GEK-Report
2007
Schwerpunkt Psychotherapie
GEK-Report ambulanter ärztlicher Versorgung [PDF]
GEK Digitale Pressemappe [PDF]
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Kritik des GEK-Reports 2007 Schwerpunkt Psychotherapie
In der Studie werden viele wichtige Begriffe nicht fundiert kritisch erörtert, klar operationalisiert und evaluiert. Der Sinn mancher Begriffe bleibt gänzlich im Dunkeln, z.B. die sog. "Vorbeobachtungszeit". Die beiden wichtigsten Begriffe im Zusammenhang mit Psychotherapieforschung, Evaluation und Wirksamkeit sind mit der Suchfunktion auch nicht zu finden:
Die Daten zur Anzahl der Arztbesuche stehen in Widerspruch zu den seit Jahren sinkenden Krankheitstagen, was weder kritisch erörtert, geschweige denn aufgeklärt wird. Auch die Zunahme der ambulanten Psychotherapien zwischen 2000 und 2006 wird nicht aufgeklärt, obwohl der augenscheinliche Zusammenhang zumindest auf der Hand liegt, weil durch das Psychotherapeutengesetz 1999 der allgemeine Zugang zur Psychotherapie erleichtert und geregelt wurde:
Noch nicht einmal eine einfache Korrelationsrechnung wurde von den von der GEK beauftragten Wissenschaftlern hierzu durchgeführt. Aber auch die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse und Rahmenbedingungen wurden überhaupt nicht berücksichtigt:
Die Maße für die "positiven Wirkungen" der Psychotherapie
Seite 192 erläutert die Operationalisierung von "positiver Wirkung":
Kritik der Operationalisierung
Der Ansatz "positive Wirkungen" über die Anzahl von Arztkontakten zu messen ist vollkommen falsch, weil seit 1.1.2004 durch die Praxisgebühr viele Arztkontakte ja erst erzwungen wurden, wenn die PatientInnen die 10 Euro Praxisgebühr nicht mehrfach zahlen wollen. Diese Regelung ist ohnehin unverständlich, ja sogar unsinnig, weil Psychotherapie eine genehmigungspflichtige Leistung ist, die beantragt und bewilligt werden muss. Hinzu kommt, dass mit eingeführtem Hausarztmodell ja eine vielfältige Vernetzung und Kommu- nikation erwünscht ist und auch entsprechend gefördert wurde. Nicht vergessen werden darf auch, dass zur Aufnahme einer Psychotherapie ein ärztlicher Konsiliarbericht nötig ist, der häufig auch ausdrücklich ärztliche Begleitung vorsieht. Die blosse blanke Anzahl ist daher nicht nur nicht geeignet, "positive Wirkungen" angemessen zu repräsentieren, sondern falsch, weil die vielen neuen Arztkontakte seit 2004 mit der Gesundheitsreform konfundiert sind. Die Argumentation erinnert an die alten Zeiten der Kostenerstattung vor dem Psychotherapeutengesetz 1999. Dort hat man erst die Kostenerstat- tungspsychotherapeutInnen von der Teilnahme am System ausgeschlossen, um ihnen anschließend vorzuhalten, sie hätten nicht daran teilgenommen. |
Arzneiverordnungsvergleiche
Die Methodik der Arzneiverordnungsvergleiche wird - wie alle anderen
relevanten Themen und Begriffe auch - nicht kritisch erörtert und
auch nicht begründet. So verwundert nicht, dass schon die einfachen
Angaben S. 192 ff teilweise unklar, teilweise widersprüchlich
erscheinen.
(1) "Allgemeine Vergleichsgruppe" 1,25 Präparate pro Quartal.
(2) Psychotherapiegruppe nicht unter 2 Präparate pro Quartal.
(3) Psychotherapiegruppe kurz vor Aufnahme der Psychotherapie 2,6 Präparate
pro Quartal, wobei die Zunahme um ca. 0.5 ausschließlich aus dem
Bereich der Psychopharmaka resultiere (S. 200), was natürlich niemanden
überraschen kann.
(4) S. 200 führt aus, dass die Psychotherapiegruppe erst zwei
Jahre nach Abschluss der Psychotherapie wieder ihren Ausgangswert 1 Jahr
vor Genehmigung mit 0.55 Präparaten je Quartal erreiche während
(5) die "allgemeine Vergleichsgruppe" 0,16 Präparate je Quartal
bedürfe.
Die Angaben (2) und (4) widersprechen sich ebenso wie die Angaben (1)
und (5).
Ungeachtet dessen, ergibt sich zwischen 2,6 Präparaten pro Quartal
kurz vor Aufnahme einer Psychotherapie und 0,55 Präparaten pro Quartal
eine Verbesserung um den Faktor 4,72 (!) PsychotherapiepatientInnen
brauchen also 2 Jahre nach Abschluss einer Kurzzeitpsychotherapie 4,72
mal so wenig Präparate wie zuvor. Selbst dieser extrem positive Verhältnisfaktor
erscheint nicht geeignet, den Autoren einen positiven Kommentar zu entlocken.
Krankenhausaufenthalte
Die Autoren führen S. 203 aus, dass in einer "durch die Psychotherapiegruppe
determinierten Geschlechts- und Altersstruktur pro Person Verweilzeiten
von etwa 0.25 Tagen je Quartal erwartet werden." Hingegen lägen die
Werte in der Gruppe mit Genehmigung einer Psychotherapie zu jedem Zeitpunkt
merklich höher. "Auffällig erscheint, dass die höchste Inanspruchnahme
mit merklichem Abstand bereits im Quartal vor Genehmigung der Psychotherapie
zu verzeichnen ist." Das verbessert sich ebenso drastisch positiv nach
der Psychotherapie wie bei den Arzneiverordnungen, allerdings nicht in
der Interpretation der Autoren:
Sieht man sich aber ihre Graphik S. 204 genau an
errechnet man mühelos, dass die Psychotherapie unter Q9 wieder bei 0,25 angekommen ist, während die allgemeine Vergleichsgruppe übr. Diag. hier bei ca. 0.24 Krankenhaustagen liegt. Die Psychotherapiegruppe ist also um den Faktor 0.25/0.24 = 1,04 schlechter als die "allgemeine Vergleichsgruppe". Aber die Psychotherapiegruppe kommt von dem Spitzenwert 1,1 vor Aufnahme der Psychotherapie. Sie verbessert sich also um den Faktor 1,1/0.25 = 4,4, sie hat also 4,4 mal so wenig Krankheitstage nach der Psychotherapie wie vorher.
Zusammenfassung: Diese Studie verdient ihren Namen nicht. Bestenfalls kann man den deskriptiven Daten trauen, obwohl auch diese nicht evaluiert bzw. validiert wurden, was besonders bei den Diagnosen nötig wäre. Die sehr positven Ergebnisse bei den Arzneiverordnungen und den Krankenhaustagen werden nicht einmal angemessen erkannt und dargestellt. Wie man aber mit Daten umgeht, wie man sie in die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung einbettet, zueinander in Beziehung setzt und vor allem auch ergebnisorientiert fundiert deutet, das scheint sich den Wissenschaftlern der GEK Auftragsstudie nicht zu erschließen. Daher ist in erster Linie nicht "eine kritisch vertiefende Untersuchung zur Wirksamkeit der alltäglichen Versorgung" der Psychotherapie geboten, sondern in erster Linie sollte die GEK PsychotherapieforscherInnen beauftragen, die hierzu die entsprechenden Kompetenzen und Voraussetzungen mitbringen.
Was will
die GEK mit dieser Studie bezwecken ?
Ganz offensichtlich soll die Psychotherapie und ihre Wirksamkeit schlechtgeredet
werden. Beweis: eben diese "Studie". Vorangehendes starkes Indiz: Die GEK
gehört mit zu den großen Ersatzkassen (DAK, BEK, GEK, TK u.a.).
Diese fallen seit einiger Zeit als extrem psychotherapiefeindlich dadurch
auf, dass sie für nicht floatende Punktwertleistungen, z.B. eine Anamnesesitzung
von mindestens 50 Minuten Dauer ganze 16,11 Euro und für eine probatorische
Sitzung (Probesitzung) 18,39 Euro zahlen (Sätze
Bayern 2. Quartal 2007), obwohl gerade diese Sitzungen besonders arbeitsintensiv
sind. Mit solchen Honoraren kann eine
freie Praxis nicht wirtschaftlich geführt werden und die an sich gute
Idee der neu geschaffenen gelegentlichen (fakultativen) Nachbetreuung (bis
zu drei Sitzungen im Quartal) wird damit unterlaufen.
Querverweise
Standort: Kritik GEK-Report 2007 Schwerpunkt
Psychotherapie.
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