Michel
Foucault
15.10.1926 Poitiers
- 25.6.1984 Paris
Foucaults Leben * Psychologie und Geisteskrankheit * Wahnsinn und Gesellschaft * Antipsychiatrische Bedeutung und vorläufige Bewertung * Bibliographie * Foucault bei Suhrkamp und im Internet * Querverweise
von Rudolf Sponsel,
Erlangen
Foucaults Leben im Zeitraffer (Quelle romono):
Vater Chirurg,
auch die Mutter stammt aus einer Arztfamilie. Eine ältere Schwester
Francine (geb. 1925), ein jüngerer Bruder Denys (geb. 1933) aufgewachsen
in Poiters, unglückliche Kindheit als kleinbürgerliches Milieu
erlebt.
1948 Diplom in
Philosophie (erster SMV wird vermutet). 1949 Diplom in Psychologoe. 1950
2. SMV. Kurzes Gastspiel in der Kommunistischen Partei ("Was ich mir wünsche
... ist Marxens Befreiung von der Parteidogmatik"). 1951 Staatsexamen in
Philosophie. 1952 Diplom in Psychopathologie; Assistent Philosophische
Fakultät in Lille.
Mehr von Merlau-Ponty
als von Sartre beeindruckt, sehr auch von Nietzsche, den Surrealisten und
Samuel Beckets "Warten auf Godot" ("ein atemberaubendes Stück").
Alkoholismus,
unklar inwieweit seine sexuellen Probleme (schwul) damit zu tun haben;
Kurze Therapie, Interesse für Jaques Lacan, mokiert sich über
die PsychoanalytikerInnen, die ihr Brot damit verdienten, 'indem sie ihr
Ohr verleihen'. Freundschaftliche Beziehungen und Bekanntschaften: Louis
Althusser, Pierre Boulez, Jean Barraqué.
1954 Psychologie
und Geisteskrankheit (siehe oben Abb.)
1955 Lektor an der Universität
Uppsala (Schweden). 1958 Direktor des Centre français in Warschau.
1959 Direktor der Institut Français in Hamburg. 1960-1966 Privatdozent
für Philosophie und Psychologie an der Universität Clermont-Ferrand.
1960-1984 Beziehung
mit Daniel Delfort.
1961 Promotion: Wahnsinn und
Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft (siehe
obben Abb.). Der Biograph berichtet, daß Foucault angesichts der
überlangen Doktorarbeiten in Frankreich sie in Schweden einreichen
wollte, aber Stirn Lindroth habe mit den Argumenten abgelehnt, die Arbeit
enthalte zu viele Spekulation und entspreche nicht der schwedischen Tradition
des Empirismus. Als zudem sein Stundenkontingent von 6 auf 12 verdoppelt
wurde, kehrte er Schweden den Rücken. Aber auch die französische
Promotionskommission hat Kritik am Werk Fs.: "Foucault sei, so hält
das Protokoll von Gouhier fest, 'mehr Philosoph als Exeget oder Historiker.'
Er neige dazu , sich über die Tatsachen hinwegzusetzen; hätte
man Historiker der Kunst, der Literatur und auch der Institutionen herangezogen,
so wäre die Kritik wegen seines lässigen Umgangs mit den Fakten
noch umfangreicher geworden." (romono
S. 46).
1965-1968 Gastprofessor
in Tunis.
1968-1970 Beteiligung
am Centre universitaire expérimental de Vincennes, wovon man allerdings
in seinem Werk nicht, aber auch gar nichts erkennen kann; F. ist ein typischer
gelehrter Bücher- und Kathederwissenschaftler ohne jegliche empirische,
experimentelle oder gar evaluative Interessen und Erfahrungen.
1970-1884 Professor
für Geschichte der Denksysteme am Collège de France.
1971 Gründung der Gruppe zur
Information über Gefängnisse (GIP).
1975 Berkeley
(Kalifornien).
1978 Japan. Beschäftigung
mit Zen-Buddhismus.
Korrespondent für den Corierra
della Serra über die iranische Revolution.
1982 Unterstützung
der Solidarnosc und Reise nach Polen.
1983 Vorträge in Berkeley.
1984 Tod an den
Folgen einer HIV-Infektion.
Psychologisch-Psychopathologisches Werk
Psychologie und Geisteskrankheit (1954)
Ich setze mich hier mit dem Einleitungskapitel auseinander und teile Foucaults Schlußfolgerungen mit. Eine vorläufige Gesamtbewertung unter hauptsächlich antipsychiatrischen Gesichtspunkten.erfolgt danach.
Zunächst fällt in Psychologie und Geisteskrankheit (S. 11-14) auf, daß Neurosen und Psychosen, seelische Störungen und Geisteskrankheiten in einen Topf geworfen werden (Hysterie, Psychasthenie, Zwangsvorstellungen, Phobie, Manie und Depression, Paranoia, chronische Halluzinationspsychose, Hebephrenie, Katatonie), warum bleibt unklar, weil es später (S. 19) wieder aufgehoben und differenziert wird.
Sodann meint Foucault
zwei Postulate zu erkennen, die die Natur der Krankheit betreffen. Das
eine betrifft das Konzept Krankheit als spezifische Entität, die Symptome
hervorruft, aus deren Gruppierung, Entwicklung und Verlauf man die Krankheit
diagnostiziert. Dieses Postulat ist für Foucault ein "Vorurteil" (S.
15), womit er die klinische Erfahrung und Lehre von 150 Jahren Psychiatrie
und Psychopathologie mit einem Federstrich von 9 Zeichen erledigt. So einfach
ist das. Als zweites Postulat kritisiert er:
Gänzlich
unbelegt bleiben Foucaults Begriffskreationen "Totalität" und "Ganzheit",
die gerade durch die Gestaltpsychologie eine ganz besondere Bedeutung in
der Psychologie haben. Nachdem es Foucault peinlichst vermeidet, auf klinisch-
phänomenologischer Basis zu diskutieren, holt er S. 21 plötzlich
das klinisch- phänomenologische Argument hervor und erkennt auf einmal,
was alle kundigen Kliniker in ihren Werken längst vor ihm mit konkreten
Falldarstellungen getan haben - nur er in seinem Buch bis dahin nicht:
Charakteristisch
für das Einführungskapitel in Psychologie und Geisteskrankheit
ist,daß
Foucault die gesamte klinisch- phänomenologische Tradition der Psychopathologie
und Psychiatrie ignoriert, um sodann genau das zu fordern, was er
ignoriert. Es kommt aber noch schlimmer. Fordert Foucault noch auf S. 27,
den Menschen selbst in seiner Situation zu untersuchen - etwas anderes
macht ein Psychiater und Psychotherapeut ja nicht - und lehnt er
die Abstraktion einer Krankheitsbeschreibung ab, so macht er genau das
auf der nächsten Seite selbst, indem er nun wie eben noch verlangt
nicht
von einem konkreten Menschen und Fall ausgeht, sondern abstrahierende Symptome
herausnimmt:
Der
seltsame und sophistisch anmutende Argumentationsstil, etwas zu widerlegen,
was nie jemand behauptet hat (Pappkameraden
bzw. Strohmann Sophistik), setzt sich fort:
Natürlich nicht: doch wer
hat denn dies jemals behauptet? Die Plus- in Minus-Symptomatik bei den
psychischen Störungen gehört doch zum Grundwissen jeder PsychopathologIn.
Der seltsame Argumentationsstil wird
ergänzt durch Herausstreichungen völliger Trivialitäten,
wie etwa daß zwei verschiedene Sachverhalte verschieden sind:
Nachdem er schon bis Bleuler
(um 1910) vorgedrungen war, vollzieht er S. 36 einen plötzlichen Rücksprung
in das Jahr 1849, um sich mit dem Somatiker Jackson auseinanderzusetzen.
In der Auseinandersetzung mit Freud und der Psychoanalyse - die mit Psychologie
ja bekanntlich wenig zu tun hat - findet er nun erstmal eine eigene Position:
Diese Charakterisierungen Foucaults
- vergleicht man sie etwa mit Jaspers' psychopathologischem Niveau 1913
- sind fachlich wenig überzeugend und repräsentieren im übrigen
genau solche krankheitsimmanenten Abstraktionen, wie er sie einleitend
gerade kritisiert hat. Im übrigen werden hier psychopathologische
und psychiatrische Sachverhalte in einer Weise anerkannt, wie sie von antipsychiatrisch
radikal autonomen Fundamentalisten (ARAF), die Foucault gern für ihre
Zwecke zitieren, heftigst geschmäht und geleugnet werden.
***
Aus dem Ende Kapitel 5 (S. 129): "Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die psychologischen Bereiche der Krankheit ohne Trugschlüsse nicht als autonom betrachtet werden können. Gewiß läßt sich die Geisteskrankheit in bezug auf ihre Genese, in bezug auf die individuelle psychologische Geschichte, in bezug auf die Existenzformen situieren, Aber man darf aus diesen verschiedenen Aspekten der Krankheit nicht ontologische Formen machen, wenn man nicht auf mythische Erklärungen, wie die Entwicklung der psychologischen Strukturen oder die Triebtheorie oder eine existentielle Anthropologie, rekurrieren will. In Wirklichkeit läßt sich allein in der Geschichte das einzige konkrete Apriori entdecken, aus welchem die Geisteskrankheit mit der leeren Öffnung ihrer Möglichkeit ihre notwendigen Figuren hernimmt."
Aus dem Schluß (S. 131): "Die psychologischen Dimensionen des Wahnsinns können also nicht von einem ihnen äußerlichen Erklärungs- oder Reduktionsprinzip zurückgedrängt werden. Sondern sie sind anzusetzen in dem allgemeinen Verhältnis, das vor fast zweihundert Jahren der Mensch des Okzidents zu sich selbst hergestellt hat. Dieses Verhältnis ist, vom spitzesten Winkel aus gesehen, eben die Psychologie, in die er ein wenig von seinem Staunen, viel von seinem Stolz und das Wesentliche seiner Fähigkeit zu vergessen gelegt hat; unter weiter geöffnetem Winkel ist es das Hervortreten - in den Formen des Wissens - eines homo psychologicus, dem es aufgegeben ist, die innere, fleischlose, ironische und positive Wahrheit alles Selbstbewußtseins und aller möglichen Erkenntnis in sich zu versammeln; in der weitesten Uffnung schließlich ist es dasjenige Verhältnis, durch welches der Mensch sein Verhältnis zur Wahrheit ersetzt hat, indem er diese in das grundlegende Postulat entfremdete: er selbst sei die Wahrheit der Wahrheit.
Dieses Verhältnis, das jede mögliche Psychologie philosophisch begründet, konnte nur zu einer bestimmten Zeit in der Geschichte unserer Kultur definiert werden: zu der Zeit nämlich, wo die große Konfrontierung der Vernunft mit der Unvernunft sich nicht länger in der Dimension der Freiheit abgespielt hat, wo die Vernunft für den Menschen aufgehört hat, eine Ethik zu sein, um statt dessen eine Natur zu werden. Damals ist der Wahnsinn die Natur der Natur geworden, d. h. die Natur entfremdender und in ihrem Determinismus verkettender Prozeß, wäh-[>132]rend gleichzeitig die Freiheit ebenfalls die Natur der Natur wurde, aber im Sinn einer heimlichen Seele, eines unentfremdbaren Wesens der Natur. Und anstatt vor die große Wende des Irrsinns gestellt zu sein und in die Dimension, die sie eröffnet, ist der Mensch auf der Ebene seines natürlichen Seins das eine und das andere geworden, Wahnsinn und Freiheit, und hat kraft seines privilegierten Wesens das Recht auf sich versammelt, die Natur der Natur und die Wahrheit der Wahrheit zu sein.
Daß die
Psychologie niemals den Wahnsinn meistern kann, hat seinen guten Grund:
die Psychologie ist in unserer Welt erst möglich geworden, als der
Wahnsinn bereits gemeistert, als er vom Drama schon ausgeschlossen war.
Und wenn er, ein Blitz, ein Schrei, bei Nerval oder bei Artaud, bei Nietzsche
oder Roussel wieder auftaucht, so verstummt die Psychologie ihrerseits
und steht wortlos vor dieser Sprache, die den Sinn ihrer Worte jenem tragischen
Aufriß und jener Freiheit entlehnt, denen gegenüber die bloße
Existenz von »Psychologen« dem heutigen Menschen ein bedrückendes
Vergessen gewährleistet."
Wahnsinn
und Gesellschaft (1961)
Das Buch und die französische Psychiatrie |
Wird bei Gelegenheit weit kommentiert
Antipsychiatrische Bedeutung und vorläufige Bewertung
Foucaults Werk ist für mich schwer zu beurteilen, weil mir seine wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweise - wie etwa die Hegels, Heideggers oder der Frankfurter Soziologen Schule - ziemlich fremd ist. Es ist für mich ein Rätsel wie man Psychologe oder Psychopathologe sein kann, ohne mit wirklichen Menschen, ohne konkrete Explorationen, ohne Experimente, ohne Hypothesen, ohne Evaluation und Empirie arbeiten kann. So bleibt sein historisches und literarisch wohl sehr gelehrtes Werk für mich an der feuilletonistischen, historisierend philosphisch geistreich dialektischen Katheder- und intellektuellen Salon- Oberfläche.
Foucault ist für die Psychologie, Psychopathologie, Psychiatrie und Psychotherapie von seinen Leistungen her wenig bedeutsam. Seine Wirkung ist mehr feuilletonistischer, literarischer, gesellschafts- und kulturkritischer Natur. Für manche Zeitgenossinnen ist er auch mehr eine symbolische Kultfigur, die jeweils mit den eigenen Wünschen und Idealen projektiv aufgefüllt wird. So wohl auch überwiegend für die antipsychiatrische Bewegung. Im allgemeinen wird er summarisch zitiert und im einzelnen eher selten gewußt und verstanden - was zugegebenermaßen auch schwer ist. Seine tiefenschwangere Dialektik ist im Grunde so substanzlos wie seine argumentativen Überraschungssophismen eher lästig sind, wenn er Pappkameraden aufbaut, um sie anschließend souverän niederzuschlagen. So ist z.B. auch seine These daß Vernunft und Unvernunft sich wechselseitig bedingen eine terminologische Trivialität, die weder erhellt noch aufklärt. Natürlich versteht man den Begriff Tisch erst richtig, wenn man ihn den Nicht-Tischgegenständen gegenüberstellt. Natürlich kann nicht ermessen, was sonniges Wetter bedeutet, wer nur den Regen kennt. Das sind doch Plattheiten. Bedeutung und Wert der Dinge erkennen und ermessen wir, indem wir die Erfahrung der Abwesenheit, des Gegensatzes oder des Verlustes erleben.
Viel positiver und wichtiger als seine eigenwillige und eigenbestimmte Denkweise erscheint mir sein Interesse und implizit auch sein Engagement für die - teilweise und vorübergehend - Eigenwilligen, Sonderlinge, Schwachen, Anderen, die Gescheiterten, Gestrauchelten, Kriminelle, für die Ausgegrenzten, die Irren/ den und Gestörten. In gewisser Weise ist Foucault begabt, der Gesellschaft einen Spiegel für all jene Bereiche, Fugen und Nischen vorzuhalten, die gern ausgegrenzt, weggeschoben und verdrängt werden. Und so gesehen ist sein Werk ein gutes weil mahnendes Werk, das zur Wahrnehmung, Beachtung und Integration aufruft.
Foucault wird vielfach von antipsychiatrisch Engagierten zitiert, ohne daß klar wird, was er denn nun definitiv gesagt hat, weil er vieles und zugleich wenig bis nichts, Dunkles [siehe oben Schlußfolgerungen], Widerspruchsvolles und manch Falsches sagt, anreißt oder in den Raum stellt. Er scheint auch in der unseligen philosophischen Tradition gefangen, daß die Worte schon von selber etwas bedeuten und daß sie daher jeder einfach so verstehen kann (naiver Platonismus wie er z.B. für Freud und die Psychoanalyse typisch ist) wie sie sich vorfinden. Zwar verfaßt er ganze Bücher über Wahn und Wahnsinn, zugleich sucht man vergeblich nach einer Definition, einer praktischen Operationalisierung, wovon er denn nun eigentlich und letztlich wirklich spricht.
Dennoch unterscheidet er sich von den antipsychiatrisch radikal autonomen Fundamentalisten (ARAF) klar im Bekenntnis, daß es so etwas wie Wahn und Wahnsinn tatsächlich gibt. An der Existenz der klinischen Bilder läßt er so wenig einen Zweifel wie Thomas Szasz, wohl aber, und darum geht eigentliche Streit der wissenschaftlichen Antipsychiatrie ja, was die klinischen Bilder bedeuten und wie mit ihnen umzugehen ist (siehe Psychiatriekritik Klassifikation).
So gesehen hat die wissenschaftliche Antipsychiatrie auch nichts mit der antipsychiatrischen radikal autonomen Fundamentalisten (ARAF) von Scientology und einigen den ARAF- Aktivisten im Internet zu tun, die sogar die klinischen Bilder und ihre pathologische Bedeutung leugnen und mit allen agitatorischen und propagandistischen Mitteln bekämpfen. So scheidet sich der Wahn an der Anerkenntnis des Wahns.
Bibliographie
Überblick
auch bei Suhrkamp
Bemerkung: Die Dits et Ecrits
sind
inzwischen bei Suhrkamp erschienen.
Foucault bei Suhrkamp und im Internet
Biographie bei Suhrkamp: [entlinkt,
da URL ohne Weiterleitung verändert]
Bibliographie bei Suhrkamp: [entlinkt,
da URL ohne Weiterleitung verändert]
Links zu Foucault bei Suhrkamp [entlinkt,
da URL ohne Weiterleitung verändert]
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