Buchhinweis mit Leseprobe
und Inhaltsverzeichnis von Rudolf Sponsel,
Erlangen
Erstausgabe am 15.06.2002, Letztes Update TT.MM.JJ, Querverweise
Mander, Jerry & Goldsmith, Edward (dt. 2002. engl.
2001, Hrsg.). Schwarzbuch Globalisierung. Eine fatale Entwicklung mit vielen
Verlierern und wenigen Gewinnern. München: Riemann
Definition: Globalisierung bedeutet weltweiter Abbau der Handels- Beschränkungen und zunehmend einheitlicher und freier Welthandel nach dem Vorbild der kapitalistischen westlichen Welt [Ausführlichere Beschreibung]. |
"Das erste Ziel dieses Buches besteht
darin zu klären, welche Form die so genannte globale Wirtschaft hat
und wie sich die rasch voranschreitende Globalisierung vermutlich auf unser
Leben auswirken wird. Das zweite Ziel besteht darin zu zeigen, dass die
Globalisierung aufgehalten und so bald wie möglich rückgängig
gemacht werden muss.
Die wirtschaftliche Globalisierung
hat wahrscheinlich die fundamentalste Umstrukturierung der politischen
und wirtschaftlichen Verhältnisse auf unserem Planeten mindestens
seit der Industriellen Revolution zur Folge. Trotz des Ausmaßes der
globalen Neuordnung haben jedoch weder unsere gewählten Politiker
noch unsere Bildungseinrichtungen, noch die Massenmedien je eine glaubwürdige
Anstrengung gemacht, uns den Charakter des neuen Systems oder die ihm zugrunde
liegende Philosophie zu erklären.
Beschreibungen der globalen Wirtschaft
und Voraussagen hinsichtlich ihrer Entwicklung, die in den Medien zu finden
sind, stammen in der Regel von führenden Befürwortern und Nutznießern
der neuen Ordnung: von Konzernchefs, ihren Verbündeten in den Regierungen
und von den mächtigen, neuen, zentralisierten Welthandelsbürokratien.
Die Visionen, die sie uns anbieten, sind unweigerlich positiv, um nicht
zu sagen fantastisch. Die Globalisierung wird zum Allheilmittel für
all unsere Probleme. Sie wird das Problem der Armut lösen; sie wird
die Umwelt retten. Und seit dem 11. September 2001 heißt es sogar,
sie sei das beste Mittel, den Terrorismus zu besiegen."
"Die 1994 im Abschlussabkommen der
Uruguay-Runde vereinbarte Ablösung des GATT (Allgemeines Zoll- und
Handelsabkommen) durch die WTO (Welthandelsorganisation) wurde von den
führenden Politikern der Welt und den transnationalen Konzernen gefeiert
wie die Geburt eines neuen Messias. Sie behaupteten, durch die neue Regelung
werde eine globale Wirtschaftsordnung geschaffen, die in sehr kurzer Zeit
eine Expansion der weltweiten Wirtschaftstätigkeit um 250 Milliarden
US-Dollar bringen werde, die letztlich allen zugute kommen werde. Die beherrschende
politökonomische Metapher war die von der »steigenden Flut,
die alle Boote emporheben wird«. [>11]
Die globale Wirtschaft ist wirklich
neu, und zwar weniger der Form als dem Ausmaß nach: Neu sind die
weltweit gültigen Regeln, nach denen sie jetzt funktioniert; neu ist
die durch sie erleichterte, technologisch verstärkte Beschleunigung
der globalen Entwicklung und des Welthandels; und neu ist auch die von
ihr verursachte abrupte Verlagerung der politischen Macht auf dem Globus.
Natürlich ist es auch ein neues Phänomen, dass sich demokratische
Länder auf der ganzen Welt dafür entschieden haben, ihre eigenen
demokratisch verabschiedeten Gesetze außer Kraft zu setzen, um den
Regeln einer neuen zentralen und globalen Bürokratie zu entsprechen.
Ebenfalls neu ist die Abschaffung fast aller Kontrollmechanismen für
die globale Tätigkeit von Konzernen und den Handel mit Devisen, was
wiederum zu der von Richard Barnet und John Cavanagh geschilderten, von
Währungsspekulanten beherrschten Kasinoökonomie führte (Kapitel
4). Auch für die schreckliche globale Wirtschaftskrise von 1998 war
die neue globale Wirtschaft mitverantwortlich.
Die ideologischen Prinzipien, die
der globalen Wirtschaft zugrunde liegen, sind dagegen nicht so neu. Es
sind genau die Prinzipien, die uns in die soziale, wirtschaftliche und
ökologische Sackgasse geführt haben, in der wir uns heute befinden.
Sie umfassen den Primat des schnellen wirtschaftlichen Wachstums; die Forderung
nach Freihandel zur Stimulierung dieses Wachstums; den uneingeschränkten
»freien« Markt; den Verzicht auf staatliche Regulierung; die
Privatisierung staatlicher Dienstleistungen; die völlige Abhängigkeit
von zügelloser Konsumgier und, damit zusammenhängend, die aggressive
Befürwortung eines einheitlichen Entwicklungsmodells für die
ganze Welt, das genau den Vorstellungen und Interessen der Konzerne in
den Industriestaaten entspricht.
Zu den ideologischen Prinzipien der
globalen Wirtschaft gehört auch die Idee, dass alle Länder -
selbst wenn ihre Kulturen so unterschiedlich sind wie etwa die von Indonesien,
Japan, Kenia, Schweden und Brasilien - sich für dasselbe globale Wirtschaftsmodell
entscheiden und ihre Boote in dieselbe Richtung lenken müssen. Das
Ergebnis einer solchen Politik ist eine Monokultur - die globale Homogenisierung
von Kultur, Lebensstil und Technologieeinsatz und die damit einhergehende
[>12] Zerstörung lokaler Traditionen und Wirtschaftssysteme."
Jerry Mander: Einführung: Gegen die steigende Flut 9
Teil 1: Triebkräfte der Globalisierung
Teil II: Auswirkungen der Globalisierung
Teil III: Schritte zur Umkehr
Anhang
Liste der Abkürzungen 501
Quellenverzeichnis 505
Register 517
Die Autoren dieses Buches kommentieren in ihren Beiträgen
alle oben angesprochenen Probleme. Sie untersuchen die Instrumente des
Globalismus, die ihm zugrunde liegenden Theorien und seine Auswirkungen,
aber sie ergründen auch die Alternativen. Zunächst einmal sollte
jedoch erwähnt werden, dass dieses Buch nur deshalb überhaupt
nötig ist, weil unsere Medien versagt haben. Unsere Gesellschaft wurde
bewusst auf einen Weg geführt, dessen Ziel wir nicht kennen, und diejenigen,
die uns eigentlich über die Entwicklung aufklären sollten, haben
ihre Aufgabe nicht wahrgenommen. [>14]
Von Zeit zu Zeit berichten die Massenmedien
über bestimmte massive Probleme im Zusammenhang mit der Globalisierung,
aber die Berichte vermitteln fast nie den Zusammenhang zwischen den geschilderten
konkreten Krisen und den tieferen Ursachen, die in der Globalisierung als
solcher liegen. Zum Thema Umwelt lesen wir beispielsweise, dass sich das
Weltklima verändert, und gelegentlich auch etwas über die langfristigen
Folgen dieser Entwicklung, etwa über das Schmelzen der Polkappen (die
reale steigende Flut), über die erwarteten verheerenden Folgen für
Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung oder über die Zerstörung
von Biotopen. Wir lesen auch vom Verschwinden der Ozonschicht, von der
Verschmutzung der Meere oder von den Kriegen, die um Ressourcen wie Öl
- und vielleicht bald schon Wasser - geführt werden. Nur wenige dieser
Phänomene werden jedoch direkt mit den Zwängen der globalen Expansion
in Verbindung gebracht, mit der weltweiten Zunahme des Transportvolumens,
mit dem Raubbau an Rohstoffen oder mit dem von intensivem Rohstoffverbrauch
geprägten Lebensstil, den die Konzerne weltweit über die kulturellen
Gleichmachermedien des Fernsehens und der Werbung propagieren. Vernebelung
statt Aufklärung ist die Folge.
Dieses Buch ist eine Reaktion auf
das schmähliche Versagen der Medien in der Berichterstattung über
die ökologischen Folgen der Globalisierung. Simon Retallack hat ein
Kapitel zu dieser Thematik beigesteuert (Kapitel 17) und befasst sich in
einem weiteren Kapitel, das er zusammen mit Ladan Sobhani geschrieben hat,
speziell mit dem Klimaproblem (Kapitel 21).
Weitere ernste Missverständnisse
sind in der Medienberichterstattung über das Debakel der Barings Bank
von 1995, über die mexikanische Finanzkrise von 1994/95 oder über
die globale Finanzkrise von 1998 zu erkennen. Nur selten hat ein Medium
deutlich gemacht, wie durch die neuen globalen Computernetzwerke die Möglichkeit
entstanden ist, erstaunliche Geldsummen praktisch ohne Zeitverlust an jeden
Ort auf der Erde zu transferieren.
Auch schildern die Medien nicht, wie die Deregulierung
der Finanzmärkte der Spekulation Tür und Tor öffnete und
wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds dazu beitrugen,
Bedingungen zu schaffen, die zu solcher Spekulation an- [>15] reizten.
Zum Beispiel wurde in der US-amerikanischen Presse über die mexikanische
Finanzkrise so berichtet, als sei es eine gute Tat der USA gewesen, Mexiko
»aus der Patsche zu helfen« - der gute Nachbar steht seinen
mexikanischen Freunden bei. Tatsächlich jedoch wurde hauptsächlich
den Investoren an der Wall Street geholfen, die mit direkter Unterstützung
der Weltbank und des IWF die Krise überhaupt erst verursacht hatten.
Für Mexikaner der Mittel- und Unterschicht hatte die »Nothilfe«
verheerende Folgen - eine Geschichte, die uns die Massenmedien bis heute
vorenthalten haben.
Die meisten Medien behandeln alle
Gegner des Freihandels wie Spinner, die noch glauben, dass die Erde eine
Scheibe ist. Und während die Presse Zehntausende Umweltschützer,
die sich gegen GATT und WTO wenden, verächtlich als weltfremde Idealisten
abtut, nimmt sie die Tatsache nicht zur Kenntnis, dass zu den Gegnern auch
Menschenrechtsaktivisten, Bauern und kleine Unternehmer gehören ebenso
wie Gruppen, die sich für die Rechte von Asylsuchenden oder Ureinwohnern
einsetzen, überzeugte Demokraten, Gewerkschaftler und viele andere
Menschen, die an eine gerechte und ökologisch nachhaltige Gesellschaft
glauben und die sich quer durch alle Parteien gegen die Globalisierung
wenden.
Auch die zynischen Verlautbarungen
der Führung von WTO, Weltbank und IWF, dass sie vor allem anderen
dafür da seien, den Armen auf der Welt zu helfen, wurden von den Medien
ungeprüft akzeptiert. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist
das Verhalten der Presse im April 2000, als zahlreiche Demonstranten versuchten,
die Konferenzen von Weltbank und IWF in Washington, DC zu blockieren. Beide
Institutionen beschuldigten in täglichen Verlautbarungen die Demonstranten,
die eigentlichen Feinde der Armen zu sein, und die großen Presseorgane
gaben diese Erklärungen brav an ihre Leser weiter. Sie taten dies,
obwohl sich zeitgleich mit den Konferenzen in Washington die »Gruppe
der 77« in Havanna traf und diese Gemeinschaft der Entwicklungsländer
in einer einstimmig verabschiedeten Erklärung für die Demonstranten
und gegen Weltbank und IWF Stellung bezog. Die International Herald Tribune
brachte die beiden gegensätzlichen Erklärungen auf der Titelseite,
aber keine einzige US-amerikanische Zeitung und nur [>16] wenige europäische
Presseorgane dokumentierten die Erklärung von Havanna überhaupt.
Seit den terroristischen Anschlägen
in New York und Washington ist die Berichterstattung noch schlechter geworden.
Die Medien geben den Äußerungen von führenden Vertretern
der Weltbank, der WTO und der US-Regierung breiten Raum, in denen Freihandel
praktisch mit »Freiheit« gleichgesetzt wird. Sie vertreten
die Ansicht, die wirtschaftliche Globalisierung sei der beste Weg, den
Terrorismus zu stoppen - eine opportunistische Werbung für die eigene
Agenda, die angesichts der ernsten Situation und der Unhaltbarkeit der
Behauptung besonders schockierend ist. Unterdessen werden die Anstrengungen
von oppositionellen Gruppen, die aufzeigen wollen, dass die Globalisierung
in Wirklichkeit Armut produziert und damit auch Verhältnisse, die
Gewalt hervorbringen, entweder ignoriert oder als unpatriotische Abweichung
gebrandmarkt.
Was die konkreten sozialen und ökologischen
Auswirkungen der WTO-Regeln betrifft, so haben es die Medien auch nach
Jahren des Protests noch immer nicht geschafft, sie ausreichend zu erklären.
In diesem Buch dagegen werden viele Auswirkungen der WTO-Regeln detailliert
beschrieben, vor allem in dem Kapitel, das Lori Wallach über die WTO
geschrieben hat (Kapitel 16), aber auch in dem Beitrag von Agnès
Bertrand und Laurence Kalafatides (Kapitel 20). Die WTO spielt auch in
Vandana Shivas Artikel (Kapitel 18) eine wichtige Rolle, insbesondere was
ihren verheerenden Einfluss auf die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern
und auf die Lebensgrundlagen der Landbevölkerung betrifft.
Einige Presseorgane berichten von
der »Geldgier der Konzerne«, wenn diese Tausende Arbeiter entlassen,
während ihre Gewinne steigen und die Gehälter ihrer Topmanager
beispiellose Höhen erreichen. Selbst in diesen Berichten wird jedoch
kaum je der entscheidende Punkt erwähnt, nämlich dass diese Umstrukturierung
der Konzerne notwendig ist, damit sie in der globalen Wirtschaft konkurrenzfähig
bleiben, und dass sie überall auf der Welt stattfindet. Auch hier
kann man den Medien den Vorwurf der Vernebelung nicht ersparen."