Freud und das Kokain
Zum Geleit Brechts Galilei:
"Eine Hauptursache der Armut in den Wissenschaften
ist meist eingebildeter Reichtum."
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Freud und das Kokain ist aus mehreren Gründen eine sehr
interessante Geschichte:
Fundamentale antiwissenschaftliche Verirrung
Schon hier zeigt sich das grundlegend fatale sog.
"hermeneutische Mißverständnis"
der Psychoanalyse: Freud hatte - wie die meisten PsychoanalytikerInnen
- in der Tat eine ganz seltsame und völlig abwegige Auffassung von
Wissenschaft: sie verwechselten Ideen, Assoziationen und
Phantasien, die
ihr Geist zu einem Thema produzierte und mit dem die Wissenschaft
anfängt
mit dem Ende der Wissenschaft. Sie erkannten nicht, daß
die Wissenschaft damit zwar anfängt, dann aber kommt die harte Arbeit
des Daten Sammelns, Belege Suchens, Experimente, Untersuchungen und empirische
Erhebungen Durchführens, des faktischen und schlüssigen Zeigens
und Beweisens, der Evaluation. Sein absonderliches und abwegiges Vorgehen
hat Freud sogar versucht, mit einem eigenen Prinzip zu rechtfertigen
[Junktim], wonach überhaupt nur
PsychoanalytikerInnen fähig waren, psycho-patho-logische Erkenntnisse
zu gewinnen. Daraus hat sich ein weiteres seltsames Phänomen ergeben,
das der grenzenlosen Überhebung, eine Art Auserwähltgebaren
und in der Folge Isolierung, Abschirmung und Abschottung, ja eine Art mentale
Inzucht. Zu einer Vorbedingung, ob eine psychoanalytische Aussage richtig
oder falsch ist, mußte man der Zunft der PsychoanalytikerInnen angehören:
Psychoanalyse ist damit zur scholastischen Theologie demutiert.
Die traditionellen PsychoanalytikerInnen im Geiste
Freuds mein(t)en, sie könnten bequem im Sessel durch bloßes
Denken und Phantasieren
das mühselige empirisch- experimentelle Geschäft des Wissen-Schaffens
umgehen. Damit ist ein extremer Subjektivismus und Literarismus an die
Stelle empirischer Forschung getreten, was gut erklärt, daß
praktisch jede PsychoanalytikerIn letztlich ihre "eigene
Schule" bildet. Das einzige Kriterium für richtig und falsch wird
die subjektive Phantasie, das Für-Wahr-Halten der PsychoanalytikerIn.
Nachdem experimentelle und empirische Kriterien mißachtet und für
irrelevant gehalten wurden, ist eine Situation eingetreten wie in der Theologie
und mittelalterlichen Scholastik. Um einen Sachverhalt aufzuklären,
untersucht man den Sachverhalt nicht experimentell und empirisch, man schlägt
bei Freud nach, wie weiland die Theologen sich weigerten, einfachste Experimente
durchzuführen und stattdessen lieber bei Aristoteles
nachlasen, was der meinte - wie es Brecht
in seinem Galilei auf unnachahmliche Weise brandmarkte und geißelte.
Charaktermangel falsche Schuldzuweisung an seine Braut
Markus (1989, S. 70) führt aus: "In der Traumdeutung
geht Freud einige Jahre später auf diese Episode ein, gibt sich aber
vorerst noch großmütig: »Koller gilt darum mit Recht als
der Entdecker der Lokalanästhesie durch Kokain, die für die kleine
Chirurgie so wichtig geworden ist; ich aber habe mein damaliges Versäumnis
meiner Braut nicht nachgetragen«, behauptet er, nachdem er ja wegen
Martha darauf verzichtet hatte, seine Entdeckung rechtzeitig zu veröffentlichen.
In Wahrheit hat er ihr den unverzeihlichen Fehler - der freilich sein eigener
war - immer nachgetragen. Und so konnte Freud viel später, in seiner
Selbstdarstellung,
»rückgreifend erzählen, daß es die Schuld meiner
Braut war, wenn ich nicht schon in jungen Jahren berühmt geworden
bin.«"
Es ist natürlich nicht die Schuld seiner Braut,
wie oben schon durch den kritischen Teil der Zunft bewiesen wurde, sondern
seine eigene Fehlorientierung und Bequemlichkeit. Hier zeigt sich aber
ein Charaktermangel und potentieller paranoider- projektiver Persönlichkeitskern,
für eigene Fehler, Mängel und Schwächen andere verantwortlich
zu machen.
Eine
seltsame Briefstelle an Martha: Freud als machtgeiler Coca-Hengst
Clark (1981, S. 76f) führt zum Martha-Zitat aus: "Aber die Wirkung
der Droge war auch ohne Messungen im Laboratorium offenkundig, wie es Freud
anschaulich
erklärte, als er Martha am 2. Juni 1884 schrieb:
Missionarischer
Fanatismus der Kokain-Empfehlungen
Markus (1989, S. 71) berichtet, nachdem Freud annehmen mußte,
mit seiner Entdeckung der Kokain-Wirkung auf die Muskelkraft nicht mehr
berühmt werden zu können:
"Trotzdem arbeitete er wie geplant auch in diese Richtung
weiter. Und erntete damit doch noch sehr viel Publizität. Wenn auch
in ganz anderer Weise, als er sich das gewünscht hatte. Nachdem er
nämlich in einem Vortrag auch noch die psychiatrische Anwendung des
Kokains bei Hysterie, Hypochondrie und Depression empfahl, verfaßte
Professor Albrecht Erlenmayer im Centralblatt für Nervenheilkunde
ein gegen Freuds Theorie gerichtetes Pamphlet, in dem er »auf Grund
einer durch große Zahlen imponierenden Versuchsreihe« Kokain
als gefährliches Mittel erkannte und anprangerte."
Links: Kokain Rezept von Freud. Nach Sekundäre-Quelle Markus (1989, S. 72) |
"Während Koller also mit seinen Kokainarbeiten
Weltruf erlangt hatte, brachte dasselbe Forschungsobjekt Freud nur negative
Kritik. »Die Empfehlung des Kokains, die 1885 von mir ausging, hat
mir auch schwerwiegende Vorwürfe eingetragen«, schreibt Freud,
um noch einmal auf die Tragödie seines Kollegen Ernst von Fleischl
zurückzukommen: »Ein treuer, 1895
schon verstorbener Freund* hatte durch den Mißbrauch dieses Mittels
seinen Untergang beschleunigt.« Es war ein furchtbarer Tod, der Ernst
von Fleischl ereilte. Die immer größeren Kokaindosen, die er
schon nach kurzer Zeit benötigte, hatten zu einer chronischen Vergiftung
und schließlich zum Delirium geführt, während dessen er
weiße Schlangen über seine Haut kriechen sah. Freud hatte sich
sein Leben lang Vorwürfe gemacht, dem Freund das Ende eher erschwert
als erleichtert zu haben.
Die Zeit des ersten Sturms gegen Freud war gekommen,
zumal sein Freund Fleischl nicht das einzige Kokain-Opfer bleiben sollte.
Er experimentierte weiter und empfahl die damals in Apotheken und Drogerien
frei zu beziehende Droge jedem, der unter Depressionen litt. »Coca«,
sagte Freud, wäre ein »weit kräftigeres und unschädlicheres
Stimulans als Alkohol« und man müsse bedauern, [>72] daß
der Anwendung ein unsozial hoher Preis im Wege stehe. Seine Untersuchungen
brachten ihm den Ruf eines Fanatikers ein, gegen dessen Methoden jetzt
auch die Professoren Meynert und Richard
von Krafft-Ebing heftig protestierten.
Doch Meynerts einstiger Musterschüler war nicht
zu bremsen, glaubte an die Richtigkeit seiner Thesen. Erst als er bei seinem
Freund Fleischl die gefährlichen Nebenwirkungen der Injektion entdeckte,
stellte er seine Versuche mit Kokain ein, für das er, wie er später
bekannte, ein »abseitiges aber tiefgreifendes Interesse« empfunden
hatte."
Auch der Freud wohlgesonnene Bankl (1992, S. 203) belegt den missionarischen Eifer Freuds in Sachen Kokain: "Zuletzt jedoch verwendete Freud das Kokain weiter, nahm es selber, schickte seiner Verlobten kleine Dosen, »um sie stark und kräftig zu machen«, drängte es seinen Freunden und Kollegen für sie selber und für ihre Patienten auf und gab es seinen Schwestern; kurz, vom Standpunkt unseres heutigen Wissens gesehen, war er auf dem besten Wege, gemeingefährlich zu werden. Er selbst hatte dabei nicht die mindeste Ahnung, etwas Gefährliches zu tun, und seine Behauptung, er könne beliebig viel Kokain einnehmen ohne die geringsten Anzeichen einer Sucht zu verspüren, entsprach der Wahrheit. Denn es werden nur besonders veranlagte Personen süchtig, und Freud g;ehörte glücklicherweise nicht zu ihnen. Außerdem hat er nur so geringe Mengen eingenommen, daß er nie Halluzinationen erlebte und nie Abstinenzerscheinungen verspürte. Er konnte ohne die geringste Schwierigkeit auf die Droge verzichten." |
Die letzten Ausführungen Bankl verblüffen insofern,
als Freud Zeit seines Erwachsenenlebens bis hin zu seinem schrecklichen,
16 Jahre währenden Krebsleiden - von dem ihn schließlich sein
Hausarzt Dr. Schur mit Morphium auf eigenen Wunsch erlöste - an wirklich
extremer Zigarren- und Nikontinsucht litt. Freud war ganz klar eine (Genuß-)
Suchtpersönlichkeit.
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Warnung: viele Werke zu Freud sind unkritisch, hagiographisch
bis propagandistisch, verschweigen und verdrehen seine Fehler. Man tut
gut daran, kritisch und quer zu lesen. Negativ-Beispiele: Rowohlts Freud
Monographie, Studienausgabe (1975) bei Fischer: im 11. und Registerband
kommt im Register weder der Begriff "Cocain" noch "Kokain" vor.
Auswahl: Bild und andere Quellen zu "Freud und das Kokain"
Leopold Königstein: https://www.sospsy.com/Museum/pages/page075.htm
Carl Koller: [Entlinkt, weil die URL verändert und keine
Weiterleitung eingerichtet wurde]
Ernst von Fleischl: [Entlinkt, weil die URL verändert und
keine Weiterleitung eingerichtet wurde]
Albrecht Erlenmeyer: https://home.t-online.de/home/kutsche-bendorf/bdf-0042.htm
Freud and the "Cocaine Episode": [Entlinkt, weil die URL verändert
und keine Weiterleitung eingerichtet wurde]
Geschichte der Anästhesie - ein Überblick: https://www.uni-leipzig.de/~kai/anesthist.html
Die Geschichte des Kokain in Zahlen: https://www.drogenring.org/coca/kokahist.htm
Allgemeine
moderne Links zum Kokain-Komplex
Kokain Entdeckung. Freud hat nicht das Kokain und auch nicht die antriebsteigernde Wirkung des Kokain entdeckt, das fanden und entdeckten andere und Freud las darüber, u.a. in Deutsche medizinische Wochenschrift 12. Dezember 1883, die Arbeit von Aschenbrandt, der beschrieb, wie Kokain erschöpfte bayerische Soldaten reaktivieren konnte. So wurde er auf die Bedeutung des Kokain aufmerksam und er witterte zu Recht, daß im Kokain einige medizinische Wirkung steckte. Er scheint die lokal-anästhesierende, also betäubende Wirkung auch am Auge entdeckt zu haben, was die Augenoperationen jener Zeit revolutionierte.
keine wirkliche empirisch- experimentelle wissenschaftliche Einstellung: Jones, der erste Geheimdienst-Offizier und Propagandist Freuds, teilt hierzu erstaunlich kritisch mit, daß Freud sogar selbst seine "Faulheit" ins Spiel brachte. Jones, Ernest (dt. 1960-62). Das Leben und Werk von Sigmund Freud. Bern: Huber. Drei Bände, hier Bd. I., S, 103. Es ist aber nicht nur Freuds Faulheit und Bequemlichkeit, richtig Wissenschaft zu betreiben. Dies kommt sozusagen nur erschwerend und verstärkend hinzu. Das eigentliche Problem liegt tiefer: Freud hatte keine Ahnung, was richtige (psychologisch) wissenschaftliche Arbeit ist und bedeutet. So hat er sich sein eigenes phantastisches Wissenschaftskonzept geschaffen: [psychoanalytische] "Wissenschaft" ist, was PsychoanalytikerInnen zusammen phantasieren.
Zur Vorgeschichte: Nach Sponsel
1995, S. 28, Fußnote.
eigene Schule: Greenson (1975, S. 15) berichtet in seinem ziemlich informativen und technisch operationalen Buch über psychoanalytische Technik zur chaotischen Situation, was Psychoanalyse ist: "Diese Verwirrung und Unsicherheit {über die Handhabung der psychoanalytischen Technik, RS} wird auch durch die alarmierende Tatsache bestätigt, daß das Komitee zur Bewertung psychoanalytischer Therapie der Amerikanischen Psychoanalytischen Vereinigung sich 1953 auflöste, nachdem man sechseinhalb Jahre lang ohne Erfolg versucht hatte, eine annehmbare Definition der psychonanalytischen Therapie zu finden (Rangell, 1954)." Greenson, R. R. (1975). Technik und Praxis der Psychoanalyse. Stuttgart: Klett. 6,5 Jahre ergebnislose Bemühung um eine Definition der Psychoanalyse!
demutiert: de =: herab, herunter; mutieren =: Entwicklungssprung. Demutieren: sich zurück, herunter entwickeln. Wie man um 1900 herum einen solchen theologisch- mittelalterlichen Rückschritt in der Entwicklung einer vermeintlichen Wissenschaft wie Freud mit seiner Psychoanalyse machen konnte, ist immer noch nicht vollständig aufgeklärt. Möglicherweise muß man das sekten- soziologisch erklären. Daß die Psychoanalyse sich in der Gegenwart so gut hält, hat etwas damit zu tun, daß sie durch staatliche, institutionelle und sozialrechtliche Geldquellen und einen entsprechenden feudalen Sozialstatus nachhaltig belohnt wird.
Galilei: Brecht, Bertolt (1898-1956).
Leben des Galilei. Frankfurt: Suhrkamp. Uraufführung erste Version
1943 im Schauspielhaus Zürich. Hier nun die berühmte Passage,
ob eine Stecknadel auf Wasser schwimmt:
* Fußnote Markus: Fleischl verstarb bereits 1891.
Zu Bankl: Dass Freud nicht wußte, was er tat, ist angesichts der Ereignisse um Ernst von Fleischl-Marxow und der öffentlichen Kritik durch Erlenmeyer, Meynert und Krafft-Ebing sicher falsch. Wenn schon: dann wollte es Freud nicht wissen und das zeigt ihn als schlechten Arzt, Psychologen und Psychotherapeuten.
hagiographisch, Hagiographie: Heiligenbiographie. Übertragen: verklärende und einseitig idealisierende Darstellung. Typisch für Sonntags-, Fest- und Grabreden.
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z.B. Freud Kokakin site:www.sgipt.org. |