In Memoriam: Walter Volperts "Zauberlehrlinge" werden volljährig: ein ebenso geist- und kenntnisreiches wie leidenschaftliches Plädoyer zu kritischer Distanz - und auch heute noch dringender und aktueller denn je:
Zauberlehrlinge
Die gefährliche Liebe zum Computer
Inhaltsverzeichnis * Aus
dem Vorwort * Leseprobe
aus Gegensteuern * Querverweise
Zusammengestellt und mitgeteilt von Rudolf Sponsel, Erlangen
Vorwort 7
Teil I Herr Taylor läßt grüßen
Erster Abschnitt: Worum es geht
1. Zur Einleitung ein paar Zitate 13
2. Womit sich dieses Buch beschäftigt 16
3. In 15 Jahren: die Telematik-Ecke 23
Zweiter Abschnitt: Die alten und die neuen Tayloristen
4. Der alte Taylorismus 27
5. Der neue Taylorismus 31
6. Die Folgen des Taylorismus 33
Dritter Abschnitt: Grundsätzliches über die
Veränderung des Handelns
7. Die Kreativitäts-Sackgasse 40
8. Die Freunde des Benutzers 45
9. Die Gespensterformen des Handelns 52
Teil II Die Schattenseiten des Lebens in der Informationsgesellschaft
Vierter Abschnitt: Die Welt jenseits der Welt
10. Die Hacker: Reisende in einer Welt jenseits der Welt
59
11. Video-Spieler und Technik-Zentrierte: Die Vermassung
der Bildschirm-Sucht 66
12. Don't be it, dream it 75
Fünfter Abschnitt: Sprachlose und Kontaktlose
13. Die Vers-tümmelung der Sprache 80
14. Vom Verschwinden des Partners 89
15. Die einsame Geselligkeit am Bildschirm 94
Sechster Abschnitt: Gefangene im Daten-Netz
16. Der Kuckuck im Nest 101
17. Der Schatz im Datensee 109
18. Die Spinne im Netz 114
Teil III Machen wir uns selbst zu Maschinen?
Siebter Abschnitt: Die schöne neue Computerkultur
19. Der zwingende Blick 121
20. Der Imperialismus der »Künstlichen Intelligenz«
133
21. Maschinisten und Emotionalisten 144
Achter Abschnitt: Stolpersteine auf dem Weg in die
Zukunft
22. Die Umwandlung des Protests in einen »Megatrend«
152
23. Computer-Schoolkids 156
24. Akzeptanz-Helfer und Humanisierungs-Propheten 165
Neunter Abschnitt: Wir sind keine Computer
25. Die menschlichen Stärken 175
26. Gegensteuern 183
27. Sich verweigern - sich ändern 188
Nachwort zur Taschenbuchausgabe 193
Anmerkungen 195
Literaturverzeichnis 200
"Die Aussage dieses Buches lädt sich in einem Satz
zusammenfassen: »Wir sind keine Computer.«
Angesichts der rasanten Entwicklung der Informatik und
Informationstechnik, ihres forcierten Eindringens in alle gesellschaftlichen
Bereiche und des mit ihr in den Augen vieler verknüpften Anspruches
auf eine Ähnlichkeit, ja strukturelle Äquivalenz zwischen menschlichem
Geist und sogenannten intelligenten Maschinen, halte ich dies für
eine der ganz wesentlichen Einsichten unserer Zeit. Wollen wir die Chancen
der Informationstechnik nutzen und gleichzeitig ihre Gefahren vermeiden,
so müssen wir uns alle auf die jeweils für uns angemessene Weise
diese Einsicht erarbeiten.
Walter Volpert hat dies auf seine
Weise in dem vorliegenden Buch getan. Es ist ein eindringliches, warnendes,
vor allem aber auch ein schönes Buch. Schön deshalb, weil es
nicht bei den dramatisch aufgezeigten Gefahren stehen bleibt, sondern auf
den Reichtum menschlichen Erlebens zurückverweist, aus dem wir schöpfen
können, um dem Maschinenhaften in uns und um uns zu begegnen. Dabei
handelt es sich zuerst um ein erneuertes Selbstverständnis unseres
Menschenseins, aus dem heraus sinnvolles gemeinschaftliches Handeln wachsen
muß. Walter Volpert hat Worte und Bilder gefunden für das, was
sich schwer ausdrücken läßt, weil es so abstrakt scheint:
Wie wird die Informationstechnik unser Denken und Zusammenleben verändern?
Haben wir Anlaß diese Veränderungen zu begrüßen?
Werden sie unser Leben bereichern? Wenn nicht, wie können wir gegensteuern?
Die Gefahren halte ich für real. Daß wir gegensteuern könnten,
drückt eine Hoffnung des Autors aus, die ich zutiefst teile.
..."
"Aber, so höre ich nun von allen Seiten, wir können den Siegeszug der Informationstechnik doch nicht aufhalten. Es ist nicht die Frage des Aufhaltens. Matthias Horx drückt das ganz richtig aus: »Die Dinger tun uns noch nicht einmal den Gefallen, das Weltende oder den Überwachungsstaat (der ja mindestens genauso schlimm ist) unweigerlich herbeizuführen. Statt dessen geben sie den Schwarzen Peter einfach zurück.«
Wir fallen nicht in die Steinzeit zurück, wenn wir von der extremistischen Technik-Gläubigkeit ablassen und uns überlegen, was für uns alle am besten zu tun ist. Es geht nicht um ein Aufhalten im allgemeinen, sondern um ein wohlbedachtes und engagiertes Gegensteuern. Das, was falsch läuft, weil die Risiken zu groß werden, muß wieder in die richtigen Bahnen gebracht werden. Das heißt natürlich auch: Einiges verlangsamen und abstoppen. Aber es heißt vor allem: Gemeinsam über die Risiken diskutieren und nicht auch die noch verleumden, die nicht in die Gesänge der Lemminge einfallen. Und es heißt: Nach neuen und intelligenten Lösungen suchen - menschen-intelligenten, nicht maschinen-intelligenten.
Joseph Weizenbaum, der es als berühmter
KI-Forscher eigentlich wissen muß, sagt: »Wir beherrschen diesen
Prozeß, diese Geräte nicht mehr, weder die Computer in den Waffensystemen
noch in den Fabriken noch in den Familien. Wir Menschen müssen diesen
Prozeß jetzt stoppen.« Also doch aufhalten? Und wie? Ich meine,
wir müssen genauer die kritischen Punkte angeben, bei deren Uberschreitung
mit einiger Wahrscheinlichkeit sehr viel mehr aus dem Lot gerät als
bisher, und wir müssen an diesen Punkten ein ganz deutliches [185]
»Halt!« rufen. Wenigstens für die Verhältnisse in
diesem Land könnte man so (mit Herbert Kubicek) fordern:
Solche Forderungen können eindeutig an technische
Vorgänge geknüpft werden. Schwieriger wird es, wenn man sich
überlegt, wie gegen die drohenden psychischen Veränderungen und
die Persönlichkeitszerstörung am Arbeitsplatz und in der Telematik-Ecke
vorgegangen werden kann. Hier gibt es keine klaren »Wasserscheiden«.
Verbote haben erfahrungsgemäß eine nur sehr beschränkte
Wirkung, und der Appell an Vernunft und Moral läßt immer ein
paar skrupellose Geschäftemacher unbeeindruckt, die dann um so besser
absahnen. Trotzdem meine ich, man sollte als derartige Forderungen zumindest
stellen:
Zugegeben, solche Forderungen können unterlaufen
werden. Gegensteuern muß deshalb noch mehr heißen als zu versuchen,
Dämme aufzurichten. Das Entscheidende ist, daß wir unser Zusammenleben
ändern. Das ist letztlich auch das einzige, das den Personen helfen
könnte, von denen meine Fallbeispiele erzählt haben: Werner,
Albert, Roland und sogar Frau Margareta. Ich will keine neuen Verhaltensnormen
aufstellen und solche Leute zu einem Glück zwingen, bei dem sie gar
nicht glücklich sind. Auch der Hacker hat das Recht, sein einsames
und etwas schrulliges Leben zu führen. Den Video-Spieler werde ich
mit Verboten nicht heilen, und den Technik-Zentrierten werde ich durch
Vorschriften nicht davon überzeugen, wie irrational und inhuman sein
Denken und Handeln ist. Solche Lebensformen sollen aber auch nicht gewissermaßen
zur staatlich verordneten Existenzweise werden. Damit sie ihre persönlichkeits-
und ge[186]sellschaftsschädigenden Auswirkungen verlieren, brauchen
wir ein anderes soziales Klima: Eine Form des Zusammenlebens, das die Menschen
nicht gerade dann allein läßt, wenn sie einen Partner brauchen,
und das ihre Bedürfnisse nach Liebe und Anerkennung so fördert,
daß sie nicht in die seltsame Welt auf dem Bildschirm flüchten
müssen.
»High Touch« trotz »High
Tech« - das ist ein Zustand, den wir durch gemeinsames Bemühen
herbeiführen müssen, gegen den derzeitigen technischen und sozialen
Trend, der uns in die Telematik-Ecke scheucht. John Naisbitt hat in dem
Punkt ganz recht: Wir müssen »die elektronische Festung, die
sich da aufzutürmen versucht« aufbrechen und schleifen.'
Wir alle, und unsere staatlichen Instanzen,
sollten alle jene Kräfte unterstützen, die sich gegen die zunehmende
Vereinsamung und Technik-Zentriertheit richten, gegen die Maschinisierung
unserer Lebensbedingungen in Arbeit und Freizeit, gegen anonyme Kontrolle
und Manipulation. Das heißt ganz wesentlich:
Überall dort, wo sich Gruppen von Menschen zusammentun,
um ihre örtlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen selbst zu gestalten
(und dabei auch neue Formen des Umgangs mit der Technik zu finden), müssen
solche Initiativen gefördert und gestärkt werden. Dabei sollte
man ohne jede Scheuklappen und jede Voreingenommenheit vorgehen. Es gibt
solche Initiativen an Orten, und ausgehend von Personen, bei denen man
das gar nicht erwarten würde.
Ich weiß, das klingt ganz schlimm in manchen Ohren. Gerade diese neuen Gruppen und Initiativen sind doch Brutstätten des Ungehorsams und der Aufsässigkeit. Aber die Aufsässigen von heute sind oft die, derer man in einigen Jahrzehnten in Feierstunden gedenkt. Und wenn man schon allerorten hört, man solle in innovativen Bereichen Risikokapital investieren ist das etwa kein innovativer Bereich? Ich meine, er ist sogar innovativer als aller mögliche technische Krimskrams, von dem sich dann doch herausstellt, daß irgend jemand in Kalifornien ihn dreimal besser und zehnmal billiger macht. [187] Wir müssen heraus aus den dogmatischen Beengtheiten der Technik-Gläubigkeit und wieder Raum gewinnen für eine unbefangene und unvoreingenommene Analyse unserer wirtschaftlichen und kulturellen Probleme. Dazu gehört eine breite Diskussion über die Gefahren einer wildwuchernden Informationstechnik sowie über neue Möglichkeiten, diese technischen Entwicklungen sinnvoll zu nutzen.
27. Sich verweigern- sich ändern
Das setzt voraus, daß jeder von uns über das Maschinenhafte in sich selbst nachdenkt und sich selbst ändert. »Es gab Wendepunkte in der Geschichte der Menschheit«, schreibt Herbert A. Simon, »in denen der Mensch seine Existenz plötzlich unter einer neuen Perspektive sah«, und er zählt dazu das Auftreten »denkender« Maschinen, die uns neu über uns selbst nachdenken lassen. Sherry Turkle macht diese Überlegung zum Leitmotiv ihres Buches. Sie vergleicht das Erscheinen des Computers sogar mit dem Auftauchen jenes Wolfsjungen, der im Jahre 1800 in den Wäldern Südfrankreichs gefangen wurde und der die Menschen von damals dazu brachte, sich selbst ganz anders zu sehen.
Der Mensch hat die Maschine in die Welt gebracht. Vor ihm gab es sie nicht, und sollte er einmal von der Welt verschwinden, werden die Maschinen verrosten und die Speicherplatten der großen Registrierungssysteme wird keiner mehr lesen können. Alles Maschinenhafte ist unser Produkt. Deshalb muß der Grund für das Maschinenhafte in uns zu finden sein. Die Projektgruppe »Technologie und Sozialisation« (Arno Bamme u. a.) ist dieser Frage nachgegangen und hat darüber ein schönes Buch mit dem Titel »Maschinen-Menschen, Mensch-Maschinen« geschrieben. Ihr provozierendes Resultat ist, daß die »Schnittstelle« zwischen Menschen und Maschine im Menschen selbst liegt. Damit liegt auch der Grund für die Faszination in uns selbst, und für das Minderwertigkeitsgefühl, das uns »Fehlkonstruktionen« plagt, wenn wir vor diesen Dingern stehen.
Die Psychologie des Maschinenhaften im Menschen ist noch [188] nicht geschrieben Sie hängt mit seiner einzigartigen Befähigung (die ein Fluch sein kann) zusammen, aus den Kreisläufen des Lebens und der Natur herauszuspringen und sich »die Welt untertan« zu machen. Man könnte eine Kulturgeschichte schreiben, die dieses heldenhafte und frevelhafte Bemühen zu ihrem Grundthema nimmt: die in den Mythen und Dramen den Triumph der Helden und Frevler beschreibt, aber auch die katastrophale Wende, nach der sie sich entweder in neuer Weise in das Ganze einfügen oder trotzig untergehen. Beides, das neue und reflektierte Sich-Einfügen und der trotzige Untergang, gehört offenbar zum Wesen des Menschen. Die Maschinen aber gehören zu seiner Art, sich der Welt entgegenzusetzen und über sie verfügen zu wollen. Die Technik-Gläubigen sind die Unbeugsamen unserer Tage, die angesichts der Katastrophe, nichts einsehen und trotzig bleiben wollen.
Wenn man darüber nachdenkt, wie diese grundsätzliche Haltung gegenüber der Welt zu einer Lebensform wird, dann kommen jene Merkmale heraus, die ich bei den Hackern und den Technik-Zentrierten beschrieben habe. Dann kann es zu jener Spaltung kommen zwischen den Maschinisten und den Emotionalisten, die Sherry Turkle beschreibt, wobei beide sich selbst für Maschinen halten - der Unterschied ist nur, daß sich die einen für pure Maschinen halten und die anderen für emotionale Maschinen.
Das neue Weltbild der Naturwissenschaft zeigt uns, daß wir Zusammenhänge, Kreisläufe, Entwicklungsprozesse sehen müssen. Daß wir selbst in solche Entwicklungsprozesse hineingestellt sind. Daß diese Prozesse aber offen sind und von uns gestaltet werden können - negativ, im Sinne des störrischen Verfügen-Wollens, das am Ende alles kaputt macht, oder positiv, indem wir den Grundgedanken der Entwicklung verstehen, uns ohne Zwang in ihn fügen und ihn voranbringen. Man hat diese beiden Existenzweisen als »männlich« und »weiblich« einander gegenübergestellt. Daran ist sicher etwas Richtiges, wenn man sie als Lebensformen sieht und nicht als biologische Festgelegtheiten. Man hat die »weiblichea Lebensform des Sich-Einbindens und ihre Polarität zum »männlichen« Beherrschen-Wollen in Bezug gebracht zu östlichen Religionen und Philosophien. Auch das kann uns neue Erkenntnis bringen. [189] ...."
Bezüge
und Auseinandersetzungen im Netz: