Tinnitus
Allgemein, integrativ und epidemiologisch kritisch
gesehen
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Erstausgabe 21.5.2002, Letztes Update 24.05.02
In Feldmann (1998, 1-34) findet sich auch ein Kapitel zur Geschichte des Tinnitus von Feldmann. Hier eine Zusammenfassung: In den alt- ägyptischen Schriften finden sich nach Feldmann keine Hinweise auf Tinnitus, wahrscheinlich aber schon in den babylonischen Schriften, wo das Singen im Ohr mehr als 10mal erwähnt wird (S.3). Auch im indischen Ayur-Veda in dem das medizinische Wissen des Sanskrit (ab 1500 v.Chr.) zusammengefaßt ist, wird davon gesprochen, "wenn einer nichtexistierende Töne hört ..." (S.3). Bei den alten Griechen wird Tinnitus im Corpus Hippocraticum 6mal erwähnt. (S.3). In den Aristotelesschülern zugeschriebenen Schriften Problemata physica wird bereits ein empirsich und therapeutisch sehr interessanter Befund beschrieben: "Warum hört das Summen in den Ohren auf, wenn jemand ein Geräusch macht? Doch wohl deshalb, weil das größere Geräusch das kleinere vertreibt." (S.5). Celsus (30. n. Chr.), zwar selbst kein Arzt, trug das medizinische Wissen seiner Zeit auch zum Tinnitus zusammen. Auf den römischen Enzyklopädisten Plinius der Ältere (23-79 n. Chr.) scheint der Ausdruck Tinnitus zurückzugehen (S.6). Galen (129-199) erwähnt Tinnitus insgesamt 10mal (S.6). Alexander von Tralles (525-605), Bruder des Architekten der Hagia Sophia in Konstantinopel, widmete als erster in seiner Medizingeschichte ein ganzes Kapitel dem Tinnitus (S.7). Auch Paul von Ägina (625-690) behandelt in seinen Schriften den Tinnitus ausführlich wie die persischen Ärzte und Gelehrten Rhazes (865-925) oder Avicenna (980-1038) und die mittelalterlichen neuen Medizinzentren des 12-14. Jahrhunderts in Salerno (Italien) und Montpellier (Frankreich) (S.8). Mit der Renaissance kam ein neuer Geist und Schub der Erkenntnisse: Versalius beschrieb 1543 erstmals Mittelohr, Hammer und Amboß, Ingrassia entdeckte 1546 den Steigbügel, Fallopio 1661 den Faszialiskanal u.v.a.m. (S.10). Der Schweizer Arzt Wepfer (1620-1695) beschreibt den Symptomenkomplex Ohrensausen und Schwindel. Dem Franzosen Duverney (1648-1730), Avignon u. Paris, wird erste Monographie über das Ohr zugeschrieben. Er stellte vermutlich als erster die These auf, daß die Hörempfindung sowohl durch äußere (Schall) als auch durch innere (nervörse) Reize ausgelöst werden kann und beschreibt zwei Typen des Tinnitus (S.12). Als weiterer Meilenstein gilt 120 Jahre später das Werk des Franzosen Itard (1775-1838). Sein Werk enthält - einmalig für die damalige Zeit - 172 detaillierte Fallberichte, darunter sind vier Fallberichte auf 21 Seiten dem Tinnitus gewidmet (S.13). Es folgen Auführungen zur Geschichte des Tinnitus in Großbritannien und Deutschland im 19. Jhd. (S.16) und anschließend die historische Nomenklatur und Klassifikationen: Duverney 1683; Grapengießer 1801; Itard 1822; Gradenigo 1893 (S.17-20). Das Kapitel schließt mit einer Aufzählung bedeutender Persönlichkeiten, die an Tinnitus litten: Luther, Rousseau, Lichtenberg, Beethoven, Smetana, Goya (S.27-31).
Interdisziplinäre
Kooperation notwendig
Es versteht sich eigentlich von selbst, daß eine
psychotherapeutisch- unterstützende Behandlung 'des' - es gibt viele!
- Tinnitus nur in Kooperation mit einer medizinischen Tinnitus- SpezialistIn
(HNO-ÄrztIn, NeurologIn, OrthopädIn, InternistIn) kunstgerecht
und sinnvoll erscheint, weil das Symptom Tinnitus viele Ursachen haben
kann.
Allgemeine und biographische Anamnese
Spezielle individuelle biopsychosoziale Symtom-Anamnese
Mögliche
Ursachen des Tinnitus Aurium nach Lenarz
in Feldmann (1998, S.86); verständlicher s.u. unter
Tönnies
Tabelle 4.4 Mögliche Ursachen subjektiver Ohrgeräusche
(Tinnitus aurium)
Mögliche
Ursachen des Tinnitus nach Tönnies
(1991 ff, S. 18-23)
Siehe Homepage: https://home.t-online.de/home/SToennies/
Mögliche Ursachen nach Hocker (1997, S. 21)
Ursachen des (subjektiven) Tinnitus:
2. Ernährungsstörungcn
2.1 Sauerstoffmangel (Infarkt, Streß)
2.2 Vergiftungen (Medikamente, Umweltgifte)
3. Reflektorische Störungen
3.1 Halswirbelsäule
3.2 Kiefergelenke
4. Folge von anderen Erkrankungen des Mittel- und Innenohrs,
Hörnervs oder Gehirns
Spezielle
biopsychosoziale Exploration zur Umweltverschmutzung und Technologiebelastung
Die meisten medizinischen AutorInnen gehen auf Umweltgifte und Technologiebelastung (Elektrosmog, Handys usw.) nicht ein. Eine Ausnahme bildet Hocker (1997, S.24):
Umweltgifte
Siehe auch: Exkurs:
Ist die Medizin blind für pathogene Umweltfaktoren?
Exkurs: Stufendiagnostik bei Tinnitus Aurium nach Lenarz
in Feldmann (1998, S.85), also aus Sicht der HNO-ÄrztIn
1. Spezifische Tinnitus-Anamnese
2. Otologische Diagnostik
3. Audiologische und neurootologische Diagnostik
4. Spezielle Audiologische Diagnostik (s. auch
Kapitel 5.)
5. Allgemeine medizinische Diagnostik
6. Erweiterte medizinische Diagnostik (im Einzelfall
nützlich)
7. Objektivierende diagnostische Verfahren (vorläufig
nur von wissenschaftlichem Interesse)
Literatursammlung zur Epidemiologie des Tinnitus in Lenarz in Feldmann (1998, Hrsg., S.82-83).
Ergebnisse Epidemiologie nach Lenarz in Feldmann (1998, Hrsg., S.77): Industriegesellschaft, Alter (40/50) und Lärm machen die Erscheinung eines Tinnitus wahrscheinlicher.
Faktor Industriegesellschaft nach Lenarz in Feldmann (1998, Hrsg., S.77). :
Faktor Alter nach der NHS-Studie in Lenarz
in Feldmann (1998, Hrsg., S.77).
Faktor Lärm nach der NHS-Studie in Lenarz in Feldmann (1998, Hrsg., S.77).
Faktor Belastung und Streß
Faktor Umwelt- und Technologieverschmutzung
Beide Begriffe tauchen bei Feldmann (1998, Hrsg.) nicht
auf.
Medizinische Faktoren der Entstehung des Tinnitus
nach Lenarz in Feldmann (1998, Hrsg., S.82-83).
Allgemeinmedizinische und internistische Befunde: kein
bis geringer Zusammenhang (S.81).
Halswirbelsäule und Kiefergelenk würden zwar
häufig genannt, aber seien statistisch nicht gesichert (S.81).
Häufigkeitsentwicklung
des Tinnitus nach Tönnies
"In Deutschland leiden mehr als drei Millionen Menschen
unter Ohrgeräuschen (Tinnitus), davon mindestens eine halbe
Million so unerträglich, dass sie kein normales Leben mehr führen
können. Außerdem werden jährlich 340.000 neu von chronischem
Tinnitus betroffen. Die Ärzte stehen dieser Gesundheitsstörung
oft hilflos gegenüber, da Ohrgeräusche nur selten erfolgreich
medizinisch zu behandeln sind, und fühlen sich bei den psychischen
Begleitproblemen zumeist überfordert. Dies drückt sich dann in
dem sicherlich wohlgemeinten Rat aus: "Sie müssen eben lernen, damit
zu leben." (zit. n. 10. Auflage, Quelle Homepage)
Häufigkeitsentwicklung
des Tinnitus nach der Deutschen Tinnitus-Liga
"3 Millionen Tinnitus-Betroffene in Deutschland. Die
Deutsche Tinnitus-Liga e.V. (DTL) präsentiert erstmals wissenschaftlich
fundierte Zahlen über die Tinnitus-Betroffenheit für die Bundesrepublik
Deutschland. Das Ausmaß ist größer als bisher angenommen.
Wuppertal, Juni 1999. (DTL) - 'Tinnitus
ist eine Volkskrankheit' resümiert Elke Knör, Präsidentin
der Deutschen Tinnitus-Liga. Mit knapp 3 Millionen aktuell Betroffenen,
das entspricht vier Prozent der Gesamtbevölkerung, liege die Quote
ähnlich hoch wie bei Diabetes. Bereits jeder vierte der Gesamtbevölkerung
hat schon mal Tinnitus erlebt. Allein 1,5 Millionen Bundesbürger beeinträchtigt
der Tinnitus mittelschwer bis zur Unerträglichkeit. Sie benötigen
in unterschiedlicher Art der therapeutischen Hilfe. Diese Zahl liegt um
50% höher als bisher angenommen. Unerwartet hoch ist auch die jährliche
Zuwachsrate von 270.000 Betroffenen mit chronischem Tinnitus. Ein Tinnitus
wird als chronisch bezeichnet, wenn er mehrere Wochen andauert."
Jährlich
kommt es bei 10 Millionen Deutschen inzwischen zu einem Tinnitus
https://www.buergerwelle.de/d/doc/gesund/tinnitus.htm
Ergebnisse einer Fragebogenaktion an 110 HNO-Patienten
mit Ohrgeräuschen, Allergien, Nervenkrankheiten, Epilepsie, psychiatrischen
Erkrankungen (für Details bitte hier anklicken). Nachricht von Gerd
Ernst Zesar. Von Prof. Dr. med. H. J. Wilhelm HNO-Facharzt Stimm- und Sprachstörungen
Sportmedizin Stellvertretender Präsident d. Gesundheitsforum
Rhein-Main e. V.
In Bayern gab es ein Institut für Arbeitsmedizin, dessen Professor dafür berüchtigt war, daß er zugunsten Betroffener nie etwas "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" herausfinden konnte. Das liebte die Industrie und so überschütteten sie ihn mit Aufträgen unter kräftiger Mithilfe einer einseitigen Justiz, die damit, statt Recht zu sprechen, tatsächlich Unrecht gefördert und den Geist der Rechtsidee gebeugt hat, nämlich daß Geschädigte Anspruch auf Schadensersatz haben. Denn meist wird nach dem Prinzip geurteilt: in dubio pro pecuniam et contra populum (Im Zweifel für das Geld und gegen das Volk).
Die Medizin steht in dem schlechten Ruf, schon immer mit den Mächtigen und vor allem mit den Geldgebern ein allzu enges Amigo-Bündnis einzugehen. Möglicherweise hat dies mit ihrem unstillbaren Hunger nach Geld und Anerkennung zu tun. Sieht man sich das auf den ersten Blick ausgezeichnet erscheinende Buch von Feldmann et al. genauer an, so fällt auf, daß die AutorInnen ziemlich blind für die epidemische Entwicklung des Tinnitus sind und noch nicht einmal theoretisch die Komponente Umweltverschmutzung und Technologiebelastung erwägen. Das Tinnitus etwa mit der industriell- gesellschaftlichen Entwicklung zu tun hat, erfährt man in dem sonst sehr informativen Werk nur implizit durch die Formulierung: "Unter den Lebensbedingungen einer Industriegesellschaft tritt bei 35-45% aller Erwachsenen über 17 Jahren zu irgendeinem Zeitpunkt ein transientes oder permanentes Ohrgeräusch unterschiedlicher Lautheit auf."
Was spricht nun überhaupt dafür,
die Forschungshypothese Umweltgifte und Technologiebelastung als bedeutungsvoll
für die Tinnitus- Epidemie aufzustellen? Der Grund ist so offensichtlich,
daß die Tinnitus- Lobby offenbar dem Prinzip folgt: vor lauter
Bäumen den Wald nicht sehen:
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Es ist einfach nicht normal und nachvollziehbar, daß
innerhalb kürzester Zeit urplötzlich Millionen von Tinnituskranken
mit exorbitanten jährlichen Zuwachsraten wie Pilze aus dem Boden schießen.
Man erinnere sich: das erste deutsche Tinnitus-Buch erschien 1986, dessen
Autor noch im selben Jahr die Tinnitus- Liga ins Leben rief. Noch 1979
kommt im großen Uexküll zur Psychosomatik - wie in den allermeisten
anderen Psychosomatikbüchern auch - das Stichwort Tinnitus gar
nicht vor.
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Ist es (auch) eine Mode Erscheinung? Ist es (auch) eine suggestive Massen-Epidemie? Ist es (auch) ein getrimmtes Syndrom? Steckt (auch) die Abrechnungslobby dahinter? Spielen (auch) Umweltverschmutzung und (auch) Technologiebelastung [Elektrosmog] eine wichtige Rolle? |
Überlegen wir: was war 1986? Gibt es irgendein herausragendes
Ereignis, daß wir zu dieser relativ plötzlichen Tinnitusepidemie
in Beziehung setzen könnten? Oder sollten wir die Umweltverschmutzung
und Technologieentwicklung der ganzen 80er Jahre - oder noch länger?
- betrachten (s.u.)?
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Es ist natürlich auch möglich, daß das Phänomen Tinnitus schon einige Jahre oder sogar Jahrzehnte unter den Lebensbedingungen einer Industriegesellschaft schwelte und erst in den 80er Jahren die entsprechende Aufmerksamkeit fand. Doch auch dies wäre natürlich kritisch zu untersuchen und zu reflektieren.
Die
wichtigsten Faktoren aus Umweltverschmutzung und Technologiebelastung in
der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts sind:
Die Probleme der Umwelt erfahren in den 80er Jahren durch zahlreiche Umwelt- Katastrophen (Ozonloch, Waldsterben, Industrieunfälle, Wasserverschmutzung) eine erhöhte Aufmerksamkeit. Die Bedeutung des zunehmenden kritischen Umweltbewußtseins kommt am klarsten durch die Umweltschutzbewegungen zum Ausdruck (z.B. Greenpeace, ökologische Parteien, Robin Wood).
Literatur: Biesinger
und Tönnies.
[Beachte hierbei]
In den folgenden Werken finden Sie zahlreiche weitere
Literaturhinweise:
Weiter finden Sie zahlreiche Literaturangaben unter
den Internet-Links zum Tinnitus.
Allgemeines, Epidemiologie, Forschung, Diagnotistik, Beratung, Hilfe und Selbsthilfe
Links
Umweltverschmutzung und Technologiebelastung bei Tinnitus
end-kontrolliert: irs 20.5.2