Erleben und Erlebnis bei Lotze
in seiner Metaphysik (1841) und
Medizinischen
Psychologie (1852)
Materialien und Dokumente für Die Erforschung
des Erlebens und der Erlebnisse.
Originalrecherche von Rudolf Sponsel, Erlangen
Lotze, Rudolf Hermann (1841) Metaphysik.
Leipzig: Weidmann’sche Buchhandlung (GB)
1 Fundstelle Erlebniss und erlebt 1 (1 Pseudo Thierleben
S. 26)
S.8: Summe von LM8Erlebnissen1
S.44 früher LM44erlebten2
Auseinandersetzung mit Reinhold,
insbesondere mit den Aossoziationsgesetzen Ähnlichkeit, Zugleichseins
und der Reihenfolge. "Wir fragen hier billig, was dasjenige, was Reinhold
Gemeinbild nennt, eigentlich sei, und woher es komme, und dann, wie daraus
, daß sich ein Wort mit einem solchen Gemeinbilde verbindet, also
aus dem Gesetze der Assoziation, die Begriffe entstehen?"
Fundstellen erleben 1, erlebt 3, Erlebnis 2
36. Eine solche Sehnsucht nun nach innerlicher Lebendigkeit und nach eigentlicher Tätigkeit der wirksamen Elemente hat andre Auffassungen zunächst zu jener Annahme einer einzigen Lebenskraft getrieben, deren Unmöglichkeit und Fruchtlosigkeit wir in der Physiologie des körperlichen Lebens ausführlicher nachzuweisen suchten. Ohne Zweifel zwar werden wir zugeben, dass ein Weltlauf, der in allen Stücken nur in jenem Sinne mechanisch wäre, nicht bloß eine vollkommne Absurdität, sondern auch eine Unmöglichkeit wäre; es kann nicht Alles zwischen den Wesen geschehen, sondern notwendig geht ein Teil des Geschehens in ihnen vor und aus ihnen heraus. Aber diese Behauptung ist nicht gleichbedeutend mit dem Extrem, zu welchem diese Auflassungen sie treiben, nämlich mit der Annahme, dass überhaupt nirgends ein äußerliches Aufbauen von Erscheinungen durch Aggregation von Elementen oder durch Kombination einfacher Wirkungen stattfände. Es würde sich im Gegenteil, wenn wir hier in so abstrakte Untersuchungen zurückgehn könnten, leicht nachweisen lassen, dass jedes solche innerliche organische Handeln vielmehr ein Reich aggregierbarer und äußerlich gestaltbarer Elemente notwendig voraussetzt. Das leibliche Leben ist nun, wie wir an jenem Orte gezeigt haben, in der Tat ein solches Aggregat von Wirkungen, das aus der gleichzeitigen Tätigkeit eines Systems verbundener Massen verständlich ist, aber nirgends eine einzige dirigierende Ursache voraussetzt. Nirgends verlangt das Leben ein anderes alle seine Erscheinungen innerlich zusammennehmendes Subjekt, als eben die Seele selbst, für welche der Leib ein wohlorganisiertes Reich äußerlicher Hilfsmittel ist. Dagegen müssen wir mit jener Ansicht darin übereinstimmen, dass die Seele nun auch wirklich jene Einheit, Innerlichkeit und Tätigkeit besitzen muß, und in dem Streit gegen den Materialismus behaupten wir mit ihr gemeinschaftlich, dass ein mechanisches Erzeugen des Seelenlebens aus den Wirkungen einzelner Teile widersinnig ist. Was uns nun von dieser Ansicht unterscheidet, die Behauptung nämlich, dass die gesuchte Einheit ausschließlich in der Seele, nicht in dem LMP36Körpererleben2zu suchen, und dass noch weniger die Identität der Seele mit dem organisch Einen Körper haltbar sei, wollen wir in den folgenden Betrachtungen allmählich zu erläutern suchen.
266. Von solchen Trieben nun werden wir ohne Zweifel im Leben am häufigsten zu unsern Handlungen gedrängt, und nur selten äußern wir einen wirklichen Willen, indem wir der Bewegung unserer Zustände uns nicht nur hingeben, sondern sie adoptieren oder einer geschehenden eigenmächtig entgegenwirken. Man wird nicht verlangen, dass wir den Akt des Wollens schildern sollen, der so einfach eine Grunderscheinung des geistigen Lebens ist, dass er nur LMP266erlebt2, nicht erläutert werden kann. Aber unrichtige Deutungen wenigstens müssen wir zurückweisen, und zwei von ihnen bieten sich besonders im Zusammenhange mit unsern allgemeinen Betrachtungen dar. Die eine sieht in dem Willen nichts, als eine klare Vorstellung, die andere konzentriert in ihm eine dichte Atmosphäre von Wirkungsfähigkeit; die erste läßt ihn als Willen gar nichts, die zweite Alles wirken. Nur ein theoretisches Vorurteil hat vor Allem die Meinung erzeugen können, der Satz: ich will, sei gleichbedeutend mit dem klaren und zuversichtlichen Bewußtsein des andern: ich werde. Die gewöhnlichste Erfahrung zeigt uns, dass, wer entschieden glücklich sein will, nicht zugleich die Zuversicht zu haben braucht, er werde es, und dass das deutliche Bewußtsein, sterben zu werden, nicht identisch ist mit dem Wollen des Todes. Wer daher das Bewußtsein des Wollens mit dem der zukünftigen Wirklichkeit eines Ereignisses verwechselt, läßt nicht weniger als eben das hinweg, was den Willen wesentlich von jeder andern Erscheinung des Bewußtseins unterscheidet. Auch ist dem Wollen diese täuschende Beziehung auf Zukünftiges keineswegs notwendig; ein gegenwärtiger Zustand, den wir festhalten oder nicht fliehen, ist ebensowohl ein beständiger Gegenstand des Wollens, und der Märtyrer, der eine Qual erträgt, der er sich entziehen könnte, macht die ganze Kraft des Willens gegen ein schon vorhandenes und fortdauerndes Übel geltend. Der Glaube, dass eine klare und starke Vorstellung mit dem Willen identisch sei, kann nur zu der gefährlichen Folge führen, ihn nicht mehr als eine ursprüngliche Tätigkeit des individuellen Selbst, sondern als einen Zustand zu betrachten, der im mechanischen Lauf des Seelenlebens herbeigeführt wird; es würde Vieles in uns gewollt werden, aber nicht wir würden die Wollenden sein.
410. Wir haben bisher nur der Hilfe gedacht, welche die Zentralorgane, selbst erst durch den Verlauf der Vorstellungen angeregt, diesem zurückwirkend leisten; aber auch auf den weiteren Verfolg unserer Erinnerungen mögen die seitlichen Verbreitungen von Einfluß sein, welche die Erregungen dieser Organe, auf welche Weise sie auch entstanden sein mögen, nach physiologischen Gesetzen ihrer Funktion erfahren. Hat eine Vorstellung in dem Gehirn einen ihr entsprechenden Zustand hervorgebracht, so wird dieser, nachdem er einmal entstanden ist, auch für sich alle die Nachwirkungen herbeiführen müssen, die er nach seinem mechanischen und funktionellen Zusammenhange mit den übrigen Bestandteilen der Zentralorgane zu erzeugen fähig ist. Je nachdem lang dauernde frühere Gewohnheiten diesem ursprünglich erregten Teile die Mitteilung seiner Wirkungen auf andere erleichtert haben, wird er auch jetzt durch diese assoziierten Elemente auf die Seele zurückwirken und ihr bald Motive zur Unterbrechung und Ablenkung, bald zur lebhafteren Fortsetzung ihres Gedankenlaufs zuführen. Neue Vorstellungen, Gefühle, die sich an sie knüpfen, Bestrebungen und Triebe, die in leisen Andeutungen von ihnen erregt werden, reihen sich daher an jenen ersten Impuls, den der Lauf der Erinnerung den Zentralorganen gab, und tragen nun nicht mehr als bloß begleitende Resonanz zur Verstärkung, sondern als weiterführende Antriebe zur Umgestaltung des Bewußtseins bei. Die Richtung, welche die freie Phantasie in Augenblicken des Träumens und des Dichtens nimmt, mag am meisten unter allen geistigen LMP410Erlebnissen1 von der Reizbarkeit abhängen, mit der diese Erregungen der körperlichen Organe einander hervorrufen, und die Seele mit bald monotonen, bald lebendig wechselnden Antrieben weiter führen. Manche Erscheinungen endlich der psychischen Krankheiten werden wir von den Motiven ableiten müssen, welche die Stimmung der Zentralorgane bald für eine rasche, wilde und zusammenhanglose Flucht der Ideen, bald für eine Armut des auf wenige Vorstellungen verengten Laufes der Gedanken enthält.
425. Von der Breite und Ausführlichkeit nun, mit welcher in jedem Augenblicke die Vorstellung unsers Ich in unserem Gedankenlaufe vorhanden ist, hängen die unendlich verschiedenen Grade der Vollkommenheit ab, mit denen eine Wahrnehmung in unser Selbstbewußtsein aufgenommen wird. Jeder Nervenreiz, der überhaupt eine Empfindung veranlaßt, tritt dadurch auch in unser Bewußtsein ein, aber die Sprache unterscheidet mit Recht von dieser einfachen Perzeption jene Apperzeption, durch welche wir uns einer Wahrnehmung bewußt werden. Das wilde Delirium eines Fiebers hindert nicht notwendig jenen Einfluß der Erregungen auf die Seele, aus welchem eine momentan bewußte Empfindung entsteht; aber ihr Inhalt geht meistens fruchtlos verloren, da in der hastigen Flucht der Ideen ihm keine bestimmte Vorstellung des eignen Lebens entgegenkommt, mit welcher er sich assoziieren, und in deren wohlbegrenzter Zeichnung er seinen angemessenen Ort unveränderlich einnehmen könnte. Selbstbewußt werden wir uns nur derjenigen Eindrücke, die wir in dem verständlichen Zusammenhang unsers empirischen Ich aufnehmen, und deren Verwandtschaft zu früheren LMP425Erlebnissen1 , deren Wert für die Weiterentwicklung unserer Persönlichkeit wir zugleich fühlen, und für spätere Erinnerung aufbewahren. Aber unsere vorangehenden Betrachtungen zeigen, dass auch diese Aufnahme der Eindrücke in unser Selbstbewußtsein graduellen Unterschieden unterliegt. Denn die Vorstellung des Ich, die ihnen entgegenkommt, ist nicht überall die gleiche; häufig arm und inhaltlos, verknüpft sie den geschehenden Eindruck nur mit wenigen vielleicht unbedeutenden Zügen des eignen Wesens und erkennt ihn nicht in dem intellektuellen Werte an, den er für den Zusammenhang unsers Lebens wirklich hat; die bedeutungsvollsten Wahrnehmungen gehen nach dem momentanen Zustande unserer Stimmung oft fruchtlos für uns verloren, während wir in einem andern Augenblicke ihrer Wichtigkeit plötzlich inne werden. Beschränkte sich diese Veränderlichkeit der Auffassung auf den theoretischen Inhalt der Eindrücke, so würde eine spätere Reproduktion derselben unter günstigeren Umständen die Mängel der ersten Wahrnehmung ausgleichen können; sie wird dagegen verhängnisvoll, indem sie auch auf Entschlüsse und Handlungen sich ausdehnt. Wir haben in der Betrachtung der Bewegungen bereits gelernt, wie sehr Vieles von dem, was wir zu tun glauben, in Wirklichkeit gar nicht unsere Tat, sondern das Produkt organischer Funktionen und ihrer Abhängigkeit von dem mechanischen Verlaufe der Vorstellungen ist. Aber auch wo wir Entschlüsse fassen, gehen sie selten von unserer vollen Persönlichkeit aus, sondern am häufigsten von jenem partiellen Selbstbewußtsein, dessen Unvollständigkeit um so größer ist, je weniger die Vorstellung der Handlung für uns Interesse hat, und je mehr leidenschaftliche Bewegungen des Gemüts oder krankhafte Bestürmungen der Seele durch Leiden des Körpers ihr eine ruhige und geordnete Reproduktion ihrer Erinnerungen verbieten. In den meisten Fällen handeln wir daher als Geschöpfe des Augenblicks und nur wenige haben Sammlung genug, um alle ihre Schritte bestimmt nach jener einen Richtung zu lenken, welche die Gesamtheit aller früheren Bestrebungen und Erfahrungen als ihre notwendige Konsequenz bezeichnet. Extreme dieser natürlichen Unvollkommenheit werden uns die Affekte und die Geschichte der Seelenstörungen darbieten.
483. Ich habe diese Betrachtungen angeführt, weil es in der Tat ein großer Vorteil für die Diagnose der psychischen Krankheiten sein würde, wenn man auf diese Weise die fortbestehende Gesundheit der geistigen Fähigkeiten von der Verkehrtheit ihrer Anwendungen trennen könnte. Dem ist jedoch nicht so, und nur die Annahme fertiger und unveränderlicher Seelenvermögen könnte dieser Ansicht einige Wahrscheinlichkeit geben. In der Tat aber treibt, um in jenem Bilde fortzufahren, die Seele nicht aus einer an sich gesunden Wurzel ihre einzelnen Äußerungen neben einander hervor, verkehrt oder richtig, wie es die äußern Impulse mit sich bringen, sondern jede geschehene Anwendung der allgemeinen geistigen Fähigkeiten ist eine Veränderung des Werkzeugs, mit dem wir weiter wirken. Unsere Beurteilung der Dinge, die Verteilung der Werte, die Bestimmungen des Willens geschehen in keinem Augenblicke des Lebens, ohne von den speziellen Vorstellungskreisen, von vergangenen und noch herrschenden Stimmungen und Neigungen, kurz von alle dem mitbestimmt zu werden, was wir als frühere Anwendungen derselben Fähigkeiten, die jetzt tätig sein sollen, betrachten müssen. So ist nur die Kindheit noch unbefangen und für Alles empfänglich; der weitere Verlauf des Lebens, der Inhalt unserer Erfahrung, die Wahl des Berufes, gewohnte Beschäftigungen und Sorgen stumpfen uns für viele Gedankenkreise ab, während sie unsere Fertigkeiten nach anderer Richtung schärfen; unsere Stimmungen ändern sich, und wir sind keineswegs im Stande, uns willkürlich wieder in jene Gemütsverfassung zurückzuversetzen, deren äußere Veranlassungen vielleicht auch jetzt noch auf uns wirken. Unwiederbringlich geht vielmehr das Interesse an Vielem zu Grunde, zu Gefühlskreisen, die uns sonst bewegten, finden wir den Zugang nicht mehr; eine ganze Welt LPM483selbsterlebter2 innerer Zustände wird uns später immer unverständlicher. Man wird nicht leugnen können, dass mit diesen Umwälzungen unsers Innern mannigfach ein Verlust der richtigen Beurteilung der Dinge verbunden ist, aber man wird vielleicht meinen, dass alle diese Mängel innerhalb so enger Grenzen stattfinden, dass sie als kleine Unvollkommenheiten der Bildung noch weit entfernt von geistiger Krankheit seien. Ich kann dem nicht beistimmen; ich finde vielmehr eine Verkehrtheit des Urteils darin, wenn diese Einseitigkeiten der Bildung so leicht genommen werden. Wie oft hören wir Ältere ihrer Jugend gedenken und das Verschwinden der "originalen" Charaktere bedauern, die ihnen etwa noch Lehrer waren, d. h. das Verschwinden jener Mischung einseitiger Gelehrsamkeit und barbarischer Rohheit der ästhetischen Bildung und sittlicher Gesinnung, wie sie früheren Zeiten gewöhnlicher als der unserigen war. Ein Seelenleben, dem die wesentlichsten Seiten menschlicher Interessen fremd sind, ist in keiner Weise gesund zu nennen, und läßt nirgends eine scharfe Begrenzung gegen Zustände zu, die wir allgemein als ausgebildete Geistesstörung betrachten.
489. Ohne diese Entstehungsweise der Träume, für die es Keinem an LPM489selbsterlebten2 Beispielen fehlt, weiter zu verfolgen, haben wir vielmehr einige besondere Eigentümlichkeiten derselben hervorzuheben, die für die Bildungsart geistiger Störungen von Interesse sind. Die Traumvorstellungen sind vor Allem sehr häufig so lebhaft und intensiv, wie die Erinnerungen des Wachens äußerst selten. Nicht allein sehen wir in Träumen einen blendenden Lichtglanz und hören Töne mit einer Deutlichkeit, die wir in der wachen Erinnerung nie willkürlich erzeugen können, sondern auch zusammengesetzte Formen und Ereignisse, die wir nicht mehr als unmittelbare subjektive Empfindungen betrachten können, entwickeln sich vor uns mit der vollen Klarheit der wirklichen Wahrnehmung. Man kann diese Wirkung auf die Beschränktheit des träumenden Gedankenganges rechnen, der ununterbrochen von der Mannigfaltigkeit äußerer Wahrnehmungen, die das Wachen herbeiführt, nur einen einzigen Anstoß verarbeitet, und durch ihn nur wenige Vorstellungen erwecken läßt, die dem Interesse der Seele oder der Eigentümlichkeit jenes Eindruckes am nächsten entsprechen, und die deshalb auch in ungehemmter Klarheit sich entwickeln können. Ich glaube jedoch, dass eine größere Erregbarkeit der Zentralorgane für die Einflüsse des Vorstellungsverlaufs hier noch außerdem stattfindet, so dass eine einmal entstandene Bewegung der Seele sich leichter zu Visionen gestaltet, als im Wachen. Nicht immer kommt deshalb diese Deutlichkeit der Bilder vor; sie fehlt, wo Ermüdung der Zentralorgane vorhanden ist, ohne doch zur Aufregung der Erschöpfung gesteigert zu sein. Eine andere Eigentümlichkeit des Traums ist die wesentliche Veränderung unseres Gefühls. Für den Schmerz stumpft der Schlaf ab, und selbst ein heftiges Weh, das uns aufweckt, erscheint nach dem Erwachen weit intensiver, als im Traume, obgleich es in diesem eine lebhafte und ängstliche Flucht der Phantasiebilder erregte. Dagegen kommen uns häufig im Traume Zustände unbeschreiblichen Wohlseins vor, die von keiner Euphorie des Wachens erreicht werden. Sie mögen von Reizen abhängen, deren nächster Eindruck unmittelbar die Funktion der Nerven harmonisch anregt, deren Ursachen jedoch keineswegs in besonderer Güte der Gesundheit, sondern häufig in körperlichen Zerrüttungen ernstlicher Art liegen; wenigstens kommen die süßen Träume unbeschreiblicher Seligkeit oft bei Inanition und gefahrvollen Erschöpfungskrankheiten vor. Man kennt ferner die Neigung des Träumenden, Gedanken, Einfälle, Poesien, die ihm vorschweben, als das Höchste zu bewundern, was der menschliche Genius leisten kann; nach dem Erwachen beschämt uns die Trivialität dieser Dinge, falls die Erinnerung sie uns aufbewahrt hat. Diese Erscheinungen beweisen weniger einen Mangel der Urteilskraft an sich, deren Abnahme freilich im Traume sehr erklärlich, ist, sie deuten vielmehr auf eine leichte und intensive Erregung des Gefühls hin, das im Bedürfnis eines Anknüpfungspunktes seine Seligkeit auf die erste beste von dem Bewußtsein produzierte Vorstellungsreihe überträgt. Man wird eine ähnliche Bemerkung in Bezug auf Affekte machen können. Auch sie erscheinen im Traume oft in großer Intensität, allein häufig so, dass dem Bewußtsein nicht zugleich die deutliche Vorstellung einer Situation vorschwebt, welche sie rechtfertigt. Namenlose Angst, objektloser Grimm bewegt uns häufig, und wo der Traum wirklich Veranlassungen dieser Gemütszustände abbildet, sind sie oft so unbedeutend, dass sie im wachen Leben keine merkliche Erschütterung unsers Innern veranlassen würden. So scheint es, als wenn im Schlafe andere Anregungen sich den gewöhnlichen Ursachen der Affekte substituieren und erst die Bewegung des Gemüts hervorbringen könnten, der später die erklärende Nachproduktion eines leidenschaftlichen Motives folgt. Wir haben endlich früher schon erwähnt, wie leicht zusammengesetzte Träume sich nach Intervallen des Wachens, die mit andern Gedanken angefüllt waren, wieder erzeugen, indem bei gleichförmig fortbestehender körperlicher Anlage das wiederkehrende Gemeingefühl des Schlafes auch die begleitenden Seelenzustände zurückruft. Übersieht man diese Eigentümlichkeiten der Träume, so werden manche Züge der Geistesstörung weniger befremdlich. Man begreift die überredende Klarheit, mit der sich einzelne Gedankenzüge wie Visionen aufdrängen, wo die vielseitige Anregbarkeit des Bewußtseins, wie im Schlafe, obgleich aus andern Ursachen fehlt; man versteht den Wert, den ein gesteigertes Gefühl auf seine Wahnideen legt, die blinde Heftigkeit objektloser Aufregung, die Konsequenz endlich, mit der die Störungen des Bewußtseins, die zuerst in einzelnen Intervallen auftraten, sich zu einem zusammenhängenden Ganzen vereinigen.
erleben 7, erlebt 4, Erlebnis 0, Erlebnisse 3.
Lotze, Rudolf Hermann (1841) Metaphysik. Leipzig: Weidmann’sche Buchhandlung
(GB)
Lotze, Rudolf Hermann (1842) Allgemeine Pathologie und Therapie als
mechanische Naturwissenschaften. Leipzig: Weidmann’sche Buchhandlung, 2.
Auflage 1848 (weiterer Scan)
Lotze, Rudolf Hermann (1843) Logik. Weidmann’sche Buchhandlung, Leipzig
1843. (weiterer Scan)
Lotze, Rudolf Hermann (1845) Ueber den Begriff der Schönheit.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1845 (abgedruckt aus den Göttinger
Studien; weiterer Scan)
Lotze, Rudolf Hermann (1847) Ueber Bedingungen der Kunstschönheit.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1847 (abgedruckt aus den Göttinger
Studien)
Lotze, Rudolf Hermann (1851) Allgemeine Physiologie des koerperlichen
Lebens. Weidmann’sche Buchhandlung, Leipzig 1851
Lotze, Rudolf Hermann (1852) Medicinische Psychologie oder Physiologie
der Seele. Weidmann’sche Buchhandlung, Leipzig 1852 (weiterer Scan); anastatischer
Neudruck A. Dannenberg, Berlin 1896 (mit Bild Lotzes) [PG]
Lotze, Rudolf Hermann (1856-1864) Mikrokosmus. Ideen zur Naturgeschichte
und Geschichte der Menschheit. Versuch einer Anthropologie. S. Hirzel,
Leipzig 1856–1864 (dieses Werk machte ihn in seiner Zeit über die
Fachgrenzen hinaus bekannt)
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