Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=27.11.2022 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 01.12.22
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
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    _Erleben und Erlebnis in Eislers Wörterbuch, im Historischen Wörterbuch der Philosophie und in der Enzyklopädie für Philosophie und Wissenschaftstheorie_Datenschutz_Überblick__Rel. Beständiges _Titelblatt_ Konzept_ Archiv_ Region_ English contents__ Service_iec-verlag__Dienstleistungs-Info * _ Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie,
    Abteilung Allgemeine Psychologie, Bereich Erleben, und hier speziell zum Thema:

    Erleben und Erlebnis in Eislers Wörterbuch, im  Historischen Wörterbuch der Philosophie  und in der  Enzyklopädie für Philosophie und Wissenschaftstheorie

    recherchiert und ausgewertet von Rudolf Sponsel, Erlangen



    Eisler Wörterbuch der philosophischen Begriffe
    Abruf 22.10.22: https://www.textlog.de/3961.html
     
      Zusammenfassung-EislerWBdpB: Eisler hat keinen Eintrag "Erleben", nur einen zu "Erlebnisse". Zum Erlebnis gehört nach Eisler Bewusstheit. Er zitiert Külpe, Husserl, Cornelius und Lasswitz (letzterer unverständlich).

      "EPB1Erlebnisse1 sind alle psychischen Vorgänge, durch welche einem Subjekt (Ich) ein Inhalt, Etwas präsent, bewußt wird. Mit ihnen als solchen beschäftigt sich die Psychologie (s. d.). Nach KÜLPE sind Erlebnisse »die ursprünglichen Data unserer Erfahrung, was den Gegenstand der Reflexion bildet, ohne selbst eine zu sein« (Gr. d. Psychol. S. 1). EPB2Erlebnisse1 sind nach HUSSERL »die realen Vorkommnisse, welche von Moment zu Moment wechseln, in mannigfacher Verknüpfung und Durchdringung die reale Bewußtseinseinheit des jeweiligen psychischen Individuums konstituieren« (Log. Unt. II, 326). H. CORNELIUS bemerkt: »Unmittelbar gegeben... sind uns... nur unsere EPB3Erlebnisse1, die zeitlich verlaufenden, rastlos wechselnden Erscheinungen unseres psychischen Lebens« (Einleit. in d. Philos. S. 324). K. LASSWITZ sieht im »EPB1Erleben2« »nur die Beziehung dafür, daß eine Veränderung des Systems stattfindet, welches mein Ich heißt; aber es bedeutet nicht, daß eine andere Art des Seins zu der Veränderung meines Leibes hinzutrete« (Wirklichk. S. 95). Vgl. Aktualitätstheorie, Psychisch."
       

        Aktualitätstheorie: a. metaphysische = die Lehre, daß die Wirklichkeit nicht in einem (ruhenden) Sein, sondern in Wirksamkeit (actus), (lebendigem, schöpferischem) Tun, in einem Werden, in stetiger Entwicklung und Selbstverwirklichung besteht; b. psychologisch = die Ansicht, daß das Psychische im Bewußtsein selbst besteht, real ist, die Auffassung des Bewußtseins (der Seele) als Geschehen, Tätigkeit, Prozess. Gegensatz: Substantialitätstheorie (s. Seele).
            Der Begründer der metaphysischen Aktualitätstheorie ist HERAKLIT mit seiner Lehre vom ewigen Werden (s. d.) ohne ruhendes Sein. Auf ein geistiges Schaffen, Produzieren führt PLOTIN das Sein zurück (Enn. VI, 8, 20). J. G. FICHTE nimmt als das Ursprüngliche das unendliche Tun des absoluten Ich (s. d.) an, welches das Sein erst setzt. Nach HEGEL ist die »Idee« (s. d.) als Weltgrund absoluter Prozeß, dialektische Entwicklung. Nach HEINROTH ist die Kraft (s. d.) das Primäre, die Substanz ein Abgeleitetes. »Es ist daher nur ein Schein, eine Täuschung, die uns außer der Kraft noch ein von ihr verschiedenes Substrat, als Bedingung ihrer Wirklichkeit, annehmen läßt« (Psychol. S. 273). SCHOPENHAUER bestimmt das Sein als Product der Willenstätigkeit (s. d.). Nach WUNDT sind die Wirklichkeitsfaktoren Willenseinheiten, aber nicht als tätige Substanzen, sondern als »substanzerzeugende Tätigkeiten« (Syst. d. Phil.2, S. 419 ff.). Es gilt der Satz: »so viel Aktualität, so viel Realität« (Eth.2, S. 459). Die Verbindungen der Willenseinheiten zu einem Gesamtwillen sind daher ebenso real, ja, viel wirkungsvoller, realer als sie selbst. Die aktuelle Willenseinheit ist »nur das letzte Glied in einer unendlichen Reihe vorauszusetzender Tätigkeiten, die alle bloß in der ihnen zukommenden Verbindung Wirklichkeit haben und deren Wechselbestimmungen daher in diesem Sinne realer sind als sie selber« (l.c. S. 422 ff.).
            Die psychologische Aktualitätstheorie geht eigentlich schon auf PROTAGORAS zurück, der gesagt haben soll, die Seele sei nicht para tas aisthêseis (Diog. L. IX, 51). Bei ARISTOTELES kommt sie insofern vor, als er die Seele (s. d.) als Entelechie (s. d.) bestimmt. Nach SPINOZA ist die Seele keine Substanz. sondern die aus Teilideen zusammengesetzte »idea corporis« (Eth. II, prop. XV). HUME faßt die Seele geradezu als »Bündel« von Bewußtseinsinhalten ohne substantiellen Träger auf. Es gibt keine Seele außer dem aktuellen Bewußtsein (Treat. IV, sct. 5, sct. 6). Als Tätigkeit gilt die Seele bei J. G. FICHTE (»die Intelligenz ist dem Idealismus ein Tun und absolut nichts weiter; nicht einmal ein Tätiges soll man sie nennen« WW. I, 1, S. 440), SCHELLING, HEGEL (der Geist ist »absolute Aktualität«, Encykl. § 34), SCHOPENHAUER, als Kraft bei HEINROTH (Psychol. S. 270 ff.). FECHNER erklärt ausdrücklich: »Im Bewußtsein gibt es... einen steten Fluß, Wechsel, ewige Veränderung dessen, was darin erscheint... wohl aber beharrliche Verhältnisse, feste Gesetze.« »Was fest in sich ist, braucht nicht auf Festes aufgeklebt zu werden« (Üb. d. Seel. S. 205). Ähnlich PAULSEN: »Soll ein ›Träger‹ für das Seelenleben gefunden werden, so muß man ihn nicht in einem isolierten, starren Wirklichkeitsklötzchen suchen, das man ›absolut setzt‹, sondern in dem umfassenden Ganzen, aus dem, an dem und in dem es ist« (Einl. in d. Phil. 2, S. 136). WUNDT versteht unter der Aktualitätstheorie die Tatsache, »daß jeder psychische Inhalt ein Vorgang (actus) ist«, daß das Psychische Ereignis, Geschehen und nicht ruhendes Sein, sowie daß es unmittelbare Wirklichkeit, nicht Erscheinung ist (Phil. Stud. X, 101; XII, 42, 81 f.). Das geistige Leben ist »nicht eine Verbindung unveränderter Objekte und wechselnder Zustande, sondern in allen seinen Bestandteilen Ereignis, nicht ruhendes Sein, sondern Tätigkeit, nicht Stillstand, sondern Entwicklung« (Vorles.2, S. 495; Ess. 4, S. 115). Das Psychische ist als »ein fortwährend wechselndes Geschehen in der Zeit, nicht als eine Summe beharrender Objekte, wie dies meist der Intellectualismus infolge jener falschen Übertragung der von uns vorausgesetzten Eigenschaften der äußeren Gegenstände auf die Vorstellungen derselben annimmt« (Gr. d. Psych.5, S. 17 f.). Die innere Erfahrung ist »ein Zusammenhang von Vorgängen«, sie besteht aus »Prozessen« (l.c. S. 18 f.). Von diesem Standpunkte aus erklärt sieh auch das Verhältnis von Seele und Leib (l.c. S. 388). Als »reines substratloses Geschehen« bestimmt auch JERUSALEM das Psychische (Urteilsf. S. 7; Lehrb. d. Psych.3, S. 3). Den Aktualitätsstandpunkt (mindestens im Sinne des Erlebnischarakters des Psychischen) vertreten ferner: VON HARTMANN (Phil. d. Unb.3, S. 401), aber nur für das Bewußtsein, hinter dem doch noch ein »funktionierendes Subjekt, das als Substanz zu bezeichnen ist«, steht (Krit. Wander. S. 95), H. SPENCER (auch nur empirisch, Psych. § 469), A. SPIR (Viertelj. f. w. Ph. IV, 370), HÖFFDIG, SULLY, JAMES, BALDWIN, LADD, VILLA, REHMKE, RIEHL, JODL, WAHLE u. a. Die Theorie (Seele = Tätigkeit) wird bekämpft von VOLKMANN (Lehrb. d. Psych. I4, S. 62), A. VANNÉRUS u. a. Vgl. Seele.




    Historisches Wörterbuch der Philosophie
    Cramer, K. (1972) Erleben, Erlebnis in (Sp 702 ff)  Ritter, Joachim (1972, Hrsg.) Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 2: D-F. Darmstadt: WBG.

    Das Handwörterbuch fasst Erlebnis und Erleben als Eintrag zusammen.

    1Erlebnis E.  2erleben  3Erlebtseins 4erlebende 5Erlebte 6Geleben 7E.begriff8E.gehalt 9Wahrnehmungs-E. 10E.-Theorien

    Zusammenfassung-HWdPh
    Der Artikel ist sehr hilfreich, weil er den Gebrauch von Erleben und Erlebnis seit der Aufklärung, dem Aufkommen der Begriffe, referiert und so viel Arbeit erspart. Der Artikel gebraucht folgende Formulierungen:

    • 1Erlebnis bzw. E.  83
    • 2erleben bzw. Erleben 40
    • 3Erlebtseins 10
    • 4erlebende 2
    • 5Erlebte 6
    • 6Geleben 1
    • 7E.-Begriff 10
    • 8E.gehalt 1
    • 9Wahrnehmungs-E. 2
    • 10E.-Theorien 1


    1.1Erlebnis» (E.) und «2.1Erleben»  gewinnen erst Mitte des 19.Jh. gemeinsam die Stellung philosophischer Termini und steigen in der Folge zu erkenntnistheoretischen Grundbegriffen auf.
    «2.17Erleben» heißt zunächst «noch am Leben sein, wenn etwas geschieht». Von daher trägt das Wort den Ton der Unmittelbarkeit, mit der etwas Wirkliches erfaßt wird, die keiner fremden Beglaubigung bedarf und aller vermittelnden Deutung vorhergeht.
    Die wohl erste, überraschend frühe Definition von «1.15E.» findet sich in der dritten Auflage von W.T. KRUGS «Encyklopädischem Lexikon in bezug auf die neuste Literatur und Geschichte der Philosophie» von 1838 [15]: «1.16E. heißt alles, was man selbst erlebt (empfunden, geschaut, gedacht, gewollt, gethan oder gelassen) hat. Solche 1.17E. sind also die Grundlage der eigenen Erfahrung, wenn man dadurch richtige Ergebnisse zu ziehen versteht.» Krugs Verweise auf die Artikel «Ergebnis» und «Empirie» verdeutlichen, daß er als 1.183E. gerade und nur das gelten lassen will, was sich, wie immer auch durch höhere Akte bestimmt, zur eigenen Erfahrung wie die Prämisse zur Konklusion (= Ergebnis) verhält. 1.18E. sind nicht die Strukturen, die eigene Erfahrung als solche ausmachen, sondern nur deren Grundlage. Lotze (Mikrokosmos): 1.27E. sind nicht subjektive Grundlage der Erfahrung, sondern repräsentieren die eigentliche Wirklichkeit dessen, was Erfahrung heißt.
    Erst DILTHEY entwickelt auf der Grundlage des ihn durchgängig beherrschenden Motivs der erkenntnistheoretischen Begründung des eigenen Wahrheitsanspruchs der Geisteswissenschaften eine Theorie des 1.46E.
    Um die Jahrhundertwende werden <1.73E.> und <2.35Erleben> schlagartig zu philosophischen Modebegriffen, die für die verschiedensten systematischen Intentionen in Logik, Erkenntnistheorie, Ästhetik, Ethik, Psychologie und Anthropologie einstehen. Sie treten nun auch massenhaft in den Psychologien und psychologischen Subjektivitätstheorien auf, die unmittelbar oder in ihren Konsequenzen naturalistisch bleiben. In vielfältig schillernder Auslegung seiner hermeneutisch-anthropologischen Bedeutung bleibt <1.74E.> ein Grundbegriff der Lebens- und der Weltanschauungsphilosophie des ersten Drittels des 20.Jh., die weniger auf die Wirksamkeit Diltheys als auf den Einfluß NIETZSCHES und BERGSONS zurückgehen. Hier liefern G. SIMMEL, der für den Aufstieg von <1.75E.> zu einem Modewort mitverantwortlich zu machen ist, und SCHELER, der eine «vom 2.36Erleben der Wesens- [Sp 709] gehalte der Welt» [38] ausgehende Philosophie fordert, bedeutende Beiträge zur Phänomenologie des Lebens und konkreter 1.76E. [39].

    Der Wortgebrauch Erlebnis im 18./19. Jhd. nach den Ausführungen im HWdP
     
    Philosoph(en), Psychologen u.a. E.Gebr. Bemerkung
    Beneke 1798-1854 Nein
    Bergson Ja
    Brentano Ja
    Carus 1789-1869 Nein
    Cramer, W.  Ja
    Dilthey 1833-1911 Ja
    Fechner 1801-1887 Nein
    Fichte 1796-1879 Ja
    Fortlage 1806-1881 Nein
    Fries 1773-1843 Nein
    Grimm, Jacob 1785-1863
    Grimm, Wilhelm 1786-1859
    Ja
    Hamman 1730-1788 Nein
    Hegel 1770-1831 Nein
    Heidegger Ja
    Herbart 1776-1841 Nein
    Herder 1744-1803 Nein
    Hönigswald Ja
    Husserl Ja
    Jacobi 1743-1819 Nein
    Kant 1724-1804 Nein
    Kantianer (Wikipedia) Nein
    Krug 1770-1842 Ja 1838, Lexikon
    Lotze 1817-1881 Ja
    Müller, Joh. 1801-1858 Nein
    Natorp Ja
    Nietzsche Ja
    Scheler  Ja
    Schelling 1775-1854 Nein
    Schlegel, F. 1772-1829 Nein
    Schleiermacher 1768-1834 Nein
    Weber, E .H. 1795-1878 Nein
    Weisse, Ch. H. 1766–1832. 1766–1832 Ja
    Wittgenstein  Ja

    Ende der Zusammenfassung.

    "Erleben, Erlebnis. «1.1Erlebnis» (E.) und «2.1Erleben»  gewinnen erst Mitte des 19.Jh. gemeinsam die Stellung philosophischer Termini und steigen in der Folge zu erkenntnistheoretischen Grundbegriffen auf. Das späte Auftreten von <1.2E.>  erklärt sich dadurch, daß die Prägung des Wortes als Sekundärbildung zu <2.2Erleben>  erst in das frühe 19.Jh. fällt [1]. Aber auch das im literarischen Sprachgebrauch der Goethezeit und früher häufige <2.3Erleben>, dem ein altes, in der Bedeutung von <durch Leben erwerben und im Leben festhalten> im Sprachgut der Mystik nachweisbares <6.1Geleben>  zur Seite stand [2], tritt in philosophischem Zusammenhang erst spät auf. In der Schulphilosophie des l8.Jh. läßt es sich im [> Sp. 703] Unterschied zu <Leben> und <Erfahrung> überhaupt nicht, bei Kant und den Kantianern, Schelling und Hegel nicht in begrifflicher Funktion nachweisen. Das Gleiche scheint auch für deren zeitgenössische Kritiker Hamann, Herder, Jacobi, Fries, Schleiermacher, F. Schlegel u. a. zu gelten. Auch ist <2.4Erleben> ursprünglich kein Terminus der in der ersten Hälfte des 19.Jh. nach naturwissenschaftlichem Vorbild entwickelten Psychologie, Sinnesphysiologie und Psychophysik. Als begriffliches Substitut für <Psychisches> scheint sich <2.5Erleben> weder bei Herbart, Beneke, C. G. Carus und Fortlage noch bei J. Müller, E. H. Weber und Fechner zu finden. Eine Ausnahme macht aber J. G. FICHTE, bei dem <2.6Erleben> in allerdings noch unselbständiger begrifflicher Funktion als Interpretament von <Leben> auftritt. Das in der ununterschiedenen Einheit von Realität und Leben implizierte transitive Moment des Selbstvergessenseins des Subjekts im Zustand reflexionsloser Erfülltheit durch seinen jeweiligen Inhalt drückt Fichte durch die Konjunktion «leben und 2.7erleben» [3] aus. Dieser Zustand ist Grundlage und Ausgangspunkt einer transzendentalen Theorie des Wissens, in der seine ihm selbst notwendig verborgene Bestimmtheit zu Begriff kommt. Diese Theorie erweist ihren Wirklichkeitscharakter dadurch, daß sie selbst ein auffindbarer, «nicht gegebener» [4] Modus von Leben und 2.8Erleben ist, zu dem sich das Subjekt im freien Akt des Zusichselbstkommens erhebt. Das ursprünglich gegebene Leben und 2.9Erleben ist daher das Letztgegebene für alle Theorie; die Gegebenheitsweise von Leben und 2.10Erleben begrenzt jedoch nicht, sondern eröffnet gerade die Möglichkeit und Notwendigkeit seiner begrifflichen Konstruktion in der Theorie als einer «höheren Reihe des Lebens und der Wirklichkeit» [5]. <2.11Erleben> tritt so erstmals relevant in einem Zusammenhang auf, der die Eigentümlichkeit des so benannten Sachverhalts nicht kritisch gegen die Idee einer transzendentalen Theorie der Subjektivität einsetzt, sondern zu ihrem Grund und Maßstab selbst erhebt.
        Einen allgemeinen begrifflichen Gebrauch von <2.12Erleben> scheint jedoch erst das Verfügen über die in der neuen Wortbildung <1.3E.> gelegenen Bedeutungsmomente nach sich gezogen zu haben. Die Begriffsgeschichte von <2.13Erleben> ist insofern die von <1.4E.>, als <2.14Erleben> terminologisch erst dort auftritt, wo es als dessen verbale Form bzw. nominales Synonym (das 2.15Erleben) gebraucht wird. Das Motiv zu der neuen Wortbildung ist der Bedeutungsanalyse von <2.16Erleben< zu entnehmen. <2.17Erleben> heißt zunächst <noch am Leben sein, wenn etwas geschieht>. Von daher trägt das Wort den Ton der Unmittelbarkeit, mit der etwas Wirkliches erfaßt wird, die keiner fremden Beglaubigung bedarf und aller vermittelnden Deutung vorhergeht. Das 4.1Erlebte ist stets das Selbsterlebte, dessen Gehalt sich keiner Konstruktion verdankt. Zugleich bezeichnet die Form <das 4.2Erlebte> solches, was im Fluß des unmittelbaren 2.18Erlebens als der aus ihm ermittelte Ertrag Dauer und Bedeutsamkeit für das Ganze eines Lebenszusammenhangs gewonnen hat. Beide Bedeutungsmomente erscheinen in der Wortprägung <1.5E.> in verdichteter Weise produktiv vermittelt: zum 1.6E. wird ein Erlebtes, sofern es nicht nur schlicht erlebt wurde, sondern sein 3.1Erlebtsein einen besonderen Nachdruck hatte, der ihm bleibende Bedeutung sichert. Im 1.7E. ist der 4.1Erlebende aus dem Trivialzusammenhang seines <sonstigen>  2.19Erlebens herausgehoben und zugleich bedeutsam auf das Ganze seines Daseins bezogen. Was als 1.8E. gewertet wird, ist durch seine Bedeutsamkeit zur Einheit eines Sinnganzen zusammengeschlossen, das die [> Sp. 704] Unmittelbarkeit bloßen 2.20Erlebens ebenso übersteigt wie die Positivität der Bestimmtheit des einzelnen 1.9E. durch seinen Gegenstand und sich daher auch den Lebensmomenten mitteilt, die nicht in gleicher Weise Sinn gewähren. Da sich diese erschließende Leistung des 1.10E. in bezug auf den unvollendeten Fluß des 2.21Erlebens und in ihm zumal vollzieht, liegt in ihr aber auch die Unmöglichkeit einer vollendeten rationalen Vermittlung des 8.1E.-Gehalts. Insofern gehört es zum Wesen von 1.11E., seine betonte Unmittelbarkeit zu behalten und nicht in dem aufzugehen, was sich als seine Bedeutung festhalten läßt.
        Nach der Seite dieser hermeneutisch-spekulativen Verschränkung von Unmittelbarkeit und Vermittlung, die sich paradigmatisch in der Erfahrung von Religion, Liebe und Kunst (ästhetisches, religiöses 1.12E.) bekundet, hat der 7.1E.-Begriff seine romantisch-pantheistische Vorgeschichte in bedeutungsnahen Begriffen, die den Maßstab des <3.2Erlebtseins> polemisch gegen den Rationalismus der Aufklärung und den Kritizismus Kants sowie gegen Fichtes Theorie des Verhältnisses von Leben und Wissen und den absoluten Anspruch der spekulativen Methode Hegels in Kraft setzen.
        Dieser Maßstab benennt gegenüber den Abstraktionen des Verstandes und der Partikularität von Empfindung und Wahrnehmung sowie gegenüber dem Versuch einer absoluten Aufklärung der Bedeutung von Lebensinhalten durch dialektische Konstruktion ihres begrifflichen Gehalts eine im Leben und als Leben selbst aufgehende Totalität, der man in anderer Weise inne ist als durch begriffliche Vergegenständlichung oder einen Akt der Vernunft. Nach dem Vorgang von HERDER, HAMANN und besonders JACOBI macht FRIES die «Ahndung»  als die das «Ewige im Endlichen» [6] erfassende Erkenntnisart geltend, die als Bestimmung des «endlichen, eignen, innern Lebens» [7] «nur durch Gefühl ohne Begriff» [8] besteht. SCHLEIERMACHER setzt Hegels Konstruktion der geoffenbarten Religion die «Frömmigkeit» als das Wesen religiöser Erfahrung entgegen, die «rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins» [9] ist. NOVALIS fordert eine Realpsychologie, die davon ausgeht, daß «Leben sich schlechterdings nur aus Leben erklären» [10] läßt. Der späte F. SCHLEGEL entwickelt eine «Philosophie des Lebens» [11] als innere Erfahrungswissenschaft, die gegenüber der einseitigen Bevorzugung des dialektischen Vermögens der Abstraktion das «geistige innere Leben, und zwar in seiner ganzen Fülle, nicht bloß diese oder jene einzelne Kraft desselben» [12] zum alleinigen Gegenstand der philosophischen Denkart erhebt. Indem sie «nur das Leben» [13] voraussetzt, ist sie unmittelbar «Teil und Bestandteil des Lebens» [14]. Gemeinsam ist diesen Positionen die Überzeugung, daß sich das Absolute nicht absolut erkennen läßt, sondern einzig in der endlichen Realität eines menschlichen Zustands manifestiert, in dessen unbegrifflich-ungegenständlicher Innerlichkeit und Unmittelbarkeit die Spaltung in eine Subjekt- und Objektwelt keine aufweisbare Wirklichkeit ist. Begriffe wie <Ahndung>, <Gefühl>, <Sinn>, <Geschmack>, <Erregung>, <innere Stimmung>, <Innigkeit>, <Hineinleben>, <Darleben> u. a. versuchen nicht die psychologisch-empirische Bestimmtheit dieses Zustands anzugeben, sondern die ihm als Ausdruck der Selbstauslegung eines Lebensganzen spezifisch eignende Bedeutsamkeit zu beschreiben.
        Die ersten Belege für das Auftreten des Terminus <1.13E.> betonen jedoch nicht die romantisch-pantheistische [> Sp. 705] Komponente seines Bedeutungsgehalts, die unseren Sprachgebrauch von <1.14E.> auch noch in seinen Trivialabschattungen bis heute trägt, sondern gerade das Moment der baren Unmittelbarkeit des Selbsterlebtseins, das aller Vermittlung vorausliegt. Die wohl erste, überraschend frühe Definition von <1.15E.> findet sich in der dritten Auflage von W. T. KRUGS <Encyklopädischem Lexikon in bezug auf die neuste Literatur und Geschichte der Philosophie> von 1838 [15]: «1.16E. heißt alles, was man selbst erlebt (empfunden, geschaut, gedacht, gewollt, gethan oder gelassen) hat. Solche 1.17E. sind also die Grundlage der eigenen Erfahrung, wenn man dadurch richtige Ergebnisse zu ziehen versteht.» Krugs Verweise auf die Artikel <Ergebnis> und <Empirie> verdeutlichen, daß er als 1.183E. gerade und nur das gelten lassen will, was sich, wie immer auch durch höhere Akte bestimmt, zur eigenen Erfahrung wie die Prämisse zur Konklusion (= Ergebnis) verhält. 1.18E. sind nicht die Strukturen, die eigene Erfahrung als solche ausmachen, sondern nur deren Grundlage. Erfahrung wird erst durch spezifische logische Vermittlungen konstituiert, die sich zwar durchgängig auf 1.19E. beziehen, selbst aber nicht den Charakter der Unmittelbarkeit von 1.20E. haben. 1.21E. ist daher durch seine auf nicht-erlebnismäßige Vermittlung zu beziehende Unmittelbarkeit bloßen 3.1Erlebtseins definiert, d. h. in bezug auf sein bleibendes Ergebnis, das in ihm selbst nicht liegt.
    In einem der Krugschen Definition nahen Sinn läßt sich <1.22E.> in H. LOTZES <Metaphysik> von 1841 nachweisen. Die <Bildung> ist hier das <Ergebnis> der beobachtenden Behandlung von <1.23E.>. Im Unterschied hierzu führt Lotze in seinem <Mikrokosmos> von 1856ff. <1.24E.> jedoch als Definiens dessen ein, was gerade und nur durch die Seinsweise unmittelbarer innerer Präsenz die aller Vermittlung unbedürftige Leistung ist, den Sinn von Sein und Wirklichkeit aufzuschließen und darin Welt- und Selbsterfahrung ursprünglich zu konstituieren [16]. In Konkurrenz zu <1.25E.> stehen hier <innerer Zustand>, <inneres Leben>, <Ereignis des inneren Lebens>, <innere Erscheinung>, <Zustand unseres Erregtseins> u. a. Gegenüber der unmittelbaren Präsentation aller Gehalte und der ihnen immanenten Bedeutsamkeit im 1.26E. gilt die vermittelnde und objektivierende Leistung des Denkens als sekundäre Funktion der bloßen Nominalisierung innerer Zuständigkeiten bzw. als die logische Funktion des bloßen Trennens und Verbindens der stets im Modus des 2.22Erlebens gegebenen Inhalte. 1.27E. sind nicht subjektive Grundlage der Erfahrung, sondern repräsentieren die eigentliche Wirklichkeit dessen, was Erfahrung heißt. 1.28E. sind daher die Sinnesempfindungen, räumlichen Anschauungen, Lust- und Unlustgefühle ebenso wie die Gewißheit des Anspruchs des Schönen, der Anspruch einer Gesinnung auf Billigung, die Anschauung des Absoluten: «Die lebendigen Kräfte, die der Glaube in Gott angeschaut hat, bleiben dem Denken ebenso unzugänglich, als die sinnlichen Empfindungen, welche die Wahrnehmung bietet, ihren Inhalt erleben wir nur und haben ihn nicht durch Denken. Was gut und böse ist, bleibt ebenso undenkbar als was blau oder süß ist» [17]. Ebenso beruht die Möglichkeit, 1.29E. als eigene Zustände anzusehen, auf 1.30E. [18]. So ist <1.31E.> bei Lotze die Grundbestimmung von Bewußtsein und Selbstbewußtsein. Auch die erfahrene Differenz zwischen bloßem 2.23Erleben und dem, was durch seine spezifische Bedeutsamkeit in specie als 1.32E. gilt, wird von Lotze konsequent durch einen besonderen Modus von 2.24Erleben, das Wert- oder Geltungserlebnis erklärt. Die durch [> Sp. 706] Lotze in die Philosophie eingebürgerten Begriffe des Werts und der Geltung sind somit unmittelbar durch den 7.2E.-Begriff interpretiert und haben unbezüglich auf diesen keine angebbare Bedeutung. Lotzes Auszeichnung des 1.33E. ist für den spekulativen Irrationalismus seiner eigenen Stellung innerhalb der Philosophie nach Hegel bezeichnend: sie hat Ersatzfunktion für die abgelebte Methode dialektischer Konstruktion und beansprucht zugleich, den Sinnverlust rückgängig zu machen, den die Lebensbezüge des Einzelnen durch ihre naturwissenschaftliche bzw. materialistische Interpretation erfahren. So ist 1.34E. ein typisch nachhegelscher und zugleich den Anspruch der Naturwissenschaften des 19.Jh. kritisierender Begriff. Lotzes große Wirksamkeit auf das Bildungsbürgertum der Zeit ist für die Verbreitung des 7.3E.-Begriffs in der philosophischen Literatur des letzten Drittels des 19.Jh. mitbestimmend, sein wenig gewürdigter Einfluß auf Dilthey unbestreitbar [19].
        Gleichzeitig mit Lotze führt CH. H. WEISSE, bei dem sich ein früher expliziter, an Fichte anschließender Gebrauch von <2.25Erleben> nachweisen läßt [20], den Terminus <1.35E.> (stets in der Femininform «die») in seiner <Philosophischen Dogmatik oder Philosophie des Christentums> von 1855 ein. Bezeichnenderweise drängt auch bei Weisse das nachhegelsche Motiv der Bindung einer spekulativen Wissenschaft des gegenständlichen Gehalts des christlichen Glaubens an eine empirisch aufweisbare Basis zur Auszeichnung von <1.36E.>. Diese Basis ist eben «die 1.37Erlebnis des Inhalts der Glaubenserfahrung», mit der sich die Dogmatik als «wissenschaftliche Erkenntnis dieses Inhalts» [21] in einem propädeutischen Beweisgang zu <vermitteln> hat. Auch für Weisse besteht das Wesen des 3.3Erlebtseins der 1.38E. gerade darin, daß es keiner intersubjektiven Vermittlung und Mitteilung in Begriffen fähig ist. Die Wissenschaft kann daher nur an das im 1.39E. anschließen, was «an und für sich schon, noch vor ihrer Verarbeitung zur eigentlichen Wissenschaft Bewußtsein und gegenständliche Erkenntnis» [22] ist. Da dies nicht das ist, was das 3.4Erlebtsein im 1.40E. definiert, begnügt sich die Dogmatik damit, den Ort des religiösen 1.41E. im Seelenleben aufzuzeigen, und überläßt es jedem, es dort aufzusuchen: «Ihrem weiteren Gange wird dann allerdings nur derjenige folgen können, dem es gelungen ist, sie in seiner persönlichen 1.42E. aufzufinden. Denn dies ja doch könnte die Wissenschaft nimmer für ihre Aufgabe erkennen, dem Blinden die Farben oder dem Tauben die Klänge zu deuten» [23].
        In diesen frühen Auszeichnungen von 1.43E. bleibt der Bezug der Theorie über das im 1.44E. gegenständlich Gemeinte auf sein 3.5Erlebtsein ebenso ungeklärt wie die Beziehung zwischen 3.6Erlebtsein und erlebtem Gehalt. Ferner bleibt das hermeneutische Moment der Verschränktheit von Unmittelbarkeit und Vermittlung im <eigentlichen>1.45E. entweder unbestimmt oder tautologisch durch spezifische Modi von 1.46E. interpretiert, deren eigener Status ungeklärt bleibt. Erst DILTHEY entwickelt auf der Grundlage des ihn durchgängig beherrschenden Motivs der erkenntnistheoretischen Begründung des eigenen Wahrheitsanspruchs der Geisteswissenschaften eine Theorie des 1.47E. Er unterliegt nicht mehr den ungeklärten theoretischen Vorentscheidungen darüber, was das 3.7Erlebtsein des 1.48E. bzw. das eigentlich Psychologische am Psychischen ist, die dazu zwingen, als ursprüngliches Modell des inneren Gegebensein von 1.49E. die unausdrückbare Unmittelbarkeit des Habens von Sinnesdaten einzusetzen. Dilthey fordert gegenüber der naturalistischen Psychologie seiner Zeit, die den Zusammenhang des [> Sp.707] Seelenlebens durch Unterordnung des Psychischen unter einen hypothetisch erschlossenenen Kausalkonnex einer begrenzten Anzahl eindeutig bestimmter psychischer Elemente zu <erklären> unternimmt, eine <beschreibende und zergliedernde> Psychologie, die den in innerer Erfahrung aufweisbaren wahren Gegebenheitscharakter des Psychischen nicht überspringt [24]. Im Unterschied zu dem nur hypothetisch konstruierbaren Zusammenhang physischer Gegenstände, «welche im Bewußtsein als von außen, als Phänomene und einzeln gegeben auftreten», tritt, was psychische Tatsache ist, «von innen, als Realität und als ein lebendiger Zusammenhang originaliter» [25] auf. Wo Psychisches gegeben ist, «ist gerade der Zusammenhang ursprünglich und beständig im 2.26Erleben gegeben» [26], wo Psychisches gegeben ist, ist es in der Weise eines Zusammenhangs da, «der nicht hinzugedacht oder erschlossen, sondern 4.3erlebt ist» [27]. Psychischer Zusammenhang wird nicht nur erlebt, seine Gegebenheitsweise ist 2.27Erleben, und was 2.28Erleben und 1.50E. ist, ist es als dieser Zusammenhang. Die Begriffe <1.51E..> und <2.29Erleben> werden ausdrücklich identifiziert: «2.30Erleben und 1.52E. sind nicht eins vom andern abgeteilt; es sind Ausdruckswendungen für dasselbe» [28]. Der von 2.31Erleben bzw. 1.53E. ununterscheidbare Strukturzusammenhang des Psychischen [29] ist ein auf inneren Beziehungen beruhendes Beziehungsganzes. Dieser Strukturzusammenhang folgt nicht als ein Verursachtes aus der Sinneinheit ineinander verflochtener Willens-, Gefühls- und Vorstellungsleistungen, als die 1.54E. gegeben ist, auch wird dies Gegebensein des 1.55E. nicht erst durch den Strukturzusammenhang erzeugt. Was vielmehr 1.56E. als Zusammenhang und der Zusammenhang der 1.57E. ist, konstituiert sich in ursprünglicher Einheit durch die «Immanenz der Bedeutung in dem, dessen Bedeutung es ist» [30].
        Diese immanente Teleologie des durch seine Bedeutsamkeit je unabschließlich auf sich selbst hin ausgelegten 2.32Erlebens ist die ihm eignende Historizität und als solche die psychologisch-hermeneutische Basis des Aufbaus der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Diese Welt ist im Unterschied zur Natur Manifestation und Objektivation des 2.33Erlebens in Ausdrücken, die nicht hypothetisch-konstruktiv <erklärt>, sondern <verstanden> werden. Die Gleichartigkeit des historisch verstehenden Subjekts und seines als Ausdruck von 2.34Erleben verständlichen Objekts macht historisches Verstehen als einen methodisch expliziten Modus von Verstehen überhaupt möglich. Dilthey erhebt so das hemeneutisch-spekulative Moment des 7.4E.-Begriffs, das in dessen romantisch-pantheistischer Vorgeschichte dialektisch umspielt und auf die endliche Manifestation des Absoluten eingeschränkt erscheint, zur Grundbestimmung von <1.58E.>. Zugleich betrifft die Kategorie der Bedeutung als die dem 1.59E. immanente zirkuläre Bewegung, die es als Teil eines Lebensprozesses zu ihm als Ganzem und die dies Ganze zu ihm als Teil an sich hat, die Struktur des 3.8Erlebtseins des 1.60E. selbst. In ihm kann nicht ein Akt des Inneseins und ein Inhalt, dessen er inne ist, unterschieden werden: «Im 1.61E. ist Innesein und der Inhalt, dessen ich inne bin, eins» [31].
        Eine ähnlich universale Funktion besitzt der Begriff des <intentionalen 1.62E.> in der Phänomenologie E. HUSSERLS. Er wird in Husserls Kritik am logischen Psychologismus des ausgehenden 19.Jh. im Anschluß an F. BRENTANOS Theorie der Unterscheidung physischer und psychischer Phänomene [32] entwickelt. Intentionalität als die meinende Weise, in der sich ein 1.63E. als Bewußtsein [> Sp. 708] <von> etwas auf seinen Gegenstand bezieht, ist nicht eine Relation, in der das 1.64E. steht, sondern gehört zum eigensten Sinne von 1.65E. selbst. HUSSERLS Intentionalitätsforschung in Absicht auf eine objektive Theorie der Erkenntnis ist Wesensdeskription der unterschiedenen Weisen des <Wie> der Beziehung von 1.66E. auf ihre Gegenstände, denen auf der Seite der intentional vermeinten Gegenstände selbst korrelative Unterscheidungen entsprechen, die gleichzeitig zu thematisieren sind. Dies unterscheidet sie sowohl von Brentanos Beschränkung des intentionalen Gegenstands auf Reales bzw. Dinge bei aller Mannigfaltigkeit der Weisen des intentionalen Beziehens als auch von der Gegenstandstheorie A. MEINONGS, welche die intentionalen Charaktere der 1.67E. zwar als Ausgangspunkt der Exposition der verschiedenen Gegenstandsklassen benützt, diese dann aber absolut versteht: «Die den Gegenstand erfassenden 1.68Erlebnisse» sind «nicht etwa als für den Gegenstand irgendwie konstitutiv anzusehen» [33]. DILTHEY hat in seinem Spätwerk an Husserls intentionale Analysen angeschlossen [34].
        Unabhängig von diesen bestimmt P. NATORP im Schulzusammenhang des Marburger Neukantianismus «das subjektive Gegebensein der Erscheinung vor aller Objektivierung» [35], mithin das, was «das subjektive 1.69E. bloß als solches abgesehen von der Frage der objektiven Geltung des 4.4Erlebten» [36] ist, als das Problem einer transzendentalen Psychologie. Das psychische Dasein der 1.70E. oder «ihr subjektives Dasein allemal für ein Ich, abgesehen von der Frage nach dem Gegenstand, der darin erscheint» [37], ist für Natorp gerade wegen der stets gegenständlichen Objektivierung, die das 1.71E. an seinem Inhalt vollzieht, sofern es überhaupt einen bestimmten Inhalt hat, kein Gegebenes oder in innerer Wahrnehmung bzw. Reflexion in seiner Unmittelbarkeit Gebbares, sondern eine der Objektivierung korrelativ gegenläufige <unendliche Aufgabe>. Ihre Methode ist die Rekonstruktion des subjektiven 3.9Erlebtseins der 1.72E. aus den Objektivationen des gegenständlichen Habens. Sie deutet das gegenständlich Gehabte auf die Stufe bloß subjektiven Gegebenseins der charakteristischen Verbindungen zurück, die das Eigentümliche des Bewußtseins an dem, was sein Inhalt ist, zum Ausdruck bringen. Je expliziter daher Objektivierungen in Geltung sind und als Bedeutung vollzogen werden, desto sicherer gelingt die Rekonstruktion ihres subjektiven Gegebenseins im 1.73E. Die transzendentale Psychologie setzt daher das Objektivationssystem der exakten Wissenschaften und dessen philosophische Theorie, die transzendentale Logik, voraus, ist aber in bezug auf sie eine jederzeit mögliche korrelative Forschungspraxis.
        Um die Jahrhundertwende werden <1.74E.> und <2.35Erleben> schlagartig zu philosophischen Modebegriffen, die für die verschiedensten systematischen Intentionen in Logik, Erkenntnistheorie, Ästhetik, Ethik, Psychologie und Anthropologie einstehen. Sie treten nun auch massenhaft in den Psychologien und psychologischen Subjektivitätstheorien auf, die unmittelbar oder in ihren Konsequenzen naturalistisch bleiben. In vielfältig schillernder Auslegung seiner hermeneutisch-anthropologischen Bedeutung bleibt <1.75E.> ein Grundbegriff der Lebens- und der Weltanschauungsphilosophie des ersten Drittels des 20.Jh., die weniger auf die Wirksamkeit Diltheys als auf den Einfluß NIETZSCHES und BERGSONS zurückgehen. Hier liefern G. SIMMEL, der für den Aufstieg von <1.76E.> zu einem Modewort mitverantwortlich zu machen ist, und SCHELER, der eine «vom 2.36Erleben der Wesens- [Sp 709] gehalte der Welt» [38] ausgehende Philosophie fordert, bedeutende Beiträge zur Phänomenologie des Lebens und konkreter 1.77E. [39].
        Die zunehmende Unverbindlichkeit des philosophischen Gebrauchs der Begriffe <2.37Erleben> und <1.78E.> wird insbesonders von spätneukantianischer Seite her kritisiert [40]. Der 7.5E.-Begriff erfährt in der Denkpsychologie R. HÖNIGSWALDS [41] nochmals eine theoretische Präzisierung von Rang. In kritischem Anschluß an Husserl und Natorp und beeinflußt durch O. Külpes kritischen Realismus teilt er mit diesen die Überzeugung, daß jede Präsentation eines psychischen Einzelinhalts nur eine willkürliche Herauslösung und Verselbständigung aus einem umfassenden Zusammenhang ist. Die Natur dieses Zusammenhangs ist grundsätzlich durch das in <Sinn> und die Beziehung auf Sinn gesetzte System von Relationen konstituiert und daher unverständlich, wenn nicht jedes 1.79E. als solches in bezug auf begriffliche Funktionen das ist, was es ist. Durch diesen Bezug steht es in Korrelation zu möglicher Geltung des in ihm Gehabten. Die universale Affinität aller 1.80E. zu der Norm der Verknüpfung im Sinn ist Thema einer Theorie der korrelativen Beziehung von «E.-Gefüge und Sinngefüge» [42], die sich als letztbegründende Wissenschaft der geltungstiftenden Subjektivität qua Einheit von Prinzip und Faktum versteht. Neuerdings hat W. CRAMER die Struktur des 2.38Erlebens als einfache Zeitlichkeit des Aus-sich-Beziehens zum Ausgangspunkt einer monadologischen Theorie der Subjektivität gemacht [43].
        In den dreißiger Jahren verliert sich der Gebrauch von <1.81E.> und <2.39Erleben> zusehens, nicht zuletzt auf Grund der radikalen Kritik M. HEIDEGGERS an seinen cartesianischen Implikationen. Er wird durch die schnell modisch werdende Begrifflichkeit der Existenzphilosophie ersetzt. Eine besondere Bedeutung kommt dagegen dem 7.6E.-Begriff in der wissenschaftstheoretischen Diskussion des logischen Positivismus zu, der das paradigmatische Modell der 11.1E.-Unmittelbarkeit der 9.1Wahrnehmungs-E. neu thematisiert. Deren Unmittelbarkeit schließt intersubjektive Verständigung über sie selbst als 1.82E. aus, da ihr 3.10Erlebtsein nicht in allgemeinen Symbolen darstellbar ist. Andererseits sind Sätze nur dann von empirischem Gehalt, wenn sie sich auf einen sinnlichen Gehalt beziehen. Die problematische Struktur dieser Beziehung wird als die des Verhältnisses von 9.2Wahrnehmungs-E. und Basissätzen in verschiedenen Theorievorschlägen diskutiert [44].
        Gegenwärtig besitzen Geschichte und Systematik der Diskussion des 7.7E.-Begriffs eine differenzierte, seiner historischen Genese gegenüber verfremdete Aktualität, in der sich das im Wandel begriffene Selbstbewußtsein der kontinentalen europäischen Philosophie ausdrückt. Der Auflösung der klassischen Subjektivitätstheorien und ihres erkenntnistheoretischen Anspruchs durch die an Diltheys und besonders Heideggers Kritik anknüpfende neuere Hermeneutik [45] steht die Meinung entgegen, daß die in der nachhegelschen kontinentalen Tradition entwickelten 10.1E.-Theorien und deren kritische Destruktionen insgesamt keine oder doch nur unzureichende, nämlich zirkuläre bzw. tautologische Antworten auf die Grundfrage anbieten, wie das 4.2erlebende Subjekt von seinem 2.40Erleben wissen kann [46]. Eine nichtredundante Beschreibung und Aufklärung dieses Wissens wird in formalen Theorien des Selbstbewußtseins vermittels einer differenzierten Analyse der Struktur von Bewußtsein angestrebt, welches den 7.8E.-Begriff terminologisch ersetzt, da dieser inhaltlich belastet erscheint. [> Sp. 710] Dabei wird einerseits auf Positionen des deutschen Idealismus, gegen welche der 7.9E.-Begriff ursprünglich kritisch eingesetzt worden ist, zurückverwiesen [47], andererseits versucht, die kontinentale Tradition der Subjektivitätstheorie mit den unabhängig von ihr entwickelten Positionen der angelsächsischen <philosophy of mind> zu vermitteln [48]. Innerhalb der letzteren werden die dem 7.10E.-Begriff sachlich korrespondierenden theoretischen Probleme mit behavioristischen, sprachanalytischen und wissenschaftstheoretischen Mitteln erörtert, deren methodische Funktion fließend und deren eindeutige Bestimmung selbst Gegenstand ausgedehnter Diskussion ist. Von besonderer, auch auf dem Kontinent zunehmender Wirksamkeit erweist sich dabei die sprachanalytische Reduktion der theoretischen Behandlung des mit «1.83E.» bezeichneten Sachverhalts durch L. WITTGENSTEIN [49],
        Anmerkungen. [1] Früher Beleg für autobiogr. Gebrauch ein Brief HEGELS von 1827; vgl. Hegels Briefe, hg. E· HOFFMEISTER 3, 179. - [2] z. B. bei MEISTER ECKHART; vgl. J. und W. GRIMM: Dtsch. Wb. (1897), - [3] J. G. FICHTE: Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum über das eigentliche Wesen der neuesten Philos. (1801). Werke, hg. F. MEDICUS 3, 559. 569. - [4] a. a. O. 568. - [5] 568. - [6] J. F. FRIES: Wissen, Glaube und Ahndung (1805) 175. 237. - [7] a. a. O .238. - [8] Julius und Evagoras (1814), hg. W. BOUSSET (1910) 449. - [9] F. D. SCHLEIERMACHER: Der christl. Glaube (1821) § 3. - [10] NOVALIS, Schriften, hg. J. MINOR (1923) 3, 85, n. 401. - [11] F. SCHLEGEL: Philos. des Lebens (1828). Krit. A., hg. E. BEHLER Bd. 10. - [12] a. a. O. 7. - [13] 7. - [14] 11. - [15] Die 1. und 2. Aufl. (1827-1829, 1832-1834) haben <E.> noch nicht (auch nicht <Erleben>). - [16] H. LOTZE: Met. (1841) 8, § 4; Mikrokosmus (1856-1864) 1, 169; 2, 266. 268. 314; 3, 518. 522. 549. - [17] Mikrokosmus 3, 242. - [18] a. a. O. 539. - [19] LOTZE gebraucht <E.> und seine Entsprechungen häufiger in: Gesch. der Ästhetik in Deutschland (1869) z. B. 12 schon < Ur-E.>, und gehäuft in: Met. (1879) passim. - [20] CH. H. WEISSE: Über den wiss. Anfang der Philos. Z. Philos. spekulat. Theol. 2 (1838) 185. - [21] Philos. Dogmatik (1855-1862) 1, 21. - [22] a. a. O. 25. - [23] 48. - [24] W. DILTHEY: Einl. in die Geisteswiss. (1883). Schriften 1; Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychol. (1894). Schriften 5 (= Die geistige Welt, Einl. in die Philos. des Lebens 1: Abh. zur Grundlegung der Geisteswiss., mit Einl. von G. MISCH). - [25] a. a. O. 5, 143. - [26] 144. - [27] 152. - [28] 7 (= Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswiss.), 231. - [29] Vgl. die Studien zur Grundlegung der Geisteswiss. 7, 3-78. - [30] 6, 319. - [31] 7,27. - [32] F. BRENTANO: Psychol. vom empirischen Standpunkt 1. 2 (1874), hg. O. KRAUS (1924, 21955); E. HUSSERL: Log. Untersuch. (1900/01, 219I3) bes. 5. und 6. Untersuch. - [33] A. MEINONG: Selbstdarstellung, in: Die dtsch. Philos. der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hg. R. SCHMIDT 1 (21923) 112; vgl. 114. - [34] Vgl. W. DILTHEY, a. a. O. 7, 13, Anm. - [35] P. NATORP: Einl. in die Psychol. nach krit. Methode (1888) 93; vgl; die umgearbeitete Fassung (1912) = Allg. Psychol. nach krit. Methode, (mit krit. Übersicht der Theorien W. Wundts. Th. Lipps’, Husserls, Diltheys, Münsterbergs und der Met. Bergsons). - [36] Einl...., a. a. O. 8. - [37] 23. - [38] M. SCHELER: Abh. und Aufsätze (1915) 2, 227. - [39] Vgl. G. SIMMEL: Die Relig. (1906); Hauptprobleme der Philos. (1910); Philos. Kultur (1911); Brücke und Tor, hg. M. LANDMANN (1957); Lebensanschauung (1918); M. SCHELER: Über Ressentiment und moralisches Werturteil (1913); Vom Umsturz der Werte (1919, 31927); Zur Phänomenol. und Theorie der Sympathiegefühle und von Liebe und Hass (1913). - [40] Vgl. H. RICKERT: Die Philos. des Lebens (1920). - [41] R. HÖNIGSWALD: Die Grundlagen der Denkpsychol. (1921, 21925). - [42] a. a. O. 36; vgl. 79f. 82f. 119. 269ff. - [43] W. CRAMER: Die Monade. Das philos. Problem vom Ursprung (1954); Grundlegung einer Theorie des Geistes (1957, 21965). - [44] Vgl. M. SCHLICK: Allg. Erkenntnislehre (1918); R. CARNAP: Der log. Aufbau der Welt (1928, 31966); zur Diskussion zwischen CARNAP, NEURATH und SCHLICK vgl. Erkenntnis 2 (1931); 3 (1932/33); 4 (1934); krit. Übersicht über die Problemlage und wirkungsvoller Lösungsvorschlag bei K. POPPER: Logik der Forsch. (21966) bes. Kap. V: Basisprobleme. - [45] H.-G. GADAMER: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philos. Hermeneutik (1960, 21965). - [46] U. POTHAST: Über einige Fragen der Selbstbeziehung (1971); K. CRAMER: <E.> Das aporetische Resultat der systemat. Diskussion eines nachhegelschen Grundbegriffs und das Problem des Rückgangs auf Hegel als Theoretiker der Subjektivität. Hegel-Studien, Beih. Jubiläumskongreß Hegel 1770-1970, Stuttgart (1971). - [47] K. CRAMER, a. a. O.; D. HENRICH: Fichtes ursprüngliche Einsicht (1967). - [48] D. HENRICH: Selbstbewußtsein. Krit. Einl. in eine Theorie. Hermeneutik [> Sp. 711] und Dialektik 1, hg. R. BUBNER/K. CRAMER/R. WIEHL (1970) 257ff. - [49] L. WITTGENSTEIN: Philos. Untersuch. Schriften 1 (1960); vgl. H. J. GIEGEL: Die Logik der seelischen Ereignisse. Zu Theorien von L. Wittgenstein und W. Sellars (1969).
    Literaturhinweise. W. DILTHEY : Das E. und die Dichtung (1905, 131957). - F. MÜNCH: E. und Geltung (1913). - A. LIEBERT: Das Problem der Geltung (1914). - E. HÖFFDING: E. und Deutung (1923). - H. FISCHER: E. und Met. (1928). - M. SCHLICK: Erleben, Erkennen, Met. (1930). Aufsätze (1938). - M. LANDMANN: Erkenntnis und E. (1951). - H.-G. GADAMER: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philos. Hermeneutik (1960, 21965) bes. 56ff. - E. TUGENDHAT: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger (1967). - J. HABERMAS: Erkenntnis und Interesse (1968). - F. KAMBARTEL: Erfahrung und Struktur. Bausteine zu einer Kritik des Empirismus und Formalismus (1968).
    K. CRAMER"


    Enzyklopädie

    Annemarie Gethmann-Siefert (A.G.-S.) in Mittelstraß, Jürgen (2005, Hrsg.). Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. C-F. 2., neubearbeitete und wesentlich ergänzte Auflage. Stuttgart: Metzler.
     

    Zusammenfassung: "ME1Erleben, die unmittelbare, unreflektierte, gleichwohl aber bewußte Sich-Selbstgegebenheit, in der ->Objekt oder ->Welt und ->Subjekt oder ->Ich ungeschieden präsent sind." Diese Eingangserklärung ist unverständlich und erscheint zu eng ("unreflektierte") und wie die folgende mit einigen Begriffsverschiebebahnhöfen  ausgestattet. "Als philosophischer Terminus wird ME5E. zuerst bei J. G. Fichte gebraucht, der es als reflexionslose Erfülltheit des Subjekts durch einen Inhalt faßt, damit als einen Zustand, der für die Bestimmung des Erkennens eine letztgegebene Voraussetzung ist. Dieses ebenfalls ziemlich unverständliche Zitat wird nicht belegt, weder im Text noch im Literaturverzeichnis. Eine Anfrage bei der Autorin blieb bislang unbeantwortet. Aber man erhält auch viele Anregungen zum weiteren Studium.

    Signierungskürzel:  e := erleben, erlebt(e,en,es), erlebend; E := Erlebnis oder Erlebnisvariation
    e 29, E 8 Fundstellen

    MEe1Erleben, die unmittelbare, unreflektierte, gleichwohl
    aber bewußte Sich-Selbstgegebenheit, in der ->Objekt
    oder ->Welt und ->Subjekt oder ->Ich ungeschieden prä-
    sent sind. Das MEe2E. ist Grundlage des Zusammenhangs der
    verschiedenen inner-psychischen Akte sowie der inten-
    tionalen (->Intentionalität) Akte, die auf Gegenstände
    bzw. den Gegenstandszusammenhang in einer Welt
    oder auf das andere Ich zielen. Der Inhalt des MEe3E.s und
    die Vollzugsweise MEe4E. fallen zusammen. Als philosophi-
    scher Terminus wird MEe5E. zuerst bei J. G. Fichte gebraucht,
    der es als reflexionslose Erfülltheit des Subjekts durch
    einen Inhalt faßt, damit als einen Zustand, der für die
    Bestimmung des Erkennens eine letztgegebene Voraus-
    setzung ist.
    Zentral wird der Begriff in der ->Lebensphilosophie und
    in der hermeneutischen Philosophie (->Hermeneutik),
    die die Kategorien der Lebensphilosophie in ihre Theo-
    rie des geschichtlichen Lebens integriert. W. Dilthey
    greift in Orientierung an I. Kant den Ansatz der Lebens-
    philosophie auf und bestimmt die Grundlegungsfunk-
    tion des MEe6E.s für die Form der Erkenntnis der Kultur
    bzw. der von ihm sogenannten ->Geisteswissenschaften,
    die er durch die methodische Differenzierung zwischen
    Erklären (->Erklärung) und ->Verstehen vom Paradigma
    der ->Naturwissenschaften löst. Dilthey bestimmt das MEe7E.
    als geistiges Phänomen des Lebens, d. i. als das Leben im
    Modus des >Zusichselbstgekommenseins< in einem gei-
    stigen Individuum. In Auseinandersetzung mit dem
    ->Hegelianismus (insbes. H. Lotze) und der naturwissen-
    schaftlich orientierten ->Psychologie entwickelt er eine
    Theorie des MEe8E.s, in der er zunächst MEe9E. als ursprüngliche
    Gegebenheitsweise psychischer Tatsachen in einem le-
    bendigen Beziehungsganzen bestimmt. Zum leitenden
    Paradigma nicht nur der psychologischen Erschließung,
    sondern darüber hinaus der Erkenntnis überhaupt wird
    MEe10E. als Gegebenheitsweise nicht nur von Sinnesdaten,
    sondern der Objekte kultureller Welterschließung wie
    Kunst (Dichtung), Religion und deren Manifestation
    (Gestalt) wie Deutungsleistung. Solche Objekte, sofern
    sie im MEe11E. unmittelbar gegeben (konstitutiert) oder nach-
    vollziehbar (rezipiert) werden, sind nicht (kausal) er-
    klärbar, sondern müssen in ihrer Bedeutung verstanden
    werden. ->Kultur als Einheit von gesellschaftlicher, durch
    Handeln gestalteter und geschichtlicher Welt wird im
    MEe12E. in symbolischen Zusammenhängen zugänglich. Ver-
    stehen ist >Nacherfahren< von Sinnformen; MEe13E. und Re-
    konstruktion der Entstehung eigener wie fremder Sinn-
    formen ermöglicht ein Verstehen der objektiven Mani-
    festationen >Von innen<. Als Ausdruck jeweils eigener
    ->Lebensform ermöglicht das MEe14E. daher zugleich eine Er-
    schließung (eigener wie fremder) geschichtlicher Welt
    sowie ein Verstehen der eigenen ->Geschichtlichkeit. MEe15E.
    wird zum Fundament des historischen Verstehens und
    seiner methodischen Erschließung in den Geisteswissen-
    schaften.
    Für die Philosophie des ->Neukantianismus (H. Rickert,
    P. Natorp) ist ähnlich wie für Fichte MEe16E. ein grund-
    legendes Moment des für die Erkenntnistheorie konsti-
    tutiven Subjekt -Objekt-Bezuges ( ->Subjekt -Objekt-Pro-
    blem), nämlich die subjektive Gegebenheitsweise der
    Erscheinung vor aller Objektivierung. Intentionalität gehört
    konstitutiv zum MEe17E., ein Gedanke, den E. Husserl
    aufnimmt.
    Für den methodischen Ansatz der transzendentalen
    ->Phänomenologie ist MEe18E. als fundierende Gegebenheits-
    weise von Objekten zugleich Erschließung ihrer Sinn-
    wie Sachhaltigkeit. Alle MEE1Erlebnisse sind durch ->Zeitlich-
    keit konstituierte Gegebenheitsweisen im Bewußtsein,
    das im MEe19E. in zwei Modi präsent ist, nämlich im Modus
    aktueller Zuwendung und im Modus potentieller Er-
    schlossenheit im Sinne eines horizonthaft (->Horizont)
    Mitgegebenen. Diltheys Bestimmung des MEe20E.s als leben-
    digen Beziehungsganzen wird in Husserls Bestimmung
    des >Erlebnisstroms< als Zusammenhang aller intentio-
    nalen, zeitlich konstituierten MEE2Erlebnisse strukturell wie-
    derholt. Die Einheit des MEE3Erlebnisstroms faßt Husserl
    nicht als Faktum, sondern im Sinne der Kantischen
    Idee als eine für das MEe21E. konstitutive, denknotwendige
    Voraussetzung. In den »Logischen Untersuchungen« (I-
    II, Halle 1900/1901) fungiert ME22E., MEE4Erlebnis als eine jedem
    Zweifel entzogene Grundgegebenheit. MEe23E. gilt als sichere
    Basis der transzendentalen Phänomenologie, die über
    die -> >Eidetik< bzw. Wesenserscheinung Aussagen über
    Wesen und Wesenszusammenhänge anziehlt. In »For-
    male und transzendentale Logik« (Halle 1929) und im
    Nachlaßwerk »Erfahrung und Urteil« (Prag 1939, Ham-
    burg 1948) bestimmt Husserl MEe24E. als die Grundlage für
    eine >intuitive Vergegenwärtigung des Wesens in adä-
    quater Ideation<, damit zugleich als Grundlage der
    sprachlichen Konstruktion der Wirklichkeit. Dem MEe25E.
    bzw. MEE5Erlebnis kommt nach seiner Präzisierung zum
    >reinen MEE6Erlebnis< Begründungswert für die Erkenntnis
    zu, weil sich im MEe26E. der >allem Realen vorgeordnete Sinn< [>392]
    konstituiert. Husserl bestimmt in der Krisisschrift das
    >sich Besinnen des Erkennenden auf sich selbst und sein
    erkennendes Leben< als Quelle aller Erkenntnisleistung
    und legt die Bedeutung des MEe27E.s für die Konstruktion des
    reinen Begriffs des transzendentalen Ego (->Ego, trans-
    zendentales) und damit für die Fundierung aller Er-
    kenntnis fest. M. Heideggers Kritik am Cartesianismus
    der Husserlschen Erschließung des MEe28E.s als Einheit von
    cogitationes und cogitata in den »Logischen Untersu-
    chungen« sowie durch die bewußtseinsphilosophische
    Differenzierung von aktuell-expliziter und inaktual-po-
    tentieller Ausrichtung auf Gegenständlichkeit führt in
    der Hermeneutik (H.-G. Gadamer) zur stärkeren Beto-
    nung lebensphilosophischer Elemente und zur Restrik-
    tion von kultur- auf geisteswissenschaftliche Erschlie-
    ßung im engeren, d. i. rezeptiv-reproduktiven Sinn, der
    am Paradigma des MEE7Kunst-E.s orientiert ist.
    Während die Kritik an der Hermeneutik die Fundie-
    rungskapazität und die Möglichkeit methodischer Er-
    schließung des MEe29E.s  bzw. des MEE8E.sbegriffs bezweifelt und
    zugunsten einer Subjektivitätstheorie aufgibt, wird in
    der Nachfolge L. Wittgensteins die bewußtseinstheo-
    retische Rekonstruktion durch eine sprachanalytische
    Rekonstruktion des MEE9E.sbegriffs ersetzt (->philosophy of
    mind).
        Literatur: K. Cramer, E., Erlebnis, Hist. Wb. Ph. II (1972), 702-
    711; ders., >Erlebnis<. Thesen zu Hegels Theorie des Selbstbe-
    wußtseins mit Rücksicht auf die Aporien eines Grundbegriffs
    nachhegelscher Philosophie, Hegel-Stud. Beih. 11 (1974), 537-
    603; W. Dilthey, Das Erlebnis und die Dichtung. Lessing, Goethe,
    Novalis, Hö1der1in, Leipzig 1905, ed. R. Rosenberg, Leipzig 1988,
    21991; ders., Plan der Fortsetzung zum Aufbau der geschicht-
    lichen Welt in den Geisteswissenschaften I (E., Ausdruck und
    Verstehen), in: ders., Gesammelte Schriften VII, Stuttgart, Göt-
    tingen 1927, 21958, 71979, 191-251; ders., Die Philosophie des
    Lebens. Eine Auswahl aus seinen Schriften, ed. H. Nohl, Frank-
    furt 1946, mit Untertitel: Wilhelm Dilthey. Aus seinen Schriften
    ausgewählt von Herman Nohl, Stuttgart, Göttingen 1961; T.
    Friedrich, Bewußtseinsleistung und Struktur. Aspekte einer phä-
    nomenologisch-strukturalistischen Theorie des E.s, Würzburg
    1999; H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer
    philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1960, 21965, 41975,
    erw. unter dem Titel: Hermeneutik I (Wahrheit und Methode.
    Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik), in: ders., Ge-
    sammelte Werke I, Tübingen 51986,61990, 1999 (engl. Truth and
    Method, London, New York 1975, London 21989, New York
    21991, 1994; franz. Verite et methode. Les grandes lignes d'une
    herméneutique philosophique, Paris 1976 [unvollst.], 1996
    [vollst.]); H. J. Giegel, Die Logik der seelischen Ereignisse. Zu
    Theorien von L. Wittgenstein und W. Zellers, Frankfurt 1969;
    M. Landmann, Erkenntnis und Erlebnis. Phänomenologische
    Studien, Berlin 1951; P. Lersch, Lebensphilosophie der Gegen-
    wart, Berlin 1932; H. Lotze, Metaphysik, Leipzig 1841, bes. 8-11
    (§ 4); ders., Geschichte der Ästhetik in Deutschland, München
    1868 (repr. New York/London 1965); W. Mansch, Wirklichkeit
    und Erlebnis. Mit einem Versuch zu einer Theorie des E.s, Wien
    1986, 1987; P. Natorp, Allgemeine Psychologie nach kritischer
    Methode, Tübingen 1912; B. Recki, Ästhetik der Sitten. Die
    Affinität von ästhetischem Gefühl und praktischer Vernunft bei
    Kant, Frankfurt 2001; H. Rickert, Die Philosophie des Lebens.
    Darstellung und Kritik der philosophischen Modeströmungen
    unserer Zeit, Tübingen 1920, 21922; F. Schlegel, Philosophie des
    Lebens [ ... ],Wien 1828, Neudr. als: ders., Kritische F. Schlegel
    Ausg. X, ed. E. Behler/J.-J. Anstett/H. Eichner, München/Pa-
    derborn/Wien, Zürich, Darmstadt 1969; M. Schlick, E., Erkennen
    und Metaphysik, Kant-St. 31 (1926), 146-158, Neudr. in: ders.,
    Gesammelte Aufsätze (1926-1936), Wien 1938 (repr. Hildes-
    heim 1969), 1-17; T.H. Weiße, Über den wissenschaftlichen
    Anfang der Philosophie, Z. Philos. u. spekulative Theol. 2
    (1838), 181-195; U. Wienbruch, Das bewußte E ... Ein systema-
    tischer Entwurf, Würzburg 1993.                               A. G.-S.
     



    Literatur (Auswahl)

    Herder: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11341793?page=2



    Links (Auswahl: beachte)
    Herder: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11341793?page=2



    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
    ___


    Querverweise
    Standort: Erleben und Erlebnis in Eislers Wörterbuch, im Historischen Wörterbuch der Philosophie und in der Enzyklopädie für Philosophie und Wissenschaftstheorie.
    *
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Erleben und Erlebnis in Eislers Wörterbuch, im Historischen Wörterbuch der Philosophie und in der Enzyklopädie für Philosophie und Wissenschaftstheorie. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/erleben/E-HW-Enz.htm

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