Der Widerruf der Mißbrauchstheorie ("Verführungstheorie") durch Sigmund Freud
Die bahnbrechenden Forschungsergebnisse Jeffrey M. Massons
von Rudolf Sponsel, Erlangen
_ Einführung_
J.M.MassonAufnahme_der_Ergebnisse_
Forschungsergebnisse_Anmerkungen
von Klaus Schlagmann
_ Zusammenfassung
und Bewertung Deutungsbeispiel
Homosexualität_ Q
Querweise
Sexueller Mißbrauch
Einführung
Sigmund Freud hatte frühzeitig erkannt und am 21.4.1896 vor einem
kleinen Kreis Wiener Kollegen, auch vorgetragen daß zahlreiche
Kinder, in erster Linie Mädchen von Familienangehörigen und hier
hauptsächlich von ihren Vätern sexuell mißbraucht wurden.
Diese Entdeckung war hochexplosiv und Freud war sich darüber im Klaren,
daß er eine außerordentlich bedeutsame Entdeckung gemacht hatte.
Nachdem Freuds Entdeckungen von der Fachwelt nicht gebilligt und er deshalb
auch geschnitten und zunehmend isolierter wurde, geriet er in einen Konflikt
mit seinem Ehrgeiz und seinem wissenschaftlichen Gewissen. Wie meist unterlag
auch hier das Gewissen und Freud widerrief - im Gegensatz zu Galileo
Galiei ohne jede echte Bedrohung oder Not - seine Entdeckung im Jahre 1905
öffentlich. Jeffrey M. Masson, von Anna Freud zum Projektdirektor
des Sigmund Freud Archivs in London berufen, stieß bei der Neuherausgabe
des Briefwechsels Freuds mit Wilhelm Fließ auf einige unterdrückte
Briefe und andere wichtige Quellen, die die ganze Ungeheuerlichkeit gegen
den heftigsten Widerstand der psychoanalytischen Lobby ans Licht des Tages
brachte mit dem weltweit aufsehenerregenden Buch Was hat man Dir, Du
armes Kind getan? Seine Enttäuschung und Erschütterung auch
über die Reaktion seiner psychoanalytischen KollegInnen war so groß,
daß er den Beruf des Psychoanalytikers aufgab und in einem weltweit
aufsehenerregenden Titel sogar Die Abschaffung der Psychotherapie
forderte.
Jeffrey M. Masson
(Literatur)
|
Nach seinem Sanskrit- und Indologie- Studium Ausbildung zum Psychoanalytiker 1970-1978 in Toronto. Aufnahme in die Internationale Vereinigung der Psychoanalytiker. Praxis in Kalifornien. Korrespondenz mit Anna Freud. Projektleiter des Sigmund Freud Archivs in London. Recherchen Briefwechsel Freud - Fließ: Auslassungen von Anna Freud. Recherchen über Freuds Aufenthalt 1885/86 in Paris. 1981 Artikelserie in der New York Times zu den Funden. Nestbeschmutzer Protestwelle der Psychoanalytiker mit der Forderung, ihn zu entlassen. Aus dem Direktorium des Sigmund Freud Archivs mit der Begründung entlassen, er habe 'mangelndes Urteilsvermögen' bewiesen, weil er seine Ansichten vor einem nicht- professionellen Publikum erörtert habe. |
Zur
Aufnahme seiner Ergebnisse berichtet Jeffrey M. Masson:
"Die Ergebnisse meiner
Untersuchungen wurden von meinen Berufskollegen zunächst nicht sehr
freundlich und objektiv aufgenommen. Das hätte mich nicht überraschen
sollen, denn als mein Buch Was hat man dir, du armes Kind getan? Anfang
1984 erschien, beschäftigten sich die Rezensenten in erster Linie
mit dem Charakter des Verfassers und weniger mit den darin behandelten
Problemen. Ich hatte angenommen, daß die Bedeutung der von mir aufgefundenen
neuen Dokumente für die psychoanalytische Therapie - das waren zum
Beispiel bisher nicht veröffentlichte Briefe von Freud, neues Material
aus dem Pariser Leichenschauhaus über Kindsmißhandlungen und
bisher unbekannte Seiten aus dem persönlichen Tagebuch von Ferenczi
- von Kollegen geprüft werden würde, die mehr klinische Erfahrungen
hatten als ich. Doch das war ein großer Irrtum. Wo immer ich meine
Vorträge hielt, sogar in Frankreich, Italien, Spanien und Holland,
beschäftigte man sich vielmehr vor allem mit meiner äußeren
Erscheinung, meinem Anzug, meinen Motiven für die Untersuchung von
Fällen der Kindsmißhandlung, meinen Beziehungen zu meinem Vater,
meiner Mutter, meinem Psychoanalytiker, zu Anna Freud und anderen. Ich
hatte den Eindruck, daß weder meine Feststellungen noch ihre Bedeutung
unvoreingenommen beurteilt würden. Und ich machte die Erfahrung, daß
Menschen, die die geltenden Dogmen kritisieren, nicht ernst genommen werden.
Schließlich tröstete ich mich mit der Erkenntnis, daß
ich die für mich so schmerzlichen persönlichen Angriffe meiner
Naivität zu verdanken hatte.
Aber wenn auch Psychoanalytiker, Akademiker und andere Befürworter der Psychoanalyse nicht bereit waren, auf diese Probleme einzugehen, dann tat dies ein sehr wichtiger und lautstark für seine Rechte kämpfender Teil der Bevölkerung, die Feministinnen. Viele Frauen interessierten sich für die von mir zusammengetragenen historischen Materialien und Dokumentationen." |
Und die Allgemeinen und integrativen PsychotherapeutInnen natürlich auch: Wir bewundern den Mut und den Charakter, den unbestechlichen Forschergeist und die außerordentlich vielfältige Kompetenz dieses Mannes, der faktisch und praktisch gezeigt hat, wie eine echte WissenschaftlerIn handelt: unbeeindruckt von Mythen, Dogmen und egozentrischen Lobby-Interessen. |
Forschungsergebnisse
Massons
Anmerkungen
von Klaus Schlagmann
Masson berichtet zu Zur Entstehungsgeschichte von
«Zur Ätiologie der Hysterie» von Freud: "Sigmund
Freud hielt am Abend des 21. April 1896 vor seinen Kollegen, im Verein
für Psychiatrie und Neurologie in Wien, einen Vortrag, in dem Bewußtsein,
daß er damit «am Schlaf der Welt» F1
rütteln würde. Der Vortrag trägt den Titel «Zur Ätiologie
der Hysterie» F2 und eröffnete eine geradezu
revolutionäre Theorie seelischer Krankheit. Freuds neue Erkenntnis
lautete: Neurosen werden durch frühe sexuelle Traumen verursacht,
für die Freud die Begriffe «infantile Sexualszenen» F3
oder «Koitus im Kindesalter» F4 prägte.
Daraus entwickelte sich später die «Verführungstheorie»,
die frühkindliche traumatische Erfahrungen als wirklich erlebt und
nicht als Phantasien versteht, und aufspürt, welche tiefe Wunden diese
Kinder in ihr späteres Leben hineintragen.
Freud verwendet für «infantile Sexualszenen»
unterschiedliche Begriffe: Vergewaltigung, Mißbrauch, Verführung,
Angriff, Attentat (französisch: der Angriff, Vergehen; «attentats
aux moeurs» sind Sittlichkeitsvergehen und «attentats à
la pudeur» unzüchtige Handlungen), Aggression und Trauma; Worte,
mit denen die gegen das Kind gerichtete Gewalt des Erwachsenen im sexuellen
Akt deutlich wird - mit Ausnahme des unglücklich gewählten Wortes
«Verführung», das eine aktive Teilnahme des Kindes impliziert.
Freud hat diese in seinen frühen Schriften verwendeten Termini in
späteren Werken meist durch das Wort «Verführung»
ersetzt. In seinen später entwickelten Theorien, und vor allem in
der psychoanalytischen Theoriebildung nach Freud, wurde das Doppeldeutige
dieses Wortes [37] sehr oft einseitig interpretiert. Das «verführte»
Kind, hieß es, sei zugleich das verführende, das durch sein
Verhalten den sexuellen Akt provozierende Kind. In diesem frühen Aufsatz
jedoch läßt Freud noch keinen Zweifel daran, was er unter Verführung
versteht: ein dem Kind aufgezwungener sexueller Akt, der von dem Kind weder
gewünscht noch provoziert wird. So verstanden ist Verführung
grausam und gewalttätig und verletzt das Kind in allen Aspekten seines
Seins. Freud machte deutlich, daß zuallermeist Mädchen zu Opfern
werden. Das Kind ist weder körperlich reif für den Koitus - eine
Vergewaltigung mit oft lebensbedrohenden Folgen - noch gefühlsmäßig
vorbereitet auf den Ansturm sexueller Leidenschaft des Erwachsenen und
die damit verbundenen Schuldgefühle und Ängste. Der Erwachsene
läßt seine sexuelle und emotionale Frustration an einem Kind
aus, das viel zu verängstigt ist, um zu protestieren, zu schwach,
um sich zu verteidigen und existentiell zu abhängig von diesem Erwachsenen,
um sich irgendwo Beistand suchen zu können. Freud schilderte dieses
Beziehungs-Ungleichgewicht und die darin enthaltene sadistische Lust eines
Erwachsenen, seine Macht über ein Kind auszunutzen, mit scharfen,
bis heute aktuell gebliebenen Sätzen:
«Alle die seltsamen Bedingungen, unter denen das ungleiche Paar sein Liebesverhältnis fortführt: der Erwachsene, der sich seinem Anteil an der gegenseitigen Abhängigkeit nicht entziehen kann, wie sie aus einer sexuellen Beziehung notwendig hervorgeht, der dabei doch mit aller Autorität und dem Rechte der Züchtigung ausgerüstet ist und zur ungehemmten Befriedigung seiner Launen die eine Rolle mit der anderen vertauscht; das Kind, dieser Willkür in seiner Hilflosigkeit preisgegeben, vorzeitig zu allen Empfindlichkeiten erweckt und allen Enttäuschungen ausgesetzt, häufig in der Ausübung der ihm zugewiesenen sexuellen Leistungen durch seine unvollkommene Beherrschung der natürlichen Bedürfnisse unterbrochen - alle diese grotesken und doch tragischen Mißverhältnisse prägen sich in der ferneren Entwicklung des Individuums und seiner Neurose in einer Unzahl von Dauereffekten aus, die der eingehendsten Verfolgung würdig wären» F5. [38] |
Es wäre interessant zu wissen, wie die medizinischen Fachzeitschriften
auf Freuds Vortrag reagierten und ob man sich dort der theoretischen Tragweite
bewußt war. Da sich in der psychoanalytischen Literatur keinerlei
Hinweis auf diesen Vortrag fand, untersuchte ich während eines Wienaufenthaltes
die zeitgenössischen medizinischen Fachblätter und stieß
dort auf eine bislang unbeachtete Notiz: Die Wiener klinische Wochenschrift
erwähnte am 14. Mai 1896 drei Vorträge einer Sitzung vom 21.
April; abweichend von ihrer üblichen Praxis, Vortragstitel, eine kurze
Inhaltsangabe und einen Kurzbericht der abschließenden Diskussion
zu geben, hieß es über den dritten Vortrag kurz und bündig:
«Docent Sigm. Freud: Über die Ätiologie der Hysterie».
Meines Wissens gibt es keine Hörer-Mitschriften zu Freuds Vortrag.
Freud selbst faßte die Ereignisse jenes Abends in einem Brief zusammen,
den er am 26. April einem seiner engsten Freunde, dem in Berlin lebenden
Hals-, Nasen- und Ohrenarzt Wilhelm Fließ (1858-1924) schrieb:
«Ein Vortrag über Ätiologie der Hysterie im Psychiatrischen Verein fand bei den Eseln eine eisige Aufnahme und von Krafft-Ebing die seltsame Beurteilung: Es klingt wie ein wissenschaftliches Märchen. Und dies, nachdem man ihnen die Lösung eines mehrtausendjährigen Problems, ein caput Nili aufgezeigt hat!» F6 |
In der Erstveröffentlichung dieses Briefes von
Max Schur fehlte noch der Schlußsatz, mit dem Freud seine unverhohlene
Aversion gegen seine Kollegen zeigte: «Sie können mich alle
gern haben.» Wie diesem Brief zu entnehmen ist, führte Richard
Freiherr von Krafft-Ebing (1840-1902),
angesehener Professor und Leiter der Psychiatrischen Abteilung an der Universität
Wien, an diesem Abend den Vorsitz. Da Freud sehr genau spürte, daß
er Bedeutsames entdeckt hatte, nahm er das Mißfallen seiner Kollegen
bewußt in Kauf, auch auf die Gefahr hin, in medizinischen Kreisen
geächtet zu werden.
Freuds Patientinnen stellten sich mutig ihren Erinnerungen
an das, was ihnen in ihrer Kindheit angetan worden war - nicht selten Mißbrauch
durch den Vater. Auch wenn sie über ihre traumatischen Verletzungen
vor Freud reden konnten, trauten sie oft ihren eigenen [39] Erinnerungen
nicht und erinnerten auch nur mit Widerstand ihre tiefsitzende Scham und
ihren Schmerz. Freud hörte zu, verstand und ermutigte sie, diese furchtbaren
Ereignisse zu erinnern und auszusprechen. Er dachte nicht daran, dies alles
als Phantasien abzutun:
«[...] die Bedenken gegen die Echtheit der infantilen Sexualszenen aber kann man bereits heute durch mehr als ein Argument entkräften. Zunächst ist das Benehmen der Kranken, während sie diese infantilen Erlebnisse reproduzieren, nach allen Richtungen hin unvereinbar mit der Annahme, die Szenen seien etwas anderes als peinlich empfundene und höchst ungern erinnerte Realität. » F7 |
Diese Erinnerungen entsprangen keineswegs intellektuellem Gedankenspiel.
Freuds Patientinnen erinnerten sich an ihre Traumen «mit allen zu
ihr [der erinnerten <Szene>] gehörigen Empfindungen».
F8
Mit anderen Worten: Erst mit der Ermutigung sich zu erinnern, konnten so
heftige Gefühle wie Ärger und Ekel, das Gefühl von Hilflosigkeit
und Verrat, die bei dem ursprünglichen Übergriff abgewehrt worden
waren, zugelassen und angeschaut werden. Freud muß sich wie der Entdecker
eines längst versunkenen Kontinents empfunden haben. Freud kannte
den Widerstand seiner Kollegen und Lehrer, über derartig unbequeme
Tatsachen nachzudenken und räumte ein, es sei ihm selbst schwer gefallen,
der Wahrheit ins Gesicht zu sehen:
«Zur Streitsache selbst will ich nur bemerken, daß die Auszeichnung des sexuellen Moments in der Ätiologie der Hysterie bei mir mindestens keiner vorgefaßten Meinung entstammt. Die beiden Forscher, als deren Zögling ich meine Arbeiten über Hysterie begonnen habe, Charcot wie Breuer, standen einer derartigen Voraussetzung ferne, ja sie brachten ihr eine persönliche Abneigung entgegen, von der ich anfangs meinen Anteil übernahm.» F9 |
Freud war auf die Reaktion seiner Kollegen vorbereitet. Lange Zeit war
das Ausmaß seiner Isolation nicht einzuschätzen, da in der gekürzten
Briefausgabe seiner Briefe an Fließ folgende Sätze, mit Datum
vom 4. Mai 1896, fehlten: [40]
«Isoliert bin ich, daß Du zufrieden sein kannst. Es sind irgendwelche Parolen ausgegeben worden, mich zu verlassen, denn alles fällt ringsum von mir ab.» F10 |
Als Freud zehn Tage später feststellen mußte, daß in
der Wiener klinischen Wochenschrift - einer Zeitschrift, die er antisemitischer
Tendenzen verdächtigte F11 - nur der Titel seines
Vortrags ohne die üblichen Zusatzinformationen oder gar einen Hinweis
auf die geplante Veröffentlichung abgedruckt worden war, schrieb er
bald darauf, am 30. Mai, an Fließ:
«Meinen Kollegen zum Trotz habe ich den Vortrag über Ätiologie der Hysterie ausführlich [...] niedergeschrieben. » F12 |
Er veröffentlichte diesen Aufsatz schon nach wenigen Wochen F13
- glücklicherweise, muß man hinzufügen, da Freud diesen
Schritt später bereute und sogar abqualifizierte. Die frühkindlichen
traumatischen Erfahrungen, die ihm einzugestehen seine Patientinnen den
Mut gehabt hatten, sollten in späteren Jahren von Freud als Phantasien
hysterischer Frauen, denen er unterstellte, Geschichten zu erfinden und
Lügen zu erzählen, abgetan werden. Freud sollte seinen eigenen
Mut zurücknehmen, indem er die vorgetragenen Befunde als übereilt
bezeichnete.:
«Ich schenkte diesen Mitteilungen Glauben und nahm also an, daß ich in diesen Erlebnissen sexueller Verführung in der Kindheit die Quellen der späteren Neurose aufgefunden hatte [...] Wenn jemand über meine Leichtgläubigkeit mißtrauisch den Kopf schütteln sollte, so kann ich ihm nicht ganz unrecht geben.» F14 |
Er nahm zurück, was er über die Ätiologie der Hysterie
dargelegt hatte: daß die Neurose im Kern auf sexuellen Mißbrauch
zurückzuführen ist. Seine Patientinnen, so befand er jetzt, hätten
sich selbst und ihn angelogen.
«Ich mußte dann doch erkennen [...] diese Verführungsszenen seien niemals vorgefallen, seien nur Phantasien, die meine Patienten erdichtet»F15 haben - eines der härtesten Urteile Freuds in dieser Sache. Viele Analytiker haben diese Bewertung übernommen. Seine vorwiegend weiblichen Patienten - so schrieb Freud nun, litten un[41]ter einer ihr Leben beherrschenden, weit verbreiteten Phantasievorstellung: |
«Da die Kinderonanie eine so allgemeine Tatsache ist und so schlecht erinnert wird, so muß es dafür ein Äquivalent im psychischen Leben geben. Dieses findet sich tatsächlich in der bei den meisten Patientinnen anzutreffenden Phantasie, der Vater habe sie in der Kindheit verführt. Das ist die spätere Umarbeitung, welche die Erinnerung an die infantile Sexualität verdecken soll und eine Entschuldigung und Beschönigung derselben darstellt. Der Kern von Wahrheit, den sie enthält, ist darin gelegen, daß der Vater tatsächlich durch seine harmlosen Zärtlichkeiten in der allerersten Kinderzeit die Sexualität des kleinen Mädchens geweckt hat (für den Knaben und seine Mutter gilt das gleiche). Dieselben zärtlichen Väter sind es dann auch, welche sich bemühen, dem Kinde die Masturbation, deren unschuldige Ursache sie geworden waren, abzugewöhnen. Und so mischen sich die Motive in der glücklichsten Weise zur Bildung dieser Phantasie, die oft das ganze Leben des Weibes beherrscht (Verführungsphantasie): ein Stück Wahrheit, ein Stück Liebesbefriedigung und ein Stück Rache. » F16 |
Als Freud seine «irrtümliche» Auffassung aufgegeben hatte, bekam er wieder Zugang zur medizinischen Fachwelt, von der er zuvor geschnitten worden war. Freud widerrief 1905 öffentlich die Verführungstheorie, und schon 1908 hatten sich ihm angesehene Ärzte angeschlossen: Paul Federn, Isidor Sadger, Sandor Ferenczi, Max Eitington, Carl Gustav Jung, Ludwig Binswanger, Karl Abraham, Abraham Brill und Ernest Jones. Jetzt wurde die psychoanalytische Bewegung geboren - aber eine tiefgreifende Wahrheit blieb auf der Strecke. Was war passiert? Warum hat Freud die «Verführungstheorie» widerrufen? Was veranlaßte ihn zu seiner plötzlichen Kehrtwendung, die das Leben unzähliger Analysandinnen in diesem Jahrhundert bis auf den heutigen Tag beeinträchtigt hat? Psychoanalytiker waren nicht besonders interessiert an Freuds Motiven seines Gesinnungswandel, auch wenn sie mit ihm überzeugt waren und sind, daß die Psychoanalyse sich nur in der Absage an die «Verführungs[42]theorie» entwickeln konnte. Die offizielle Erklärung, Freud habe aus klinischen Beobachtungen geschlossen, einem Irrtum aufgesessen zu sein, ist nicht überzeugend. Aus diesem Grund will dieses Buch bislang unbekanntes, nicht beachtetes oder falsch interpretiertes Beweismaterial zur Diskussion stellen und verdeutlichen, was Freud zu diesem so folgenschweren Schritt bewogen haben mag.
Daß bisher befriedigende Erklärungen für Freuds Widerruf der Verführungstheorie fehlen, hängt auch damit zusammen, daß weder Freud noch seine Biographen Auskunft darüber geben, wie Freud seine Theorie entwickelte und welche Erfahrungen dabei ausschlaggebend waren. Ohne Antwort auf solche Fragen bleibt es nur bei einer Annäherung an die Ursprünge der Psychoanalyse; das wäre aber noch keine gut belegte Geschichtsschreibung. Auf der Suche nach der wirklichen Geschichte erscheint es mir notwendig, Freuds Aufenthalt in Paris neu zu bewerten, da er selbst in späteren Jahren andeutete, wie entscheidend diese Zeit für die Entwicklung der Psychoanalyse gewesen sei." F17
Sigmund Freud hatte 1896 frühzeitig erkannt, daß zahlreiche Kinder, in erster Linie Mädchen von Familienangehörigen und hier hauptsächlich von ihren Vätern sexuell mißbraucht wurden. Diese Entdeckung war hochexplosiv und mochten seine FachkollegInnen nicht akzeptieren, so daß Freud geschnitten und isoliert wurde. Unter diesem Eindruck widerrief Freud ohne jede Not 1905 öffentlich seine Einsichten und seine Überzeugung, indem er die sog. Verführungstheorie, die korrekt Mißbrauchs-Theorie genannnt werden muß, zu einem Phantasieprodukt seiner PatientInnen erklärte. Seine SchülerInnen folgten ihm, nicht wenige weltweit bis auf den heutigen Tag. Wir kennen die Zahl nicht genau, waren es 10.000, Hunderttausend, eine Million oder noch mehr in den hundert Jahren, in denen Opfern sexuellen Mißbrauchs die ihnen angetanen Schwerverbrechen nicht geglaubt und als Phantasieprodukte abgetant wurden. So wurden die Opfer gleich zwei Mal bestraft: durch die Mißbrauchstaten und die von arroganten, opportunistischen und zynischen PsychoanalytikerInnen nicht ernst genommenen Angaben ihrer PatientInnen. So manche mag sich daher fragen: wie ist es nur möglich, daß solche Psychotherapien in Deutschland als Richtlinienverfahren (Analytische Psychotherapie) Anerkennung finden und von den sozialen Kostenträgern finanziert werden? Denn schließlich ist dies ja nicht der einzige gravierende Mangel, den die Psychoanalyse und Analytische Psychotherapie zu bieten haben: eine Theorie, die in wesentlichen Kerninhalten aus mythologischen Phantastereien besteht (Beispiel Ödipuskomplex), die PatientInnen fortschreitend übergestülpt und aufgenötigt werden, was mit sehr gefährlichen Eingriffen in die Persönlichkeit der PatientInnen verbunden sein kann, wie man drastisch auch an der unwissenschaftlichen Auffassung der Homosexualität als "Perversion" sehen kann [Beispiel hier], die von einigen PsychoanalytikerInnen sogar bis in die Gegenwart hinein immer noch so gesehen wird. Am schlimmsten ist aber wohl die der Psychoanalyse und Analytischen Psychotherapie innewohnende Neigung, PatientInnenäußerungen für mit Phantasie- oder Wünschen angereicherte oder überwucherte Produkte zu halten, deren Bedeutung erst durch die Filter psychoanalytischer Interpretation zu Tage tritt. |
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Wenn ich jemals emen solchen Wunsch gehabt haben sollte, so habe ich
ihn seither lang vergessen, jedenfalls aber fand ich diese Idee höchst
bestürzend."
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