
Psychotisches E. 123ff, 127f.;
Wirklichkeitse.
und Wahn. 78ff.
Erlebnis.
Erstes E., Bedeutung in der Geschichtlichkeit
des Lebens 585f.;
Bedeutung frühester E; 269,
329,587f.;
Nachwirkung früherer E. 307ff,
328ff;
E. der Entwicklung 589f; Pathologische
E.formen 123ff.;
deliröse E. 126; E.
in Gifträuschen 126f, 389ff.; Wahne.
149ff., 152ff.;
Aus E. verstehbare Inhalte wahnhafter
Ideen 341f.; Verwandlung des
E.gehalts. in der Schizophrenie
237f.;
Durch seelische E. in Bewegung gebrachte
Mechanismen 304ff.;
E. der akuten schizophrenen Psychosen 127f.
Erlebnisreaktionen 305f.; Nachwirkung
früherer Erlebnisse 307ff., 317ff.;
pathologische E. 319ff.; Psychische
Traumata 336, 588;
Zerstörende und aufbauende Wirkungen der E.
(Auflösungstendenzen
und Ganzheitstendenzen) 331ff.
Erlebnisweisen, Differenzierung 11f.
Fundstellen in Google Books [Abruf
25.12.2022]
erleben 99; erlebt 92; Erlebnis 71; innere Wahrnehmung 9 Pseudotreffer,
da Google nicht nach "innerer Wahrnehmung", sondern nach "innerer" einerseits
und "Wahrnehmung" andererseits sucht. Definition 78, 284 (kein Erleben),
definiert 8 (kein Erleben: 12, 229, 265, 266, 274, 368, 369, 448), definieren
2 (26, 577).
Auswertung und Dokumentation der ersten rund 30 Fundstellen, S.2
bis 73:
Zur Methode der
Fundstellen-Textanalyse. * Hauptbedeutungen
Erleben und Erlebnis
Erleben wird von Jaspers in den ersten rund 30 Erwähnungen S.2-73,
nicht definiert oder näher erläutert, sondern anscheinend als
allgemein verständlicher Grundbegriff verwendet, der keiner Definition
oder näheren Erläuterung bedarf, auch nicht durch Querverweise,
Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis.
Signierung JP4 Jaspers Allgemeine Psychopathologie 4. Auflage 1946 ff,
e:= erleben, erlebt, E:= Erlebnis..., danach Anzahl der Erwähnung
auf der Seite.
Fundstellen über Google
Books gesucht und gelegentlich über 5. Auflage (1948), die mir
vorliegt, überprüft.
-
S. 2: "... Wir wollen wissen, was und wie Menschen JP4.2e1erleben,
wir wollen die Spannweite der seelischen Wirklichkeiten kennenlernen. Und
nicht nur das
-
JP4.2e2Erleben der Menschen,
sondern auch die Bedingungen und Ursachen, von denen es abhängt, ..."
-
S. 8: "... Wir erfahren sie zwar in uns als bewußtes
JP4.8e1Erleben
und vergegenwärtigen das JP4.8e2Erleben
des Anderen, sei es aus den objektiven Erscheinungen, sei
es aus Mitteilungen von Berichten über das je eigene
JP4.8e3Erleben.
Aber auch dieses JP4.8e4Erleben
ist Erscheinung. ..."
-
S. 9: "Es ist zweitens gegenständliches Bewußtsein, ein
Wissen von Etwas, und steht als solches im Gegensatz zu einem innerlichen
JP4.9e1Erleben
als dem Unbewußten, dem die Spaltung in Ich und Gegenstand noch abgeht.
Es ist drittens Selbstreflexion. ..."
-
S. 10: "... Oft hat ein Mensch selbst das Bewußtsein, daß ihm
aus eigenen außerbewußten, unbekannten Tiefen ein JP4.10e1Erleben
entgegentritt oder ihn überwältigt.
-
Die Vieldeutigkeit dessen, was mit dem Unbewußten
gemeint ist, ist zweckmäßig in folgender ..."
-
S. 12: "... Derselbe Haschisch ruft bei einem Menschen ein stumpfes Wohlgefühl,
eine polternde Lustigkeit, bei dem andern ein JP4.12e1reiches,
JP4.12e2märchenhaftes,
JP4.12e3seliges
Erleben hervor. Dieselbe Krankheit, z. B. die Dementia praecox,
ist bei dem einen durch ..."
-
S. 23: "... 4. Es besteht die eigentümliche Tatsache, daß wir
seelisch
JP4.23e1erleben,
ohne selbst von der Weise unseres JP4.23e2Erlebens
zu wissen. Wenn Kranke z. B. gehemmt sind, was wir objektiv in der
Verlangsamung der Reaktionen oder objektiv durch Einfühlen ..."
-
S. 28: "... den Weg des Endlosen beschreiten, die Endlosigkeit versuchen,
um den Stoß zu JP4.28e1erleben und
- erfüllt von dem Material, das auf diesem Wege lag - den Einfall
zu gewinnen, der ordnet, gliedert, übersehbar und wesentlich macht.
..."
-
S. 42: "Was man mit einem Blick sehen, im Umgang und Unterhaltung JP4.42e1erleben,
in faktischen Untersuchungen ergründen kann, das kann die umständlichste
Darlegung eines Buches nicht vermitteln. Wo aber eigene Erfahrungen gemacht
sind, ..."
-
S. 47: "Die Phänomenologie1 hat
die Aufgabe, die seelischen Zustände, die die Kranken wirklich
JP4.47e1erleben,
uns anschaulich zu vergegenwärtigen, nach ihren Verwandtschaftsverhältnissen
zu betrachten, sie möglichst scharf zu begrenzen, ..."
-
S. 48: "zumute ist. ist der Anfang, bei dem zunächst von Zusammenhängen,
vom JP4.48e1Erleben als Ganzem,
erst recht von Hinzugedachtem, zugrunde liegend Gedachtem, theoretischen
Vorstellungen ganz abzusehen ist. Nur das wirklich im Bewußtsein
..."
-
S. 49: "Was wir unmittelbar JP4.49e1erleben,
ist ein Beziehungsganzes, das wir in sich gliedern, um die Phänomene
beschreiben zu können. Jederzeit ist dies Beziehungsganze gegründet
in der Weise des JP4.49e2Raum- und Zeiterlebens,
des Leibbewußtseins, ..."
-
S. 51: "... In der Reihe der folgenden Paragraphen werden die abnormen
Phänomene beschrieben, indem wir vom Gegenständlichen zum JP4.51e1Raum-
Zeit-Erleben, zum Leibbewußtsein und zum Realitätsbewußtsein
mit den Wahnideen, dann über die Gefühlszustände, ..."
-
S. 54: "... daß die entsetzten und rastlosen Kranken - die dann meist
noch andere heftige Störungen haben - die Gefühle als Wirklichkeit
JP4.54e1erleben
und Urteilserwägungen überhaupt nicht mehr zugänglich sind.
Nun ist ihnen die Welt entschwunden. ..."
-
S. 64: "Alle Kritik ist Unsinn gegenüber dem JP4.64e1Erleben
des Unmöglichen (Beringer),
-
S. 64 e) Vorstellungsanomalien. Trugerinnerungen. Wir haben
die Phänomenologie der abnormen Wahrnehmungen beschrieben. Mit den
Pseudohalluzinationen kamen wir zur ..."
-
S. 65: "Es handelt sich bei solchen Trugerinnerungen um das Phänomen,
daß den Kranken eine Vorstellung auftaucht von einem früheren
JP4.65e1Erleben
mit dem lebhaften Gefühl der Erinnerung, während in Wahrheit
nichts, nicht einmal eine Grundlage wirklich erinnert, sondern alles neu
erschaffen wird. ..."
-
S. 67: "... Das JP4.67e1raum-zeitliche Erleben
des Daseins können wir sinnlich nicht überschreiten, und können
es auch nicht verlassen, sondern sind immer darin. Raum und Zeit nehmen
wir daher nicht für sich wahr wie andere Gegenstände, sondern
mit den Gegenständen nehmen wir sie wahr, und im gegenstandslosen
JP4.67e2Erleben
nochsind wir der Zeit inne. ..."
-
S. 68: "... Die Universalität von Raum und Zeit verführte, sie
mißzuverstehen als das Grundsein: es ist jedoch falsch, Raum und
Zeit zum Sein selbst, ihr JP4.68e1Erleben
zum JP4.68e2Grunderleben
zu verabsolutieren. Wenn auch alles, was für uns ist. räumliche
und zeitliche Gestalt hat, ..."
-
S. 70: "Dieses JP4.70e1Erleben
schließt in sich ein ursprüngliches Bewußtsein von einem
Bestehenbleibenden: ohne das Gleichbleibende in derzeit kein Bewußtsein
des Zeitverlaufs. Das Bewußtsein des Zeitverlaufs ist ein JP4.70e2Erleben
ursprünglicher
Kontinuität ..."
-
S. 71: "... Dies JP4.71e1Erleben
hat war nicht den elementaren Charakter der vorhergehenden Fälle,
aber in diesem sich und die Zeit zugleich symbolisierenden Gefühl
steckt auch etwas Elementares: Der Zeiger geht ganz leer voran, die Uhr
läuft ganz leer..."
-
S. 73: "Das schizophrene JP4.73e1Erlebendes
Zeitstillstands, des Ineinanderfließens der Zeiten, des Zusammenbruchs
der Zeit. Sehr merkwürdige, zugleich elementare
und bedeutungsgefüllte JP4.73E1Erlebnisse
von
sinnlicher Gegenwärtigkeit und metaphysischer ... "
Literatur
(Auswahl) > Links.
Links (Auswahl:
beachte)
Allgemeine Psychopathologie 1923, 3. A. [Online-PDF]
Allgemeine Psychopathologie 1946, 4. A. [GB]
Glossar,
Anmerkungen und Endnoten:
GIPT= General
and Integrative
Psychotherapy, internationale Bezeichnung
für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
___
Querverweise
Standort: Erleben und Erlebnis in Karl Jaspers
Allgemeiner Psychopathologie.
*
Allgemeine Psychopathologie
- Jaspers 1948 (5.A.). Hilfsseite zum Katalog der
potentiellen forensischen Gutachtenfehler (MethF). Methoden- und
Methodenproblembewusstsein in der - forensischen - Psychiatrie.
Haupt- und Verteilerseite
Die Erforschung des Erlebens und der Erlebnisse
Zur Methode der Fundstellen-Textanalyse.
* Hauptbedeutungen
Erleben und Erlebnis
*
*
Dienstleistungs-Info.
*
Zitierung
Sponsel, Rudolf (DAS).
Erleben und Erlebnis in Karl Jaspers Allgemeiner Psychopathologie. IP-GIPT.
Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/erleben/Jaspers.htm
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korrigiert: 25.12.2022 irs Rechtschreibprüfung
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Änderungen wird
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und Kritik willkommen
25.12.2022 irs
Rechtschreibprüfung und gelesen
25.12.2022 Vorläufiger
Abschluss (noch nicht zweit korrigiert)
24.12.2022 Sichtungen
und Auswertungen
23.12.2022 angelegt.