Die Theorie der Politischen Ökonomie
von W. Stanley Jevons
4. A. dt. 1924, engl. 1911. Jena: G. Fischer
1835 - 1882
I. Kapitel.
Einführung.
Einleitung 1
Mathematischer
Charakter der Wissenschaft 2
Irrige
Auffassungen über das Verhältnis der Mathematik zu den exakten
Wissenschaften 5
Möglichkeit
genauer Messungen 7
Messung
von Gefühlen und Beweggründen 11
Logische Methode der Volkswirtschaftslehre 15
Verhältnis der Volkswirtschaftslehre zur Ethik 25
II. Kapitel.
Theorie der Lust- und Unlustgefühle.
Lust und Unlust als Quantitäten 27
Unlust: ein negatives Lustgefühl 31
Vorausgefühle 32
Unsicherheit zukünftiger Ereignisse 34
III. Kapitel.
Theorie des Nutzens.
Erläuterung der Begriffe 36
Die Gesetze der menschlichen Bedürfnisse 38
Nutzen ist keine innewohnende Eigenschaft 42
Gesetz der Veränderung des Nutzens 44
Gesamtnutzen und Nutzensgrad 48
Veränderung des Grenznutzensgrades 50
Negative Nutzens- und Gutsgröße 55
Verteilung eines Guts auf verschiedene Gebrauchsweisen
56
Theorie der Dimensionen wirtschaftlicher Quantitäten
59
Wirklicher, voraussichtlicher und möglicher Nutzen
66
Verteilung eines Gutes auf eine Zeit 68
IV. Kapitel.
Theorie des Tausches.
Bedeutung des Tausches in der Wirtschaft 72
Mehrdeutigkeit des Begriffes "Wert" 73
Wert bedeutet Tauschverhältnis 74
Volkstümlicher Gebrauch des Wortes "Wert"
75
Dimension des Wertes 79
Begriff des Marktes 80
Begriff des handeltreibenden Körpers 84
Das Gesetz der Unterschiedslosigkeit 87
Die Theorie des Tausches 103
Mathematische Darstellung der Theorie 109
Ähnlichkeit mit der Theorie des Hebels 97
Hindernisse beim Tausche 102
Beispiele der Theorie des Tausches 103
Probleme in der Theorie des Tausches 106
Verwickelte Fälle der Theorie 109
Wettbewerb beim Tausche 111
Versagen der Tauschgleichungen 112
Negativer und Nullwert 120
Gleichwertigkeit der Güter 127
Nutzenzuwachs der Güter 130
Der Gewinn beim Tausche 134
Zahlenmäßige Bestimmung der Gesetze des Nutzens
138
Meinungen bezüglich der Preisveränderung 140
Veränderung der Kornpreise 144
Der Ursprung des Wertes 152
V. Kapitel.
Theorie der Arbeit.
Begriff der Arbeit 158
Quantitative Begriffsmerkmale der Arbeit 161
Mathematische Darstellung der Theorie 165
Dimensionen der Arbeit 168
Gleichgewicht zwischen Bedarf und Arbeit 170
Verteilung der Arbeit 173
Verhältnis der Arbeits- zur Tauschtheorie 176
Beziehungen ökonomischer Quantitäten 179
Verschiedene Fälle der Theorie 182
Gemeinsame Produktion 186
Überproduktion 191
Grenzen der Arbeitsintensität 192
VI. Kapitel.
Theorie der Rente.
Angenommene Meinungen betreffend die Rente 198
Mathematische Darstellung der Theorie 202
Erläuterungen der Theorie 206
VII. Kapitel.
Theorie des Kapitals.
Die Funktion des Kapitals 209
Beziehung zwischen Kapital und Zeit 211
Quantitative Begriffsmerkmale des Kapitals 215
Ausdruck für die Größe der Anlage 219
Dimensionen von Kapital, Forderung und Schuld 220
Wirkung der Dauer des Werkes 222
Beispiele von Kapitalsanlagen 224
Festes und umlaufendes Kapital 228
Freies und angelegtes Kapital 228
Gleichförmigkeit des Zinsfußes 230
Allgemeiner Ausdruck für den Zinsfuß 231
Dimension des Zinses 232
Peacock über die Dimensionen des Zinses 235
Streben der Gewinne nach einem Minimum 238
Vorteil des Kapitals für die Industrie 241
Sind Gegenstände in den Händen der Verbraucher
Kapital? 243
VIII. Kapitel.
Schlußbemerkungen.
Die Bevölkerungslehre 250
Beziehung zwischen Löhnen und Gewinn 251
Professor Hearn's Ansichten 257
Der schädliche Einfluß des Autoritätsgedankens
Anhang.
Verzeichnis mathematisch-volkswirtschaftlicher Bücher,
Abhandlungen und anderer veröffentlichten Schriften 262
Zusätze und Berichtigungen des Übersetzers
279-280
Die Wissenschaft der politischen Ökonomie ruht auf wenigen Begriffen anscheinend einfacher Art. Nutzen, Reichtum, Wert, Gut, Arbeit, Boden, Kapital sind die Elemente des Gegenstandes; und wer immer ein vollkommenes Verständnis ihrer Natur hat, muß die Kenntnis der ganzen Wissenschaft besitzen oder wird bald imstande sein, sie sich anzueignen. Wie fast jeder wirtschaftliche Schriftsteller bemerkt hat, müssen wir gerade die größte Sorge und Genauigkeit auf die einfachen Elemente verwenden, da der geringste Irrtum in der Auffassung alle unsere Schlüsse fehlerhaft machen muß. Demgemäß habe ich die folgenden Seiten einer Untersuchung der Voraussetzungen und Verhältnisse der obenerwähnten Begriffe gewidmet.
Wiederholte Überlegung und Untersuchung haben mich zu der einigermaßen neuen Meinung geführt, daß der Wert gänzlich vom Nutzen abhängt. Die herrschendeMeinung erblickt eher in der Arbeit als im Nutzen den Ursprung des Wertes; und es gibt sogar solche, welche fest behaupten, daß die Arbeit die Ursache des Wertes sei. Demgegenüber suche ich zu zeigen, daß wir nur sorgfältig die natürlichen Gesetze der Nutzensveränderung aufzusuchen haben, wie sie von der Menge der in unserem Besitze befindlichen Güter abhängen, um zu einer befriedigenden Theorie des Tausches zu gelangen, [>2] von welcher die gewöhnlichen Gesetze von Angebot und Nachfrage eine notwendige Folge sind. Diese Theorie steht mit den Tatsachen im Einklang; und wann immer ein anscheinender Grund vorliegt, anzunehmen, daß die Arbeit die Ursache des Wertes sei, bekommen wir eine Erklärung dieses Grundes. Die Arbeit bestimmt oft den Wert, aber lediglich auf indirekte Weise, indem sie den Nutzensgrad des Gutes im Wege einer Vermehrung oder einer Einschränkung des Angebots verändert.
Diese Ansichten werden nicht auf eine überstürzte und unüberlegte Weise aufgestellt. Alle Hauptpunkte der Theorie wurden vor zehn Jahren entworfen; aber sie wurden damals nur in einem kurzen Berichte an die statistische oder wirtschaftliche Abteilung der British Association auf dem Kongresse in Cambridge im Jahre 1862 mitgeteilt. Ein noch kürzerer Auszug dieses Berichtes wurde dem Protokolle des Kongresses 2-1) beigeschlossen, und der Aufsatz selbst erst im Juni 1866 gedruckt 2-2). Seit ich den Aufsatz geschrieben habe, habe ich wiederholt die Wahrheit meiner eigenen Meinungen geprüft, ohne aber jemals einen Grund zu finden, an ihrer wesentlichen Richtigkeit zu zweifeln.
Mathematischer Charakter der Wissenschaft.
Es ist klar, daß die Volkswirtschaftslehre, wenn
sie überhaupt eine Wissenschaft sein soll, eine mathematische Wissenschaft
sein muß. Viele Vorurteile bestehen gegen die Versuche, die Methode
und Sprache der Mathematik in einen Zweig der Geisteswissenschaften einzufahren.
Viele meinen, daß die Naturwissenschaften das eigentliche Bereich
der mathematischen Methode bilden und daß die [>3]
Geisteswissenschaften eine andere Methode verlangen,
— ich weiß nicht welche. Meine Theorie der Wirtschaft hat indessen
rein mathematischen Charakters. Ich zögere sogar nicht, weil ich glaube,
daß die Mengen, mit welchen wir uns beschäftigen, einer fortwährenden
Veränderung unterliegen müssen, den entsprechenden Zweig der
mathematischen Wissenschaft anzuwenden, obgleich er die furchtlose Betrachtung
unendlich kleiner Mengen in sich schließt. Dis Theorie besteht darin,
die Differentialrechnung auf die bekannten Begriffe des Reichtums, des
Nutzens, des Werts, der Nachfrage, des Angebots, des Kapitals, des Zinses,
der Arbeit und der übrigen Mengenbegriffe anzuwenden, welche zu den
täglichen Handlungen des Erwerbes gehören. Da die abschließende
Theorie fast jeder anderen Wissenschaft die Anwendung dieser Rechnungsmethode
in sich schließt, so können wir ohne ihre Hilfe keine richtige
Theorie der Ökonomik besitzen.
Es scheint mir, daß unsere Wissenschaft mathematisch sein muß, einfach deshalb, weil sie sich mit Mengen beschäftigt. Wo immer die behandelten Dinge größer oder kleiner sein können, müssen die Gesetze und Beziehungen der Natur der Sache nach mathematisch sein. Die gewöhnlichen Gesetze von Angebot und Nachfrage handeln ausschließlich von verlangten und angebotenen Güterquantitäten und drücken die Art und Weise aus, in welcher sich diese Quantitäten in Verbindung mit dem Preise ändern. Demgemäß sind die Gesetze mathematisch. Die Volkswirte können ihre Natur nicht dadurch ändern, daß sie ihnen nicht den richtigen Namen geben; sie könnten geradesogut versuchen, rotes Licht dadurch zu ändern, daß sie es blau nennen. Ob die mathematischen Gesetze der Ökonomie in Worten ausgedrückt werden oder in den gebräuchlichen Formeln, x, y, z, p, q, usf., ist Nebensache oder ein Gegenstand bloßer Bequemlichkeit. Wenn [>4] wir die Umstände und Weitschweifigkeiten nicht scheuen, können wir die verwickeltsten mathematischen Aufgaben in gewöhnlicher Sprache stellen und ihre Lösung in Worten geben. Tatsächlich haben einige hervorragende Mathematiker eine Vorliebe gezeigt, ihre Formeln los zu werden und ihre Beweise und Ergebnisse in einer möglichst volkstümlichen Sprache auszudrücken. Laplace versuchte in seinem Système du monde, die Wahrheiten der physikalischen Astronomie in der gewöhnlichen Sprache zu beschreiben; und Thomson und Tait verweben ihren großen Treatise on Natural Philosophy (Abhandlung über Naturphilosophie) mit einer Erläuterung in einfacher Sprache, von welcher sie voraussetzen, daß sie die gewöhnlichen Leser verstehen 4-1).
Diese Versuche, wie ausgezeichnet und hochbegabt ihre Verfasser auch sein mögen, zeigen bald den ihnen eigenen Fehler der Grammatik und des Wörterbuchs für den Ausdruck verwickelter Verhältnisse. Die Formeln mathematischer Bücher sind ihrer Natur nach von der Sprache nicht verschieden; sie bilden ein vollendetes Sprachgebäude, angepaßt den Begriffen und Verhältnissen, welche wir ausdrücken wollen. Sie selbst bilden nicht die Art des Denkens, welches sie verkörpern; sie erleichtern nur seine Darstellung und sein Verständnis. Wenn wir also in der Wirtschaftslehre mit Mengen und verwickelten Beziehungen von Mengen zu [>5] tun haben, müssen wir mathematisch denken; die Wissenschaft wird deshalb nicht weniger mathematisch, wenn wir die Formeln der Algebra vermeiden — wir weigern uns bloß, uns in einer sehr unvollkommenen, jeder Art von Hilfe bedürftigen Wissenschaft jenes Apparates eigentümlicher Zeichen zu bedienen, welcher in anderen Wissenschaften für unentbehrlich gehalten wird.
Irrige
Auffassung über das Verhältnis
der Mathematik zu den exakten Wissenschaften.
Viele Personen sind in einem Vorurteil gegen die Sprache der Mathematik befangen, welches einer irrigen Auffassung über das Wesen einer mathematischen und einer exakten Wissenschaft entspringt. Sie meinen, wir dürften uns nieht erlauben zu rechnen, wenn wir nicht die genauen Daten besitzen, welche befähigen, eine genaue Antwort auf unsere Rechnungen zu geben; aber in Wahrheit gibt es keine exakte Wissenschaft, außer in vergleichendem Sinne. Die Astronomie ist exakter als andere Wissenschaften, weil die Lage eines Planeten oder Sterns genaue Messungen gestattet; wenn wir aber die Methoden der physikalischen Astronomie prüfen, finden wir, daß sie alle annähernd sind. Jede Lösung beruht auf Hypothesen, welche nicht tatsächlich wahr sind; z. B., daß die Erde ein glattes, homogenes Sphäroid sei. Auch die anscheinend einfacheren Probleme in Statik und Dynamik sind hypothetische Annäherungen zur Wahrheit 5-l).
Wir können die Kraft eines Hebebaumes berechnen, vorausgesetzt, daß er vollständig unbeweglich ist und eine [>6] vollständig harte Stütze besitzt, was niemals der Fall ist 6-1). Die Daten sind fast immer ganz unzulänglich für die vollständige Lösung irgendeines Problems in der Naturwissenschaft. Hätten die Physiker gewartet, bis ihre Daten vollständig genau waren, bevor sie sich der Hilfe der Mathematik bedienten, so wären wir noch in jenem Zeitalter der Wissenschaft, welches zur Zeit Galilei's endete.
Wenn wir die weniger genauen Naturwissenschaften prüfen, finden wir, daß die Physiker unten allen am kühnsten sind, ihre mathematischen Theorien vor ihren Daten zu entwickeln. Möge doch jemand, der daran zweifelt, Airy's "Theory of the Tides" (Theorie der Gezeiten), wie sie in der Encyclopaedia Metropolitana dargestellt ist, überprüfen; er wird dort eine wundervolle, verwickelte mathematische Theorie finden, von welcher der Verfasser selbst zugibt, daß sie eine genaue oder sogar annähernde Anwendung nicht zuläßt, weil die aus den verschiedenen und oft unbekannten Umrandungen des Meeres entstehende Wirkungen eine zahlenmäßige Nachprüfung nicht zulassen. In diesem und vielen anderen Fällen haben wir eine mathematische Theorie ohne die zur genauen Rechnung notwendigen Daten.
Die größere oder geringere in einer mathematischen Wissenschaft erreichbare Genauigkeit ist eine Nebensache und berührt nicht den grundsätzlichen Charakter der Wissenschaft. Es kann nur zwei Klassen von Wissenschaften geben — solche, welche rein logisch sind, und solche, welche, außer logisch zu sein, auch mathematisch sind. Wenn es eine gibt, welche bloß feststellt, ob ein Ding ist, oder nicht ist — ob ein Ereignis eintreten wird, oder nicht, — so muß sie eine rein logische Wissenschaft sein; aber wenn das Ding größer oder kleiner sein [>7] kann, oder das Ereignis früher oder später, näher oder weiter eintreten kann, dann greifen mengenmäßige Begriffe Platz, und die Wissenschaft muß ihrer Natur noch mathematisch sein, wie immer wir sie auch benennen mögen.
Viele werden ohne Zweifel einwenden, daß die Begriffe, welche wir in dieser Wissenschaft behandeln, eine Messung nicht zulassen. Wir können die Gefühle der Seele weder wägen, noch messen, noch ausprobieren; es gibt keine Einheit der Arbeit, des Leidens, der Freude. Es hat so den Anschein, als ob eine mathematische Theorie der Ökonomie notwendigerweise auf immer der zahlenmäßigen Daten entbehren müßte.
Zunächst antworte ich, daß nichts weniger in der Wissenschaft gerechtfertigt ist als ein Geist, welcher nichts erforscht und nichts erhofft. In diesen Dingen sind gerade die, welche verzweifeln, zumeist unverändert diejenigen, welche niemals versuchten, einen Erfolg zu haben. Ein Mensch möchte verzweifeln, wenn er sein ganzes Leben auf eine schwierige Arbeit ohne einen Funken der Ermutigung verwendet hätte; und die volkstümlichen Meinungen über die Bedeutung der mathematischen Theorie sind darnach angetan, jeden von dem Versuche von Unternehmungen abzuschrecken, welche indessen, wie schwierig auch immer, einmal zu Ende geführt werden sollten.
Betrachten wir die Geschichte anderer Wissenschaften, so lernen wir nichts, was uns entmutigen könnte. In fast allen Fällen, in welchen jetzt genaue Messungen möglich sind, können wir auf Zeiten zurückgehen, als noch die vagsten Begriffe vorherrschend waren. Vor der Zeit Pascal's, Zweife1 und Glauben zu messen, wer hätte daran gedacht? Wer würde begriffen haben, daß uns die Untersuchung über kleine Glückswürfel zur Entdeckung des vielleicht am feinsten ausgebildetsten Zweiges der mathematischen Wissen-[>8] schaft führen würde — der Theorie der Wahrscheinlichkeitsrechnung? Es gibt Wissenschaften, welche erst zu einer Zeit, an welche sich die jetzige Generation noch erinnert, exakt quantitativ geworden sind. Zur Zeit als Quesnay und Baudeau und Le Trosne und Condillac die Volkswirtschaftslehre in Frankreich begründeten, war die Elektrizität noch eine unbestimmte Erscheinung, von welcher man zwar wußte, daß sie stärker oder schwächer werden könne, aber welche nicht gemessen und berechnet wurde; erst in den letzten vierzig oder fünfzig Jahren wurde eine mathematische Theorie der Elektrizität, gegründet auf genaue Daten, eingeführt. Wir besitzen jetzt genaue quantitative Kenntnisse über die Hitze und können die Temperatur eines Körpers bis auf weniger als den 1/5000 Teil eines Centigrades messen. Man vergleiehe diese Genauigkeit mit jener der frühesten Thermometererzeuger, der Akademiker des Cimento, welche ihre Instrumente graduierten, indem sie sie den Sonnenstrahlen aussetzten, um einen Punkt fixer Temperatur zu erlangen 8-1).
De Morgan sagte sehr richtig 8-2): "Was einige Größen anlangt, haben wir bald eine klare Vorstellung ihrer Messung: z. B. von der Länge. Nehmen wir aber einen schwierigeren Fall und spüren wir nach, auf welche Weise wir die Vorstellung erlangen und festhalten: sagen wir vom Gewichte. Was Gewicht ist, brauchen wir nicht zu wissen.... Wir kennen es als eine Größe, bevor wir ihr einen Namen geben; jedes Kind kann das Mehrgewicht beobachten, welches in einer Kanonenkugel ist, und das Mindergewicht, welches in einem Kork von doppeltem Umfange ist. Wäre es nicht die einfache Erfindung der Wage, welche, wie wir wohl wissen [>9] (wie, ist hier gleichgültig), uns in den Stand setzt, gleiche Gewichte gegeneinander zu wägen, das heißt Gleichheit und Ungleichheit zu entdecken und auf diese Weise festzustellen, wie oft das größere das kleinere enthält, so würden wir bis auf den heutigen Tag keine klareren Vorstellungen vom Gewichte als einer Größe haben, als wir, vom selben Standpunkte aus betrachtet, vom Talente, der Klugheit oder der Selbstverleugnung haben. Alle, welche jemals auch nur ein wenig Geometrie studiert haben, erinnern sich der Zeit, da ihre Vorstellungen vom Winkel als einer Größe gerade so oder vielleicht noch mehr verschwommen waren als jene von den sittlichen Eigenschaften; und sie erinnern sich auch der Fortschritte, durch welche aus dieser Verschwommenheit Klarheit und Genauigkeit geworden sind."
Nun kann nicht bezweifelt werden, daß Lust, Mühe, Arbeit, Nutzen, Wert, Reichtum, Geld, Kapital usf. lauter Begriffe sind, welche eine quantitative Betrachtung in sich schließen; ja sogar alle unsere Handlungen in Gewerbe und Handel beruhen auf einem Vergleiche von Quantitäten des Vorteils oder Nachteils. Auch die Theorien der Moralisten erkannten den quantitativen Charakter des Gegenstandes. Bentham’sIntroduction to the Principles of Morals and Legislation (Einführung in die Grundlehren der Moral und Gesetzgebung) ist durchwegs mathematisch im Charakter der Methode. Er erzählt uns, daß das Ziel einer Handlung folgendermaßen geschätzt wird 9-1): "Zähle auf der einen Seite den Wert aller Lustgefüble und auf der anderen Seite den aller Unlustgefühle zusammen. Ist der Überschuß auf der Seite der Lustgefühle, so drückt sich in ihm das gute Ziel der Handlung im Ganzen mit Beziehung auf die Interessen der betreffenden Person aus; ist er aber auf Seite der Un- [>10] lustgefühle, ihr schlechtes Ziel im Ganzen". Der mathematische Charakter der Bentham'schen Behandlung der Moralwissenschaft ist auch gut in Beispielen dargestellt in seiner bemerkenswerten Abhandlung: "A Table of the Springs of Action" (Übersicht über die Triebfedern des Handelns) gedruckt 1817, so auf Seite 3 und an anderen Orten.
"Aber wo", wird der Leser vielleicht fragen, „sind Eure ziffernmäßigen Daten, um Lust- und Unlustgefühle in der politischen Ökonomie zu schätzen ?" Ich antworte, daß meine ziffernmäßigen Daten reichlicher und genauer sind als jene irgendeiner anderen Wissenschaft, aber daß wir noch nicht verstanden haben, sie zu gebrauchen. Der Überfluß unseres Zahlenmaterials ist erstaunlich. Es gibt keinen Schreiber oder Buchhalter im Lande, welcher nicht damit beschäftigt wäre, zahlenmäßige Daten für den Volkswirt aufzuzeichnen. Die Rechnungsbücher im Privathaushalte, die großen Hauptbücher der Kaufleute, Bankiers und öffentlichen Ämter, die Kurszettel über Aktien, die Preislisten, Bankausweise, die Nachrichten über den Geldmarkt, über Zoll und andere Regierungseinkünfte, alle diese sind voll von zahlenmäßigen Daten, um die Volkwirtschaftslehre zu einer exakten mathematischen Wissenschaft zu machen. Tausende von Foliobänden statistischer, parlamentarischer und anderer Berichte harren der Arbeit des Forschers. Es ist vielfach der große Umfang und die Schwierigkeit des Materials, welche uns von seiner eigentlichen Benutzung abschreckt. Aber es ist hauptsächlich ein Mangel der Methode und der Vollständigkeit dieser großen Masse des Materials, welcher uns hindert, es zur wissenschaftlichen Durchforschung der natürlichen Gesetze der Volkswirtschaftslehre zu gebrauchen.
Ich zögere zu behaupten, daß die Menschen jemals die Mittel haben werden, direkt die Gefühle des menschlichen Herzens zu messen. Es ist schwer, die Einheit eines Lust- oder Leidgefühls überhaupt zu begreifen; aber es ist die [>11] Größe dieser Gefühle, welche uns fortwährend antreibt, zu verkaufen und zu kaufen, zu borgen und zu leihen, zu arbeiten und zu ruhen, zu erzeugen und zu verbrauchen; und aus den quantitativen Wirkungen dieser Gefühle müssen wir ihre verhältnismäßige Stärke abschätzen. Auch die Schwerkraft können wir in ihrer eigentümlichen Natur nicht besser erkennen oder messen, als wir ein Gefühl messen können; aber geradeso wie wir die Schwerkraft in ihren Wirkungen auf die Bewegung eines Pendels messen, können wir auch die gleiche Stärke der Gefühle aus den Entscheidungen des menschlichen Geistes ablesen. Der Wille ist unser Pendel, und dessen Schwingungen werden jede Minute in den Preislisten der Märkte verzeichnet. Ich weiß nicht, wann wir ein vollkommenes Lehrgebäude der Statistik haben werden, aber sein Mangel ist das einzige unüberwindliche Hindernis auf dem Wege, aus der Volkswirtschaftslehre eine exakte Wissenschaft zu machen. Fehlt die vollendete Statistik, wird die Wissenschaft nicht weniger mathematisch sein, obgleich sie unendlich weniger nützlich sein wird, als wenn sie, vergleichsweise gesprochen, exakt wäre. Eine richtige Theorie ist der erste Schritt zur Verbesserung, sie zeigt, was wir brauchen und was wir vollenden sollten.
Messung von Gefühlen und Beweggründen.
Viele Leser mögen es nach den vorgehenden Bemerkungen für unmöglich halten, eine Rechnung wie die hier beabsichtigte aufzustellen, weil wir die Hilfsmittel nicht hätten, Gefühlsmengen zu begrenzen und zu messen, wie wir eine Meile oder einen rechten Winkel oder eine andere physikalische Größe messen können. Ich habe zugegeben, daß wir uns kaum die Vorstellung einer Lust- oder Leideinheit bilden können, so daß der zahlenmäßige Ausdruck der Gefühlsmengen außer Frage zu stehen scheint. Aber wir ge- [>12] brauchen die Maßeinheiten in anderen Dingen nur, um die Vergleichung der Mengen zu erleichtern; und können wir die Mengen direkt vergleichen, so brauchen wir die Einheiten nicht. Nun ist die Seele eines Menschen die Wage, welche ihre eigenen Vergleiche anstellt, und der endgültige Richter über Gefühlsstärken. So sagt Bain 12-1): "Es ist bloß ein identischer Satz, zu behaupten, daß das größere zweier Lustgefühle, oder welches als solches erscheint, die Handlung lenkt; denn es ist die daraus hervorgehende Handlung, welche allein bestimmt, welches das größere ist".
Lustgefühle sind, kurz gesagt, solange sie dauern, so, wie sie der Verstand abschätzt; so daß wir keine Wahl ergreifen oder unseren Willen irgendwie äußern können, ohne damit einen Überschuß von Lustgefühl in einer Richtung zum Ausdrucke zu bringen. Es ist richtig, daß der Verstand oft zögert oder verwirrt ist, wenn er eine Entscheidung von großer Bedeutung treffen soll; das deutet darauf hin, daß sich entweder die Abschätzungen der Beweggründe ändern, oder daß das fühlende Subjekt unfähig ist, die betreffenden Gefühlsstärken richtig zu erfassen. Ich denke nicht daran, für den Verstand irgendein genaues Vermögen in Anspruch zu nehmen, Gefühle zu messen, zuzuzählen und abzuzählen, um auf diese Weise eine genaue Wage zu erhalten. Wir können selten oder niemals behaupten, daß eine Freude ein bestimmtes Vielfaches einer anderen ist. Aber der Leser, welcher sorgfältig die folgende Theorie prüft, wird finden, daß es sich bei ihr selten um den Vergleich von Gefühlsmengen handelt, welche in der Größe viel von einander abweichen. Die Theorie dreht sich um jene kritischen Punkte, an welchen die Lustgefühle beinahe, wenn nicht vollständig, gleich sind. Ich versuche niemals, die ganze [>13] Freude zu schätzen, welche mir der Ankauf eines Gutes macht; die Theorie drückt nur aus, daß, wenn ein Mensch genug gekauft hat, ihm der Besitz einer kleinen Menge nicht mehr die gleiche Freude machen würde wie der Besitz der Geldmenge, welche ihren Preis darstellt. Ähnlich kommt die ganze Größe des Lustgefühls, welches sich ein Mann durch die Arbeit eines Tages verschafft, kaum in Frage; erst wenn ein Mann zweifelt, ob er seine Arbeitsstunden vermehren soll, oder nicht, können wir eine Gleichheit zwischen dem Arbeitsleide und der Freude der dadurch entstehenden Gütervermehrung feststellen.
Der Leser wird ferner finden, daß niemals, bei keinem Beispiele, der Versuch gemacht wird, die Gefühlsgröße einer Seele mit jener einer anderen Seele zu vergleichen. Ich sehe kein Mittel, durch welches ein solcher Vergleich hergestellt werden könnte. Die Empfindsamkeit eines Gemütes kann nach unseren Erfahrungen tausendmal größer sein als jene eines anderen. Aber selbst angenommen, daß die Empfindsamkeit in gleichem Verhältnisse in allen Richtungen verschieden wäre, wären wir niemals imstande, die Verschiedenheit festzustellen. Jedes Gemüt ist also jedem anderen Gemüte unerforschlich und kein gemeinsamer Gefühlsnenner scheint rnöglich zu sein. Aber selbst wenn wir die Gefühle verschiedener Seelen vergleichen könnten, so brauchten wir es nicht zu tun; denn jede Seele wirkt auf die andere nur indirekt. Jedes Ereignis der äußeren Welt löst in unserem Geiste einen entsprechenden Beweggrund aus, und durch das Abwägen dieser Beweggründe wird der Wille gelenkt. Aber der Beweggrund in einem Gemüte wird bloß gegen andere Beweggründe desselben Gemütes abgewogen, niemals gegen die Beweggründe im Gemüte einer anderen Person. Jede Person ist für andere Personen ein Teil der äußeren Welt, — das non-ego, wie es die Metaphysiker nennen. So können die Beweggründe in der Seele des A den Anlaß zu [>14] Erscheinungen geben, welche in der Seele des B sich als Beweggründe darstellen; aber zwischen A und B läuft der Abgrund. Deshalb muß das Abwägen von Beweggründen stets in der Brust des betreffenden Individuums eingeschlossen bleiben.
Ich muß hier hervorheben, daß, obgleich die Theorie sich anmaßt, die Gemütsverfassung zu durchforschen, und auf dieser Durchforschung ihr Lehrgebäude der Volkswirtschaft errichtet, es praktisch doch eine Häufung von Personen ist, welche untersucht werden wird. Die formalen Gesetze der Ökonomik sind dieselben im Falle von Einzelpersonen und Nationen; und es ist in der Tat ein im Falle von Mehrheiten von Einzelpersonen wirkendes Gesetz, aus welchem die Häufung entspringt, welche sich in den Geschäften eines Volkes darstellt. Indessen ist es praktisch ganz unmöglich, die Wirkung allgemeiner Gesetze dieser Art in der Handlung einer oder einiger wenigen Personen aufzudecken. Die Beweggründe und Bedingungen sind so zahlreich, daß die entspringenden Handlungen den Anschein der Laune besitzen, und die analytische Macht der Wissenschaft ihnen nicht gewachsen ist. Bei jeder Preissteigerung eines solchen Gutes wie Zucker müßten wir, theoretisch gesprochen, feststellen, daß jede Person ihren Verbrauch um eine kleine Größe einschränkt, entsprechend einem regelmäßigen Gesetze. In Wahrheit werden aber viele Personen ihren Verbrauch überhaupt nicht ändern; einige wenige werden wahrscheinlich den Zuckerverbrauch überhaupt einstellen, solange sein übermäßiger Preis andauert. Erst wenn wir den mittleren Zuckerverbrauch einer zahlreichen Bevölkerung prüfen, können wir eine fortwährende Veränderung bemerken, welche mit der Preisveränderung durch ein festes Gesetz im Zusammenhange steht. Notwendigerweise müßte es nicht geschehen, daß das Gesetz im Falle von Häufungen und im Falle von Einzelpersonen das gleiche wäre, wenn nicht alle [>15] diese Einzelpersonen die gleiche Lebensweise und Stellung, was Reichtum und Gewohnheiten anlangt, besitzen; aber es ergäbe sich ein mehr oder weniger regelmäßiges Gesetz, auf welches die gleiche Art von Formeln anwendbar sind. Die Anwendung eines Mittels oder, was dasselbe ist, eines Häufungsergebnisses beruht auf der hohen Wahrscheinlichkeit, daß die zufälligen und die störenden Ursachen im langen Verlaufe ebensooft in der einen wie in der anderen Richtung wirken werden, so daß sie einander gegenseitig aufheben. Vorausgesetzt, daß wir eine hinreichende Zahl unabhängiger Fälle besitzen, können wir dann die Wirkung eines Strebens, wie gering es auch sein mag, beobachten. Demgemäß können Fragen, welche mit Beziehung auf Einzelpersonen ganz unbestimmbar erscheinen oder es vielleicht auch wirklich sind, eine genaue Durchforschung und Lösung bei großen Massen und weiten Durchschnitten zulassen 15-1).